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die gestischen wirkungen der architektur<br />
Das Wachsen als Abheben von der Erde, das Überwinden<br />
der Schwere aus eigener Kraft bei Pflanzen und Tieren,<br />
ihre steigende, stehende, hebende Gestik ist sicher<br />
ein starkes Ausdrucksmoment des Organischen.<br />
Im menschlichen Körper wird die natürliche Ausrichtung<br />
an der Vertikalen physisch gestützt. Das Instrument dazu,<br />
das Gleichgesichtsorgan mit regulierender Flüssigkeit<br />
in drei Bogengängen, die senkrecht aufeinander stehen,<br />
ist bekanntlich in unserem Innenohr angeordnet. Es sorgt<br />
für das Bewusstsein der vertikalen Ausrichtung auch<br />
beim Liegen, Gehen, Fallen usw.<br />
Natürliche Anlagen zur Vertikalität reichen allerdings nicht<br />
zur Begründung einer kulturellen Idee und eines Werkes.<br />
Die vertikale Gebärde der Architektur aber ist von solcher Art,<br />
sie bezieht sich zwar auf Vorgaben der Natur, aber sie ist<br />
als Artefakt in der Lage, sich davon abzuheben. Das wird<br />
besonders in der „Kunst der feinen Abweichungen” deutlich.<br />
Es ist bekannt, dass die Ecken historischer Steinbauten<br />
häufig leichte Abweichungen von der geometrischphysikalischen<br />
Vertikalen haben, ägyptische, arabische,<br />
griechische und römische Gebäudeecken und auch solche<br />
bei modernen Massivbauten (zum Beispiel bei der Annakirche<br />
von Rudolf Schwarz in Düren). Mag sein, dass eine bessere<br />
Lastabtragung bei einer unteren Verbreiterung des<br />
Mauerwerks und folglich einer schrägstehenden Ecke<br />
erwartet wurde. Sicher haben auch Sehraumerfahrungen<br />
eine Rolle gespielt: Türme mit exakt vertikalen Ecken<br />
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