Theodor Fontane - Effi Briest
Theodor Fontane - Effi Briest Theodor Fontane - Effi Briest
Theodor Fontane − Effi Briest »Keine Ausweichungen, Major. Dies alles ist sehr wichtig für mich. Er ist Ihr Freund, und ich bin Ihre Freundin. Ich will wissen, wie hängt dies zusammen? Was denkt er sich dabei?« »Ja, meine gnädigste Frau, Gott sieht ins Herz, aber ein Major vom Landwehrbezirkskommando, der sieht in gar nichts. Wie soll ich solche psychologischen Rätsel lösen? Ich bin ein einfacher Mann.« »Ach, Crampas, reden Sie nicht so töricht. Ich bin zu jung, um eine große Menschenkennerin zu sein; aber ich müßte noch vor der Einsegnung und beinah vor der Taufe stehen, um Sie für einen einfachen Mann zu halten. Sie sind das Gegenteil davon, Sie sind gefährlich ... « »Das Schmeichelhafteste, was einem guten Vierziger mit einem a.D. auf der Karte gesagt werden kann. Und nun also, was sich Innstetten dabei denkt ... « Effi nickte. »Ja, wenn ich durchaus sprechen soll, er denkt sich dabei, daß ein Mann wie Landrat Baron Innstetten, der jeden Tag Ministerialdirektor oder dergleichen werden kann (denn glauben Sie mir, er ist hoch hinaus), daß ein Mann wie Baron Innstetten nicht in einem gewöhnlichen Hause wohnen kann, nicht in einer solchen Kate, wie die landrätliche Wohnung, ich bitte um Vergebung, gnädigste Frau, doch eigentlich ist. Da hilft er denn nach. Ein Spukhaus ist nie was Gewöhnliches ... Das ist das eine.« »Das eine? Mein Gott, haben Sie noch etwas?« »Ja.« »Nun denn, ich bin ganz Ohr. Aber wenn es sein kann, lassen Sie's was Gutes sein.« »Dessen bin ich nicht ganz sicher. Es ist etwas Heikles, beinah Gewagtes, und ganz besonders vor Ihren Ohren, gnädigste Frau.« »Das macht mich nur um so neugieriger.« »Gut denn. Also Innstetten, meine gnädigste Frau, hat außer seinem brennenden Verlangen, es koste, was es wolle, ja, wenn es sein muß, unter Heranziehung eines Spuks, seine Karriere zu machen, noch eine zweite Passion: Er operiert nämlich immer erzieherisch, ist der geborene Pädagog, und hätte, links Basedow und rechts Pestalozzi (aber doch kirchlicher als beide), eigentlich nach Schnepfenthal oder Bunzlau hingepaßt.« »Und will er mich auch erziehen? Erziehen durch Spuk?« »Erziehen ist vielleicht nicht das richtige Wort. Aber doch erziehen auf einem Umweg.« »Ich verstehe Sie nicht.« »Eine junge Frau ist eine junge Frau, und ein Landrat ist ein Landrat. Er kutschiert oft im Kreise umher, und dann ist das Haus allein und unbewohnt. Aber solch Spuk ist wie ein Cherub mit dem Schwert ... « »Ah, da sind wir wieder aus dem Wald heraus«, sagte Effi. »Und da ist Utpatels Mühle. Wir müssen nur noch an dem Kirchhof vorüber.« Gleich danach passierten sie den Hohlweg zwischen dem Kirchhof und der eingegitterten Stelle, und Effi sah nach dem Stein und der Tanne hinüber, wo der Chinese lag. Siebzehntes Kapitel Es schlug zwei Uhr, als man zurück war. Crampas verabschiedete sich und ritt in die Stadt hinein, bis er vor seiner am Marktplatz gelegenen Wohnung hielt. Effi ihrerseits kleidete sich um und versuchte zu schlafen; es wollte aber nicht glücken, denn ihre Verstimmung war noch größer als ihre Müdigkeit. Daß Innstetten sich
Theodor Fontane − Effi Briest seinen Spuk parat hielt, um ein nicht ganz gewöhnliches Haus zu bewohnen, das mochte hingehen, das stimmte zu seinem Hange, sich von der großen Menge zu unterscheiden; aber das andere, daß er den Spuk als Erziehungsmittel brauchte, das war doch arg und beinahe beleidigend. Und »Erziehungsmittel«, darüber war sie sich klar, sagte nur die kleinere Hälfte; was Crampas gemeint hatte, war viel, viel mehr, war eine Art Angelapparat aus Kalkül. Es fehlte jede Herzensgüte darin und grenzte schon fast an Grausamkeit. Das Blut stieg ihr zu Kopf, und sie ballte ihre kleine Hand und wollte Pläne schmieden; aber mit einem Male mußte sie wieder lachen. »Ich Kindskopf! Wer bürgt mir denn dafür, daß Crampas recht hat! Crampas ist unterhaltlich, weil er medisant ist, aber er ist unzuverlässig und ein bloßer Haselant, der schließlich Innstetten nicht das Wasser reicht.« In diesem Augenblick fuhr Innstetten vor, der heute früher zurückkam als gewöhnlich. Effi sprang auf, um ihn schon im Flur zu begrüßen, und war um so zärtlicher, je mehr sie das Gefühl hatte, etwas gutmachen zu müssen. Aber ganz konnte sie das, was Crampas gesagt hatte, doch nicht verwinden, und inmitten ihrer Zärtlichkeiten und während sie mit anscheinendem Interesse zuhörte, klang es in ihr immer wieder: »Also Spuk aus Berechnung, Spuk, um dich in Ordnung zu halten.« Zuletzt indessen vergaß sie's und ließ sich unbefangen von ihm erzählen. Inzwischen war Mitte November herangekommen, und der bis zum Sturm sich steigernde Nordwester stand anderthalb Tage lang so hart auf die Molen, daß die mehr und mehr zurückgestaute Kessine das Bollwerk überstieg und in die Straßen trat. Aber nachdem sich's ausgetobt, legte sich das Unwetter, und es kamen noch ein paar sonnige Spätherbsttage. »Wer weiß, wie lange sie dauern«, sagte Effi zu Crampas, und so beschloß man, am nächsten Vormittag noch einmal auszureiten; auch Innstetten, der einen freien Tag hatte, wollte mit. Es sollte zunächst wieder bis an die Mole gehen; da wollte man dann absteigen, ein wenig am Strand promenieren und schließlich im Schutz der Dünen, wo's windstill war, ein Frühstück nehmen. Um die festgesetzte Stunde ritt Crampas vor dem landrätlichen Hause vor; Kruse hielt schon das Pferd der gnädigen Frau, die sich rasch in den Sattel hob und noch im Aufsteigen Innstetten entschuldigte, der nun doch verhindert sei: Letzte Nacht wieder großes Feuer in Morgenitz − das dritte seit drei Wochen, also angelegt −, da habe er hingemußt, sehr zu seinem Leidwesen, denn er habe sich auf diesen Ausritt, der wohl der letzte in diesem Herbst sein werde, wirklich gefreut. Crampas sprach sein Bedauern aus, vielleicht nur, um was zu sagen, vielleicht aber auch aufrichtig, denn so rücksichtslos er im Punkte chevaleresker Liebesabenteuer war, so sehr war er auch wieder guter Kamerad. Natürlich alles ganz oberflächlich. Einem Freunde helfen und fünf Minuten später ihn betrügen, das waren Dinge, die sich mit seinem Ehrbegriff sehr wohl vertrugen. Er tat das eine und das andere mit unglaublicher Bonhomie. Der Ritt ging wie gewöhnlich durch die Plantage hin. Rollo war wieder vorauf, dann kamen Crampas und Effi, dann Kruse. Knut fehlte. »Wo haben Sie Knut gelassen?« »Er hat einen Ziegenpeter.« »Merkwürdig«, lachte Effi. »Eigentlich sah er schon immer so aus.« »Sehr richtig. Aber Sie sollten ihn jetzt sehen! Oder doch lieber nicht. Ziegenpeter ist ansteckend, schon bloß durch Anblick.« »Glaub ich nicht.« »Junge Frauen glauben vieles nicht.« »Und dann glauben sie wieder vieles, was sie besser nicht glaubten. «
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<strong>Theodor</strong> <strong>Fontane</strong> − <strong>Effi</strong> <strong>Briest</strong><br />
»Keine Ausweichungen, Major. Dies alles ist sehr wichtig für mich. Er ist Ihr Freund, und ich bin Ihre<br />
Freundin. Ich will wissen, wie hängt dies zusammen? Was denkt er sich dabei?«<br />
»Ja, meine gnädigste Frau, Gott sieht ins Herz, aber ein Major vom Landwehrbezirkskommando, der sieht in<br />
gar nichts. Wie soll ich solche psychologischen Rätsel lösen? Ich bin ein einfacher Mann.«<br />
»Ach, Crampas, reden Sie nicht so töricht. Ich bin zu jung, um eine große Menschenkennerin zu sein; aber ich<br />
müßte noch vor der Einsegnung und beinah vor der Taufe stehen, um Sie für einen einfachen Mann zu halten.<br />
Sie sind das Gegenteil davon, Sie sind gefährlich ... «<br />
»Das Schmeichelhafteste, was einem guten Vierziger mit einem a.D. auf der Karte gesagt werden kann. Und<br />
nun also, was sich Innstetten dabei denkt ... «<br />
<strong>Effi</strong> nickte.<br />
»Ja, wenn ich durchaus sprechen soll, er denkt sich dabei, daß ein Mann wie Landrat Baron Innstetten, der<br />
jeden Tag Ministerialdirektor oder dergleichen werden kann (denn glauben Sie mir, er ist hoch hinaus), daß<br />
ein Mann wie Baron Innstetten nicht in einem gewöhnlichen Hause wohnen kann, nicht in einer solchen Kate,<br />
wie die landrätliche Wohnung, ich bitte um Vergebung, gnädigste Frau, doch eigentlich ist. Da hilft er denn<br />
nach. Ein Spukhaus ist nie was Gewöhnliches ... Das ist das eine.«<br />
»Das eine? Mein Gott, haben Sie noch etwas?« »Ja.«<br />
»Nun denn, ich bin ganz Ohr. Aber wenn es sein kann, lassen Sie's was Gutes sein.«<br />
»Dessen bin ich nicht ganz sicher. Es ist etwas Heikles, beinah Gewagtes, und ganz besonders vor Ihren<br />
Ohren, gnädigste Frau.«<br />
»Das macht mich nur um so neugieriger.«<br />
»Gut denn. Also Innstetten, meine gnädigste Frau, hat außer seinem brennenden Verlangen, es koste, was es<br />
wolle, ja, wenn es sein muß, unter Heranziehung eines Spuks, seine Karriere zu machen, noch eine zweite<br />
Passion: Er operiert nämlich immer erzieherisch, ist der geborene Pädagog, und hätte, links Basedow und<br />
rechts Pestalozzi (aber doch kirchlicher als beide), eigentlich nach Schnepfenthal oder Bunzlau hingepaßt.«<br />
»Und will er mich auch erziehen? Erziehen durch Spuk?«<br />
»Erziehen ist vielleicht nicht das richtige Wort. Aber doch erziehen auf einem Umweg.«<br />
»Ich verstehe Sie nicht.«<br />
»Eine junge Frau ist eine junge Frau, und ein Landrat ist ein Landrat. Er kutschiert oft im Kreise umher, und<br />
dann ist das Haus allein und unbewohnt. Aber solch Spuk ist wie ein Cherub mit dem Schwert ... «<br />
»Ah, da sind wir wieder aus dem Wald heraus«, sagte <strong>Effi</strong>.<br />
»Und da ist Utpatels Mühle. Wir müssen nur noch an dem Kirchhof vorüber.«<br />
Gleich danach passierten sie den Hohlweg zwischen dem Kirchhof und der eingegitterten Stelle, und <strong>Effi</strong> sah<br />
nach dem Stein und der Tanne hinüber, wo der Chinese lag.<br />
Siebzehntes Kapitel<br />
Es schlug zwei Uhr, als man zurück war. Crampas verabschiedete sich und ritt in die Stadt hinein, bis er vor<br />
seiner am Marktplatz gelegenen Wohnung hielt. <strong>Effi</strong> ihrerseits kleidete sich um und versuchte zu schlafen; es<br />
wollte aber nicht glücken, denn ihre Verstimmung war noch größer als ihre Müdigkeit. Daß Innstetten sich