Theodor Fontane - Effi Briest
Theodor Fontane - Effi Briest
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<strong>Theodor</strong> <strong>Fontane</strong> − <strong>Effi</strong> <strong>Briest</strong><br />
»Es ist mir unbegreiflich. Und um bei dem stehenzubleiben, was ich Ihnen diesen Abend verdanke,<br />
beispielsweise bei dem Gespenstischen im 'Olaf', ich versichere Ihnen, wenn ich einen ängstlichen Traum<br />
habe oder wenn ich glaube, über mir hörte ich ein leises Tanzen oder Musizieren, während doch niemand da<br />
ist, oder es schleicht wer an meinem Bett vorbei, so bin ich außer mir und kann es tagelang nicht vergessen. «<br />
»Ja, meine gnädige Frau, was Sie da schildern und beschreiben, das ist auch etwas anderes, das ist ja wirklich<br />
oder kann wenigstens etwas Wirkliches sein. Ein Gespenst, das durch die Ballade geht, da graule ich mich gar<br />
nicht, aber ein Gespenst, das durch meine Stube geht, ist mir, geradeso wie andern, sehr unangenehm. Darin<br />
empfinden wir also ganz gleich.«<br />
»Haben Sie denn dergleichen auch einmal erlebt?«<br />
»Gewiß. Und noch dazu bei Kotschukoff. Und ich habe mir auch ausbedungen, daß ich diesmal anders<br />
schlafe, vielleicht mit der englischen Gouvernante zusammen. Das ist nämlich eine Quäkerin, und da ist man<br />
sicher.«<br />
»Und Sie halten dergleichen für möglich?«<br />
»Meine gnädigste Frau, wenn man so alt ist wie ich und viel rumgestoßen wurde und in Rußland war und<br />
sogar auch ein halbes Jahr in Rumänien, da hält man alles für möglich. Es gibt so viel schlechte Menschen,<br />
und das andere findet sich dann auch, das gehört dann sozusagen mit dazu.«<br />
<strong>Effi</strong> horchte auf.<br />
»Ich bin«, fuhr die Trippelli fort, »aus einer sehr aufgeklärten Familie (bloß mit Mutter war es immer nicht so<br />
recht), und doch sagte mir mein Vater, als das mit dem Psychographen aufkam: 'Höre, Mane, das ist was.' Und<br />
er hat recht gehabt, es ist auch was damit. Überhaupt, man ist links und rechts umlauert, hinten und vorn. Sie<br />
werden das noch kennenlernen. «<br />
In diesem Augenblick trat Gieshübler heran und bot <strong>Effi</strong> den Arm, Innstetten führte Marietta, dann folgten<br />
Pastor Lindequist und die verwitwete Trippel. So ging man zu Tisch.<br />
Zwölftes Kapitel<br />
Es war spät, als man aufbrach. Schon bald nach zehn hatte <strong>Effi</strong> zu Gieshübler gesagt, es sei nun wohl Zeit;<br />
Fräulein Trippelli, die den Zug nicht versäumen dürfe, müsse ja schon um sechs von Kessin aufbrechen; die<br />
danebenstehende Trippelli aber, die diese Worte gehört, hatte mit der ihr eigenen ungenierten Beredsamkeit<br />
gegen solche zarte Rücksichtnahme protestiert. »Ach, meine gnädigste Frau, Sie glauben, daß unsereins einen<br />
regelmäßigen Schlaf braucht, das trifft aber nicht zu; was wir regelmäßig brauchen, heißt Beifall und hohe<br />
Preise. Ja, lachen Sie nur. Außerdem (so was lernt man) kann ich auch im Coupé schlafen, in jeder Situation<br />
und sogar auf der linken Seite, und brauche nicht einmal das Kleid aufzumachen. Freilich bin ich auch nie<br />
eingepreßt; Brust und Lunge müssen immer frei sein und vor allem das Herz. Ja, meine gnädigste Frau, das ist<br />
die Hauptsache. Und dann das Kapitel Schlaf überhaupt − die Menge tut es nicht, was entscheidet, ist die<br />
Qualität; ein guter Nicker von fünf Minuten ist besser als fünf Stunden unruhige Rumdreherei, mal links, mal<br />
rechts. Übrigens schläft man in Rußland wundervoll, trotz des starken Tees. Es muß die Luft machen oder das<br />
späte Diner oder weil man so verwöhnt wird. Sorgen gibt es in Rußland nicht; darin − im Geldpunkt sind<br />
beide gleich − ist Rußland noch besser als Amerika.«<br />
Nach dieser Erklärung der Trippelli hatte <strong>Effi</strong> von allen Mahnungen zum Aufbruch Abstand genommen, und<br />
so war Mitternacht herangekommen. Man trennte sich heiter und herzlich und mit einer gewissen<br />
Vertraulichkeit. Der Weg von der Mohrenapotheke bis zur landrätlichen Wohnung war ziemlich weit; er<br />
kürzte sich aber dadurch, daß Pastor Lindequist bat, Innstetten und Frau eine Strecke begleiten zu dürfen; ein<br />
Spaziergang unterm Sternenhimmel sei das beste, um über Gieshüblers Rheinwein hinwegzukommen.<br />
Unterwegs wurde man natürlich nicht müde, die verschiedensten Trippelliana heranzuziehen; <strong>Effi</strong> begann mit<br />
dem, was ihr in Erinnerung geblieben, und gleich nach ihr kam der Pastor an die Reihe. Dieser, ein Ironikus,<br />
hatte die Trippelli, wie nach vielem sehr Weltlichen, so schließlich auch nach ihrer kirchlichen Richtung