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die gestischen wirkungen der architektur<br />
scheinen oben bedrohlich überzuhängen, dagegen<br />
zurückweichende Ecken stellen das Gefühl für die ideale<br />
Euklidizität wieder her. Die leichte Schräge der Ecke ist<br />
also auch eine Korrektur im Augenraum im Hinblick auf<br />
das Ideal der Vertikale – ganz analog der Korrektur<br />
der durchhängenden Basis durch eine Überhöhung<br />
der Horizontale beim griechischen Tempel. Es handelt<br />
sich also um künstlerische Arbeit im Wahrnehmungsraum<br />
im Hinblick auf ein Ideal.<br />
Entwerfer wie Zaha Hadid und Coop Himmelblau erzeugen<br />
die Spannung einer stehenden Mauer oder einer liegenden<br />
Platte durch Einführung von Schrägen, die ausdrücklich<br />
das Leibgefühl in Verlegenheit bringen.<br />
Diese Herausforderungen sind genauso legitim wie die<br />
beim Tanz. Gerade in der Bedrohung liegt doch das Zeug<br />
zu Angst und Lust. Es bleibt aber eine Frage an die<br />
entwerferische Delikatesse, ob in einer solchen Abweichung<br />
nur Bedrohung zum Ausdruck kommt, oder ob das Ganze<br />
der gebauten Figur die Abweichung auffangen und<br />
harmonisieren kann. Dann erst wird die Kippung der<br />
Senkrechten nämlich als legitimer Kunstgriff empfunden.<br />
Fehlen die Senkrechten ganz – wie bei Trümmern und<br />
Ruinen – so ist das Vertrauen in das Gebaute allein durch<br />
diesen Umstand erschüttert. Werden die Vertikalen durch<br />
Schräge oder durch Kurven überspielt – wie bei Faltwerken<br />
und im Schalenbau –, so sind sie als Bezugslinien<br />
und -flächen sogar stärker wirksam. Das Leibgefühl<br />
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