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phänomenologische skizzen: leib und architektur<br />
Die höchste Stufe der kalkulierten Täuschung ist<br />
die Bühnenbildnerei. Da wird ja nicht nur eine Augenund<br />
Ohrenillusion für temporäres Publikum realisiert,<br />
es folgen an einem Abend möglicherweise mehrere solcher<br />
Illusionsszenen aufeinander. Sogar die Herstellung<br />
der Täuschung selbst kann thematisiert werden, indem<br />
etwa der Raum um das Bühnenbild herum mitgezeigt wird:<br />
eine Bühne auf der Bühne. Mit dem Einverständnis<br />
des Zuschauers ist die Welt hier eine Zeige-Welt, eine Größe<br />
ist eine scheinbare Größe, ein Gewicht ein scheinbares<br />
Gewicht. Die Wirklichkeit steht für eine andere Wirklichkeit,<br />
eine ironische Haltung zum Sein wird entfaltet, die für kurze<br />
Dauer Vergnügen macht.<br />
Die Langatmigkeit erlaubt der Architektur als Kunst kaum<br />
solche unterhaltsamen Wirkungen. Und doch gibt es auch<br />
bei ihr den falschen Anschein und ironische Bilder.<br />
Ein Haus wird etwa so ausgestattet, dass es verlassen wirkt,<br />
obwohl es bewohnt ist, oder bewohnt wirkt, wenn es verlassen<br />
ist. Es kann stabil wirken, wenn es de facto auf schwachem<br />
Baugrund steht, oder gefährdet, obwohl es solide gegründet ist.<br />
Spiele mit dem Ausdruck der Stabilität (Schräge, Leichtigkeit,<br />
Dynamik usw.) gehörten zum Vokabular des russischen<br />
Konstruktivismus, Spiele mit dem Ausdruck des Gebrauchs<br />
(Verfügbarkeit, Nicht-Verfügbarkeit, verschlüsselte Widmungen<br />
etc.) waren bei den Landschlössern der englischen Romantik<br />
und sind immer noch bei den Kaufhäusern der amerikanischen<br />
Postmoderne sehr beliebt.<br />
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