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Theodor Fontane - Effi Briest

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<strong>Theodor</strong> <strong>Fontane</strong> − <strong>Effi</strong> <strong>Briest</strong><br />

den Wunsch, es dann und wann sehen zu dürfen, nicht heimlich und verstohlen, sondern mit Wissen und<br />

Zustimmung aller Beteiligten.«<br />

»Unter Wissen und Zustimmung aller Beteiligten«, wiederholte die Ministerin <strong>Effi</strong>s Worte. »Das heißt also<br />

unter Zustimmung Ihres Herrn Gemahls. Ich sehe, daß seine Erziehung dahin geht, das Kind von der Mutter<br />

fernzuhalten, ein Verfahren, über das ich mir kein Urteil erlaube. Vielleicht, daß er recht hat; verzeihen Sie<br />

mir diese Bemerkung, gnädige Frau.«<br />

<strong>Effi</strong> nickte.<br />

»Sie finden sich selbst in der Haltung Ihres Herrn Gemahls zurecht und verlangen nur, daß einem natürlichen<br />

Gefühl, wohl dem schönsten unserer Gefühle (wenigstens wir Frauen werden uns darin finden), sein Recht<br />

werde. Treff ich es darin?«<br />

»In allem.«<br />

»Und so soll ich denn die Erlaubnis zu gelegentlichen Begegnungen erwirken, in Ihrem Hause, wo Sie<br />

versuchen können, sich das Herz Ihres Kindes zurückzuerobern.«<br />

<strong>Effi</strong> drückte noch einmal ihre Zustimmung aus, während die Ministerin fortfuhr: »Ich werde also tun, meine<br />

gnädigste Frau, was Ich tun kann. Aber wir werden es nicht eben leicht haben. Ihr Herr Gemahl, verzeihen<br />

Sie, daß ich ihn nach wie vor so nenne, ist ein Mann der nicht nach Stimmungen und Laune, sondern nach<br />

Grundsätzen handelt und diese fallenzulassen oder auch nur momentan aufzugeben, wird ihn hart ankommen.<br />

Läg' es nicht so, so wäre seine Handlungs− und Erziehungsweise längst eine andere gewesen. Das, was hart<br />

für Ihr Herz ist, hält er für richtig.«<br />

»So meinen Exzellenz vielleicht, es wäre besser, meine Bitte zurückzunehmen?«<br />

»Doch nicht. Ich wollte nur das Tun Ihres Herrn Gemahls erklären, um nicht zu sagen rechtfertigen, und<br />

wollte zugleich die Schwierigkeiten andeuten, auf die wir aller Wahrscheinlichkeit nach stoßen werden. Aber<br />

ich denke, wir zwingen es trotzdem. Denn wir Frauen, wenn wir's klug einleiten und den Bogen nicht<br />

überspannen, wissen mancherlei durchzusetzen. Zudem gehört Ihr Herr Gemahl zu meinen besonderen<br />

Verehrern, und er wird mir eine Bitte, die ich an ihn richte, nicht wohl abschlagen. Wir haben morgen einen<br />

kleinen Zirkel, auf dem ich ihn sehe, und übermorgen früh haben Sie ein paar Zeilen von mir, die Ihnen sagen<br />

werden, ob ich's klug, das heißt glücklich eingeleitet oder nicht. Ich denke, wir siegen in der Sache, und Sie<br />

werden Ihr Kind wiedersehen und sich seiner freuen. Es soll ein sehr schönes Mädchen sein. Nicht zu<br />

verwundern.«<br />

Dreiunddreißigstes Kapitel<br />

Am zweitfolgenden Tage trafen, wie versprochen, einige Zeilen ein, und <strong>Effi</strong> las: »Es freut mich, liebe<br />

gnädige Frau, Ihnen gute Nachricht geben zu können. Alles ging nach Wunsch; Ihr Herr Gemahl ist zu sehr<br />

Mann von Welt, um einer Dame eine von ihr vorgetragene Bitte abschlagen zu können; zugleich aber − auch<br />

das darf ich Ihnen nicht verschweigen −, ich sah deutlich, daß sein 'Ja' nicht dem entsprach, was er für klug<br />

und recht hält. Aber kritteln wir nicht, wo wir uns freuen sollen. Ihre Annie, so haben wir es verabredet, wird<br />

über Mittag kommen, und ein guter Stern stehe über Ihrem Wiedersehen.«<br />

Es war mit der zweiten Post, daß <strong>Effi</strong> diese Zeilen empfing, und bis zu Annies Erscheinen waren mutmaßlich<br />

keine zwei Stunden mehr. Eine kurze Zeit, aber immer noch zu lang, und <strong>Effi</strong> schritt in Unruhe durch beide<br />

Zimmer und dann wieder in die Küche, wo sie mit Roswitha von allem möglichen sprach: von dem Efeu<br />

drüben an der Christuskirche, nächstes Jahr würden die Fenster wohl ganz zugewachsen sein, von dem<br />

Portier, der den Gashahn wieder so schlecht zugeschraubt habe (sie würden doch noch nächstens in die Luft<br />

fliegen), und daß sie das Petroleum doch lieber wieder aus der großen Lampenhandlung Unter den Linden als<br />

aus der Anhaltstraße holen solle − von allem möglichen sprach sie, nur von Annie nicht, weil sie die Furcht<br />

nicht aufkommen lassen wollte, die trotz der Zeilen der Ministerin, oder vielleicht auch um dieser Zeilen<br />

willen, in ihr lebte.

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