Tro§zdem Nr. 43, November2010 - Justizvollzugsanstalt Oldenburg ...
Tro§zdem Nr. 43, November2010 - Justizvollzugsanstalt Oldenburg ...
Tro§zdem Nr. 43, November2010 - Justizvollzugsanstalt Oldenburg ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
§ JVA INTERN<br />
Das Malatelier in<br />
der JVA <strong>Oldenburg</strong>,<br />
ein „Mal-Ort“ nach<br />
der Methode von<br />
Arno Stern<br />
N<br />
achdem Arno Stern, französischer<br />
Staatsbürger, 13 Jahre<br />
seines noch jungen Lebens auf<br />
der Flucht vor den Nazis verbracht hatte,<br />
erhielt er nach Kriegsende mit 22 Jahren<br />
das Angebot, in einem Heim bei Paris,<br />
150 Waisenkinder, zwischen den Schulstunden,<br />
zu beschäftigen. Es gab nur<br />
bescheidene Möglichkeiten, aber es gab<br />
Papier und Bleistifte und auch Farben<br />
wurden schnell wieder produziert. Er gab<br />
den ihm anvertrauten Kindern Farbe und<br />
Papier und stellte fest: „Das genügt.“ Die<br />
Kinder wollten malen und nichts anderes,<br />
„den ganzen<br />
Tag lang“. Und<br />
sie konnten malen,<br />
malen was<br />
sie wollten.<br />
Das Projekt<br />
brauchte mehr<br />
Raum und so zog<br />
er mit den Kindern<br />
in einen<br />
anliegenden Stall.<br />
Zur Gewinnung von Malraum verhängte<br />
er die Fenster mit Brettern, platzierte in<br />
der Mitte des Raumes eine Palette mit in<br />
Reihe folgenden Farben und passend zu<br />
jeder Farbe eine Ablage für die jeweiligen<br />
Pinsel. Diese einfache Konzeption<br />
besteht bis heute. Der „Mal-Ort“ war<br />
geschaffen. Ein abgeschlossener, fensterloser<br />
Raum, in dem es bei friedlichem<br />
Nebeneinander nur ums Malen geht.<br />
Einrichtung, Stimmung und Licht im<br />
Raum bleiben immer gleich. Jede Kommentierung<br />
durch Bewertung oder Deutung<br />
der Bilder ist zu vermeiden. Seit<br />
über 60 Jahren treffen sich Malgruppen<br />
einmal wöchentlich für 90 Minuten in<br />
einen Malraum. Wie Arno Stern an seinen<br />
verschiedenen Mal-Orten den Teilnehmer<br />
technische Hilfen gibt: er heftet<br />
die 50 mal 70 Zentimeter großen weißen<br />
Die Atmosphäre des respektvollen<br />
Umgangs untereinander, sowie der<br />
respektvolle Umgang mit den Materialien<br />
des Ateliers erzeugt eine<br />
sozial besänftigende Wirkung.<br />
Bögen an die Wand, mischt Farben, holt<br />
Schemeln und Leitern, beseitigt Tropfen<br />
und versetzt die Reisnägel, damit der<br />
Malfluss der Malenden nicht unterbrochen<br />
wird, so wird diese Praxis durch die<br />
vielen anderen Gruppenleiter auf aller<br />
Welt fortgeführt.<br />
Im Laufe der Jahre entwickelte Stern<br />
die Theorie der zeichnerischen Ursprache<br />
des Menschen anhand seiner Beobachtungen<br />
und aufgrund des Materials<br />
der Bilder, die er im Laufe der Jahre auf<br />
der ganzen Welt gesammelt hatte. Auf<br />
welchem Kontinent und egal bei welcher<br />
Ethnie er einen<br />
Mal-Ort installierte,<br />
bestätigte sich<br />
diese Theorie. Studien<br />
der Höhlenmalerei,<br />
also in die<br />
Zeit der schriftlosen<br />
Gesellschaften<br />
überhaupt, erbrachten<br />
frappierende<br />
Übereinstimmungen<br />
von Bildsymbolen der Urzeit bis hin<br />
zu entstandenen Bildern der Kinder und<br />
Erwachsenen aus aller Welt. An Mal-<br />
Orten, wo immer diese sich auch befanden,<br />
beobachtete er, dass selbst bei Kindern,<br />
die weder eine Schule besuchten,<br />
noch jemals auf Papier gezeichnet hatten,<br />
in der Anfangsphase immer die gleichen<br />
„Erstfiguren“ entstehen: „Strahlen-,<br />
Gräten-, Tropfenfiguren, der Schwarm,<br />
Dreiecke und runde Figuren“. So präsentierte<br />
sich im Laufe der Jahre sozusagen<br />
das bildnerische Alphabet der Menschheit<br />
vor seinen Augen.<br />
Weitere Beobachtung ließen ihn feststellen,<br />
dass schon bei den ersten Malkindern,<br />
die wie er aus schwierigen Umständen<br />
kamen und weitgehend keine<br />
Schulerfahrung hatten, sich eine stützende<br />
Wirkung durch die wiederholte Kon-<br />
„Bildsymbole der Urzeit“ gelten als das<br />
bildnerische Alphabet der Menschheit.<br />
20 Tr§tzdem 11/2010 www.jva-oldenburg.de