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Tro§zdem Nr. 43, November2010 - Justizvollzugsanstalt Oldenburg ...

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RECHT & SOZIALES<br />

§<br />

Nach spektakulären Verbrechen fordert<br />

die Politik nun seit zwei Jahrzehnten<br />

„härtere Strafen, längere Strafen, Wegsperren<br />

für immer“ wie auf einer Endlosspirale.<br />

Dabei sind sie in den vergangenen<br />

Jahrzehnten nicht untätig geblieben<br />

und haben durch verschiedene Strafänderungsgesetze,<br />

6 an der Zahl, für ständige<br />

Verschärfung gesorgt und dabei ihr Augenmerk<br />

intensiv auf die Sicherungsverwahrung<br />

gerichtet. Konkretisieren lässt<br />

sich die Trendwende am Strafänderungsgesetz<br />

des § 66 StGB von 1998. Die<br />

Kurzfassung der damaligen Reform lautete:<br />

„Leichter rein, länger drin, schwerer<br />

raus“, so fasste es jüngst Klaus Tolksdorf,<br />

Präsident des Bundesgerichtshofs<br />

(BGH), zusammen. So wurde die originäre<br />

Sicherungsverwahrung (SV) von 10<br />

Jahren auf unendlich verlängert, die auch<br />

für Altfälle gelten sollte. Die nun auch<br />

für die Altfälle geltende Regelung wurde<br />

sogar durch das Bundesverfassungsgericht<br />

2004 bestätigt, jedoch mit Beschluss<br />

vom17.12.2009 durch den Europäischen<br />

Gerichtshof für Menschenrechte<br />

(EGMR) aufgehoben und nach Beschwerde<br />

durch die Bundesrepublik gegen<br />

diese Entscheidung am 11.05.2010<br />

durch die große Kammer des EGMR<br />

zurückgewiesen und ist somit bestätigt<br />

und rechtskräftig.<br />

Nach spektakulären Verbrechen<br />

fordert die Politik seit zwei Jahrzehnten<br />

„härtere Strafen“.<br />

Die Entscheidung betrifft alle Inhaftierten,<br />

deren verurteilte Taten sich vor<br />

dem 31.01.1998 ereigneten und deren<br />

erstmalige Sicherungsverwahrung länger<br />

als 10 Jahre vollstreckt worden ist, oder<br />

irgendwann vollstreckt sein wird. Laut<br />

dem Emmerdinger Strafrichter und Experten<br />

für Sicherungsverwahrung Thomas<br />

Ullenbruch können sich sofort direkt<br />

160 Verwahrte auf das Straßburger Urteil<br />

berufen und indirekt weitere 40 Verwahrte<br />

in den kommenden Jahren.<br />

www.jva-oldenburg.de<br />

Für Justiz und Politik bedeutet das<br />

Straßburger Urteil eine Blamage sonder<br />

Gleichen, aber zum Glück ging dem Europäischen<br />

Gerichtshof für Menschenrechte<br />

die stetig rigorosere, ja gar ausufernde<br />

Praxis des „Wegsperrens für<br />

immer“ zu weit. Kurz vor der Entscheidung<br />

waren noch Gesetzesvorstöße unternommen<br />

worden, die nachträgliche<br />

Sicherungsverwahrung bei Straftätern<br />

anzuordnen, die bereits entlassen sich<br />

nicht wie gewünscht und zuträglich aufführten.<br />

Und zukünftig hätte die Politik<br />

dann dafür gesorgt, dass jeder, nach dem<br />

Motto: wir haben Indizien für ihre Gefährlichkeit,<br />

von der Straße weg verhaftet<br />

werden kann. Ganz zum Leidwesen<br />

der Befürworter, Hardliner, Populisten<br />

und Hetzer hat das nun ein Ende.<br />

Gescheitert sind Politik und Verfassungsgericht<br />

an ihrer juristischen Auffassung,<br />

Meinung und Umsetzung. In der<br />

heutigen Zeit ist es üblich Begriffe einfach<br />

neu zu definieren, umzubenennen,<br />

damit sich Begebenheiten und Situationen<br />

anders darstellen lassen. Die Justiz<br />

meint seit Jahrzehnten, dass es ausreichend<br />

sei die Sicherungsverwahrung<br />

nicht als Strafe, sonder als „Maßregel zur<br />

Sicherung und Besserung“ zu bezeichnen.<br />

Blöd ist, dass genau das vom Europäischen<br />

Gerichtshof für Menschenrechte<br />

unter anderem hinterfragt wurde. In<br />

der Vollzugspraxis stellt sich dieser<br />

Sachverhalt ganz einfach dar. Das Schild<br />

an der Tür des Strafhäftlings wird mit<br />

Beginn der Maßregel umbenannt in Sicherungsverwahrter.<br />

Somit befindet er<br />

sich im Knast nach dem Knast und Knacki<br />

bleibt Knacki. Genau aus diesem<br />

Grund hat der EGMR die Sicherungsverwahrung<br />

als Strafe angesehen und nicht<br />

als eine „Maßregel zur Besserung und<br />

Sicherung“. Der Knast nach dem Knast<br />

wird daher in naher Zukunft Geschichte<br />

sein, denn die Entscheidung des EGMR<br />

hat eine weitaus größere Dimension als<br />

von vielen angenommen.<br />

Zurzeit versuchen zwar einige deutsche<br />

Gerichte und im Falle einer Eilentscheidung<br />

auch das Bundesverfassungsgericht<br />

das Straßburger Urteil zu umgehen,<br />

aber auf Dauer wird diese Blockadefront<br />

nicht halten. Bereits Anfang Juni<br />

fasste der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes<br />

einen Beschluss, der konsequenterweise<br />

sogar<br />

über das Straßburger<br />

Urteil hinaus geht,<br />

indem der BGH es<br />

auf die Fälle nachträglicher<br />

Sicherungsverwahrung<br />

ausdehnte und sie<br />

wegen dem Rückwirkungsverbot<br />

für unzulässig<br />

erklärte:<br />

2004 wurde die<br />

nachträgliche Sicherheitsverwahrung<br />

eingeführt und alle,<br />

die vorher ihre Straftat<br />

begangen haben,<br />

sind von dieser Entscheidung<br />

betroffen – bundesweit dürfte<br />

es sich um annähernd bis zu 20 Fälle<br />

handeln. Noch im März des Jahres hatte<br />

der BGH eine nachträgliche Sicherungsverwahrung,<br />

die erstmals nach verbüßen<br />

einer Jugendstrafe in Deutschland durch<br />

das Landgericht Regensburg angeordnet<br />

worden war, bestätigt. Auch der mittlerweile<br />

Erwachsene darf, nach stellen eines<br />

entsprechenden Antrages durch seinen<br />

Anwalt, mit einer baldigen Freilassung<br />

rechnen.<br />

Ein solches Desaster wäre mit Sicherheit<br />

durch eine weitsichtige, sachliche,<br />

nüchterne, gelassene und vor allem<br />

standhafte Politik zu vermeiden gewesen,<br />

doch ihre zunehmende Verfassungs-<br />

Kurzfassung des Strafänderungsgesetzes<br />

zum § 66 StGB von<br />

1998: „Leichter rein, länger drin,<br />

schwerer raus“.<br />

Blindheit, die teilweise auch bei Gerichten<br />

auszumachen ist und die bösartig<br />

Liaison von Politik und Boulevardmedien<br />

sind dafür verantwortlich. Diesen<br />

Missstand beklagte bereits Richard von<br />

Weizsäcker als Bundespräsident in einem<br />

1992 mit der ZEIT geführtem Interview,<br />

indem er feststellte: der Einfluss<br />

der Parteien gehe über politische Willensbildung,<br />

von der die Verfassung<br />

spreche, weit hinaus. Die Parteien wirkten<br />

am ganzen gesellschaftlichen Leben<br />

mit, ihr Einfluss reiche direkt oder indirekt<br />

in die Medien hinein.<br />

Es wird höchste Zeit, dass es wieder<br />

ein Kräftemessen zwischen Politik und<br />

Medien gibt. Früher knickte die Politik<br />

gegenüber den Boulevardmedien mal<br />

ein, heute, so hat es den Anschein, haben<br />

Leute wie Chefredakteur Diekmann von<br />

der Bild einen enormen Einfluss aufs<br />

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Redaktion Tr§tzdem Cloppenburger Str. 400 26133 <strong>Oldenburg</strong><br />

Tr§tzdem 11/2010 51

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