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Theodor Fontane - Effi Briest

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<strong>Theodor</strong> <strong>Fontane</strong> − <strong>Effi</strong> <strong>Briest</strong><br />

vielleicht erst, wenn wir von Tisch aufgestanden sind ... «<br />

»Ich bitte Sie, Gieshübler! Sie, der Mann der Ästhetik. Es gibt nichts Unästhetischeres als einen<br />

Gesangsvortrag mit vollem Magen. Außerdem − und ich weiß, Sie sind ein Mann der ausgesuchten Küche, ja<br />

Gourmand −, außerdem schmeckt es besser, wenn man die Sache hinter sich hat. Erst Kunst und dann Nußeis,<br />

das ist die richtige Reihenfolge.«<br />

»Also ich darf Ihnen die Noten bringen, Marietta?«<br />

»Noten bringen. Ja, was heißt das, Gieshübler? Wie ich Sie kenne, werden Sie ganze Schränke voll Noten<br />

haben, und ich kann Ihnen doch nicht den ganzen Bock und Bote vorspielen. Noten! Was für Noten,<br />

Gieshübler, darauf kommt es an. Und dann, daß es richtig liegt, Altstimme ...«<br />

»Nun, ich werde schon bringen.«<br />

Und er machte sich an einem Schrank zu schaffen, ein Fach nach dem anderen herausziehend, während die<br />

Trippelli ihren Stuhl weiter links um den Tisch herum schob, so daß sie nun dicht neben <strong>Effi</strong> saß.<br />

»Ich bin neugierig, was er bringen wird«, sagte sie. <strong>Effi</strong> geriet dabei in eine kleine Verlegenheit.<br />

»Ich möchte annehmen«, antwortete sie befangen, »etwas von Gluck, etwas ausgesprochen Dramatisches ...<br />

Überhaupt, mein gnädiges Fräulein, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, ich bin überrascht zu hören,<br />

daß Sie lediglich Konzertsängerin sind. Ich dächte, daß Sie, wie wenige, für die Bühne berufen sein müßten.<br />

Ihre Erscheinung, Ihre Kraft, Ihr Organ ... ich habe noch so wenig derart kennengelernt, immer nur auf kurzen<br />

Besuchen in Berlin ... und dann war ich noch ein halbes Kind. Aber ich dächte, 'Orpheus' oder 'Chrimhild'<br />

oder die 'Vestalin'.«<br />

Die Trippelli wiegte den Kopf und sah in Abgründe, kam aber zu keiner Entgegnung, weil eben jetzt<br />

Gieshübler wieder erschien und ein halbes Dutzend Notenhefte vorlegte, die seine Freundin in rascher<br />

Reihenfolge durch die Hand gleiten ließ. »'Erlkönig' ... ah, bah; 'Bächlein, laß dein Rauschen sein ...' Aber<br />

Gieshübler, ich bitte Sie, Sie sind ein Murmeltier, Sie haben sieben Jahre lang geschlafen ... Und hier<br />

Loewesche Balladen; auch nicht gerade das Neueste.<br />

'Glocken von Speyer' ... Ach, dies ewige Bim−Bam, das beinah einer Kulissenreißerei gleichkommt, ist<br />

geschmacklos und abgestanden. Aber hier, 'Ritter Olaf' ... nun, das geht.«<br />

Und sie stand auf, und während der Pastor begleitete, sang sie den »Olaf« mit großer Sicherheit und Bravour<br />

und erntete allgemeinen Beifall.<br />

Es wurde dann noch ähnlich Romantisches gefunden, einiges aus dem »Fliegenden Holländer« und aus<br />

»Zampa«, dann der »Heideknabe«, lauter Sachen, die sie mit ebensoviel Virtuosität wie Seelenruhe vortrug,<br />

während <strong>Effi</strong> von Text und Komposition wie benommen war.<br />

Als die Trippelli mit dem »Heideknaben« fertig war, sagte sie: »Nun ist es genug«, eine Erklärung, die so<br />

bestimmt von ihr abgegeben wurde, daß weder Gieshübler noch ein anderer den Mut hatte, mit weiteren<br />

Bitten in sie zu dringen. Am wenigsten <strong>Effi</strong> Diese sagte nur, als Gieshüblers Freundin wieder neben ihr saß:<br />

»Daß ich Ihnen doch sagen könnte, mein gnädigstes Fräulein, wie dankbar ich Ihnen bin! Alles so schön, so<br />

sicher, so gewandt. Aber eines, wenn Sie mir verzeihen, bewundere ich fast noch mehr, das ist die Ruhe,<br />

womit Sie diese Sachen vorzutragen wissen. Ich bin so leicht Eindrücken hingegeben, und wenn ich die<br />

kleinste Gespenstergeschichte höre, so zittere ich und kann mich kaum wieder zurechtfinden. Und Sie tragen<br />

das so mächtig und erschütternd vor und sind selbst ganz heiter und guter Dinge.«<br />

»Ja, meine gnädigste Frau, das ist in der Kunst nicht anders. Und nun gar erst auf dem Theater, vor dem ich<br />

übrigens glücklicherweise bewahrt geblieben bin. Denn so gewiß ich mich persönlich gegen seine<br />

Versuchungen gefeit fühle − es verdirbt den Ruf, also das Beste, was man hat. Im übrigen stumpft man ab,<br />

wie mir Kolleginnen hundertfach versichert haben. Da wird vergiftet und erstochen, und der toten Julia<br />

flüstert Romeo einen Kalauer ins Ohr oder wohl auch eine Malice, oder er drückt ihr einen kleinen Liebesbrief<br />

in die Hand.«

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