Tro§zdem Nr. 43, November2010 - Justizvollzugsanstalt Oldenburg ...
Tro§zdem Nr. 43, November2010 - Justizvollzugsanstalt Oldenburg ...
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RECHT & SOZIALES<br />
§<br />
gierte Wiedergutmachung. Diese sollte nicht obligatorisch ausgestaltet sein. Nur die Freiwillige Konfrontation mit dem Opfer und<br />
den Folgen der Tat bildet die Empathie und greift rückwirkend an die Wurzel der bestehenden Verhaltensstörung.<br />
Erst mit der Entlassung beginnt die Wiedergutmachung an der Gesellschaft und den nahen Angehörigen. Erst außerhalb der Isolation<br />
wird ein Mensch produktiv und vorteilhaft für die Gemeinschaft. In Haft stellt er nur eine Belastung dar. Jemand der über ein<br />
gesundes Selbstbewusstsein verfügt wird sich von der Öffentlichkeit nicht verstecken, sondern aktiv am Leben teilnehmen und<br />
nach Möglichkeiten suchen sich zu integrieren, zu beweisen und damit wertvoll zu sein. An der Vergebung der Opfer oder naher<br />
Mitmenschen für die Enttäuschung, ändert die Länge einer Strafe nichts. Je länger die Haftstrafe desto größer wird die Last der<br />
Wiedergutmachung nach der Entlassung und geringer die Wahrscheinlichkeit für eine Wiedergutmachung.<br />
Die Bereitschaft zum Gespräch hatte denselben Grund wie bei vielen von euch. Es war das Interesse an Menschen und ihrer<br />
Denkweise über bestimmte Sachverhalte. Ich wollte sehen in wie weit und wie kritisch junge, aufgeweckte und intelligente Menschen<br />
sich mit der Thematik des Strafens und der Rache beschäftigen. Wir haben ja nicht nur über die Straffälligkeit und deren<br />
Folgen gesprochen. Es ging auch um Themen wie Zusammengehörigkeitsgefühl, Empathie, Vertrauen, Freundschaft, Verantwortung<br />
im Allgemeinen und soziale Interaktion. Für mich war es angenehm und unterhaltsam kritische Fragen und Meinungen zu<br />
hören. Mit euch Schülern offen über zum Teil persönliches zu reden war nicht als Erleichterung oder hilfreiche Erfahrung für<br />
mich gedacht, sondern als warnendes Beispiel für euch. Wenn ihr danach bewusster und mit offenen Augen durchs Leben geht, war<br />
dieses Gespräch nicht umsonst. Durchlebte Erfahrungen haben einen unschätzbaren Wert, vor allem negative. Der Zuhörer muss<br />
nur in der Lage sein ähnliche Fehler nicht zu machen. Jeder Mensch hat die Verantwortung für sich selbst und sein unmittelbares<br />
Beziehungsumfeld, aber auch Einfluss auf das Verhalten von fremden Menschen auf der Straße, weil wir soziale Wesen sind. Der<br />
jugendliche Straftäter in der Gerichtsverhandlung hat in der Zeit einer stabilen Beziehung zu seiner Freundin ein straffreies Leben<br />
geführt. Er hat sich Gesetzeskonform verhalten, weil er sein Verhalten an die gegebene Situation anpasste und die Erwartungshaltung<br />
seiner Freundin nicht enttäuschen wollte. Ihre Meinung war ihm höchstwahrscheinlich wichtig. Man wird von denen beeinflusst<br />
und bestimmt an die man sich bindet.<br />
Es gibt wahrscheinlich nicht nur einen Inhaftierten in der JVA <strong>Oldenburg</strong>, der sich hier wohler fühlt als draußen. Das sind Sozialschmarotzer,<br />
die sich vor der Verantwortung in der Freiheit drücken, die aufgrund des mangelnden Selbstbewusstseins und der<br />
Faulheit, sich hier bei minimalster Versorgung wohl fühlen.<br />
Was die Arbeitspflicht betrifft, so ist es primär eine sehr positive Maßnahme für die Disziplin und den geregelten Tagesablauf. Die<br />
geringe Entlohnung verleiht Kaufkraft und bestärkt den Erwerbssinn einer Arbeitstätigkeit. Andererseits wurden die Inhaftierten zu<br />
allen Zeiten als Humankapital ausgebeutet. Die billige Arbeitskraft ist ein Wirtschaftsfaktor der wegen niedriger Qualifizierung<br />
beliebig austauschbar ist. Der Inhaftierte hat die Arbeitspflicht, die Rechte sind aber stark eingeschränkt, was menschenunwürdig<br />
anmutet. Es gibt keinen Kündigungsschutz, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, keine Möglichkeit für Zahlung von Rentenbeiträgen<br />
und damit keinen Rentenanspruch. Profiteure dieser Missstände sind namhafte Firmen, die durch Ausbeutung höhere<br />
Profite erwirtschaften können.<br />
Die Arbeitszeit gehört zu einer sinnvollen Zeitnutzung und verbessert die Perspektiven. Aber auch die sinnvolle Freizeitgestaltung<br />
eröffnet andere und bessere Sichtweisen auf den Alltag und setzt einen dynamischen Prozess in Gang, der das Selbstbewusstsein<br />
und die Verantwortung stärkt.<br />
Auch die zahlreichen Therapiemaßnahmen sollten nicht die Haftzeit ersetzen. Der Slogan „Therapie statt Strafe“ ist human aber<br />
meist wirkungslos. Denn die Therapieeinrichtungen werden vermehrt als Sprungbrett in die Freiheit und Amnestieklauseln missbraucht.<br />
So wird der Therapieerfolg nie erreicht, weil die Bereitschaft des Betroffenen nicht vorhanden ist und die Zielorientierung<br />
von der erforderlichen und zu erwartenden Maßgabe abweicht.<br />
Fast zum Schluss möchte ich auf einen Brief kurz einzeln eingehen, der mich persönlich sehr beeindruckte. Dieser war sehr offen<br />
und herzlich geschrieben. Die Verfasserin hatte mit Eigenbezug und Ehrlichkeit ein bemerkenswertes Einfühlungsvermögen rübergebracht.<br />
Unsere Interaktion hatte bei ihr ein Nachdenken über die Besuchsdauer hinaus ausgelöst und hinterließ einen bleibenden<br />
positiven Lerneffekt. Eine der Feststellungen war: „Die Isolation von nahen Mitmenschen ist eine größere Strafe als hinter<br />
verschlossener Tür zu sitzen“.<br />
Die Beziehungsisolation durch Einschränkung der sozialen Kontakte und die Fremdbestimmung darüber trifft auch die Angehörigen<br />
verletzend. Bei der Aufrechterhaltung der Kontakt zu Angehörigen, ist die Inhaftierung eine härtere Strafe.<br />
Wer die Kontakte verliert durchlebt eine humanere Isolation. Der Einzelgänger hat weniger soziale Zwänge oder integrative Sehnsüchte.<br />
Sein Ego wächst sogar und er kann zum Narzissten mutieren und damit noch gefährlicher als zuvor werden. Andere Menschen<br />
sind ihm fremd und feind.<br />
Was das kleine Mitbringsel als Zeichen der Aufmerksamkeit betrifft, so war es eine pädagogisch sinnvolle Maßnahme eures Lehrers.<br />
Es war ein Zeichen der Offenheit und des Verständnisses, ein Symbol der Handreichung. Den Menschen etwas Gutes zu tun,<br />
den Sündigen Aufmerksamkeit zu Bezeugung, mit Menschen zu teilen, ist eine Tradition in der Christlichen Welt, eine wichtige<br />
Erfahrung, die man im Leben machen muss. Doch um über die Richtigkeit und Nützlichkeit dieses Verhaltens zu urteilen muss man<br />
auch Rückmeldung erhalten. Auch deswegen war mir dieser Brief wichtig.<br />
Alles Liebe…<br />
Niklas B.<br />
www.jva-oldenburg.de<br />
Tr§tzdem 11/2010 29