Tro§zdem Nr. 43, November2010 - Justizvollzugsanstalt Oldenburg ...
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§ RECHT & SOZIALES<br />
ner den beiden Angeklagten, die sechs<br />
bis neun Meter entfernt standen, zugewandt<br />
und gesagt: „Ihr wollt es nicht<br />
anders“. Dann sei er in Boxerstellung<br />
gegangen und habe den einen mit der<br />
Faust ins Gesicht geschlagen. „Als er zu<br />
dem Schlag ansetzte, merkte man, dass<br />
der Mann mal mit Kampfsport zu tun<br />
hatte. Das war so eine Boxerstellung. Er<br />
hat dann sofort zugeschlagen.“ Der Vorsitzende<br />
Richter fragt: „Kam dieser<br />
Schlag für Sie überraschend?“ „Nein“,<br />
sagt Marcel L. „der Herr Brunner ging ja<br />
auf die zu.“ „Haben die Angeklagten<br />
auch so eine Haltung eingenommen?“<br />
„Nein“, antwortet der Zeuge, „die standen<br />
einfach da.“ Der Richter fragt noch<br />
einmal: „Die standen einfach da?“ „Ja“,<br />
bestätigt der Zeuge. „Wohin traf der<br />
Faustschlag?“ „Unter das Auge. Es hat<br />
geblutet.“<br />
Eine weitere Zeugin, Daniela H., 56-<br />
jährige Verwaltungsjuristin, die auch in<br />
der S-Bahn saß, sagt aus: „Ui, der geht<br />
jetzt auf die Jugendlichen los, sagte einer<br />
der Fahrgäste.“ Dann habe sie beobachtet,<br />
wie der Herr Brunner in Boxhaltung<br />
die Angeklagten angriff. „Kick und<br />
Schlag, wie bei einem Kampfsportler.“<br />
Ebenso sagt der 46-jährige S-Bahn-<br />
Fahrer, Matthias B. aus: „Der ältere Herr<br />
kuckt zu mir her und sagt: ‚Jetzt gibt’s<br />
hier hinten richtig Ärger. Ich dachte<br />
mir, nu wenn nur der keinen Ärger<br />
macht.“ Von einer Bedrohung oder einem<br />
bevorstehenden Angriff habe er<br />
nichts bemerkt, sagt der Zugführer. „Die<br />
gingen ganz normal nebeneinander her.<br />
Aus meiner Sicht hat sich da gar nichts<br />
angebahnt. Der Herr Brunner und die<br />
Jugendlichen hätten einfach nur weggehen<br />
müssen.“ Stattdessen habe der ältere<br />
Herr seine Jacke ausgezogen und sie wie<br />
auch seine Tasche am Geländer abgestellt.<br />
„Dann ist er auf die zugegangen<br />
und hat mit der Faust ausgeholt. „Hat er<br />
getroffen?“ fragt der Richter. „Der hat<br />
sehr gut getroffen, die waren anscheinend<br />
völlig überrascht, ich ooch.“<br />
In der vom ehemaligen Staatsanwalt<br />
und jetzigem Familienrichter verfassten<br />
Anklageschrift liest sich das Geschehen<br />
noch völlig anders. Und für gewöhnlich<br />
verzichtet kein Staatsanwalt in einer<br />
Mordanklage darauf, die zwei Minuten<br />
des Tötungsaktes mit jeder Sekunde zu<br />
beschreiben und dabei präzise auf- und<br />
anzuführen, welche Verletzungen zum<br />
Tod des Opfers geführt haben. In der<br />
Anklage gegen die beiden mutmaßlichen<br />
Täter heißt es knapp und ungenau, Herr<br />
Brunner sei „an den Folgen des Angriffs<br />
der Angeschuldigten“ gestorben. Aus<br />
dem Obduktionsbericht ergibt sich, dass<br />
keine der 22 „schweren und schwersten<br />
Verletzungen“ zum Tod Brunners geführt<br />
hätten, das kein Knochen gebrochen<br />
war, auch nicht am Schädel, sondern<br />
mit hoher Wahrscheinlichkeit das<br />
krankhaft vergrößerte Herz ein Herzversagen<br />
herbeiführte. Gerichtsmediziner<br />
zweifeln aufgrund der Tatsache, dass<br />
Dominik Brunner, nachdem er zusammengeschlagen<br />
wurde, noch einmal aufstand<br />
und etwas sagte sogar daran, dass<br />
er auch nur eine Gehirnerschütterung<br />
erlitten hatte. Die Öffentlichkeit erfuhr<br />
erst davon, nachdem einige Journalisten,<br />
durch Zeugenaussagen stutzig geworden,<br />
gezielt bei der Staatsanwaltschaft nachhakten.<br />
Nach zwölf Verhandlungstagen werden<br />
die Angeklagten wegen Mordes zu<br />
hohen Haftstrafen verurteilt. Ohne Gutachten<br />
stellt Richter Baier fest, wäre der<br />
19 jährige Sch., zu 9 Jahren und 10 Monaten<br />
Jugendstrafe verurteilt, zu einer<br />
Lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden.<br />
Der Mitangeklagte wurde wegen<br />
Körperverletzung mit Todesfolge zu<br />
sieben Jahren Jugendstrafe verurteilt. Die<br />
Richter gehen davon aus, dass Herr<br />
Brunner in Notwehr zugeschlagen hat<br />
und sein krankhaftes Herz aufgrund des<br />
erlittenen Traumas versagte. Auch lässt<br />
Richter Baier in seiner Urteilsbegründung<br />
die oben zitierten Zeugenaussagen<br />
nicht gelten, weil diese ein schlechtes<br />
Gewissen hätten und das Geschehen<br />
daher anders interpretierten. Die Argumentation<br />
des Gerichtes ist auffallend<br />
dünn und es bleibt abzuwarten, was die<br />
Revision bringt.<br />
Für den Beobachter wirkt das Urteil<br />
wie ein politisches Urteil aber nicht wie<br />
ein rechtsstaatliches Urteil. Überstürzter<br />
Aktionismus, die reflexartiger Forderung<br />
nach härteren Strafen und die wie auch<br />
hier praktizierte unheilvolle Allianz von<br />
Politik und Medien haben für das Urteil<br />
gesorgt. Am Tag der Urteilsverkündung<br />
titelte die Münchener Boulevardzeitung<br />
tz auf ihrer ersten Seite passend: „Heute<br />
ist der Tag der Abrechnung“. Sechs Tage<br />
später, der Tag an dem sich der gewaltsame<br />
Tod des Herrn Brunner jährt, pilgern<br />
hunderte von Menschen zu seinem<br />
Gedenken zum Bahnhof von Solln und<br />
stellen dort ein Kreuz zur Mahnung auf.<br />
In seinem Heimatort wird zur Erinnerung<br />
und als Denkmal das „Dominik-Brunner-<br />
Haus“ mit einer zwei Meter großen<br />
Bronze-Skulptur davor, durch Bayerns<br />
Innenminister Joachim Herrmann eingeweiht.<br />
Der Innenminister spricht in seiner<br />
Rede von „Wachsender Gewalt“ und<br />
fordert hartes Vorgehen ein.<br />
50 Tr§tzdem 11/2010 www.jva-oldenburg.de