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Theodor Fontane - Effi Briest

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<strong>Theodor</strong> <strong>Fontane</strong> − <strong>Effi</strong> <strong>Briest</strong><br />

anderen Seite hin blitzte der Kroschentiner Kirchturm auf und weithin der Morgenitzer, und da saßen die<br />

Grasenabbs und die Borckes, nicht die Bellings und nicht die <strong>Briest</strong>s. »Ja, die!« Innstetten hatte ganz recht<br />

gehabt mit dem raschen Wechsel ihrer Stimmung, und sie sah jetzt wieder alles, was zurücklag, wie in einer<br />

Verklärung. Aber so gewiß sie voll Sehnsucht dem Zug nachgesehen, sie war doch andererseits viel zu<br />

beweglichen Gemüts, um lange dabei zu verweilen, und schon auf der Heimfahrt, als der rote Ball der<br />

niedergehenden Sonne seinen Schimmer über den Schnee ausgoß, fühlte sie sich wieder freier; alles erschien<br />

ihr schön und frisch, und als sie, nach Kessin zurückgekehrt, fast mit dem Glockenschlag sieben in den<br />

Gieshüblerschen Flur eintrat, war ihr nicht bloß behaglich, sondern beinah übermütig zu Sinn, wozu die das<br />

Haus durchziehende Baldrian− und Veilchenwurzelluft das ihrige beitragen mochte.<br />

Pünktlich waren Innstetten und Frau erschienen, aber trotz dieser Pünktlichkeit immer noch hinter den<br />

anderen Geladenen zurückgeblieben; Pastor Lindequist, die alte Frau Trippel und die Trippelli selbst waren<br />

schon da. Gieshübler − im blauen Frack mit mattgoldenen Knöpfen, dazu Pincenez an einem breiten,<br />

schwarzen Bande, das wie ein Ordensband auf der blendendweißen Piquéweste lag −, Gieshübler konnte<br />

seiner Erregung nur mit Mühe Herr werden. »Darf ich die Herrschaften miteinander bekannt machen: Baron<br />

und Baronin Innstetten, Frau Pastor Trippel, Fräulein Marietta Trippelli.« Pastor Lindequist, den alle kannten,<br />

stand lächelnd beiseite.<br />

Die Trippelli, Anfang der Dreißig, stark männlich und von ausgesprochen humoristischem Typus, hatte bis zu<br />

dem Momente der Vorstellung den Sofaehrenplatz innegehabt. Nach der Vorstellung aber sagte sie, während<br />

sie auf einen in der Nähe stehenden Stuhl mit hoher Lehne zuschritt: »Ich bitte Sie nunmehro, gnäd'ge Frau,<br />

die Bürden und Fährlichkeiten Ihres Amtes auf sich nehmen zu wollen. Denn von 'Fährlichkeiten'« − und sie<br />

wies auf das Sofa − »wird sich in diesem Falle wohl sprechen lassen. Ich habe Gieshübler schon vor Jahr und<br />

Tag darauf aufmerksam gemacht, aber leider vergeblich; so gut er ist, so eigensinnig ist er auch.«<br />

»Aber Marietta ... «<br />

»Dieses Sofa nämlich, dessen Geburt um wenigstens fünfzig Jahre zurückliegt, ist noch nach einem<br />

altmodischen Versenkungsprinzip gebaut, und wer sich ihm anvertraut, ohne vorher einen Kissenturm<br />

untergeschoben zu haben, sinkt ins Bodenlose, jedenfalls aber gerade tief genug, um die Knie wie ein<br />

Monument aufragen zu lassen.« All dies wurde seitens der Trippelli mit ebensoviel Bonhomie wie Sicherheit<br />

hingesprochen, in einem Ton, der ausdrücken sollte: »Du bist die Baronin Innstetten, ich bin die Trippelli.«<br />

Gieshübler liebte seine Künstlerfreundin enthusiastisch und dachte hoch von ihren Talenten; aber all seine<br />

Begeisterung konnte ihn doch nicht blind gegen die Tatsache machen, daß ihr von gesellschaftlicher Feinheit<br />

nur ein bescheidenes Maß zuteil geworden war. Und diese Feinheit war gerade das, was er persönlich<br />

kultivierte. »Liebe Marietta«, nahm er das Wort, »Sie haben eine so reizend heitere Behandlung solcher<br />

Fragen; aber was mein Sofa betrifft, so haben Sie wirklich unrecht, und jeder Sachverständige mag zwischen<br />

uns entscheiden. Selbst ein Mann wie Fürst Kotschukoff ...«<br />

»Ach, ich bitt Sie, Gieshübler, lassen Sie doch den. Immer Kotschukoff. Sie werden mich bei der gnäd'gen<br />

Frau hier noch in den Verdacht bringen, als ob ich bei diesem Fürsten − der übrigens nur zu den kleineren<br />

zählt und nicht mehr als tausend Seelen hat, das heißt hatte (früher, wo die Rechnung noch nach Seelen ging)<br />

−, als ob ich stolz wäre, seine tausendundeinste Seele zu sein. Nein, es liegt wirklich anders; 'immer freiweg',<br />

Sie kennen meine Devise, Gieshübler. Kotschukoff ist ein guter Kamerad und mein Freund, aber von Kunst<br />

und ähnlichen Sachen versteht er gar nichts, von Musik gewiß nicht, wiewohl er Messen und Oratorien<br />

komponiert − die meisten russischen Fürsten, wenn sie Kunst treiben, fallen ein bißchen nach der geistlichen<br />

oder orthodoxen Seite hin −, und zu den vielen Dingen, von denen er nichts versteht, gehören auch unbedingt<br />

Einrichtungs− und Tapezierfragen. Er ist gerade vornehm genug, um sich alles als schön aufreden zu lassen,<br />

was bunt aussieht und viel Geld kostet.«<br />

Innstetten amüsierte sich, und Pastor Lindequist war in einem allersichtlichsten Behagen. Die gute alte Trippel<br />

aber geriet über den ungenierten Ton ihrer Tochter aus einer Verlegenheit in die andere, während Gieshübler<br />

es für angezeigt hielt, eine so schwierig werdende Unterhaltung zu kupieren. Dazu waren etliche<br />

Gesangspiecen das beste. Daß Marietta Lieder von anfechtbarem Inhalt wählen würde, war nicht anzunehmen,<br />

und selbst wenn dies sein sollte, so war ihre Vortragskunst so groß, daß der Inhalt dadurch geadelt wurde.<br />

»Liebe Marietta«, nahm er also das Wort, »ich habe unser kleines Mahl zu acht Uhr bestellt. Wir hätten also<br />

noch dreiviertel Stunden, wenn Sie nicht vielleicht vorziehen, während Tisch ein heitres Lied zu singen oder

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