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Tro§zdem Nr. 43, November2010 - Justizvollzugsanstalt Oldenburg ...

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§ RECHT & SOZIALES<br />

Recht ist nicht dasselbe wie Gerechtigkeit<br />

SCHÜLERBRIEF: Eine Schulklasse des Bildungszentrum für Technik und Gestaltung (BBS II) besuchte Anfang<br />

des Jahres die Gefangenen der JVA <strong>Oldenburg</strong> und erkundigte sich nach den Sinn und Unsinn von Straftaten<br />

und Strafe. Im Rahmen ihrer Klassenarbeit schrieben die Schüler Briefe an einen Gefangenen (siehe<br />

Tr§tzdem <strong>Nr</strong>. 42). Jetzt schreibt der Gefangene zurück.<br />

Liebe Schüler...<br />

Gerechtigkeit ist eine Erwartungshaltung und Recht - eine Auslegungssache der verschiedenen an einem Rechtsstreit beteiligten<br />

Parteien. Gerechtigkeitsempfinden ist eine permanente, subjektive Einstellung. Rechtsanwendung dagegen ein Produkt des Zufalls.<br />

Die Sanktionierung von Rechtsverstößen ist immer abhängig von zahlreichen zufälligen Ereignissen. Gerecht wäre logischerweise<br />

eine globale Sanktionierung von Rechtsverstößen – gleiches Recht für alle so zu sagen, was unrealistisch ist.<br />

Bei der Anwendung von Recht haben der Ankläger und der Angeklagte verschiedene, meist entgegengesetzte Vorstellungen von<br />

einem gerechten Urteil.<br />

Der Angeklagte plädiert oft auf „Unschuldig“, oder erwartet bei einem Geständnis als Vergünstigung eine milde Strafe. Alles andere<br />

wäre für ihn ungerecht. Die Fähigkeiten eines Schauspielers werden vom Tag der Verhaftung gefordert und gefördert. Opportunismus<br />

zu erlernen und zu leben ist die Voraussetzung für Wohlverhalten im Vollzug. Dieser wirkt sich aber auf längere Sicht<br />

für die Betroffenen, vor allem aber für die Gesellschaft zum Nachteil aus. Das Milieu ist grundsätzlich durch mentalschwache Menschen<br />

mit geringen oder negativen Wertvorstellungen geprägt. Dadurch ist Verrat aus Eigennutz bei vielen obligatorisch. Nach<br />

außen hin wird diese unmenschliche Eigenschaft kaschiert, kritisiert und verurteilt um zu eigener Person keinen Misstrauen zu<br />

erwecken. Ich habe für mich einen eigenen Begriff dafür geprägt „Chamäleon Syndrom“.<br />

Der Ankläger plädiert immer auf schuldig und erwartet eine angemessen hohe Bestrafung, die eine sanktionierende und abschreckende<br />

Wirkung haben soll.<br />

Das Gericht wendet das in der gegebenen Lage geltende Recht an, und hält sich grundsätzlich für unfehlbar, mehr aber noch dem<br />

Recht dienend, denn nicht immer erhebt es den Anspruch an Gerechtigkeit.<br />

Das Gericht hat die Aufgabe den Sachverhalt zu untersuchen und die Schuldfrage zu klären. Dazu gehör die Persönlichkeit des<br />

Angeklagten, seine Lebensverhältnisse, die Beweggründe und der eigentliche Tatablauf. Und natürlich auch das Verhalten nach der<br />

Tat, während der Ermittlungen und im Gerichtsaal bei der Tataufklärung. Es müssen auch alle für und gegen den Angeklagten sprechenden<br />

Tatsachen ermittelt werden. Die Anwendung exakt gleicher Strafmaßnahmen auf unterschiedlich gelagerte Fälle, währe<br />

unrechtens und ungerecht.<br />

Es ist ein Unterschied, ob jemand aus einer Notsituation klaut, weil er Hunger hatte, oder aus Habsucht und Gewinnabsicht einen<br />

Diebstahl begeht. Auch die Anzahl der Vorstrafen ist für das Strafmaß entscheidend. Diese dient der Orientierung, ob und in wiefern<br />

ein Täter bereit ist seinen kriminellen Lebenswandel zu verändern. Wer ein System aus der rechtlichen Perspektive vertritt und<br />

nach Anwendung des Rechts über Schuld und Strafe entscheidet, sieht sich immer im Recht und fühlt sich gerecht. Jeder Richter<br />

hat subjektive Aspekte in seiner Rechtsprechung, hält aber jede seiner Entscheidungen dem Recht dienlich und würde diese nie<br />

korrigieren. Auch dann nicht, wenn offensichtlicher Bedarf besteht. Fast alle Urteilsprüche sind von höheren Gerichten überprüfbar<br />

und trotzdem wird immer einer der beteiligten Parteien mit der Urteilsfindung oder der Strafhöhe nicht einverstanden sein. Und ein<br />

Richter würde nie zugeben ein Fehlurteil gefehlt, oder aus persönlichen Motiven entschieden zu haben.<br />

Die Komponente der Rache oder der Vergeltung ist in jedem Ansatz von Strafmaßnahmen enthalten. Diese Zweckbestimmung des<br />

Rechts dient der Gerechtigkeit und erfüllt die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit an die Gerichtsbarkeit. Der Verurteilte muss für<br />

seine Verfehlungen büßen. Die unumgängliche Strafe ist die Konsequenz und die Garantie für regelkonformes Verhalten während<br />

der Haftzeit.<br />

Inhaftierung und der Entzug von Freiheit ist für jeden normalen Menschen eine enorme Bestrafung, denn darunter leidet man und<br />

es verändert das Wesen des Inhaftierten. Das Verhalten ähnelt dem, eines Raubtieres im Zoo. Ein Häftling kann auch unfähig werden<br />

für ein Leben in Freiheit.<br />

Bei vielen Inhaftierten wird die Persönlichkeit vom Schuldempfinden nicht berührt, weil die Straftaten vorsätzlich und bewusst<br />

erfolgten. Das Strafmaß wird in diesen Fällen nur als Rache und Justizwillkür empfunden.<br />

Für eine Besserung sind das Unrechtbewusstsein und die Schuldaufarbeitung, die wichtigsten Voraussetzung. Ein gesetzeskonformer<br />

Lebenswandel während der Haftzeit ist dazu ein positiver Ansatz, jedoch bei weitem nicht selbstverständlich, wie viele Justizbedienstete<br />

annehmen möchten. In unserer JVA gibt es viele Angebote für die Reintegration wie Sport, Kulturveranstaltungen und<br />

Freizeitgruppen. Zu viele Inhaftierte nehmen diese Angebote nicht wahr und zeigen keine Veränderungsbereitschaft. Viele sehen<br />

die Inhaftierung als ein normales, und zur Verwirklichung ihrer Lebensvorstellungen, notwendiges Übel an. Kaum in Haft wird für<br />

die Zeit danach vorgesorgt. Ideen für Straftaten entwickelt. Kontakte geknüpft. Der Knast ist die Schule des Verbrechens. Für viele<br />

jüngere Inhaftierte ist es eine Ausbildungsstätte. Hier suchen sie sich ihre Vorbilder und Präzedenzfälle.<br />

In der Religion ist viel von Vergebung die Rede. Die Vergebung der Opfer, wäre für die Straftäter wichtig, die sich ernsthaft mit<br />

ihrer Schuld beschäftigen. Ich hätte mir gewünscht, dass Straftätern überhaupt eine Möglichkeit gegeben wäre für konkrete enga-<br />

28 Tr§tzdem 11/2010 www.jva-oldenburg.de

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