Johann Peter Frank - Institut für Hygiene und Öffentliche Gesundheit ...
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<strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong> – Visionär <strong>und</strong> Initiator der<br />
modernen <strong>Hygiene</strong> <strong>und</strong> <strong>Öffentliche</strong>n Ges<strong>und</strong>heit<br />
von<br />
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Martin Exner<br />
Direktor des <strong>Institut</strong>s <strong>für</strong> <strong>Hygiene</strong> <strong>und</strong> <strong>Öffentliche</strong> Ges<strong>und</strong>heit der Universität Bonn<br />
gehalten am 20.10.2012 anlässlich der feierlichen Verleihung der<br />
<strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong>-Medaille<br />
an die Ges<strong>und</strong>heitsministerin des Landes Rheinland-Pfalz<br />
Frau Malu Dreyer<br />
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Hochverehrte Frau Ges<strong>und</strong>heitsministerin Dreyer,<br />
sehr verehrte Frau Ges<strong>und</strong>heitsministerin des Landes Thüringen Taubert,<br />
sehr verehrte Frau Dr. Teichert-Barthel,<br />
sehr geehrter Herr Dauenhauer,<br />
meine sehr geehrte Damen <strong>und</strong> Herren,<br />
zunächst möchte ich Ihnen, verehrte Frau Ministerin Dreyer, zur Verleihung der<br />
<strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong>-Medaille in diesem Jahr in Erinnerung an einen der ganz großen<br />
<strong>und</strong> bewegenden Geister in der Medizin, <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong>, der zurecht als<br />
Wegbereiter der modernen <strong>Hygiene</strong> <strong>und</strong> <strong>Öffentliche</strong>n Ges<strong>und</strong>heit angesehen wird<br />
<strong>und</strong> der uns bis heute Vorbild geblieben ist, herzlichst gratulieren.<br />
Abb. 1: <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong>, ( 1745 – 1821)<br />
Für <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong> wäre es sicher – würde er heute unter uns sein – eine große<br />
Freude, dass zum 40. Jahrestag der Verleihung der <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong>-Medaille als<br />
höchste Auszeichnung des B<strong>und</strong>esverbandes der Ärztinnen <strong>und</strong> Ärzte im<br />
öffentlichen Ges<strong>und</strong>heitsdienst diese Medaille nicht nur an eine verdiente <strong>und</strong><br />
außergewöhnlich engagierte Ges<strong>und</strong>heitspolitikerin, sondern auch gleichzeitig an<br />
eine Landsmännin verliehen wird, deren Geburtsort Neustadt an der Weinstraße<br />
nicht weit von seinem eigenen Geburtsort Rodalben entfernt liegt.<br />
Für mich persönlich bedeutet es ein Privileg, heute an dieser Stelle die Festrede zu<br />
Ihren Ehren ,Frau Ministerin, halten zu dürfen. Ich möchte versuchen, Ihnen das<br />
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Werk <strong>und</strong> auch die Visionen von <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong>, die bis heute wirkmächtig<br />
geblieben sind, nahe zu bringen. Alle Großen in der <strong>Hygiene</strong> haben sich wie Max von<br />
Pettenkofer <strong>und</strong> Robert Koch auf ihn bezogen.<br />
So beginnt Robert Koch seine Antrittsvorlesung als neuer Gründungsdirektor des<br />
<strong>Institut</strong>s <strong>für</strong> <strong>Hygiene</strong> an Berliner Universität 1885 mit folgenden Worten:<br />
„Bis zum Ende des vorigen Jahrh<strong>und</strong>erts finden sich in den Kulturstaaten wohl<br />
einzelne der öffentliche Ges<strong>und</strong>heitspflege dienliche Maßnahmen <strong>und</strong> Vorschriften,<br />
doch entbehren dieselben sowohl des inneren Zusammenhanges als zum Teil auch<br />
einer rationalen Begründung. <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong> machte dann gegen Ende des<br />
vorigen Jahrh<strong>und</strong>erts zuerst den gelungenen Versuch, ein wissenschaftliches<br />
System der <strong>Hygiene</strong> aufzustellen.“<br />
Ich selber blicke nunmehr zurück auf mehr als drei Jahrzehnte in der<br />
wissenschaftlichen <strong>Hygiene</strong> <strong>und</strong> öffentlichen Ges<strong>und</strong>heit. Ich habe versucht meinen<br />
bescheidenen persönlichen Beitrag in der hygienischen Wissenschaft, im<br />
Ges<strong>und</strong>heitsschutz, in der öffentlichen Ges<strong>und</strong>heit, in der Lehre <strong>und</strong> im Mitwirken in<br />
nationalen <strong>und</strong> internationalen Gremien zum <strong>Öffentliche</strong>n Ges<strong>und</strong>heitsschutz ,<br />
verwöhnt durch leichten Zugang zu aktueller Wissenschaft <strong>und</strong> Literatur, zu leisten,<br />
wobei ich mit zunehmenden Jahren mit immer größerem, geradezu staunendem<br />
Respekt die Bedeutung von <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong> habe ermessen können <strong>und</strong> ihn<br />
zutiefst verehren gelernt habe.<br />
Es gibt in der Geschichte immer wieder große Persönlichkeiten, die das Tor der<br />
Erkenntnis zum Fortschritt <strong>und</strong> zum Wohle der Menschen weit aufreißen. Zu diesen<br />
Persönlichkeiten zählt zweifellos auch <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong> !<br />
Lassen Sie mich daher gleichsam Katalysator zwischen <strong>Frank</strong> <strong>und</strong> Ihnen sein,<br />
indem ich im Folgenden federstrichartig einige wichtige Aspekte in seinem Wirken<br />
<strong>und</strong> in seinen Visionen skizziere.<br />
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2. Gr<strong>und</strong>begriffe<br />
Bevor ich auf das weitere Werk von <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong> eingehe, möchte ich jedoch<br />
noch einige Gr<strong>und</strong>begriffe zur <strong>Hygiene</strong> <strong>und</strong> zum Ges<strong>und</strong>heitsschutz, zur<br />
Ges<strong>und</strong>heitsförderung <strong>und</strong> zur Ges<strong>und</strong>heits<strong>für</strong>sorge, die <strong>für</strong> die weiteren<br />
Ausführungen hilfreich sein können, darstellen.<br />
Beim Eid des Hippokrates schwören wir<br />
„Ich schwöre <strong>und</strong> rufe Appolon, den Arzt <strong>und</strong> Asklepios <strong>und</strong> Hygeia <strong>und</strong> Panakeia<br />
<strong>und</strong> alle Götter <strong>und</strong> Göttinnen zu Zeugen an, dass ich diesen Eid <strong>und</strong> diesen Vertrag<br />
nach meiner Fähigkeit <strong>und</strong> nach meiner Einsicht erfüllen werde.“<br />
Hierbei wird bereits im Eid des Hippokrates Bezug genommen auf Hygeia, die Göttin<br />
der Ges<strong>und</strong>heit, die dem Fach der <strong>Hygiene</strong> ihren Namen gegeben hat.<br />
Was aber bedeutet heute <strong>Hygiene</strong>?<br />
<strong>Hygiene</strong> ist die Wissenschaft <strong>und</strong> Lehre von der Verhütung <strong>und</strong> Kontrolle von<br />
Krankheit sowie der Ges<strong>und</strong>erhaltung durch Ges<strong>und</strong>heitsschutz <strong>und</strong><br />
Ges<strong>und</strong>heitsförderung. Ihr Ziel ist die Gewährleistung lebenserhaltender <strong>und</strong><br />
lebensfördernder Umwelt- <strong>und</strong> sozialer Verhältnisse <strong>und</strong> Strukturen in einer<br />
Solidargemeinschaft sowie die Förderung ges<strong>und</strong>heitsgerechter individueller<br />
Verhaltensweisen.<br />
Unter Ges<strong>und</strong>heitsschutz oder auch Verhältnisprävention werden alle<br />
Maßnahmen verstanden, die in einem Gemeinwesen - unabhängig vom Verhalten des<br />
Einzelnen - aufgewendet werden, um ges<strong>und</strong>heitlich einwandfreie Lebensverhältnisse<br />
sicherzustellen.<br />
Hierzu zählen im weitesten Sinne die Wasser-, Boden-, Luft-, Lebensmittelhygiene,<br />
die Krankenhaus- <strong>und</strong> Praxishygiene, die Wohnhygiene, die <strong>Hygiene</strong> in öffentlichen<br />
Einrichtungen sowie die Infrastruktur des Ges<strong>und</strong>heitswesens.<br />
Unter Ges<strong>und</strong>heitsförderung oder Verhaltensprävention werden alle Maßnahmen<br />
verstanden, die den Einzelnen befähigen sollen, seine Ges<strong>und</strong>heit durch individuelle<br />
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Verhaltensweisen zu erhalten <strong>und</strong> zu fördern. Verhaltensweisen sind abhängig von<br />
gesellschaftlich vermittelten Wertvorstellungen, von Erziehung, Ausbildung,<br />
Motivation <strong>und</strong> Compliance.<br />
Unter Ges<strong>und</strong>heits<strong>für</strong>sorge werden alle die Maßnahmen verstanden <strong>für</strong> diejenigen<br />
in unserer Gesellschaft, die selber noch nicht oder nicht mehr in der Lage sind, <strong>für</strong><br />
sich selbstbestimmt zu sorgen, sondern angewiesen sind, auf die Unterstützung,<br />
Solidarität <strong>und</strong> Fürsorge durch andere. Dies gilt in besonderer Weise <strong>für</strong> unsere<br />
Kinder wie auch <strong>für</strong> unsere alten Menschen in unserer Gesellschaft.<br />
Unter öffentlicher Ges<strong>und</strong>heit werden allen Maßnahmen verstanden, die ein<br />
Gemeinwesen – sei es Kommune, Land, Staat oder transnationale <strong>Institut</strong>ionen – auf<br />
dem Gebiet des Ges<strong>und</strong>heitsschutzes, der Ges<strong>und</strong>heitsförderung <strong>und</strong> der<br />
Ges<strong>und</strong>heits<strong>für</strong>sorge sicherstellen sollte, um Rahmenbedingungen zu gewährleisten,<br />
die – unabhängig von der natürlichen Disposition des Einzelnen – Ges<strong>und</strong>heit <strong>für</strong> alle<br />
bei größtmöglicher Verringerung von sozialen Disparitäten ermöglicht.<br />
3. Lebensdaten von <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong><br />
Im Folgenden möchte ich auf einige Lebensdaten aus seinem Curriculum vitae mit<br />
ausgewählten Beispielen zur `Medizinischen Polizey´, seine Beziehung zur Politik,<br />
seinen Beitrag zur Emanzipierung der Ges<strong>und</strong>heitspolitik, seine sozialen Visionen,<br />
seine Beziehung zum Krankenhauswesen <strong>und</strong> insbesondere zur<br />
Krankenhaushygiene, seine maßgeblichen Arbeiten zur Ausbildung <strong>und</strong> Lehre<br />
darstellen, um schließlich auf heutige Herausforderungen einzugehen <strong>und</strong> danach<br />
die Frage zu stellen, welche Ratschläge J.P. <strong>Frank</strong> Ihnen, als Politikerin, <strong>und</strong> uns<br />
auch heute noch in Kenntnis der heutigen Herausforderungen geben würde.<br />
<strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong> wurde am 19.03.1745 in dem Ihnen sicher bekannten Rodalben<br />
geboren, hinein in das Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus, wo die ihn prägenden<br />
Persönlichkeiten, insbesondere Jean Jacques Rousseau, aber auch die<br />
französischen Enzyklopädisten Diderot, d`Alembert, Voltaire wirkten. Väterlicherseits<br />
stammte <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong> aus einer französischen Familie, mütterlicherseits aus<br />
einer pfälzisch-tirolischen. Ausgebildet wurde er u. a. in der lateinischen Schule der<br />
Piaristen in Rastatt, in dem lothringischen Bockenheim in der dortigen Jesuitenschule<br />
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sowie in Baden-Baden. Hier rieten die Lehrer seinen Eltern, ihn zur Vollendung des<br />
philosophischen Studiums nach <strong>Frank</strong>reich zu schicken.<br />
1761 kam <strong>Frank</strong> nach Metz <strong>und</strong> im folgenden Jahr an die Universität in Pont à<br />
Mousson. Die Promotion <strong>Frank</strong>`s zum Doktor der Philosophie erfolgte bereits 1763,<br />
also mit 18 Jahren. Sodann studierte er in Heidelberg Heilk<strong>und</strong>e sowie in Straßburg,<br />
um schließlich in Heidelberg 1766 zum Dr. med. zu promovieren.<br />
Hiernach wirkte er zunächst als Landarzt im lothringischen Bitsch <strong>für</strong> zwei Jahre, um<br />
dann 1769 diese Stelle mit der eines Hofmedicus beim Markgrafen von Baden-Baden<br />
in Rastatt zu tauschen. 1767 hatte er Kathrin Pierron aus Pont à Mousson geheiratet<br />
, die zwei Tage nach der Geburt ihres Sohnes an Kindbettfieber <strong>und</strong> der nur sechs<br />
Monate alte Säuglinge später an den Pocken verstirbt.<br />
1772 wird J.P. <strong>Frank</strong> Stadt- <strong>und</strong> Landphysikus in Bruchsal als Hofrat unter<br />
Fürstenbischof von Bruchsal, Graf von Limburg-Styrum. In diesem Fürstentum<br />
Speyer, wo er 11 Jahre verbleibt, hat <strong>Frank</strong> zum ersten Mal die Gelegenheit, das<br />
ges<strong>und</strong>heitspolitische Programm ins Werk zu setzen, wovon er 1766 zu seinem<br />
Lehrer Overkamp in Heidelberg als Lebensaufgabe gesprochen hat.<br />
Das Fürstentum Speyer wird <strong>für</strong> <strong>Frank</strong> zu seinem ges<strong>und</strong>heitspolitischen<br />
Arbeitsmodell, wobei er im kleinen leicht überschaubaren Raum die Lebens- <strong>und</strong><br />
Arbeitsbedingungen der in Leibeigenschaft wohnenden Bauern studieren kann. Hier<br />
errichtet er eine Hebammenschule <strong>und</strong> eine Chirurgen-Fortbildungsschule in<br />
Deidesheim. Der Bischof stiftet sowohl die Chirurgen-Fortbildungsschule in<br />
Deidesheim als auch ein Krankenhaus in Bruchsal, worüber <strong>Frank</strong> jeweils die<br />
Oberaufsicht erhält.<br />
In Rastatt hatte er das Glück, die <strong>für</strong>stliche Bibliothek nutzen zu dürfen <strong>und</strong> schreibt<br />
hierüber:<br />
„Nie habe ich an einem einsameren <strong>und</strong> stilleren Orte meine freien St<strong>und</strong>en als in<br />
dieser Hofbibliothek verlebt.“<br />
Noch in der Bruchsaler Zeit 1779 erscheint der 1. Band der Medizinischen Polizey, in<br />
welchem <strong>Frank</strong> über Ehe, Fruchtbarkeit, den geistlichen Zölibat, über<br />
Schwangerschaft <strong>und</strong> das Gebären berichtet.<br />
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<strong>Frank</strong>`s Ziel mit der Medizinischen Polizey war es, alle Bereiche menschlichen<br />
Daseins von der Wiege bis zum Grabe durch vernünftige hygienische Verordnungen<br />
über Fortpflanzung, Kindererziehung, Ernährung, Kleidung, Wohnung, über<br />
Unfallverhütung <strong>und</strong> Bestattung zu beschreiben <strong>und</strong> als Arzt hier<strong>für</strong> Regeln <strong>für</strong><br />
staatliche Interventionsmaßnahmen <strong>und</strong> persönliche Verhaltensweisen zu geben.<br />
Hierbei kommt ein Gutteil Erziehungsoptimismus <strong>und</strong> Fortschrittsgläubigkeit der<br />
Aufklärung zutage.<br />
1780 hatte er den zweiten Band seiner Medizinischen Polizey <strong>und</strong> 1783 den dritten<br />
Band veröffentlicht.<br />
Nach Erscheinen des 1. Bandes der „Medizinischen Polizey“ wurde sein Verhältnis<br />
zu seinem bischöflichen Herrn in Bruchsal immer untragbarer.<br />
1783 erhielt er sowohl einen Ruf auf die Hohe Schule zu Mainz, zu Pavia <strong>und</strong> nach<br />
Göttingen, wobei er sich zunächst <strong>für</strong> Göttingen entscheidet.<br />
Bereits 1785 verlässt <strong>Frank</strong> Göttingen jedoch wieder <strong>und</strong> besichtigt in Wien das 1784<br />
vom deutschen Kaiser Josef II. errichtete neue allgemeine Krankenhaus mit mehr als<br />
2.000 Betten. Hiernach kommt es zu einem Gespräch zwischen <strong>Frank</strong> <strong>und</strong> Joseph II.<br />
, das auch aus heutiger Sicht bemerkenswert ist. In seiner Autobiographie berichtet<br />
<strong>Frank</strong> hierüber:<br />
„In der Kaiserlichen Hauptstadt hatte ich das Glück, nachdem ich auf höchsten<br />
Befehl das hier erst vor einem Jahre neu errichtete allgemeine Krankenhaus zwei<br />
Male besucht <strong>und</strong> alles daselbst sehr genau beobachtet hatte, des Kaisers Joseph<br />
des II. Majestät vorgestellt zu werden. Dieser weise <strong>und</strong> wohltätige Monarch fragte<br />
mich, wie ich mit der Krankenanstalt, die ich so eben gesehen hätte, zufrieden sei.<br />
»Vortrefflich!« sagte ich, »<strong>und</strong> ich habe mich in derselben mit dem Begriffe eines so<br />
großen Krankenhauses einigermaßen versöhnt.« – »Was hätten Sie bei solch' einer<br />
Anstalt wohl auszusetzen? « ... »Weil ein so großes Uhrwerk«, erwiderte ich, »nur<br />
selten recht zu gehen pflegt.« – »Und es geht!« sagte der seiner unendlichen<br />
Sorgfalt <strong>für</strong> diese seine Stiftung sich bewusste Regent. – »Freilich«, sagte ich voll<br />
Vertrauens auf die Wahrheitsliebe dieses großen Fürsten, »so lange nämlich ein so<br />
mächtiges Gewicht dasselbe in Gang setzt! « – Meine Freiheit ward mir nicht in<br />
Ungnaden aufgenommen.“<br />
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1785 nimmt er die Professur an der praktischen Arzneischule <strong>und</strong> Klinik zu Pavia in<br />
der habsburgischen Lombardei an.<br />
Am 12. Juni 1785 besucht der Kaiser selbst die Universität <strong>und</strong> auch das<br />
Krankenhaus in Pavia, worüber ich später noch kurz berichten werde. 1786 wird<br />
<strong>Frank</strong> Spitaldirektor sowie Protophysikus <strong>und</strong> Generaldirektor des Medizinalwesens<br />
in der Lombardei <strong>und</strong> in Mantua. Er inspiziert dort Apotheken <strong>und</strong> erhält 1788 die<br />
Oberaufsicht über 43 Krankenhäuser als wirklicher Gubernialrat zu Mailand. 1789<br />
inspiziert er die Spitäler seines Physikatbereiches.<br />
1795 geht <strong>Frank</strong> nach Wien <strong>und</strong> wird Direktor des allgemeinen Krankenhauses sowie<br />
Professor der praktischen Arzneischule <strong>und</strong> KuK-Hofrat.<br />
1801 impft <strong>Frank</strong> 26 Kinder mit Kuhpocken entsprechend der erst kurz zuvor vom<br />
englischen Arzt Jenner beschriebenen Methode, wobei bereits 1802 die Vakzination<br />
vom Staate zum Schutze vor Pocken empfohlen wird. Dies zeigt wie offen er neuen<br />
Entwicklungen in der Medizin er gegenüber steht.<br />
1804 erhält <strong>Frank</strong> den Ruf als ordentlicher Professur der kaiserlichen Universität zu<br />
Vilna in russischen Diensten, wobei er diesen Lehrstuhl wegen eines gegen <strong>Frank</strong><br />
gerichteten Zermürbungskrieges durch Andreas von Stift, dem allmächtigen Hofarzt<br />
<strong>und</strong> Medizinaldirektor annimmt.<br />
1805 erhält er den Ruf nach Sankt <strong>Peter</strong>sburg als Direktor der medizinischchirurgischen<br />
Akademie, wobei er jedoch 1808 wegen offensichtlicher Intrigen gegen<br />
ihn nach Wien zurückkehrt.<br />
Dort kommt es vor den Toren zu den Schlachten von Aspern <strong>und</strong> Wagram, wonach<br />
Napoleon I. ihn zu einem Gespräch einlädt. Hierbei bietet er ihm unter Berufung auf<br />
seinen großen Ruf in <strong>Frank</strong>reich an, nach Paris zu kommen <strong>und</strong> die Position eines<br />
kaiserlichen Hausarztes zu übernehmen. Dies lehnt <strong>Frank</strong> jedoch ab. Es zeigt aber<br />
auch wie hoch sein Ansehen als Arzt war.<br />
Nach einer kurzen Zeit im Ruhestand in Freiburg im Breisgau geht er erneut nach<br />
Wien zurück 1811, wobei er weiter als praktischer Arzt tätig ist.<br />
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Am 24.04.1821 stirbt <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong> als hoch geachteter Arzt <strong>und</strong> akademischer<br />
Lehrer, wie dies aus den Mitgliedschaften der königlichen Akademien <strong>und</strong><br />
medizinischen Kollegien wie die zu Madrid, Neapel, Göttingen, Mantua, Mainz, der<br />
medizinischen Sozietäten zu Paris, Straßburg, Venedig, Bern, Vilna, Mailand,<br />
Marseille, Erlangen, Moskau <strong>und</strong> der Ehrenmitgliedschaft der philosophischen<br />
Gesellschaft zu Philadelphia/USA hervorgeht.<br />
Soweit zu dem beeindruckenden Curriculum vitae.<br />
4. Das Gr<strong>und</strong>legend Neue <strong>und</strong> Revolutionäre im Wirken von <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong><br />
<strong>Frank</strong><br />
Was aber war das gr<strong>und</strong>legend Neue, worauf beruht die Durchschlagskraft der<br />
Konzeptionen von <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong>?<br />
Dies möchte ich im Folgenden an einigen Beispielen versuchen zu erläutern.<br />
4.1 Die Verantwortung des Staates <strong>für</strong> den Ges<strong>und</strong>heitsschutz - Gespräch mit<br />
dem Geheimen Rat von Overkamp<br />
Ehe <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong> die Universität Heidelberg verließ, hatte er ein Gespräch mit<br />
seinem akademischen Lehrer, dem Geheimen Rat von Overkamp.<br />
In seiner Biographie beschreibt er dieses Gespräch wie folgt:<br />
„Ich trat ängstlich vor meinen Lehrer <strong>und</strong> sagte, dass ich alle Fächer der<br />
Wissenschaft durchmustert hätte, ohne eines zu finden, dass ich besser auszufüllen<br />
verstünde.<br />
Ein Gedanke, sagte ich, hat sich mir inzwischen vorzüglich aufgedrungen. Ich sehe,<br />
dass Ärzte solche Krankheitsursachen, welche entweder ins Große auf die Völker<br />
wirken oder von der Willkür einzelner noch so sorgfältiger Menschen nicht abhängen,<br />
selten zu heben imstande sind. Viele davon könnten aber doch durch<br />
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obrigkeitliche Vorsorge beseitigt werden. Gibt es wohl schon eine systematisch<br />
bearbeitete Wissenschaft, welche die Regeln enthält, nach welchen solche ein<br />
Endzweck erzielt werden möge?<br />
Overkamp fragte ihn: „Wie würden Sie das Kind taufen?“<br />
<strong>Frank</strong> antwortet:<br />
„Medizinisch wäre einmal der Gegenstand meiner Untersuchung gewiss <strong>und</strong> da doch<br />
die Ausführung gemeinnütziger Ges<strong>und</strong>heitsanstalten größtenteils der Polizey eines<br />
Landes überlassen werden müsste, erschien mir der Name Medizinische Polizey der<br />
Sache sehr angemessen. Auch hiermit war mein Lehrer ganz einverstanden <strong>und</strong> nun<br />
drang dieser noch einmal ernsthaft in mich, meine Absicht ja nicht aufzugeben.“<br />
Mit dieser in jungen Jahren geäußerten Einsicht beschreibt er vor dem Hintergr<strong>und</strong><br />
der damals begrenzten Möglichkeiten der kurativen Medizin die überragenden<br />
Möglichkeiten <strong>und</strong> auch die Verpflichtung, die durch eine Intervention des Staates<br />
zum Nutzen der Bevölkerung im Sinne des Ges<strong>und</strong>heitsschutzes erreicht werden<br />
könne.<br />
Da der Schutz der Bevölkerung, auch der des Ges<strong>und</strong>heitsschutzes Aufgabe der<br />
Polizei ist, hält er den Namen „Medizinische Polizey“ auch als Titel seines späteren<br />
Werkes <strong>für</strong> angemessen.<br />
Heute würde man den Titel eher als „medizinische Politik“ bezeichnen, um<br />
Missverständnissen vorzubeugen.<br />
Trotz seiner paternalistischen Gr<strong>und</strong>auffassung zur Rolle des Staates respektierte<br />
<strong>Frank</strong> die Autonomie des Einzelnen. Dieser Respekt wird im Kapitel des 3. Bandes:<br />
`System einer vollständigen Medizinischen Polizey´ deutlich, worin er sich mit der<br />
nötigen Reinlichkeit der Wohnung befasst. Er schreibt hierin:<br />
„ Ich kehre zurück, um dasjenige vorzutragen, was der Reinlichkeit wegen in den<br />
Wohnungen der Bürger selbst zu verordnen ist. Ich habe es schon gesagt, eine kluge<br />
Polizey mischt sich nicht in das Innere der Haushaltung <strong>und</strong> wenn diese Regentin der<br />
Völker endlich zum Spion missbraucht wird, so artet sie aus zur Tyrannin<br />
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menschlicher Gesellschaften <strong>und</strong> Zerstörerin der öffentlichen Ruhe, die sie<br />
beschützen sollte. Allein in Dingen, wovon die Glückseligkeit des Ganzen abhängt,<br />
unterwirft sich jeder vernünftige Bürger ohne Einschränkung auf irgendeinen noch so<br />
privilegierten Winkel dem allgemeinen Sicherheitsgesetz.“<br />
Wir, die wir heute unter Eindruck <strong>und</strong> der Erfahrung der Konsequenzen einer<br />
totalitären Staatsauffassung des 3. Reiches stehen, können dieser Sentenz nur aus<br />
vollem Herzen zustimmen.<br />
Auf dem Titelblatt jedes Bandes ist seiner Medizinischen Polizey ist ein dem<br />
Aesculap geweihter Tempel zu sehen, in den zahlreiche Menschen <strong>und</strong> Kranke<br />
strömen, um Einlass zu suchen. Im Vordergr<strong>und</strong> vor dem Tempel steht ein freier<br />
Altar, auf dessen Sockel die Inschrift zu sehen ist:<br />
„Servandis et augendis civibus“<br />
(die Bevölkerung zu erhalten <strong>und</strong> sie zu vermehren),<br />
Abb. 2: Titelblatt des 1. Bandes: System einer vollständigen medizinischen Polizey<br />
mit der Inschrift auf dem Altar: Servandis et augendis civibus<br />
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Man könnte dies auch als andere Umschreibung <strong>für</strong> das Motto der<br />
Weltges<strong>und</strong>heitsorganisation sehen: Health for all.<br />
Ausdrücklich weist <strong>Frank</strong> im Vorbericht zu seinem System einer vollständigen<br />
medizinischen Polizey darauf hin, dass in seinem Werk nicht neue Entdeckungen<br />
<strong>und</strong> Erfindungen enthalten seien, dass jedoch durch systematische<br />
Zusammenstellung der Regeln, die sich bislang bewährt haben <strong>und</strong> die dem<br />
Ges<strong>und</strong>heitsschutz <strong>und</strong> der Ges<strong>und</strong>heitsförderung sowie der Ges<strong>und</strong>heits<strong>für</strong>sorge<br />
dienen, eine somit auf Empirie beruhende Zusammenstellung des sich bewährenden<br />
Wissens lohnen werde.<br />
Genial ist die von ihm systematisch gegebene Behandlung aller die Ges<strong>und</strong>heit in<br />
allen Lebensabschnitten nach dem damaligen Kenntnisstand beeinflussenden<br />
Risikofaktoren <strong>und</strong> präventivmedizinischen Regeln (von der Zeugung über das<br />
Stillen, die Verpflichtung zum Stillen von Kindern <strong>und</strong> Neugeborenen über die<br />
Erziehung, über umwelthygienische Aspekte wie Wasser, Boden, Luft, Lebensmittel<br />
bis hin zur Herstellung des Bieres über öffentliche Einrichtungen, Schulen,<br />
Erziehungsanstalten, Krankenhäuser, Straßenreinigung, Hausreinigung, Vorbeugung<br />
von Verletzungen bis hin zu einem würdigen Tod) beschrieben.<br />
Im Folgenden ist ein Kapitel aus dem 3. Band des Systems einer vollständigen<br />
medizinischen Polizey wieder gegeben, welches sich mit der nötigen Reinlichkeit der<br />
Wohnung des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts befasst <strong>und</strong> die einen Eindruck von seiner<br />
eindrücklichen Diktion gibt.<br />
„Von öffentlichen Reinlichkeitsanstalten in Städten <strong>und</strong> übrigen Wohnungen“<br />
§ 15 Unreinlichkeit der Privatwohnungen selbst<br />
„In sehr vielen Häusern fehlt es an Abtritten gänzlich, <strong>und</strong> man bedient sich gewisser<br />
Behältnisse <strong>für</strong> jede Familie, solange als möglich ist, um sich der Beschwerlichkeiten einer<br />
öfteren Reinigung zu überheben. Der Sammelplatz aller Ausleerungen ist entweder in eine,<br />
in dem engen Hofe eingeschlossenen Miststätte, oder wohl gar die öffentliche Straße oder<br />
endlich ein naher Stadtgraben. Im ersten Falle wird die Luft eines ganzen Hauses,<br />
besonders bei nasser <strong>und</strong> warmer Witterung, mit abscheulichen Ausdünstungen angefüllt,<br />
wovon die ganze Nachbarschaft leiden muss; <strong>und</strong> in den Stuben, worin die unreinen<br />
Behältnisse lange stehen mussten, wird eine so verdorbene Luft geschnaufet, dass mit der in<br />
ihren Wirkungen so nachteiligen Luft von Gräbern verglichen werden kann. Im zweiten Fall<br />
werden die Straßen selbst zu einer abscheulichen Kloake. Viele Haushaltungen in Städten<br />
sind zwar mit Abtritten versehen: alleine diese führen, ohne alle Ausmauerungen, in bloß<br />
hölzeren oder von Brettern zusammengenagelten Kanälen allen Unrat, oft selbst an der<br />
Außenseite des Hauses auf die unten anstoßenden Miststätte. So wird eine ganze Seite<br />
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eines Gebäudes verunreinigt <strong>und</strong> der hölzerne Kasten duftet einen auf Ferne unerträglichen<br />
Gestank aus. Andere Häuser haben ihre gehörigen Abtritte mit den dazu erforderlichen<br />
Kesseln versehen; allein ihre Anlage ist entweder mitten in dem Gebäude oder nah an den<br />
Wohnzimmern <strong>und</strong> Schlafgemachen, wobei dann von den Einwohnern bei Tag <strong>und</strong> Nacht<br />
eine mephitische Luft geatmet werden muss. Selbst bei einer guten Anlage der Abtritte wird<br />
meistens deren nach mehreren Jahren zuweilen erforderlichen Ausleerung solange<br />
verschoben oder die Eigentümer derselben sind bei ihren natürlichen Entledigungen selbst<br />
so unreinlich, dass es beinahe ebenso viel ist, als wenn gar keine Gelegenheiten zu<br />
denselben im Hause wäre. Ich habe mich oft in den angesehensten Haushaltungen über<br />
diesen Gegenstand w<strong>und</strong>ern müssen: Wenn ich in den Wohnzimmern alles glänzend <strong>und</strong><br />
reinlich, <strong>und</strong> in den geringsten Winkeln die beste Ordnung - hingegen auf den Abtritten eine<br />
unbegreifliche Unsauberkeit angetroffen habe. Die offenen Harnteicheln machen dabei die<br />
Ausdünstungen so scharf <strong>und</strong> beißend, dass man Gefahr läuft, in der Nähe zu ersticken, <strong>und</strong><br />
ganze Gänge hindurch ist die Luft mit solchen flüchtigen faulen Dünsten so sehr<br />
geschwängert, dass auch das Silber <strong>und</strong> Kupfer, wenn es derselben ausgesetzt worden,<br />
anläuft <strong>und</strong> schwarz wird.<br />
Und so sind in einer großen Stadt wenige Privatwohnungen, in welchen nicht auf eine oder<br />
die andere Weise die schlechte Anlage <strong>und</strong>/oder Besorgung der Abtritte zur Verunreinigung<br />
der allgemeinen Atmosphäre den Gr<strong>und</strong> legen sollte. Dieser obschon ekelhafte Gegenstand<br />
verdient also gewiss überall eine bessere Vorsorge der Polizey sowohl in Anordnung: dass<br />
kein Gebäude ohne hinlängliche Abtritte aufgeführt, als dass dieser am rechten Ort angelegt,<br />
nach vernünftigen Regeln gebaut <strong>und</strong> reinlich gehalten werden solle.<br />
Die Coutume de Paris, welche durch das ganze Königreich die Gewalt der Gesetze hat,<br />
verordnet, dass jeder Eigentümer eines Hauses sowohl in der Stadt selbst als in ihren<br />
Vorstädten dasselbe mit einer hinreichenden Anzahl Abtritte versehen lassen solle. „<br />
Insgesamt findet man bei <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong> bereits die gr<strong>und</strong>sätzlichen Konzepte,<br />
die in einem modernen HACCP-Konzept, nämlich der systematischen Analyse,<br />
welche Risiken zur Erkrankung führen <strong>und</strong> wie man diese Risiken durch kritische<br />
Kontrollpunkte <strong>und</strong> Maßnahmen unter Kontrolle halten kann, niedergelegt sind.<br />
4.2 Von der notwendigen Kommunikation des Arztes mit dem Politiker<br />
<strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong> war zutiefst davon überzeugt, die Vorsteher menschlicher<br />
Gesellschaften, d. h. die Fürsten oder wie wir heute sagen würden, die Politiker mit<br />
den Notwendigkeiten der Natur ihrer Untergebenen <strong>und</strong> mit den Ursachen ihres<br />
körperlichen Übelseins bekannt machen zu sollen.<br />
Er schreibt weiterhin in seiner Autobiographie<br />
„Ich besann mich lange über die Untätigkeit mancher so vortrefflicher Männer <strong>und</strong> es<br />
tat mir weh, dass ich sie, die <strong>für</strong> das Wohl ihres Vaterlandes so manche Nacht<br />
durchwachen, einer leichtsinnigen Nachlässigkeit beschuldigen sollte. Ich dachte bei<br />
mir selbst, die Menge der Arbeit lässt ihnen nicht zu, Klagen des Arztes <strong>und</strong> einer<br />
fremden Erfahrung von weitem aufzufangen.“<br />
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<strong>Frank</strong> war überzeugt, medizinische Erkenntnisse auch den Politikern deutlich zu<br />
machen <strong>und</strong> er beabsichtigte durch sein Werk<br />
„Die Stimme eines menschenfre<strong>und</strong>lichen Arztes über das allgemeine Elend <strong>und</strong><br />
über die Weise, denselben nach Möglichkeit abzuhelfen, geduldig anzuhören; <strong>und</strong><br />
dass diese nähere Entwicklung vieler, auch gering erscheinender Gegenstände, in<br />
ihren Augen nie ihren Wert verlieren könne, wenn wir das allgemeine Wohl der<br />
Menschen zu befördern, dienen mag.“<br />
Beeindruckend ist hierbei, wie sehr sich <strong>Frank</strong> da<strong>für</strong> einsetzt, dass medizinische<br />
Erkenntnisse nicht allein in Fachartikeln thematisiert werden, sondern dem Politiker<br />
nahe gebracht werden müssen.<br />
Hieraus folgt, dass das Verhältnis von Politik, Administration <strong>und</strong> hygienischer<br />
Wissenschaft von umfassenden Wechselbeziehungen <strong>und</strong> Abhängigkeiten geprägt<br />
ist, deren Verständnis eine wichtige Voraussetzung effizienten Ges<strong>und</strong>heitsschutzes<br />
<strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsförderung darstellt.<br />
Hierzu gehört auch die Beachtung der Unterschiede zwischen wissenschaftlich<br />
rationalen <strong>und</strong> politischen Entscheidungsprozessen.<br />
Der frühere dänische Ministerpräsident <strong>und</strong> Vizepräsident des europäischen<br />
Parlaments, Poul Schlüter, umschrieb 1996 dieses Verhältnis von Politikern <strong>und</strong><br />
Wissenschaftlern, wie es auch <strong>für</strong> die Zeit <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong>`s hätte gelten können:<br />
„Schließlich muss ich feststellen, dass ich in meiner Eigenschaft als Jurist <strong>und</strong><br />
Politiker selbstverständlich nicht fachliche Einsicht bezüglich medizinischer oder<br />
naturwissenschaftlicher Angelegenheiten besitze. Ich bin deshalb nicht imstande<br />
unmittelbar eine Kosten-Nutzen-Analyse verschiedener wissenschaftlicher<br />
Optionen zu unternehmen <strong>und</strong> bin folglich auf die Ratgebung der Experten<br />
angewiesen. Im Allgemeinen treten Politiker als Amateure auf, wenn technischnaturwissenschaftliche<br />
Angelegenheiten zur Debatte stehen, <strong>und</strong> im Zweifelsfall sind<br />
wir dazu geneigt, uns auf unseren politischen Instinkt zu verlassen. Dies bedeutet<br />
aber auch, dass die Wissenschaftler den Nichtsachverständigen gegenüber eine<br />
sehr große Verantwortung haben. Die Aufforderung der Politik an die Wissenschaft<br />
14
ist folglich, dass die Sachverständigen ihre Ratgebung auf eine nicht allzu<br />
maximalistische Bewertung des Handlungsbedarfes gründen <strong>und</strong> da<strong>für</strong> eine<br />
nüchterne Abschätzung der Kosten <strong>und</strong> der Ges<strong>und</strong>heitsrisiken unternehmen.“<br />
Bis heute neigt die Politik dazu, reaktiv Gefahrenabwehr <strong>und</strong> Krisenmanagement<br />
statt proaktiv Ges<strong>und</strong>heitsschutz durchzuführen, ist von daher auch auf den Rat des<br />
medizinischen Sachverständigen <strong>und</strong> des Hygienikers in besonderer Weise<br />
angewiesen. Im Gegensatz zu dem anderen großen in Trier geborenen Rheinland-<br />
Pfälzer Karl Marx betont <strong>Frank</strong> aber nicht nur die Notwendigkeit die Situation der<br />
arbeitenden Klasse bzw. der Klasse der Werktätigen zu verbessern, sondern bezieht<br />
alle Menschen einer Gesellschaft mit in die Notwendigkeit des Schutzes vor Armut<br />
<strong>und</strong> damit folgend hieraus vor Elend <strong>und</strong> Krankheit mit ein.<br />
4.3 Die Paveser Rede von der Einsicht in die Selbstverantwortung des<br />
menschen <strong>und</strong> vom Volkselend als Mutter der Krankheiten<br />
1790 hält <strong>Frank</strong> seine berühmte revolutionäre akademische Paveser Rede, die mit<br />
einem Paukenschlag beginnt<br />
„Der größte Teil der Leiden, die uns bedrücken, kommt vom Menschen selbst.“<br />
Dieser Satz, den <strong>Frank</strong> fast wörtlich aus Rousseaus „Discourse sur l’origine et les<br />
fondaments de l’inégalité parmi les hommes“ entnommen hat, vollzieht die Wendung<br />
von einer theonom- zu einer anthroponom bestimmten Krankheitsätiologie.<br />
Bis zu diesem Zeitpunkt wurde Krankheit als schicksalhaft <strong>und</strong> gottgegeben<br />
angesehen. Man hatte jederzeit mit Krankheit <strong>und</strong> Tod zu rechnen <strong>und</strong> sich dann<br />
seinem von Gott gegebenen Schicksal zu fügen. Durch den neuen Ansatz wird in<br />
jeder Hinsicht eine Wendung hin zur Verhütung <strong>und</strong> Bekämpfung von Erkrankungen<br />
<strong>und</strong> Erhaltung von Ges<strong>und</strong>heit vollzogen.<br />
In der gleichen Rede geht er dann auf das Volkselend als der Mutter der<br />
Krankheiten ein. Hierin führt er u. a. aus:<br />
„Insofern nun die vornehmste Aufgabe des öffentlichen Arztes darin liegt, dass er<br />
Ursprung <strong>und</strong> Hauptursachen verschiedener Krankheiten, denen die Staaten<br />
unterworfen sind, in einer strengen Prüfung erforsche, so will ich nur eine einzige vor<br />
dieser ansehnlichen Versammlung kurz untersuchen, nämlich<br />
15
das Elend des Volkes als die furchtbarste Mutter der Krankheiten.“<br />
Er führt weiter aus:<br />
„Aber wie viel das äußerste Elend der Völker die Lebenskraft nützlichster Bürger<br />
erstickt hält oder durch einen giftigen Hauch vernichtet; wer wird da nicht gern<br />
zugeben, dass bei solchen Umständen selbst die besseren Vorschläge vergeblich<br />
sind.<br />
Mögen die Herrscher von ihren Untertanen das Verderben ansteckender Seuchen,<br />
die von den Grenzen her drohen, abwenden, mögen sie die trefflichsten Männer in<br />
der medizinischen <strong>und</strong> chirurgischen Wissenschaft überall in den Provinzen<br />
aufstellen, mögen sie Spitäler errichten <strong>und</strong> ihre Direktion verbessern, über die<br />
Apotheken genaue Aufsicht halten <strong>und</strong> endlich noch eine Menge anderer Anstalten<br />
zur Wohlfahrt der Bürger treffen. Angenommen aber, dass sie dabei diesen einzigen<br />
Punkt übersehen: nämlich den so reichen Urgr<strong>und</strong> der Krankheiten, das äußerste<br />
Elend des Volkes, zu zerstören oder es wenigstens erträglicher zu machen: <strong>und</strong><br />
kaum werden wir merklich sein die heilsamen Wirkungen der Verordnungen, die über<br />
die öffentliche Ges<strong>und</strong>heitspflege wachen.<br />
Schließlich ruft er aus: Ein Sklavenvolk ist ein kachektisches Volk.<br />
U. a. führt er fort:<br />
„So entsteht fast jede, eine jede epidemische oder ansteckende Krankheit bei der<br />
ärmeren Klasse der Bevölkerung, herrscht dort am meisten <strong>und</strong> wird dort erst später<br />
ausgetilgt.“<br />
„Vielleicht lässt der Arme einen Arzt kommen <strong>und</strong> wenn dieser kommt, erfleht er<br />
seine Hilfe, Arznei, zweckmäßigere Nahrung, Beistand, versagt ihm jedoch seine<br />
Armut, verloren gehen Tag <strong>und</strong> der günstigste Zeitpunkt <strong>für</strong> seine Rettung.“<br />
Als Lösung ruft er dazu auf:<br />
„Wenn man wirklich den aufrichtigen Wunsch hat, überall die Zahl der Lebenden zu<br />
vermehren, so soll man veranlassen, Eltern <strong>und</strong> Kindern ihre Existenz zu sichern,<br />
nicht gestatten, dass die Preise lebensnotwendiger Güter höher steigen, als<br />
schweißvolle Arbeit da<strong>für</strong> bezahlen kann. Diese Schmach <strong>für</strong> die Menschheit, die<br />
Leibeigenschaft soll man aufheben <strong>und</strong>, was ihr am nächsten kommt, ein System,<br />
16
das den Bauern von jedem Eigentum ausschließt, sei es übereinkunftsmäßig oder<br />
einfach wegen seiner unüberwindlichen Armut. Das Elend des Volkes, den<br />
furchtbarsten Mutterboden der Krankheit, soll von unserem Lande fortgetrieben<br />
werden <strong>und</strong> eine kraftvolle <strong>und</strong> reichliche Nachkommenschaft wird aus der Mütter<br />
fruchtbarem Leib hervorgehen, vom nervigen Arme bebaut werden, lachen die Fluren<br />
<strong>und</strong> zurückziehen werden sich die Krankheiten in die vom Luxus erschöpften Städte.<br />
Freude, Tugend, zärtliche Liebe zum Vaterland <strong>und</strong> die frühere Wohlfahrt der Bürger<br />
gesichert werden, wieder zurückkehren.“<br />
Wie aktuell diese Thematik ist zeigt sich an der Diskussion um die öffentliche Armut,<br />
die derzeit auch in Deutschland wieder neu geführt wird. Sie zeigt sich aber auch an<br />
aktuellen Arbeiten der Weltges<strong>und</strong>heitsorganisation u.a. mit dem Titel „Rethinking<br />
poverty“.<br />
<strong>Öffentliche</strong> Armut in Europa ist kein Menetekel mehr. Der Pauperismus, das<br />
Schreckgespenst des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts als strukturell bedingte, längerfristige Armut<br />
weiter Teile der Bevölkerung zur Zeit der Frühindustrialisierung, die mit<br />
gesellschaftlichen Auflösungserscheinungen wie Unruhen, Epidemien <strong>und</strong><br />
Verwahrlosung unter den Betroffenen einherging, zieht wieder auch in Europa ein.<br />
So berichtet der Trauma Therapeut Georg Pieper aus Griechenland vom Oktober<br />
2012 in der FAZ vom 15. Dezember unter der Überschrift: Krise in Griechenland -<br />
Eine Gesellschaft stürzt ins Bodenlose:<br />
„Hochschwangere Frauen eilen bettelnd von Krankenhaus zu Krankenhaus, doch<br />
weil sie weder eine Krankenversicherung noch genügend Geld haben, will niemand<br />
ihnen helfen, ihr Kind zur Welt zu bringen. Menschen, die noch vor kurzem zur<br />
Mittelschicht zählten, sammeln in einem Athener Vorort Obst- <strong>und</strong> Gemüsereste von<br />
der Straße, Junge, Alte, Kinder, während neben ihnen die Marktstände abgebaut<br />
werden. Auf das Essen haben es allerdings auch die Tauben abgesehen.<br />
Ein alter Mann erzählt einem Reporter, dass er sich die Medikamente gegen seine<br />
Herzbeschwerden nicht mehr leisten kann. Seine Rente wurde wie die Rente vieler<br />
anderer um die Hälfte gekürzt. Mehr als vierzig Jahre hat er gearbeitet, er dachte, er<br />
habe alles richtig gemacht, jetzt versteht er die Welt nicht mehr. Wer in ein<br />
Krankenhaus geht, muss seine eigene Bettwäsche mitbringen, ebenso sein Essen.<br />
Seit das Putzpersonal entlassen wurde, putzen Ärzte, Schwestern <strong>und</strong> Pfleger, die<br />
17
seit Monaten kein Gehalt mehr bezogen haben, die Toiletten. Es fehlt an<br />
Einweghandschuhen <strong>und</strong> Kathetern. Die Europäische Union warnt angesichts der<br />
teilweise verheerenden hygienischen Bedingungen vor der Gefahr einer Ausbreitung<br />
von Infektionskrankheiten.“<br />
Wie richtig waren die Feststellungen <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong>´s.<br />
4.4 J.P. <strong>Frank</strong> als Wegbereiter einer modernen Krankenhaushygiene<br />
<strong>Frank</strong> hatte aufgr<strong>und</strong> seiner Erfahrungen genaue Kenntnis über die Risiken von<br />
schlecht verwalteten <strong>und</strong> betriebenen Krankenhäusern.<br />
In seiner Paveser Rede heißt es u. a.:<br />
„In ein Krankenhaus aber, wenn eines vorhanden ist, geht der Arme nur hinein, um<br />
seine Familie von den Begräbniskosten zu befreien. Und selbst wenn er früher<br />
diesen Zufluchtsort aufsucht, so kann man doch in den meisten Spitälern solche<br />
Gefahren der Ansteckung <strong>und</strong> eine so grauenhafte Vernachlässigung der Armen<br />
beobachten, dass die Sterblichkeitsziffer dort um ein Beträchtliches höher ist als die<br />
durchschnittliche <strong>und</strong> so dem Staat zu seinem enormen Verlust an Geld noch den an<br />
Bürgern am meisten bedauerlich hinzufügt.“<br />
Ein Beispiel, welche Bedeutung auch Kaiser Josef II. der Krankenhaushygiene<br />
beimaß, geht aus der Autobiographie von <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong> hervor.<br />
Im Juni 1785 besuchte der Kaiser Joseph II. Pavia <strong>und</strong> auch ein dortiges<br />
Krankenhaus in Begleitung von J. P. <strong>Frank</strong>.<br />
In einem Saale <strong>für</strong> kranke Weiber wurde der Kaiser einer kleinen Seitentür gewahr<br />
<strong>und</strong> fragte <strong>Frank</strong> nach derselben Bestimmung. <strong>Frank</strong> berichtet in seiner<br />
Autobiographie:<br />
18
„Ich sagte, es wären zwei kleine Stuben <strong>für</strong> Kranke. Da der Regent diese besuchen<br />
wollte, meldete ich, dass dieser Ort sehr unges<strong>und</strong> <strong>und</strong> von ansteckenden Fiebern<br />
voll gepfropft sei. Dies tut nichts zur Sache, erwiderte der Menschenfre<strong>und</strong> <strong>und</strong> trat in<br />
die Zimmer. Der Anblick dieses abscheulichen Aufenthaltes machte, dass der<br />
Monarch sich gegen mich umwandte <strong>und</strong> ausrief: <strong>Frank</strong>, ist es möglich, dass hierher<br />
Menschen verlegt werden? Auf der Stelle soll dieses Nebengebäude niedergerissen<br />
werden.<br />
Dieser höchste Befehl musste schon des anderen Tages vollzogen werden. Nun<br />
besuchte der Kaiser das ganze Spital <strong>und</strong> ließ sich von den geringsten Umständen<br />
Bericht erstatten. Kaum waren sechs Wochen verflossen, als von Wien der höchste<br />
Befehl kam, allen von dem Monarchen bemerkten, auch kleinsten Gebrechen, mit<br />
genauer Bestimmung der Mittel abzuhelfen.“<br />
Schließlich erstellte <strong>Frank</strong> eine genaue Liste der von ihm zu beaufsichtigenden<br />
Krankenhäuser <strong>und</strong> erstellte einen Fragebogen, auf welchem von den Verwaltern<br />
<strong>und</strong> Vorstehern der Spitäler in der österreichischen Lombardei die Antworten zu<br />
schreiben sind. In diesem Fragebogen sind mit erstaunlicher Genauigkeit genau die<br />
Fragen, die auch heute bei der Begutachtung von Krankenhäusern zu stellen sind.<br />
Als dienstältestes Mitglied der Kommission <strong>für</strong> Krankenhaushygiene <strong>und</strong><br />
Infektionsprävention <strong>und</strong> dessen langjähriger Vorsitzender, zu dessen Aufgaben die<br />
Erstellung entsprechender Regeln gehört, zeigt sich hier exemplarisch, wie visionär<br />
an diesem konkreten Beispiel der Krankenhaushygiene <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong> im<br />
Bewusstsein der Verantwortung des Staates <strong>für</strong> seine Bürger hier bereits aus diesem<br />
Geiste heraus visionär von ihm gehandelt wurde.<br />
3.4 J. P. <strong>Frank</strong> als Wegbereiter einer modernen Ausbildung <strong>und</strong> Lehre von<br />
<strong>Hygiene</strong> <strong>und</strong> <strong>Öffentliche</strong>r Ges<strong>und</strong>heit<br />
<strong>Frank</strong> hatte bereits in Bruchsal den Lehrplan <strong>für</strong> Hebammen aufgestellt. In Pavia<br />
jedoch wird von ihm ein revolutionärer Studienplan <strong>für</strong> die medizinische Fakultät auf<br />
der Hohen Schule zu Pavia 1786 entworfen. Als ich als Studiendekan die neue<br />
Approbationsordnung umzusetzen hatten, stieß ich auf diesen Studienplan <strong>und</strong> war<br />
frappiert über die detaillierte Regelung <strong>und</strong> das bereits damals die Ges<strong>und</strong>heitslehre<br />
oder <strong>Hygiene</strong> fester Bestandteil des Lehrplans war.<br />
19
Hierin schreibt er u. a. im 9. Abschnitt, § 1:<br />
„Die <strong>Hygiene</strong>, welche zur Erhaltung der gegenwärtigen Ges<strong>und</strong>heit die<br />
zweckmäßigsten Maßregeln vorschreibt, ist gewiss der nötigste, nützlichste <strong>und</strong><br />
edelste Teil der medizinischen Wissenschaft. Es ist ein weit größerer Dienst, einen,<br />
dem Sturze nahen Menschen, vor dem Fall zu bewahren, als den schon<br />
niedergestürzten wieder aufzuheben <strong>und</strong> wenn diese von den alten Ärzten mit so<br />
großem <strong>und</strong> patriotischem Eifer betriebene Wissenschaft, die Menschen vor<br />
abwendbaren physischen Übeln zu sichern, in unseren Tagen vernachlässigt worden<br />
ist, wenn der große Haufe von jenen, die sich mit der Heilk<strong>und</strong>e abgeben, jetzt auf<br />
die Erlernung der Ges<strong>und</strong>heitsregeln <strong>und</strong> auf derselben Vorschrift so offenbar<br />
Verzicht tut, so wächst allerdings von vielen Ärzten der Verdacht, dass sie ihre Kunst<br />
mehr zu eigener als zu fremder Erhaltung erlernet haben <strong>und</strong> auszuüben gewohnt<br />
sind.“<br />
Derzeit wird gerade über die Notwendigkeit der Verbesserung der Lehre auf dem<br />
Gebiet der Krankenhaushygiene intensiv nachgedacht, wozu jetzt aktuell eine<br />
Empfehlung des medizinischen Fakultätentages <strong>und</strong> der Kommission <strong>für</strong><br />
Krankenhaushygiene <strong>und</strong> Infektionsprävention herausgegeben wurde.<br />
Die Situation zur Vermittlung einer modernen <strong>Hygiene</strong> im Rahmen des<br />
Medizinstudiums ist derzeit absolut defizitär <strong>und</strong> bedarf dringender Reform. <strong>Johann</strong><br />
<strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong> hat diese Aspekte bereits 1786 vorgedacht.<br />
4.5 Zusammenfassende <strong>und</strong> nachhaltige Wirkung der Konzeptionen von<br />
<strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong> <strong>für</strong> die <strong>Öffentliche</strong> Ges<strong>und</strong>heit<br />
Zusammenfassend sind die Gr<strong>und</strong>prämissen im Wirken von <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong> die<br />
Einsicht in die Grenzen der kurativen Medizin seiner Zeit , das Prinzip der durch den<br />
vom Staat zu garantierenden Ges<strong>und</strong>heitsschutz <strong>und</strong> die Ges<strong>und</strong>erhaltung der<br />
Bevölkerung, die Betonung der Bedeutung des Menschen selbst als Ursache <strong>für</strong> den<br />
größten Teil seiner eigenen Leiden, die Notwendigkeit, sich von natürlichen wie<br />
menschlichen Risiken zu emanzipieren, der Einsicht in die Notwendigkeit, Politiker<br />
über die Ges<strong>und</strong>heitsrisiken <strong>und</strong> Vorsorgemaßnahmen aufzuklären <strong>und</strong> zu beraten,<br />
um als Arzt seinen Beitrag zur Risikoregulierung beizutragen, die Voraussetzungen<br />
20
hier<strong>für</strong> sind methodische <strong>und</strong> systematische Sichtung der vorhandenen Literatur, der<br />
beginnende Diskurs über die Grenzen zwischen den Forderungen nach persönlicher<br />
Freiheit <strong>und</strong> der Verantwortung des einzelnen auch gegenüber dem Gemeinwesen,<br />
die Einsicht, dass nur ein holistischer Ansatz von <strong>Hygiene</strong> <strong>und</strong> öffentlichem<br />
Ges<strong>und</strong>heitswesen zielführend ist <strong>und</strong> die Integration von <strong>Hygiene</strong> <strong>und</strong> öffentlicher<br />
Ges<strong>und</strong>heitslehre in die Ausbildung von Medizinstudenten einbezogen werden<br />
müsse <strong>und</strong> die Notwendigkeit, hier<strong>für</strong> ein ethisches F<strong>und</strong>ament zu schaffen.<br />
Im Verlauf des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts, maßgeblich geprägt durch die großen Hygieniker<br />
Max von Pettenkofer <strong>und</strong> Robert Koch, wurden Aspekte der <strong>Hygiene</strong> <strong>und</strong> sozialen<br />
<strong>Hygiene</strong> systematisch als Teil der staatlichen Infrastruktur mit übernommen.<br />
Nimmt man die Sterblichkeitsrate als Maßstab <strong>für</strong> den Erfolg der öffentlichen<br />
Ges<strong>und</strong>heit, so zeigt sich, dass bereits Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts die<br />
Sterblichkeitsrate kontinuierlich beginnt zu sinken, wie aus den Angaben des<br />
statistischen B<strong>und</strong>esamtes deutlich wird.<br />
Im Jahre 2007 führt das British Medical Journal eine Befragung unter mehr als<br />
11.000 Lesern durch, was der größte Erfolg seit 1840 in der Medizin gelten könne.<br />
Die Mehrzahl der Leser wählten die Sanitation, die Einführung von Leitungswasser<br />
<strong>und</strong> die Abwasserentsorgung als den größten Erfolg in der medizinischen<br />
Wissenschaft. Noch vor der Entdeckung der Antibiotika, der Einführung von<br />
Anästhesie, Impfstoffen <strong>und</strong> der Entdeckung der DNA.<br />
Im Rückblick auf das 20. Jahrh<strong>und</strong>ert wird u. a. von der Weltges<strong>und</strong>heitsorganisation<br />
ausgeführt, dass in den entwickelten Ländern der Zugewinn an Lebensjahren von<br />
Beginn des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts bis zum Ende 30 – 35 Lebensjahre betragen hat. Nur<br />
fünf der hinzu gewonnenen Lebensjahre im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert werden auf Erfolge der<br />
kurativen Medizin zurückgeführt, 25 – 30 Lebensjahre jedoch auf Erfolge von<br />
<strong>Hygiene</strong>, öffentlicher Ges<strong>und</strong>heit, Investitionen in Bildung der Frau, Bekämpfung von<br />
Armut, Verbesserung der Ernährungssituation <strong>und</strong> allgemein technischen Fortschritt.<br />
Hierbei handelt es sich um Erfolge, die bereits von <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong> in seinen<br />
Arbeiten vorbereitet wurden.<br />
21
5. Zukünftige Herausforderungen auf das <strong>Öffentliche</strong> Ges<strong>und</strong>heitswesen<br />
Es ist keineswegs gesichert, dass die Entwicklung hin zu besseren Ges<strong>und</strong>heit <strong>für</strong><br />
die Allgemeinheit , längerer Lebenserwartung <strong>und</strong> ausreichender Befähigung in der<br />
Gesellschaft, Krankheitskosten zu finanzieren, auch in der Zukunft sicherzustellen ist.<br />
Mit der Zunahme der Lebenserwartung kommen erhebliche Konsequenzen auf die<br />
Volkswirtschaft zu. Das BIP muss mit im Durchschnitt 5 – 10 Jahren älteren<br />
Mitarbeitenden erwirtschaftet werden, wobei der ges<strong>und</strong>heitliche Gradient zunehmen<br />
wird. Es droht die Gefahr, dass die Solidarität zwischen den Generationen, die<br />
Gr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> unser Solidarsystem in der Krankenversicherung ist, unbezahlbar zu<br />
werden droht. Von daher wird die Notwendigkeit gesehen, einen wesentlich<br />
stärkeren Fokus auf die Prävention zu richten, um die deutliche Zunahme<br />
pflegebedürftiger Mitbürger in unserem Gemeinwesen schultern zu können. Hierzu<br />
wurde der Begriff der sog. „Morbiditätskompression“ geprägt, was bedeutet, den<br />
zusätzlichen Lebensjahren Ges<strong>und</strong>heit hinzuzufügen, um das Solidarsystem<br />
finanzierbar zu halten.<br />
Als besondere Herausforderungen stehen vor uns<br />
- die Zunahme verhütbarer chronischer Erkrankungen,<br />
- die Bedrohung durch Infektionsausbrüche,<br />
- die dramatische Zunahme Antibiotika-resistenter Erreger,<br />
- die Zunahme von Demenzerkrankung,<br />
- die Zunahme pflegebedürftiger Menschen sowie<br />
- das Fehlen einer qualifizierten Ausbildung in <strong>Hygiene</strong> <strong>und</strong> öffentlicher<br />
Ges<strong>und</strong>heit d.h. die Fähigkeit nicht nur die individuelle Ges<strong>und</strong>heit sondern<br />
22
die Ges<strong>und</strong>heit der Allgemeinbevölkerung in den Focus zu stellen <strong>und</strong> in<br />
diesen Kategorien denken <strong>und</strong> agieren zu können.<br />
Weltweit drohen mit der Zunahme der Weltbevölkerung auf 10 Milliarden Menschen<br />
die Zunahme der weltweiten Armut, lokale Konflikte <strong>und</strong> Kriege,<br />
Migrationsbewegungen <strong>und</strong> die Zunahme von Seuchenerkrankungen bei fehlendem<br />
Zugang der Weltbevölkerung zu sauberem Wasser <strong>und</strong> zu unzureichenden sanitären<br />
Bedingungen <strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong> nicht mehr funktionierender Staatssysteme.<br />
Hierbei kommt der öffentlichen Armut in der Weltbevölkerung eine erhebliche<br />
Bedeutung zu. 2007 lebten mehr als 3 Milliarden Menschen mit weniger als zwei<br />
Dollar pro Tag, 2,4 Milliarden Menschen fehlte der Zugang zu den basissanitären<br />
Voraussetzungen, 2 Milliarden Menschen lebten ohne Elektrizität, eine Milliarde<br />
Menschen waren Analphabeten <strong>und</strong> mehr als ein Drittel der menschlichen<br />
Todesfälle, nämlich bis zu 50.000 Todesfälle täglich, sind durch armutsbedingte<br />
Erkrankungen verursacht.<br />
Wie visionär klingt vor diesem Hintergr<strong>und</strong> die Aussage von <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong>,<br />
dass die Armut die Mutter aller Krankheiten sei?<br />
Im Jahre 2007 wurde in Bonn eine Konferenz mit dem Titel „Sustainable Global<br />
Health“ abgehalten.<br />
In der Zusammenfassung heißt es:<br />
„Die Welt steht vor einer Vielzahl von Herausforderungen jetzt <strong>und</strong> in der nächsten<br />
Zukunft, die alle <strong>für</strong> sich genommen das Potential haben, die internationale<br />
öffentliche Ges<strong>und</strong>heit schwerstens zu gefährden <strong>und</strong> die Sicherheit mit<br />
Konsequenzen <strong>für</strong> die globale, politische <strong>und</strong> soziale Stabilität <strong>und</strong> den Fortschritt zu<br />
beeinflussen. Sofern diese Herausforderungen nicht adäquat angegangen werden,<br />
haben diese das Potential, den Fortschritt hin zur nachhaltigen globalen Ges<strong>und</strong>heit<br />
zum Entgleisen zu bringen <strong>und</strong> die menschliche Weiterentwicklung zu stoppen.“<br />
Die Weltges<strong>und</strong>heitsorganisation setzt folglich entsprechende Prioritäten:<br />
23
- Unterstützung <strong>für</strong> Länder weltweit, um eine universelle Abdeckung mit<br />
effektiven Interventionsmaßnahmen der öffentlichen Ges<strong>und</strong>heit<br />
sicherzustellen,<br />
- Stärkung der globalen Ges<strong>und</strong>heitssicherheit,<br />
- Schaffung <strong>und</strong> Unterstützung von Aktionen, um die Verhaltensweisen, die<br />
sozialen ökonomischen <strong>und</strong> Umweltdeterminanten <strong>für</strong> Ges<strong>und</strong>heit zu<br />
verändern,<br />
- Verbesserung der institutionellen Kapazitäten, um die Kernfunktionen <strong>für</strong> den<br />
öffentlichen Ges<strong>und</strong>heitsschutz unter gestärkter effizienten Verwaltung d. h.<br />
auch einer funktionierenden Bürokratie der Ges<strong>und</strong>heitsministerien<br />
sicherzustellen.<br />
Auf dem Weg dorthin ist der öffentliche Ges<strong>und</strong>heitsdienst die unverzichtbare<br />
<strong>Institut</strong>ion <strong>für</strong> Ges<strong>und</strong>heitsschutz <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsförderung, die dringend gestärkt<br />
werden muss. Hier ergeht der Appell an Sie, hochverehrte Frau Ministerin Dreyer,<br />
sich im Sinne <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong>`s <strong>für</strong> den öffentlichen Ges<strong>und</strong>heitsdienst<br />
einzusetzen, zu deren Aufgaben<br />
- die Förderung des Schutzes der Ges<strong>und</strong>heit der Bevölkerung,<br />
- die Beobachtung <strong>und</strong> Bewertung der ges<strong>und</strong>heitlichen Verhältnisse,<br />
- die Erforschung der Auswirkungen von Umwelteinflüssen,<br />
- die Ermittlung der Ursachen von Ges<strong>und</strong>heitsgefährdung <strong>und</strong><br />
Ges<strong>und</strong>heitsschäden <strong>und</strong> deren Beseitigung,<br />
- die Überwachung, dass die Anforderungen der <strong>Hygiene</strong> eingehalten werden<br />
<strong>und</strong> übertragbare Krankheiten beim Menschen verhütet <strong>und</strong> bekämpft werden<br />
<strong>und</strong> dass Maßnahmen zur Ges<strong>und</strong>heitsförderung <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitserziehung<br />
initiiert <strong>und</strong> koordiniert werden.<br />
Keine andere <strong>Institut</strong>ion kann dies in unserer Gesellschaft<br />
gewährleisten.<br />
entsprechend<br />
Hier ist im Sinne <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong>`s Ihre persönliche Intervention notwendig, da<br />
der öffentliche Ges<strong>und</strong>heitsdienst dringend der Förderung bedarf. Die Zeichen hier<strong>für</strong><br />
stehen jedoch nicht günstig, da als große Leitfaden der Politik<br />
24
- der Abbau der Bürokratie <strong>und</strong><br />
- die Deregulierung gilt.<br />
In diesem Zusammenhang erlaube ich mir, aus einem Leitartikel von Georg Paul<br />
Hefty zu zitieren, die überschrieben ist „Um der Lebensqualität willen“ (FAZ vom<br />
27.06.2012):<br />
„Verheerender als die Bürokratie ist der Mangel an Bürokratie. …<br />
Bürokratie ist aber keineswegs nur ein Helfer im Katastrophenfall, sie ist das<br />
wirksamste Mittel der Vorbeugung gegen Katastrophen, auch wenn sie in einem<br />
solchem Zusammenhang fast nie erwähnt wird.<br />
Der heutige Stand an Lebensqualität – dazu gehören so gr<strong>und</strong>legende Dinge wie die<br />
Sauberkeit des Trinkwassers, die Sicherheit der Lebensmittel, die Verlässlichkeit<br />
technischer Geräte, die Berechenbarkeit von öffentlicher Verwaltung – ist im Kern<br />
zwei Einrichtungen zu verdanken: der Wissenschaft, der der Nachweis gelungen ist<br />
<strong>und</strong> immer wieder von neuem gelingt, was „ges<strong>und</strong>“ <strong>und</strong> was<br />
„ges<strong>und</strong>heitsgefährdend“ oder gar „schädlich“ ist <strong>und</strong> eben der Bürokratie, wie viele<br />
dieser Erkenntnisse in den Alltag hineinbringt <strong>und</strong> ihre Einhaltung durchsetzt <strong>und</strong><br />
überprüft, <strong>und</strong> zwar, wenn alles seinen vorgesehenen Gang geht <strong>und</strong> seine<br />
Richtigkeit hat, mit geradezu wissenschaftlicher Exaktheit.<br />
Denn eine gr<strong>und</strong>legende Eigenschaft der Bürokratie ist die Kombination von<br />
Unvoreingenommenheit <strong>und</strong> Unbefangenheit gegenüber Jedermann,<br />
Verständlichkeit <strong>und</strong> Nachvollziehbarkeit <strong>für</strong> den Fall gerichtlicher Klärung.<br />
Die Naturkatastrophen einmal beiseite gelassen haben viele Katastrophen des<br />
technisch-wirtschaftlichen Lebens von Lebensmittelskandalen bis zu geborstenen<br />
Schutzwällen – ihre Ursache in mangelhafter Überwachung <strong>und</strong> in wirklich<br />
unbürokratischer „Handhabung der Sicherheitsvorschriften“. Schwächen wird die<br />
Bürokratie, so kann die bisher erreichte Lebensqualität nicht <strong>für</strong> Jedermann erhalten<br />
werden. Schon gar nicht kann die Lebensqualität ohne gezielten Einsatz der<br />
Bürokratie gesteigert werden.“<br />
25
Meine sehr geehrten Damen <strong>und</strong> Herren, <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong> hätte diese im Jahre<br />
2012 geschriebenen Sentenzen mit allem Nachdruck begrüsst.<br />
Welche Visionen sollten wir <strong>für</strong> unsere Gesellschaft <strong>für</strong> die Zukunft auch vor dem<br />
Hintergr<strong>und</strong> einer Zunahme der Lebenserwartung durchaus im Sinne von <strong>Johann</strong><br />
<strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong> haben?<br />
In diesem Jahr wurde in den Vereinigten Staaten nach langer Vorbereitung unter<br />
Einbeziehung auch der Bevölkerung der National Council Action Plan<br />
herausgegeben. Hierin findet sich diese Abbildung<br />
Abb. 3: Aus dem National prevention Council Action plan des US- national prevention<br />
Council, Juni 2012 .<br />
26
In der Mitte der Abbildung ist dargestellt, in dessen Mitte der Satz steht: „Steigerung<br />
der Zahl der Amerikaner, die zu jedem Stadium ihrer Lebens ges<strong>und</strong> sind“ vom<br />
Kleinkindesalter bis zum Greisenalter.<br />
Ist es nicht frappierend wie übereinstimmend das Leitmotiv der medizinichen Polizey<br />
von J. P. <strong>Frank</strong>: „Servandis et augendis civibus (die Bevölkerung zu erhalten <strong>und</strong> sie<br />
zu vermehren“ hier wieder im Jahre 2012 aufgegriffen wird. Besser lässt sich die<br />
visionäre Kraft J. P. <strong>Frank</strong>s nicht belegen.<br />
Welche Visionen sollten wir haben?<br />
Das Alter soll in Würde bis zum Tod, so jung <strong>und</strong> so eigen bestimmt wie möglich <strong>und</strong><br />
im Vollbesitz der körperlichen <strong>und</strong> geistigen Kräfte erlebt werden können. Daher gilt<br />
es, eine moderne <strong>und</strong> ganzheitliche Medizin auch im Sinne <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong>`s<br />
neu zu definieren, die nicht rein kurativ bestimmt ist, sondern<br />
- die so viel wie möglich an vermeidbaren Erkrankungen verhütet<br />
- die so effizient wie möglich diagnostiziert <strong>und</strong> heilt, wo dies möglich ist <strong>und</strong><br />
- die dort, wo Heilung <strong>und</strong> Rehabilitation nicht mehr zu erreichen sind, unnötige<br />
Schmerzen nimmt.<br />
Die Medizin der Zukunft muss daher (wieder) eine Synthese aus präventiver wie<br />
kurativer Medizin sein, die <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong> so eindrücklich verkörperte.<br />
Notwendig <strong>und</strong> unverzichtbar ist es daher, <strong>Hygiene</strong> <strong>und</strong> öffentliche Ges<strong>und</strong>heit<br />
wieder neu zu entdecken, wobei wir mit dem Medizinhistoriker Alfons Labisch<br />
feststellen:<br />
„<strong>Hygiene</strong> <strong>und</strong> öffentliche Ges<strong>und</strong>heit sind die angemessene Medizin eines ges<strong>und</strong>en<br />
Gemeinwesens.“<br />
6. Ratschläge von <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong><br />
Was also würde <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong> – säße er hier unter uns – Ihnen <strong>und</strong> uns mit<br />
auf den Weg geben?<br />
27
Ich glaube er würde uns Folgendes empfehlen.<br />
Sichert eine gute medizinische Versorgung, stellt aber auch sicher, dass der Staat<br />
<strong>und</strong> die Gesellschaft eine gute Infrastruktur gewährleistet, um Ges<strong>und</strong>heitsschutz,<br />
Ges<strong>und</strong>heitsförderung <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heits<strong>für</strong>sorge sicherzustellen. Er würde uns die<br />
Angst vor zuviel Bürokratie <strong>und</strong> Regulierung nehmen anstatt Bürokratie <strong>und</strong><br />
Regulierung immer weiter zu reduzieren. Er würde insbesondere betonen, dass der<br />
Staat <strong>und</strong> die Gesellschaft hierzu einen hervorragenden öffentlichen<br />
Ges<strong>und</strong>heitsdienst benötigt, der wissenschaftlich geschult in der Lage ist,<br />
angemessen <strong>und</strong> dennoch sehr effizient Ges<strong>und</strong>heitsschutz <strong>und</strong><br />
Ges<strong>und</strong>heitsförderung als Anwalt der Öffentlichkeit zu verwirklichen. Hierzu benötigt<br />
man aber auch die notwendigen finanziellen Anreize, um in der heutigen Situation<br />
innerhalb der Ärzteschaft kluge <strong>und</strong> engagierte Ärzte <strong>für</strong> den öffentlichen<br />
Ges<strong>und</strong>heitsdienst zu gewinnen.<br />
Er würde uns ermutigen, die wissenschaftliche <strong>Hygiene</strong> <strong>und</strong> öffentliche Ges<strong>und</strong>heit<br />
an den Universitäten wieder zu etablieren. Er wäre entsetzt darüber, dass man in der<br />
Lehre diesem Fach nur einen untergeordneten Stellenwert zumisst <strong>und</strong> an den<br />
Universitäten systematisch dieses Fach, eines der Kernfächer der Medizin, abgebaut<br />
hat.<br />
Er würde Ihnen, verehrte Frau Dreyer, empfehlen, in Rheinland-Pfalz einen<br />
eigenständigen Lehrstuhl <strong>für</strong> <strong>Hygiene</strong> <strong>und</strong> öffentliche Ges<strong>und</strong>heit an der Universität<br />
Mainz wieder einzurichten.<br />
Hiermit würde gleichzeitig auch die wissenschaftliche Unterstützung <strong>für</strong> den<br />
öffentlichen Ges<strong>und</strong>heitsdienst, aber auch <strong>für</strong> die Ges<strong>und</strong>heitspolitik in anderer<br />
Weise sichergestellt werden können.<br />
Er würde den europäischen Austausch auf dem Gebiet von <strong>Hygiene</strong> <strong>und</strong> öffentlicher<br />
Ges<strong>und</strong>heit insbesondere zwischen <strong>Frank</strong>reich <strong>und</strong> Deutschland <strong>und</strong> zwischen<br />
Lothringen <strong>und</strong> Rheinland-Pfalz be<strong>für</strong>worten.<br />
Mit großer Sorge würde <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong> sehen, dass man das mehr als 100<br />
Jahre alte B<strong>und</strong>esges<strong>und</strong>heitsamt 1994 über Nacht aufgelöst hat <strong>und</strong> hiermit eine<br />
eigenständige wissenschaftliche B<strong>und</strong>esinstitution <strong>für</strong> den <strong>Öffentliche</strong>n<br />
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Ges<strong>und</strong>heitsschutz in Deutschland fehlt. Wir brauchen ein derartiges<br />
B<strong>und</strong>esges<strong>und</strong>heitsamt <strong>und</strong> ich möchte Sie ermutigen, sich hier<strong>für</strong> wieder<br />
einzusetzen. Denn Ges<strong>und</strong>heitsschutz muss wieder im Bewusstsein der Bevölkerung<br />
<strong>und</strong> der Politik verankert werden wie es derzeit zu Recht der Umweltschutz ist.<br />
Am Ende habe ich die Hoffnung, Ihnen, verehrte Frau Ministerin Dreyer, nicht nur<br />
eine interessante Persönlichkeit der Vergangenheit, sondern in der Tat eine visionäre<br />
Persönlichkeit <strong>für</strong> die vor uns liegenden Herausforderungen vorgestellt zu haben, die<br />
auch uns heute noch aus seiner Sicht viele Strategien empfehlen könnte.<br />
Wir hoffen, dass Sie mit uns nicht nur als neue Trägerin der <strong>Johann</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong>-<br />
Medaille Asche-Bewahrerin in Erinnerung an eine große Persönlichkeit der<br />
Geschichte sein wollen, sondern dass Sie mit uns auch Glutwächterin sind, um aus<br />
der Glut Flammen <strong>für</strong> die Zukunft zu schlagen, im Interesse eines modernen<br />
Ges<strong>und</strong>heitswesens, wo nicht nur kurative Medizin, sondern auch die notwendige<br />
präventive Medizin, also <strong>Hygiene</strong> <strong>und</strong> <strong>Öffentliche</strong> Ges<strong>und</strong>heit ihren angemessenen<br />
Stellenwert hat.<br />
In diesem Sinne heißen wir Sie herzlich willkommen im Kreis der Träger der <strong>Johann</strong>-<br />
<strong>Peter</strong> <strong>Frank</strong> Medaille.<br />
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