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Tro§zdem Nr. 43, November2010 - Justizvollzugsanstalt Oldenburg ...

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RECHT & SOZIALES<br />

§<br />

zum Glück vorbei!?<br />

Doch wäre es nicht schön, wenn man<br />

einen Verbrecher bereits vor Begehung seiner<br />

Tat hätte dingfest machen können. Dieser<br />

lang gehegte Wunsch einer allmächtigen<br />

Strafverfolgungsbehörde ist bis in die heutige<br />

Zeit nicht verstummt und treibt die Fantasie<br />

der Verbrechensbekämpfer gleichermaßen<br />

an.<br />

Wie man Verbrechen am erfolgreichsten<br />

verhindert hat Steven Spielberg in seinem<br />

zukunftsweisenden Film „Minority Report“,<br />

aus dem Jahr 2002, eindrucksvoll auf der<br />

Leinwand dargestellt. Das Sicherheitssystem,<br />

das in dieser futuristischen Welt die<br />

Gedanken seiner Bürger überwacht heißt<br />

Precrime. Es bedient sich genetisch veränderten<br />

Wesen, sogenannte Precogs, die an<br />

einen Computer angeschlossen sind und<br />

durch ihre hellseherische Gabe Gewaltverbrechen<br />

vorhersagen können. Sie sehen<br />

einen potentiellen Täter bevor er sein<br />

Verbrechen verübt. Auf diese Weise wissen<br />

die Ermittler sofort wo sie aktiv werden<br />

müssen und können die Straftäter bereits vor<br />

Begehen ihres Verbrechens dingfest machen.<br />

Die Precogs (der Begriff leitet sich ab<br />

Gutachteter entscheiden im Zweifel<br />

gegen den Angeklagten.<br />

von engl. precognition -Vorauswissen) unseres<br />

zivilisierten und aufgeklärten Rechtssystems<br />

heißen Prognosegutachter. Genau so<br />

wie die Wesen im Film blicken sie in eine<br />

unbekannte Zukunft und machen Aussagen<br />

über die möglichen Verbrechen, die ein<br />

Mensch noch begehen könnten. Ist der potenzielle<br />

Bösewicht dann einmal identifiziert<br />

und eingefangen, wird er im Film ins ewige<br />

Koma befördert, in unserer zivilisierten Welt<br />

sperrt man ihn in eine 8 m² große Zelle,<br />

wenn es sein muss auch bis zum endgültigen<br />

Ableben. Dies wäre sicherlich eine optimale<br />

Methode zur Sicherung der Gesellschaft von<br />

hochgradig gefährlichen Gewaltverbrechern<br />

und therapieresistenten Triebtätern, doch es<br />

bleibt die Frage nach der Zuverlässigkeit<br />

dieser Prognosen.<br />

Vor allem die Frage der unbegrenzten<br />

Sicherungsverwahrung ist ein rechtstaatliches<br />

und kriminalpolitisches Debakel. Laut<br />

einer soeben veröffentlichten Studie des 60-<br />

jährigen Juristen und Strafvollzugsexperten<br />

Michael Alex ist ein Großteil der Prognosen<br />

über die Gefährlichkeit von Tätern schlicht<br />

falsch. Das Ergebnis seiner Untersuchungen<br />

wurde von der Universität Bochum als Doktorarbeit<br />

angenommen und offenbart eklatante<br />

Mängel bei der Prognoseerstellung.<br />

Der Wissenschaftler untersuchte Bundesweit<br />

77 Fälle bei denen die Staatsanwaltschaft die<br />

www.jva-oldenburg.de<br />

nachträgliche Sicherungsverwahrung beantragt<br />

hatte, die dann aber von den Gerichten<br />

nicht genehmigt wurde – die Inhaftierten<br />

kamen in Freiheit. Alle Anträge auf Sicherungsverwahrung<br />

waren mit Gutachten untermauert<br />

laut denen den Gefangenen höchste<br />

Gefährlichkeit attestiert wurde. So gar es<br />

für Alex die Möglichkeit die tatsächliche<br />

Rückfälligkeit der Straftäter zu untersuchen.<br />

Nur bei vier entlassenen Straftätern<br />

(5 %) kam es zu einer erneuten Verurteilung<br />

wegen Raub- oder Sexualdelikten. Bei 27<br />

Entlassenen (35 %) wurden kleinere Delikte<br />

registriert. Insgesamt lag die Rückfallhäufigkeit<br />

unter dem allgemeinen Rückfälligkeitsdurchschnitt<br />

bei Haftentlassungen. Das Fazit:<br />

die meisten Prognosegutachten waren<br />

falsch.<br />

Als Erklärung führt die Studie zwei<br />

Der Staatsanwalt weis genau welcher<br />

Gutachter in seinem Interesse entscheidet.<br />

Gründe auf. Erstens: die Gutachter entscheiden<br />

sich im Zweifel gegen den Gefangenen,<br />

um sich abzusichern und nicht der Gefahr zu<br />

laufen sich später Vorwürfe machen zu lassen.<br />

Zweitens: Es gibt langjährige Kooperationen<br />

zwischen den Staatsanwälten und<br />

Gutachtern. Der Staatsanwalt weiß sehr<br />

wohl welcher Gutachter in seinem Interesse<br />

entscheidet und der Gutachter hat einen soliden<br />

Nebenverdienst.<br />

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass<br />

der Schutz der Gesellschaft vor gefährlichen<br />

Wiederholungstätern nur auf Kosten einer<br />

großen Zahl ungefährlicher Menschen gelingt.<br />

In der Wissenschaft wird die Studie mit<br />

Protest verworfen. Der Beobachtungszeitraum<br />

(im Schnitt drei Jahre) sei viel zu kurz<br />

heißt es. Doch der Bochumer Kriminologe<br />

Thomas Feltes widerspricht dem: Die Rückfallwahrscheinlichkeit<br />

ist nach sechs bis<br />

zwölf Monaten am höchsten und dieser Zeitraum<br />

wird von der Studie erfasst.<br />

Text: AS<br />

! Quick-Info<br />

Die britische Homicide Prevention Unit<br />

(HPU), eine 2004 gegründete Abteilung<br />

des Metropolitan Police Service, versucht<br />

mithilfe von Persönlichkeitsprofilen potentielle<br />

Gewalttäter zu finden. Seit 2006 wird<br />

geplant, so als potentielle Gewalttäter eingestufte<br />

Personen auch unter Umständen<br />

präventiv zu verhaften. Bei Nachrichtenmeldungen<br />

zu diesem Thema wurde wiederholt<br />

auf den Film Minority Report von<br />

Steven Spielberg verwiesen.<br />

Tr§tzdem 11/2010 45

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