Junge Bühne #4 - Mwk-koeln.de
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das junge Theatermagazin<br />
<strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bühne</strong><br />
<strong>#4</strong><br />
September 2010<br />
4. Jahrgang<br />
RUBRIK<br />
THEATERCOMIC<br />
DAS BLAUE<br />
BLAUE MEER<br />
von Nis-Momme<br />
Stockmann<br />
THEATER IN<br />
CHINA+<br />
INDIEN<br />
WIE FUNKTIONIERT<br />
IMPRO-<br />
THEATER
KINDER- UND JUGENDTHEATER<br />
SOWIE KONZERTE<br />
KRISE<br />
ALS<br />
CHANCE<br />
?<br />
SPIELZEIT 2010/2011<br />
PUNK ROCK<br />
SIMON STEPHENS<br />
Inszenierung Matthias Kaschig; ab 14 Jahre<br />
29. OKTOBER 2010, TiC FÜR KIDS<br />
DER RÄUBER HOTZENPLOTZ<br />
OTFRIED PREUSSLER<br />
Inszenierung Marcus Mislin; ab 5 Jahre<br />
18. NOVEMBER 2010, GROSSES HAUS<br />
1. KONZERT FÜR JUNGE LEUTE<br />
OPER VORGESTELLT: „DIE VERKAUFTE BRAUT“<br />
VON BEDŘICH SMETANA<br />
24. UND 25. NOVEMBER 2010, GROSSES HAUS<br />
1. KINDERKONZERT<br />
NUSSKNACKER UND MAUSEKÖNIG<br />
MUSIKALISCHES WEIHNACHTSMÄRCHEN<br />
FÜR ERZÄHLER UND ORCHESTER<br />
MIT MUSIK VON PJOTR I. TSCHAIKOWSKIJ; ab 6 Jahre<br />
4. DEZEMBER 2010, KLEINES HAUS<br />
WEITERE PROGRAMME UND TERMINE IN PLANUNG<br />
2. KONZERT FÜR JUNGE LEUTE<br />
FILMMUSIK – „ORIGINAL UND FÄLSCHUNG“<br />
MIT WERKEN VON GUSTAV HOLST, JOHN WILLIAMS U. A.<br />
20. UND 21. JANUAR 2011, GROSSES HAUS<br />
3. KONZERT FÜR JUNGE LEUTE<br />
AUFTRAGSKOMPOSITIONEN –<br />
„ … IHR GEHORSAMER DIENER …“<br />
MIT WERKEN VON WOLFGANG AMADEUS MOZART,<br />
JOSEPH HAYDN, JOHN WILLIAMS U. A.<br />
16. UND 17. FEBRUAR 2011, GROSSES HAUS<br />
NUR EIN TAG<br />
MARTIN BALTSCHEIT<br />
Inszenierung Joachim von Burchard; ab 6 Jahre<br />
26. FEBRUAR 2011, TiC FÜR KIDS<br />
4. KONZERT FÜR JUNGE LEUTE<br />
„BILDER EINER AUSSTELLUNG“<br />
VON MODEST MUSSORGSKIJ<br />
(ORCHESTERFASSUNG VON MAURICE RAVEL)<br />
30. UND 31. MÄRZ 2011, GROSSES HAUS<br />
TO DO ! JUGENDCLUBPRODUKTION<br />
Leitung Mirko Schombert<br />
29. APRIL 2011, TiC FÜR KIDS<br />
KINDEROPER<br />
DER UNSICHTBARE VATER<br />
JULIANE KLEIN; ab 8 Jahre<br />
TERMIN IN PLANUNG<br />
Gestaltung: www.nordisk-buero.com<br />
IM<br />
PRESS<br />
UM<br />
Herausgeber:<br />
Deutscher <strong>Bühne</strong>nverein<br />
Bun<strong>de</strong>sverband <strong>de</strong>r<br />
Theater und Orchester<br />
www.buehnenverein.<strong>de</strong><br />
Redaktion:<br />
Die Deutsche <strong>Bühne</strong><br />
(verantw.: Detlef Bran<strong>de</strong>nburg)<br />
www.die-<strong>de</strong>utsche-buehne.<strong>de</strong><br />
Dr. Detlev Baur<br />
Mitarbeit: Elisa Giesecke,<br />
Ulrike Lehmann, Lena Oehler,<br />
Regine Reiters, Vera Scory,<br />
Bettina Weber<br />
Grafik und Realisation:<br />
www.mwk-<strong>koeln</strong>.<strong>de</strong><br />
Druck:<br />
www.moellerdruck.<strong>de</strong><br />
Anzeigen:<br />
Monika Kusche<br />
Im Lingesfeld 42,<br />
D-47877 Willich,<br />
Telefon 02154-429051,<br />
Telefax 02154-41705,<br />
verlag.kusche@t-online.<strong>de</strong><br />
Titelbild:<br />
Figurine zum Theatercomic<br />
»Das blaue blaue Meer«,<br />
von Michael Marks<br />
Autorenfotos rechts:<br />
Privat, privat,<br />
Christian Hartmann<br />
Inhalt <strong>#4</strong><br />
Schauspieler im Gespräch ± 6<br />
Die Kölner Schauspieler Lina Beckmann<br />
und Carlo Ljubek befragt von zwei<br />
Nachwuchs-Kandidatinnen<br />
Improtheater ± 14<br />
Was ist eigentlich Improtheater?<br />
Tanz-Porträt ± 20<br />
Der Choreograf Stephan Thoss<br />
Alte junge bühne ± 24<br />
Blick zurück: In <strong>de</strong>n 1920er Jahren gab es<br />
schon einmal eine »junge bühne«...<br />
Spielzeittagebuch ± 28<br />
Die vergangene Spielzeit am Staatstheater<br />
Ol<strong>de</strong>nburg aus Sicht einer Schülerin<br />
Theatercomic ± 35<br />
Neues Drama illustriert:<br />
»Das blaue blaue Meer« von Nis-Momme Stockmann<br />
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -<br />
Schwerpunktthema Weite Welt<br />
Begegnungen mit einem ± 42<br />
an<strong>de</strong>ren Kontinent<br />
Zum Austausch <strong>de</strong>s Mannheimer Theaters<br />
Schnawwl mit einem Theater aus Indien<br />
Von Afrika lernen! ± 50<br />
Christoph Schlingensiefs Afrika-Projekt<br />
Applaus auf Chinesisch ± 52<br />
Bericht von einem Gastspiel <strong>de</strong>r Münchner<br />
Theateraka<strong>de</strong>mie in Shanghai<br />
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -<br />
Wagner Rap ± 58<br />
Der »Rap <strong>de</strong>s Nibelungen« am Theater Freiburg<br />
Ramba Zamba ± 66<br />
Theater von und mit Menschen mit Behin<strong>de</strong>rung<br />
Beruf Maskenbildnerin ± 72<br />
Gestalter im Hintergrund<br />
Krass und Kurios ± 76<br />
Vermischte Meldungen aus <strong>de</strong>r Theaterwelt<br />
RUBRIK<br />
Mona<br />
vom Dahl<br />
Marie<br />
Jelenka<br />
Kirchner<br />
Matthias<br />
Renger<br />
± 14<br />
3<br />
± 28<br />
± 52<br />
Die junge bühne ist eine kostenlose Theaterzeitschrift für Zuschauer und Aktive ab 16 Jahre. Sie erscheint einmal im Jahr als Heft und ist ständig aktuell im Internet ± www.die-junge-buehne.dE
schon aufgeregt?<br />
starke geschichten 2010/11<br />
EDITORIAL<br />
Rico, oskaR und<br />
die TiefeRschaTTen<br />
von Andreas Steinhöfel<br />
<strong>Bühne</strong>nfassung von Felicitas Loewe<br />
PRemieRe 16. September 2010<br />
michael kohlhaas<br />
von James Saun<strong>de</strong>rs nach Heinrich von Kleist<br />
PRemieRe 07. November 2010<br />
PünkTchen und<br />
anTon<br />
nach Erich Kästner<br />
mit Lie<strong>de</strong>rn von Thomas Zaufke (Musik)<br />
und Franziska Steiof (Texte)<br />
PRemieRe 14. November 2010<br />
EinE gEmEinsamE Produktion<br />
mit dEm düssEldorfEr schausPiElhaus<br />
ehRensache<br />
von Lutz Hübner<br />
PRemieRe Februar 2011<br />
aschenbRö<strong>de</strong>l<br />
von Jewgeni Schwarz<br />
PRemieRe März 2011<br />
Das vierte Heft <strong>de</strong>r jungen bühne: Weite Welt<br />
Im Mittelpunkt <strong>de</strong>r vierten Ausgabe <strong>de</strong>r jungen bühne<br />
steht das Theater im Ausland. Denn so einzigartig in<br />
ihrer Fülle und ihrem künstlerischen Reichtum die<br />
<strong>de</strong>utsche Theaterszene ist, es gibt auch ein Theaterleben<br />
außerhalb. Und das ist oft nicht nur sehr<br />
beeindruckend, son<strong>de</strong>rn kann unseren <strong>de</strong>utschen<br />
o<strong>de</strong>r mitteleuropäischen Blick auf die Welt verän<strong>de</strong>rn.<br />
Theater zu machen o<strong>de</strong>r zu sehen ist wie auf<br />
Reisen zu gehen: Bei<strong>de</strong>s bringt im besten Fall anregen<strong>de</strong><br />
Abenteuer und hilft, unseren Platz in <strong>de</strong>r Welt<br />
zu erkennen – gera<strong>de</strong> dadurch, dass wir ihn in Frage<br />
stellen. Umso mehr kann ein Reisen mit <strong>de</strong>m Theater,<br />
können Theater-Reisen unser Leben bereichern.<br />
Das wollen wir in <strong>de</strong>m Heft reflektieren.<br />
Und für alle, die es noch nicht wissen:<br />
Auf www.die-junge-buehne.<strong>de</strong> gibt es das ganze Jahr<br />
weitere Artikel und Nachrichten und unseren großen<br />
Festival-Blog. Außer<strong>de</strong>m könnt ihr die junge bühne<br />
inzwischen auch auf Twitter und Facebook besuchen<br />
und euch dort über aktuelle Themen informieren<br />
o<strong>de</strong>r aktiv an Diskussionen beteiligen. Eure Redaktion<br />
-----------------------------------------------<br />
5<br />
Dennoch vergessen wir <strong>de</strong>n heimischen Alltag nicht<br />
und blicken wie<strong>de</strong>r auf Stars auf <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong> und<br />
Macher hinter <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong>, schauen zurück in <strong>de</strong>r<br />
Geschichte, berichten von Theater ohne festen Text<br />
und haben wie<strong>de</strong>r versucht, ein Theaterstück (diesmal<br />
ein ganz neues) als Comic in Szene zu setzen.<br />
-----------------------------------------------<br />
www.junges-schauspielhaus.<strong>de</strong><br />
münsTeRsTRasse 446<br />
40470 düsseldoRf<br />
kaRTen: 0211.85 23 710
interview<br />
7<br />
6Keine<br />
Angst<br />
auf <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong><br />
alle fotos dieses artikels: sandra then
Interview mit <strong>de</strong>n Schauspielern<br />
Lina Beckmann und Carlo Ljubek<br />
Interview von Martina Lisiecki und Miriam Kalkreuth. Sie wollen Bei<strong>de</strong> schauspielerinnen wer<strong>de</strong>n.<br />
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Bei<strong>de</strong> sind Ensemblemitglie<strong>de</strong>r am Schauspiel Köln.<br />
Lina Beckmann wur<strong>de</strong> 1981 in Hagen geboren und<br />
kam nach Ihrer Ausbildung an <strong>de</strong>r Westfälischen<br />
Schauspielschule Bochum ans Schauspielhaus<br />
Bochum und das Schauspielhaus Zürich.<br />
Carlo Ljubek wur<strong>de</strong> 1976 in Bocholt geboren. Der<br />
Ausbildung an <strong>de</strong>r Otto-Falckenberg-Schule<br />
in München folgten Engagements an <strong>de</strong>n<br />
Münchner Kammerspielen und <strong>de</strong>m Staatstheater<br />
Wiesba<strong>de</strong>n. Auch er wechselte<br />
mit Intendantin Karin Beier 2007 ans<br />
Schauspiel Köln. www.schauspiel<strong>koeln</strong>.<strong>de</strong><br />
interview<br />
8<br />
Miriam und ich sind uns sicher, dass wir eine Schauspielausbildung<br />
machen wollen. Erinnert ihr euch daran, wie das bei euch nach <strong>de</strong>r<br />
Schulzeit war? Wusstet ihr sofort, was ihr machen wollt?<br />
Lina Beckmann: Ich habe gar kein Abi gemacht, son<strong>de</strong>rn wusste<br />
schon vorher, dass ich abgehe und Theater spielen möchte. Ich<br />
konnte nichts an<strong>de</strong>res beson<strong>de</strong>rs gut, we<strong>de</strong>r Mathe, noch Zeichnen,<br />
mir hat nur das Theaterspielen gefallen. Ich habe auch nur<br />
einmal an <strong>de</strong>r Bochumer Schauspielschule vorgesprochen und<br />
wur<strong>de</strong> gleich genommen.<br />
Wow, das spricht ja für <strong>de</strong>in Talent.<br />
Lina Beckmann: Es hat einfach gepasst. In München hätten sie mich<br />
vielleicht nicht genommen.<br />
Carlo Ljubek: Nach <strong>de</strong>m Realschulabschluss habe ich in München<br />
eine Ausbildung zum Industriekaufmann gemacht. Gearbeitet<br />
habe ich in diesem Beruf nie. Ich habe mich eigentlich schon als<br />
Fußballprofi gesehen, aber dafür hat es lei<strong>de</strong>r nicht gereicht. Dann<br />
habe ich etwas gesucht, was ähnlich intensiv ist und an das ich<br />
glauben kann. Mit Theater hatte ich bis dahin gar nichts am Hut,<br />
ich hatte vielleicht drei Aufführungen gesehen.<br />
Hast du oft vorgesprochen?<br />
Carlo Ljubek: Nein, ich habe an drei Schulen vorgesprochen, das es<br />
nur drei waren, hatte sehr viel mit Glück zu tun. Ich war so naiv,<br />
bin mit meiner Gitarre hingefahren, habe Liedchen gesungen.<br />
Natürlich hab’ ich auch Vorsprechrollen einstudiert, ohne die<br />
geht es nicht.<br />
Das wür<strong>de</strong> ich auch so machen.<br />
Carlo Ljubek: Es gibt genauso Leute, die 15-mal vorgesprochen<br />
haben und die jetzt an tollen Theatern spielen. Man sollte sich also<br />
nicht so schnell entmutigen lassen.<br />
Wie war es dann an <strong>de</strong>r Schauspielschule?<br />
Carlo Ljubek: Während <strong>de</strong>r Ausbildung arbeitet man ganz an<strong>de</strong>rs<br />
als später am Theater. Zunächst war mir das Vokabular <strong>de</strong>r<br />
Schauspieldozenten völlig fremd. Zum Beispiel hieß es »Sie<br />
müssen mehr Farben spielen« und ich habe ernsthaft darüber<br />
nachgedacht, wie man ‚blau’ o<strong>de</strong>r ‚rot’ spielt. Erst später habe ich<br />
gelernt, dass Farben spielen ja nichts an<strong>de</strong>res heißt, als dass es<br />
viele verschie<strong>de</strong>ne Möglichkeiten gibt, ein und dieselbe Gefühlslage<br />
auf <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong> zu zeigen. Und dieser Anspruch wächst auch<br />
nach <strong>de</strong>r Schule weiter.<br />
Ich habe gehört, dass viele nach <strong>de</strong>r Ausbildung, wenn sie nicht gleich<br />
ein Engagement bekommen, erst einmal in ein Loch fallen.<br />
Lina Beckmann: Bei mir lief das eigentlich alles reibungslos. Nach<br />
<strong>de</strong>r Schule hat mich Matthias Hartmann ans Bochumer Schauspielhaus<br />
geholt, von dort bin ich nach Zürich gegangen und<br />
danach mit Karin Beier nach Köln gekommen. Ich bin nie ohne<br />
Arbeit gewesen und hatte dadurch auch keine Zeit zu grübeln, ob<br />
das nun <strong>de</strong>r richtige Beruf ist. Ich dachte nur, es funktioniert, also<br />
ist es auch richtig. Allerdings: Umstellen musste ich mich nach <strong>de</strong>r<br />
Schauspielschule schon. Wenn man am Theater am Anfang nur<br />
eine winzige Rolle bekam, o<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Regisseur nicht klar kam,<br />
o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Applaus nur mäßig war, ging man doch ziemlich geknickt<br />
nach Hause. Das kann schon frustrierend sein und ist<br />
manchmal nicht erfüllend.<br />
Gibt es auch Momente, wo ihr durchhängt, keine Lust mehr habt?<br />
Carlo Ljubek: Klar, die Arbeit besteht nicht immer nur aus Spaß.<br />
Lina Beckmann: Es gibt oft Momente, in <strong>de</strong>nen ich <strong>de</strong>nke, ich mag<br />
nicht mehr. Man weiß zwar eigentlich, das ist das Richtige, aber<br />
man begegnet auch Menschen, mit <strong>de</strong>nen es schwierig ist, muss<br />
sich so oft am Riemen reißen und sich gleichzeitig aber öffnen<br />
und so viel von sich preisgeben.<br />
Aber trotz<strong>de</strong>m zahlt es sich doch am En<strong>de</strong> aus, o<strong>de</strong>r nicht?<br />
Lina Beckmann: Nein, manchmal nicht.<br />
Gäbe es <strong>de</strong>nn überhaupt Alternativen für euch?<br />
Lina Beckmann: Für mich eben nicht, weil ich ja nichts an<strong>de</strong>res<br />
kann.<br />
Carlo Ljubek: Für mich auch nicht, aber natürlich <strong>de</strong>nkt man<br />
manchmal darüber nach, gera<strong>de</strong> wenn man frustriert ist.<br />
Wür<strong>de</strong>t ihr von euch sagen, ihr seid Rampensäue?<br />
Lina Beckmann: Ich habe keine Angst auf <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong>, sagen wir so.<br />
Carlo Ljubek: Wenn Du’s so sagt, stimmt das auch für mich.<br />
Könnt ihr problemlos zwischen euch als Privatperson und <strong>de</strong>r Rolle<br />
trennen o<strong>de</strong>r habt ihr manchmal das Gefühl, dass etwas von einer Figur<br />
an euch hängen bleibt?<br />
Lina Beckmann: Das ist schwierig, <strong>de</strong>nn alles, was ich mache, bin<br />
ich ja. Ich versuche immer, ganz viel von mir in eine Rolle zu<br />
packen. Ich kenne dieses Trennen gar nicht. Ich löse mich aber<br />
auch nicht auf, son<strong>de</strong>rn benutze mich einfach nur für die Rolle.<br />
9
10<br />
interview<br />
Carlo Ljubek: Es gibt Erfahrungen mit Energien, wür<strong>de</strong> ich<br />
sagen. Ich weiß nicht, ob das dann die Rolle ist, die an einem<br />
kleben bleibt. Ich erinnere mich an ein Erlebnis, als ich in<br />
München an <strong>de</strong>r Schauspielschule <strong>de</strong>n Mercutio in »Romeo<br />
und Julia« geprobt hatte. Ich fuhr mit <strong>de</strong>m Fahrrad über die<br />
Donnersbergerbrücke, als mir ein Typ eine Ohrfeige angedroht<br />
hat. Ich bin von meinem Fahrrad gesprungen, auf ihn<br />
zu und habe ihn angebrüllt, was das soll. Der ist sofort abgehauen.<br />
Ich habe mich dann wie<strong>de</strong>r auf mein Fahrrad gesetzt<br />
und dachte nur: »Was war das jetzt?« Denn ich mache so<br />
etwas eigentlich nicht. Das war aber nicht die Rolle – ich<br />
glaube nicht, dass man die mitnimmt –, son<strong>de</strong>rn die Energie.<br />
Lina Beckmann: Für mich ist es nicht <strong>de</strong>r Sinn <strong>de</strong>s Schauspielerberufs,<br />
jeman<strong>de</strong>n ganz an<strong>de</strong>ren zu spielen. Das nehmen<br />
mir die Leute gar nicht ab. Wie kann ich <strong>de</strong>nn berühren mit<br />
etwas, was ich gar nicht bin.<br />
Es gibt aber sicherlich Momente auf <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong>, die ihr selbst noch<br />
nicht erlebt habt? Wie geht man da ran?<br />
Carlo Ljubek: Das ist immer nur eine Annäherung. Man kann<br />
ja vieles, was man spielt, gar nicht aus eigener Erfahrung<br />
kennen. Es geht auch nicht darum, sich an etwas zu erinnern,<br />
ich versuche, mich diesen Situationen bzw. einem Gefühl<br />
anzunähern.<br />
Habt ihr <strong>de</strong>nn immer noch Lampenfieber vor je<strong>de</strong>r Aufführung?<br />
Carlo Ljubek: Ich glaube, ohne Aufregung wäre es komisch.<br />
Aber das hängt auch von <strong>de</strong>r Aufführung ab. Es gibt Aben<strong>de</strong>,<br />
vor <strong>de</strong>nen ich nicht aufgeregt bin, bei <strong>de</strong>nen sich die Energie<br />
erst während <strong>de</strong>r Vorstellung entwickelt. Und dann gibt es Aufführungen,<br />
die so viel Kraft kosten, die man schon <strong>de</strong>n ganzen<br />
Tag im Nacken hat und man nicht weiß, ob es auch aufgeht.<br />
Lässt es sich besser mit Kollegen spielen, <strong>de</strong>nen man nah ist o<strong>de</strong>r<br />
funktioniert es manchmal vielleicht sogar besser aus einer Distanz<br />
heraus?<br />
Lina Beckmann: Ich kann besser mit Leuten spielen, die mir<br />
nah sind.<br />
Carlo Ljubek: Bei <strong>de</strong>r Inszenierung von »Kasimir und Karoline«<br />
zum Beispiel blieb uns gar nichts an<strong>de</strong>res übrig, als zusammen<br />
zu rücken, weil wir nur zwei Wochen Probenzeit hatten. Der<br />
Regisseur Johan Simons hatte das Stück ja schon mit belgischen<br />
Schauspielern in Avignon probiert und er hat dann<br />
diese Inszenierung mit uns überarbeitet. Im Übrigen kann es<br />
aber schon zu einem Probenprozess dazu gehören, dass man<br />
auch Kämpfe austrägt. In <strong>de</strong>m Fall war das allerdings gar nicht<br />
nötig, im Gegenteil, wir waren sogar alle etwas verzaubert.<br />
www.saarlaendisches-staatstheater.<strong>de</strong> Saarländisches Staatstheater Spielzeit 2010/2011<br />
RUBRIK<br />
JUNGES SST<br />
U R AU F F Ü H R U N G<br />
ANDERSWO<br />
Jugendtanzprojekt mit Nadja Raszewski<br />
Premiere am 2. Oktober 2010<br />
Alte Feuerwache<br />
..............................................................................................................<br />
DA S W E I H N ACHTSST Ü C K I M S TA AT S T H E AT E R<br />
Otfried Preußler<br />
DER RÄUBER HOTZENPLOTZ<br />
Premiere am 7. November 2010<br />
Staatstheater<br />
..............................................................................................................<br />
U R A U F F Ü H R U N G I N D E R R E I H E < E C H T Z E I T><br />
THE YELLOW SHARK<br />
Generationenprojekt mit Musik von Frank Zappa<br />
Premiere am 19. Februar 2011<br />
Staatstheater<br />
..............................................................................................................<br />
U R AU F F Ü H R U N G<br />
PROJEKT DES<br />
JUGENDCLUBS U21<br />
Premiere im Frühjahr 2011<br />
Alte Feuerwache<br />
..............................................................................................................<br />
W I E D E R AU F N A H M E I N P L A N U N G<br />
Der unglaubliche Spotz<br />
Eine Oper für alle ab 6 Jahren<br />
von Mike Svoboda<br />
Frühjahr 2011<br />
Erna in »Kasimir und Karoline« ist ja eine ungebil<strong>de</strong>te, einfache<br />
Person, die du aber nicht billig dargestellt hast. War das schwierig,<br />
<strong>de</strong>n richtigen Grat zu erwischen?<br />
Lina Beckmann: Mir gefallen Figuren, die einfach <strong>de</strong>nken.<br />
Da ihr nur so eine kurze Probenzeit hattet, konntet ihr euch direkt<br />
in die Rollengestaltung mit einbringen? Waren die Charaktere so,<br />
wie ihr sie euch vorgestellt habt?<br />
Carlo Ljubek: Ich habe das Stück gelesen und mir sind zu <strong>de</strong>r<br />
Rolle <strong>de</strong>s Merkel Franz nur Klischees eingefallen, Abzieh-<br />
Der Jugendclub U 21 war mit »über wun<strong>de</strong>n« eingela<strong>de</strong>n<br />
zum Bun<strong>de</strong>streffen <strong>de</strong>r Jugendclubs in Leipzig 2010!
interview<br />
12<br />
bil<strong>de</strong>r. Ich habe dann gleich Johan Simons, <strong>de</strong>n Regisseur, um<br />
Hilfe gebeten, weil ich keine richtige I<strong>de</strong>e für die Figur hatte. Er<br />
hat in <strong>de</strong>r kurzen Zeit alles noch einmal überdacht, weil er erkannt<br />
hat, dass die Inszenierung in Köln ganz an<strong>de</strong>rs aussehen<br />
muss als zuvor in Avignon.<br />
Lina Beckmann: Ich hatte die Inszenierung für Avignon schon<br />
gesehen und habe dann gehofft, dass ich während <strong>de</strong>r Proben<br />
nicht immer an die Darstellung <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Schauspielerin<br />
<strong>de</strong>nken muss. Es lief dann aber sehr gut und Johan Simons war<br />
offen für alles, was wir einbrachten.<br />
Macht das einen guten Regisseur aus, wenn er sich auf die Schauspieler<br />
einlässt und nicht mit einem fertigen Konzept kommt, das <strong>de</strong>m Schauspieler<br />
nicht viel Raum lässt?<br />
Lina Beckmann: Das ist natürlich angenehmer, aber wenn ein<br />
Regisseur sagt, so und so stelle ich mir das vor, kann das auch<br />
sehr spannend sein.<br />
Carlo Ljubek: Karin Beier zum Beispiel hat ein Bild im Kopf, wie<br />
eine Szene aussehen könnte. Sie macht also einen Vorschlag, <strong>de</strong>n<br />
kann man annehmen o<strong>de</strong>r man geht seinen eigenen Weg. Wenn<br />
man sie damit überzeugen kann, besteht sie nicht auf ihrer I<strong>de</strong>e.<br />
Das fin<strong>de</strong> ich sehr schön. Ich glaube auch, dass man ‚gemeinsam’<br />
immer weiter kommt.<br />
Habt ihr Lieblingstypen, die ihr beson<strong>de</strong>rs gerne spielt?<br />
Carlo Ljubek: Ich nicht. Ich fin<strong>de</strong> es reizvoll, wenn die Aufgaben<br />
abwechslungsreich sind.<br />
Wie geht ihr mit negativer Kritik in <strong>de</strong>r Presse um?<br />
Carlo Ljubek: Die lese ich nicht, das schmerzt mich zu sehr.<br />
Lina Beckmann: Ich lese es und nehme mir danach immer vor, es<br />
nicht mehr zu tun. Aber es passiert manchmal während ich<br />
spiele, dass ich an einen Satz <strong>de</strong>nke und mich frage, bin ich<br />
wirklich so schlecht.<br />
Miriam Kalkreuth (rechts im Bild), 19 Jahre alt, machte<br />
2009 ihr Abitur in Köln. Anfang 2010 absolvierte sie dort<br />
ein Praktikum an <strong>de</strong>n Städtischen <strong>Bühne</strong>n. Seit fünf<br />
Jahren spielt sie selbst Theater und wür<strong>de</strong> es gerne auch<br />
zu ihrem Beruf machen. »Deshalb war das Interview<br />
mit <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Schauspielern eine tolle Chance,<br />
einmal mit Profis über diesen Job re<strong>de</strong>n zu können.«<br />
Die 19-jährige Kölnerin Martina Lisiecki (links) ist Sängerin<br />
einer Rockband. Schon in <strong>de</strong>r Grundschule ent<strong>de</strong>ckte<br />
sie ihre Liebe zur <strong>Bühne</strong>, spielte in Musicals, und seit<br />
einigen Jahren im Theaterpädagogischen Zentrum<br />
Köln. Anfang <strong>de</strong>s Jahres absolvierte sie ein Praktikum<br />
am Set <strong>de</strong>r Soap »Unter Uns«. »Das Interview war sehr<br />
interessant und informativ, zumal ich zurzeit selber<br />
anstrebe an eine Schauspielschule zu gehen.«<br />
Wie schlecht muss es euch gesundheitlich gehen, damit ihr sagt, ich kann<br />
heute nicht auf die <strong>Bühne</strong>?<br />
Lina Beckmann: Ich habe schon einmal gespielt und mich zwischendurch<br />
übergeben. Es gibt auch Kollegen, die wür<strong>de</strong>n noch<br />
mit aufgeschlagenem Kopf kommen, das ist irgendwie ganz<br />
seltsam. Man möchte einfach nicht, dass eine Vorstellung wegen<br />
einem selbst abgesagt wird.<br />
Carlo Ljubek: Wenn man weiß, da machen sich so viele Leute auf<br />
<strong>de</strong>n Weg, manche reisen sogar von weit an, um diese Vorstellung<br />
zu sehen, fällt es wahnsinnig schwer zu sagen, ich kann heute<br />
nicht spielen. Die Premiere »Kasimir und Karoline« habe ich zum<br />
Beispiel mit einem Gipsarm gespielt. Ich war froh, dass das bei<br />
dieser Rolle möglich war und die Premiere nicht verschoben<br />
wer<strong>de</strong>n musste.<br />
Was ist das Beson<strong>de</strong>re an eurem Beruf?<br />
Carlo Ljubek: Das Erstrebenswerte ist nicht, vor Publikum zu<br />
stehen und gelobt zu wer<strong>de</strong>n, daran <strong>de</strong>nkt man zu Beginn einer<br />
Arbeit gar nicht. Das Tolle ist, dass man die Möglichkeit hat,<br />
Dinge zu erreichen, die man sich nicht vornehmen kann, son<strong>de</strong>rn<br />
die erst im Verlauf <strong>de</strong>r Proben entstehen.<br />
Das geht aber nur mit an<strong>de</strong>ren zusammen?<br />
Carlo Ljubek: Ja, das funktioniert nicht alleine. Deshalb fin<strong>de</strong> ich es<br />
auch so schön, gemeinsam mit <strong>de</strong>m Team irgendwo hinzukommen,<br />
etwas zu erreichen. Das ist ein bisschen wie Karussell fahren.<br />
Was wür<strong>de</strong>t ihr uns mit auf <strong>de</strong>n Weg geben?<br />
Lina Beckmann: Wenn es Spaß macht, weitermachen. Wenn es<br />
keinen Spaß macht, aufhören.<br />
Ad De Bont / Guus Ponsioen<br />
DIE BALLADE<br />
VON GARUMA<br />
ab 12 Jahren<br />
Musikalische Leitung | Kristina Šibenik<br />
Regie | Marco Štorman<br />
Premiere 30. Juni 2011<br />
Kammertheater<br />
Jonathan Dove<br />
PINOCCHIOS<br />
ABENTEUER<br />
ab 8 Jahren<br />
Musikalische Leitung | David Parry / Willem Wentzel<br />
Regie | Markus Bothe<br />
Wie<strong>de</strong>r ab 24. November 2010<br />
Opernhaus<br />
Igor Bauersima / Elena Kats-Chernin<br />
THE RAGE OF LIFE<br />
- LEBENSWUT<br />
ab 14 Jahren<br />
Musikalische Leitung | Hans Christoph Bünger<br />
Regie | Igor Bauersima<br />
Premiere 12. November 2010<br />
Kammertheater<br />
junge oper <strong>de</strong>r staatsoper stuttgart | projektbüro | oberer schlossgarten 6 | 70173 stuttgart<br />
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karten und informationen unter 0711. 20 20 90 o<strong>de</strong>r www.staatstheater-stuttgart.<strong>de</strong>
RUBRIK<br />
Geschichte und<br />
Geschichten zum<br />
Improvisationstheater<br />
IMPROTHEATER<br />
Die Autorin Mona vom Dahl wur<strong>de</strong> 1988 in Essen geboren und hat<br />
während ihrer Schulzeit lange selbst Improtheater gespielt. Sie<br />
studiert seit <strong>de</strong>m Wintersemester 2008/09 an <strong>de</strong>r Ruhr-Universität<br />
Bochum Theaterwissenschaft und Germanistik. Im Frühjahr<br />
2009 war sie Praktikantin bei <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bühne</strong>.<br />
Von Mona vom Dahl<br />
--------------------------<br />
14<br />
Eine Szene aus<br />
»MordArt« <strong>de</strong>r<br />
Bochumer Gruppe<br />
Hottenlotten.<br />
foto: hottenlotten e.v.<br />
Ich betrete mit einer Freundin das Kulturhaus Thealozzi in Bochum.<br />
Wir wer<strong>de</strong>n freundlich begrüßt, kaufen unsere Eintrittskarten und<br />
erhalten dazu einen Kugelschreiber und einige weiße Zettelchen<br />
mit <strong>de</strong>m Hinweis: »Schreibt mal ein paar skurrile Mordarten auf«.<br />
Wir setzen uns mit zwei Tassen Tee gemütlich auf eines <strong>de</strong>r Sofas<br />
in <strong>de</strong>m kleinen, an das Foyer angrenzen<strong>de</strong>n Café und beginnen,<br />
I<strong>de</strong>en zu sammeln. Zunächst fallen uns all die Mor<strong>de</strong> ein, <strong>de</strong>rer<br />
wir in <strong>de</strong>n letzen Jahren im Kino o<strong>de</strong>r im heimischen Lesesessel<br />
Zeugen gewor<strong>de</strong>n sind. Die Verbrecher waren für unsere Zwecke<br />
aber offensichtlich nicht mit <strong>de</strong>m nötigen Einfallsreichtum gesegnet.<br />
Langsam wer<strong>de</strong>n wir kreativer und sind zum Schluss doch<br />
recht stolz auf die Mordarten, mit <strong>de</strong>nen wir unsere Zettel beschriftet<br />
haben, zumal ein Lauschen auf die Diskussionen an <strong>de</strong>n<br />
Nebentischen ergibt: Wir waren kreativer als die Nachbarn.<br />
Theater, das das Publikum schon for<strong>de</strong>rt, lange bevor es überhaupt<br />
eine <strong>Bühne</strong> zu sehen bekommt: Dazu zählen die improvisierten<br />
Krimis <strong>de</strong>r Hottenlotten, einer 1993 gegrün<strong>de</strong>ten Improvisationstheatergruppe<br />
aus Bochum. Einmal im Monat entwickeln sie eine<br />
spannen<strong>de</strong> Geschichte um einen vom Publikum ausgedachten<br />
skurrilen Mordfall. Es gibt drei Verdächtige und einen Spieler<br />
o<strong>de</strong>r eine Spielerin, <strong>de</strong>r/die ebenso wenig weiß, wer <strong>de</strong>r Mör<strong>de</strong>r<br />
ist, wie die entsprechen<strong>de</strong> Rolle – <strong>de</strong>r Kommissar o<strong>de</strong>r die Kommissarin.<br />
Der Verlauf <strong>de</strong>r Geschichte hängt nicht nur von <strong>de</strong>r<br />
Kreativität <strong>de</strong>r Spieler und Spielerinnen ab, son<strong>de</strong>rn auch von <strong>de</strong>n<br />
Einfällen <strong>de</strong>s Publikums.<br />
Hier liegt die Beson<strong>de</strong>rheit von Improvisationstheater –<br />
o<strong>de</strong>r eben Improtheater, wie es <strong>de</strong>r Alltagstauglichkeit halber<br />
in <strong>de</strong>r Regel genannt wird. Die I<strong>de</strong>e ist einfach: eine Gruppe von<br />
Spielern und Spielerinnen betritt eine <strong>Bühne</strong>, ohne die Rollen o<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>n Verlauf <strong>de</strong>r Szenen zu kennen, die sie wenig später darstellen<br />
wer<strong>de</strong>n. Es wird anhand weniger Vorgaben innerhalb<br />
bestimmter Regeln improvisiert.<br />
Wie diese Vorgaben und Regeln aussehen, hängt von <strong>de</strong>r<br />
jeweiligen Form <strong>de</strong>r Improvisation ab und <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen<br />
Funktionen, die Spielleitung, Spieler und Spielerinnen und<br />
das Publikum darin haben. Eine Möglichkeit, wie das aussehen<br />
kann, stellt das von <strong>de</strong>r Erfurter Improtheatergruppe ImproVision<br />
entworfene Spiel »Goethestr. 450, – warm« dar: Eine Autorin, also<br />
eine Spielerin, die gleichzeitig in ihrer Rolle agiert und als Spielleiterin<br />
fungiert, die Mo<strong>de</strong>ration übernimmt, so <strong>de</strong>n Verlauf <strong>de</strong>s<br />
Abends organisiert und <strong>de</strong>n Kontakt zum Publikum hält, sucht<br />
15
IMPROTHEATER<br />
Die Bochumer<br />
Hottenlotten in Aktion.<br />
fotos: hottenlotten e.v.<br />
Premieren SPielzeit 2010 | 2011<br />
30.10.2010 intO tHe WOODS – AB in Den WAlD<br />
Musical von Stephen Sondheim<br />
10.12.2010 BreitengrAD Tanztheater von<br />
Linda Kapetanea / Jozef Fruček<br />
und Johannes Wieland<br />
16<br />
nach einer Geschichte für einen Roman. Hier zeigt sich schon: In<br />
<strong>de</strong>n meisten Fällen hat die Spielleitung eine wesentlich komplexere<br />
Aufgabe, als das zum Beispiel in <strong>de</strong>r bekannten Impro-Comedy-Serie<br />
»Schillerstraße« <strong>de</strong>s Fernsehsen<strong>de</strong>rs Sat.1 <strong>de</strong>r Fall ist.<br />
Schaut man Improtheater an, wird man meistens sogenannte<br />
Langformen wie die eben beschriebene o<strong>de</strong>r auch die Bochumer<br />
»MordArt«-Krimis zu sehen bekommen, bei <strong>de</strong>nen eine fortlaufen<strong>de</strong><br />
Geschichte erzählt wird. Eine an<strong>de</strong>re Möglichkeit sind mehrere<br />
Szenen, die sich aus verschie<strong>de</strong>nen Spielen ergeben. Das lässt sich<br />
dann auch als Wettstreit betreiben und bietet als Theatersport,<br />
bei <strong>de</strong>m zwei Gruppen gegeneinan<strong>de</strong>r antreten, Spielern und<br />
Publikum einen beson<strong>de</strong>ren Reiz.<br />
Ein beliebtes Improspiel, das auch zum Repertoire <strong>de</strong>r bekannten<br />
Münchener Improtheatergruppe fastfood gehört, ist das<br />
»Zappen« von Genres. Zwei Spieler beginnen auf eine bestimmte<br />
Vorgabe <strong>de</strong>s Publikums – zum Beispiel eines Objektes – hin, eine<br />
Szene um diesen Gegenstand zu entwerfen, auf Zuruf <strong>de</strong>s Spielleiters<br />
müssen sie aber das Genre wechseln. Die Szene, die als<br />
Liebeskomödie begonnen hat, muss also plötzlich in <strong>de</strong>r Manier<br />
eines Actionstreifens fortgeführt wer<strong>de</strong>n.<br />
----------------------------------------------<br />
… faszinieren<strong>de</strong>r, origineller und<br />
packen<strong>de</strong>r als hätte man vorausgeplant.<br />
----------------------------------------------<br />
An diesem Beispiel lässt sich leicht ablesen, wie komplex die<br />
Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Improtheaters sind: Die Spieler müssen die<br />
Vorgaben <strong>de</strong>s Publikums beachten, sich auf durch <strong>de</strong>n Spielleiter<br />
o<strong>de</strong>r das Publikum verän<strong>de</strong>rte Bedingungen in kürzester Zeit<br />
einlassen, also je<strong>de</strong>n Impuls sofort aufnehmen, um gleichzeitig eine<br />
dramaturgisch sinnvolle Szene mit einem Höhepunkt und – und<br />
das ist manchmal fast das Schwierigste – einem Schluss zu erspielen,<br />
ohne dabei je die Möglichkeit zu einer Absprache zu haben. Ein<br />
Spiel, bei <strong>de</strong>m die Aufmerksamkeit <strong>de</strong>r Spieler und Spielerinnen<br />
beson<strong>de</strong>rs gefor<strong>de</strong>rt ist, ist die Synchronisation, auch das ein Spiel,<br />
das zum Beispiel das fastfood-Theater im Programm hat: Je<strong>de</strong>r<br />
Spielen<strong>de</strong> stellt seine eigene Rolle lediglich pantomimisch dar und<br />
spricht dafür die eines an<strong>de</strong>ren. Dabei <strong>de</strong>n Überblick zu behalten,<br />
ist dann manchmal auch für das Publikum eine Herausfor<strong>de</strong>rung,<br />
das sonst doch recht entspannt beobachten kann, wie auf <strong>de</strong>r<br />
<strong>Bühne</strong> mit <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Aufgaben umgegangen wird.<br />
Beim Improtheater lernt man also unweigerlich, sich auf seine<br />
Mitspieler und Mitspielerinnen einzulassen und spontan<br />
und kreativ auf je<strong>de</strong> unvorhergesehene Situation zu reagieren.<br />
Das sind Fähigkeiten, die man nicht nur auf <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong>, son<strong>de</strong>rn<br />
auch im Leben gut gebrauchen kann und so verwun<strong>de</strong>rt es nicht,<br />
dass die Form <strong>de</strong>r Improvisation auch im Bereich <strong>de</strong>r Pädagogik<br />
zunehmend Verbreitung gefun<strong>de</strong>n hat.<br />
Anja Balzer von <strong>de</strong>n Hottenlotten sagt in einem auf <strong>de</strong>r Homepage<br />
<strong>de</strong>r Gruppe veröffentlichten Text: »Improvisationstheater ist<br />
<strong>de</strong>r dauerhafte Versuch, ein perfekter Mensch zu wer<strong>de</strong>n, mit <strong>de</strong>m<br />
sicheren Wissen, dass <strong>de</strong>r Versuch zum Scheitern verurteilt ist – und<br />
das ist das Wun<strong>de</strong>rbare, <strong>de</strong>nn aus Fehlern entsteht etwas ganz an<strong>de</strong>res,<br />
was man nie erwartet hätte: faszinieren<strong>de</strong>r, origineller und packen<strong>de</strong>r<br />
als hätte man vorausgeplant« – und dass Fehler Möglichkeiten<br />
bieten, ist doch nicht nur für das Leben auf <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong> ein verlocken<strong>de</strong>r<br />
Gedanke.<br />
Auf hohem Niveau aus Fehlern gutes Theater – das machen<br />
<strong>de</strong>rzeit in Deutschland viele professionelle Improtheatergruppen<br />
(siehe Kasten auf S.19). Zu <strong>de</strong>n »Großen« <strong>de</strong>r Szene<br />
zählen zum Beispiel die Springmäuse aus Bonn, bei <strong>de</strong>nen heute<br />
vor allem aus <strong>de</strong>m Fernsehprogramm bekannte Comedians wie<br />
Dirk Bach und Bernhard Hoëcker ihre Karrieren begonnen haben.<br />
Bill Mockridge hat Springmaus 1982 gegrün<strong>de</strong>t, womit diese<br />
Improtheatergruppe zu <strong>de</strong>n ältesten in Deutschland gehört. In die<br />
Riege <strong>de</strong>r Begrün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Improtheaters, gera<strong>de</strong> auch<br />
als Theatersport, gehört das Harlekin-Theater in Tübingen, das von<br />
Volker Quandt gegrün<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>, beziehungsweise <strong>de</strong>ssen Vorgänger,<br />
die Serie Theatersport an <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sbühne in Tübingen. Ebenso<br />
zu nennen ist die Gruppe Emscherblut, die die erste <strong>de</strong>utsche Meisterschaft<br />
1993 organisierte.<br />
Schaut man sich das Angebot einiger bekannter Improtheatergruppen<br />
– darunter: Funshows, Unternehmenstheater,<br />
Theatersport – an, kann man leicht auf <strong>de</strong>n Gedanken kommen,<br />
das alles sei nichts als Klamauk, reine Unterhaltung, vielleicht<br />
kommerziell, mit Sicherheit keine Kunst. Tatsächlich liegt bei<br />
<strong>de</strong>n meisten Formen <strong>de</strong>r Schwerpunkt auf <strong>de</strong>r Unterhaltung.<br />
Doch abgesehen von <strong>de</strong>n enormen Anfor<strong>de</strong>rungen an die<br />
Akteure, ergibt sich allein aus <strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>s Improtheaters,<br />
dass es dabei immer auch um mehr geht.<br />
So ist bei Kerschenzew in Moskau o<strong>de</strong>r später bei Augusto<br />
Boal in Sao Paolo die Ermächtigung <strong>de</strong>s Publikums, die<br />
<strong>de</strong>m Improtheater eingeschrieben ist, in verschie<strong>de</strong>nen<br />
Theaterformen Bestandteil eines Wi<strong>de</strong>rstan<strong>de</strong>s gegen jegliche<br />
Unterdrückung. Ein Element, das immer wirksam wird,<br />
wenn das Publikum aktiv wer<strong>de</strong>n kann. Außer<strong>de</strong>m ist es<br />
selbstverständlich möglich, beson<strong>de</strong>rs in entsprechend<br />
angelegten Langformen, auch ernste und be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Themen<br />
in die Tiefe gehend zu behan<strong>de</strong>ln.<br />
Natürlich ergibt sich durch <strong>de</strong>n Animationscharakter<br />
von Improtheater leicht, dass das Publikum versucht, möglichst<br />
abstruse, obszöne, fiese Vorgaben zu machen, allein<br />
schon, weil ein Teil <strong>de</strong>r Spannung beim Improtheater sich<br />
aus <strong>de</strong>r Antizipation <strong>de</strong>s möglichen Scheiterns ergibt. Mit<br />
dieser Gefahr umzugehen, ist aber durchaus möglich und es<br />
wird je<strong>de</strong>r Spielleiter seinen persönlichen Weg fin<strong>de</strong>n, darauf<br />
zu reagieren und die Unterschreitung eines gewissen Niveaus<br />
zu verhin<strong>de</strong>rn. An dieser Stelle zwei Beispiele: Andreas<br />
Wolf vom Münchener fastfood-Theater reagiert auf <strong>de</strong>n<br />
Vorschlag »Porno« als Genre schon mal mit <strong>de</strong>r Anmerkung,<br />
dass noch Statisten gesucht wer<strong>de</strong>n und in Bochum wer<strong>de</strong>n<br />
lieber zwei Zettel mit möglichen Mordfällen gezogen: »Wir<br />
wollen uns nicht ständig totficken«.<br />
Bei <strong>de</strong>n Hottenlotten darf das Publikum übrigens in <strong>de</strong>r<br />
Pause raten, wer <strong>de</strong>r Täter o<strong>de</strong>r die Täterin gewesen sein<br />
könnte und so am En<strong>de</strong> sogar noch etwas gewinnen: Eintrittskarten<br />
und Tütensuppen. Und das ist bei<strong>de</strong>s gleichermaßen<br />
schön. Über erstere freut man sich, weil Improtheater<br />
automatisch zu Vorfreu<strong>de</strong> aufs nächste Mal führt, zweitere<br />
kann man nach <strong>de</strong>r Heimfahrt bestimmt noch gebrauchen –<br />
vor allem in frostigen Winternächten. Wirklich verlieren kann<br />
man allerdings so o<strong>de</strong>r so nicht, da man für die Dauer <strong>de</strong>s<br />
Krimis viel gelacht hat, eine spannen<strong>de</strong> Geschichte gesehen<br />
und dabei vielleicht einen persönlichen Erfolgsmoment<br />
erlebt hat, wie ich und meine Freundin bei unserem letzten<br />
Besuch bei »MordArt«: die Mordwaffe, <strong>de</strong>n Zeiger einer<br />
Kirchturmuhr, hatten immerhin wir erfun<strong>de</strong>n.<br />
ad_<strong>Junge</strong>Buḧne.indd 1<br />
06.05.2011 meDeAS kinDer<br />
von Per Lysan<strong>de</strong>r /<br />
Suzanne Osten nach Euripi<strong>de</strong>s<br />
10.06.2011 OH, tell O.! – eleCtr’OPerA®<br />
7. Theater-Jugendorchester<br />
und viele mehr<br />
Ihr fin<strong>de</strong>t uns auch auf Facebook<br />
kArtentelefOn: 0561 .1094-222<br />
WWW.StAAtStHeAter-kASSel.De<br />
04.06.2010 12:21:18 Uhr<br />
Der Revisor GoGol r: Peter Kube<br />
ENRON Prebble DSe r: Niklas Ritter<br />
Der Turm TellkamP/Düffel r: Tobias Wellemeyer<br />
Parzival bärfuSS r: Isabel Osthues<br />
Potsdam – Kundus ua r: Clemens Bechtel<br />
My Fair Lady lerner/loewe ml: Ludger Nowak r: Matthias Brenner<br />
Romeo und Julia ShakeSPeare r: Bruno Cathomas<br />
Adams Äpfel JenSen r: Lukas Langhoff<br />
Amphitryon kleiST r: Julia Hölscher<br />
Iwanow TSchechow r: Markus Dietz<br />
Hexenjagd miller r: Ingo Berk<br />
Volpone JonSon r: Tobias Wellemeyer<br />
Eine Familie leTTS r: Barbara Bürk<br />
POTsDaMeR WINTeROPeR La Cenerentola roSSini<br />
ml: Claus efland r: Nico Rabenald<br />
für junge zuschauer Der <strong>Junge</strong> mit <strong>de</strong>m Koffer kenny DSe r:<br />
Katharina Holler Wie hoch ist oben? murray De r: andreas Rehschuh<br />
Die Schneekönigin anDerSen r: Marita erxleben Angstmän el<br />
kurDi r: aurelina Bücher Ein Schaf fürs Leben maTTer r: Kerstin<br />
Kusch Eye of the Storm way r: andreas Rehschuh<br />
hans otto Theater Gmbh Potsdam schiffbauergasse 11 / 14467 Potsdam / 2010…2011 /<br />
intendant Tobias Wellemeyer / geschäftsführen<strong>de</strong>r direktor Volkmar Raback /<br />
Ein Unternehmen <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>shauptstadt Potsdam, geför<strong>de</strong>rt mit Mitteln <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>shauptstadt<br />
Potsdam und <strong>de</strong>s Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s<br />
Bran<strong>de</strong>nburg
RUBRIK<br />
Musiktheater<br />
Spielzeit<br />
Spielzeit<br />
2010<br />
2010 /<br />
11<br />
11<br />
DER FREISCHÜTZ<br />
Weber<br />
DIE OMAMA IM IM APFELBAUM<br />
Naske<br />
DIE FLEDERMAUS<br />
Strauß<br />
L'ITALIANA IN IN ALGERI<br />
Rossini<br />
GRAND HOTEL<br />
Forrest / / Wright / / Yeston<br />
DER UNTERGANG<br />
DES HAUSES USHER<br />
Glass<br />
DIE LIEBE ZU ZU DEN DREI ORANGEN<br />
Prokofjew<br />
DER GEDULDIGE SOKRATES<br />
Teleman<br />
TanzTheaterMünchen<br />
KÖRPERSPRACHEN III III<br />
Spuck / / Sansano<br />
DER NUSSKNACKER<br />
Paar Paar / / Tschaikowsky<br />
DAS SCHLOSS<br />
Paar Paar / / Kafka<br />
<strong>Junge</strong>s Theater am<br />
Gärtnerplatz jtg<br />
HONK!<br />
Stiles / / Drewe, Musical Comedy<br />
<strong>Junge</strong>s Publikum<br />
willkommen!<br />
Ermäßigungen für für Kin<strong>de</strong>r, Schüler,<br />
Stu<strong>de</strong>nten: 50% 50% Ermäßigung<br />
zu zu je<strong>de</strong>r Zeit Zeit für für alle alle Plätze;<br />
8,– 8,– € € auf auf allen Plätzen<br />
bei bei Vorstellungen mit mit *KiJu;<br />
8,– 8,– €-Restkarten an an <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Abendkasse<br />
Honk! – Foto: Lioba Schöneck<br />
Honk! – Foto: Lioba Schöneck<br />
foto: maria schmidt · theater improvision e.v.<br />
ein Erfahrungsbericht<br />
Der Autor ist seit Oktober 2010 Mitglied <strong>de</strong>r<br />
Impro-Gruppe Uschis Erben am Centraltheater<br />
Leipzig. Er ist 21 Jahre alt und von Beruf Tischler.<br />
Von Matthias Sei<strong>de</strong>l<br />
--------------------------<br />
Momentaufnahme aus<br />
»Goethestr. 450,– warm«<br />
<strong>de</strong>r Erfurter Gruppe<br />
ImproVision.<br />
Ein Auftritt ist manchmal wie eine kalte Dusche,<br />
einer dreht auf und schubst mich darunter. Ich<br />
schreie und möchte ins Warme und Trockene<br />
zurück. Nach zwei Auftritten bin ich freiwillig<br />
duschen gegangen.<br />
Alle sagen, Impro-Theater sei Kunst. Kann<br />
es durchaus sein, aber eine Kunst die aus Normalität<br />
entsteht und vor allen Dingen aus Spontanität.<br />
Wenn du zu lange überlegst, bist du draußen, bzw.<br />
kommst gar nicht erst in eine Szene, weil an<strong>de</strong>re<br />
schneller waren. Du willst dich produzieren, etwas<br />
wirklich Interessantes machen, etwas Originelles,<br />
aber damit kannst du nicht punkten, weil du nicht zum Zug kommst. Es fängt schon<br />
an mit Wörtern, also gewissermaßen Vorgaben, die aus <strong>de</strong>m Publikum kommen. Bei<br />
Shows wird oft das Publikum befragt, um für eine Szene o<strong>de</strong>r ein Spiel eine Grundlage<br />
zu haben, auf welcher man aufbauen kann (z.B. einen Ort eine Beziehung usw.).<br />
Man entschei<strong>de</strong>t sich doch gern für interessante Vorlagen, etwa Orte, wie: Chemielabor<br />
o<strong>de</strong>r meinetwegen Weltraum. Die Szenen, die daraus entstehen sind aber nicht<br />
unbedingt die besten, die es im Impro-Theater gibt, nein sie sind oft unheimlich<br />
kompliziert und für <strong>de</strong>n Zuschauer, oft auch für die Spieler schwer nachzuvollziehen.<br />
Es gab für mich ein kleines Schlüsselerlebnis, nach welchem ich erst wirklich<br />
verstand, auf was es beim Impro-Theater ankommt. Meistens musste ich an <strong>de</strong>m Tag<br />
<strong>de</strong>r Probe arbeiten und immer gut vorschlafen, damit ich abends wie<strong>de</strong>r ausgeruht<br />
foto: privat<br />
In fast je<strong>de</strong>r Stadt gibt es verschie<strong>de</strong>ne Improtheatergruppen. Einige wichtige haben wir hier<br />
aufgelistet. Eine vollständige Liste bietet die Homepage www.impro-theater.<strong>de</strong>:<br />
DRAMA light · Mannheim/Hei<strong>de</strong>lberg · www.drama-light.<strong>de</strong> | Emscherblut · Schwerte ·<br />
www.emscherblut.<strong>de</strong> | fastfood theater · München · www.fastfood-theater.<strong>de</strong> | Harlekin ·<br />
Tübingen · www.harlekintheater.<strong>de</strong> | DIE HOTTENLOTTEN · Bochum · www.hottenlotten.<strong>de</strong> |<br />
ImproVision · Erfurt · www.improvision.<strong>de</strong> | Springmaus · Bonn · www.springmaus-improvisationstheater.<strong>de</strong><br />
| Theatersport Berlin · Berlin · www.theatersport-berlin.<strong>de</strong><br />
Auch in Jugendclubs an Stadttheatern (wie am Centraltheater Leipzig) gibt es Improgruppen.<br />
war. Manchmal schaffte ich das nicht und eines Abends war ich eigentlich völlig<br />
fertig und meiner Meinung nach gar nicht mehr in <strong>de</strong>r Lage zu spielen. Als die<br />
Probe dann vorbei war, merkte ich, dass ich meinen Geist gar nicht großartig bemühen<br />
brauchte, ich war dazu auch gar nicht mehr unbedingt in <strong>de</strong>r Lage. Statt<strong>de</strong>ssen<br />
habe ich einfach reagiert auf die Dinge, die geschahen, auf die Angebote, die meine<br />
Mitspieler mir machten und hab nicht lange nachgedacht, son<strong>de</strong>rn das erst beste<br />
genommen, was mir in <strong>de</strong>n Sinn kam. Und das hat funktioniert. Wir konnten einfache<br />
kleine Szenen aufbauen und die oft ad absurdum führen; ohne große Vorbereitung,<br />
son<strong>de</strong>rn einfach nur in<strong>de</strong>m wir Dinge gemacht haben, die das Publikum nicht<br />
erwarten hat, die einfach nicht normal sind o<strong>de</strong>r eben auch, die völlig normal sind.<br />
Eine Kunst <strong>de</strong>r Normalität. Bevor man sich auf eine Impro-<strong>Bühne</strong> begibt, sollte<br />
man sein Gehirn ausschalten, bis auf einen kleinen Rest, <strong>de</strong>nn es gibt ein paar Regeln.<br />
Nicht so viel erklären, eher spielen, nicht Angebote <strong>de</strong>r Mitspieler blockieren.<br />
Impro-Theater ist Kunst, und auf je<strong>de</strong>n Fall die Kunst <strong>de</strong>r Imagination.<br />
Alles, was ein Spieler auf <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong> braucht, kann er sich herbei schaffen. Das ist<br />
etwas, das ich liebe am Impro-Theater: Alles, was gebraucht wird, wird erschaffen,<br />
vom Flugzeug bis zur Katze auf <strong>de</strong>m Arm <strong>de</strong>s Mafia-Bosses (»Ah, Luigi, kümmere<br />
dich um ihn, ich kann ihn nicht mehr gebrauchen.« und er streichelt weiter...). Man<br />
kann also in alle er<strong>de</strong>nklichen Figuren schlüpfen.<br />
Improvisationstheater macht <strong>de</strong>n Kopf frei, es ist wie ein Rockkonzert, das man<br />
gibt ohne je ein Instrument spielen gelernt zu haben, es ist ein Rausch, eine Droge,<br />
ein Adrenalin-Kick. Wie guter Sex, es stärkt das Selbstbewusstsein, weil du alles sein<br />
kannst und dich fast nichts daran hin<strong>de</strong>rn kann.<br />
J u n g e s S t a a t s t h e a t e r B e r l i n<br />
Premieren<br />
2010 / 2011<br />
Lichterloh / UA<br />
Koproduktion von UNITED PUPPETS mit <strong>de</strong>m<br />
THEATER AN DER PARKAUE<br />
Regie: Mario Hohmann<br />
Frau Jenny Treibel o<strong>de</strong>r Wo sich Herz<br />
zum Herzen find't<br />
Theodor Fontane<br />
Regie: Kay Wuschek<br />
<br />
Der Hase und <strong>de</strong>r Igel<br />
Brü<strong>de</strong>r Grimm<br />
Regie: Sascha Bunge<br />
Peter und <strong>de</strong>r Wolf<br />
Sergej Prokofjew<br />
Koproduktion von norton.comman<strong>de</strong>r.productions<br />
und THEATER AN DER PARKAUE<br />
Regie: norton.comman<strong>de</strong>r.productions<br />
Is there Anybody out there? / UA<br />
Stefan Faupel und Tim Blue<br />
Regie: Stefan Faupel und Tim Blue<br />
Das Gespenst von Canterville<br />
<br />
Oscar Wil<strong>de</strong><br />
Regie: Milan Peschel<br />
Der Schimmelreiter<br />
Theodor Storm<br />
Koproduktion <strong>de</strong>s Volkstheaters Rostock<br />
mit <strong>de</strong>m THEATER AN DER PARKAUE<br />
Regie: Kay Wuschek<br />
Radau!<br />
nach einem Hörspiel von Walter Benjamin<br />
Regie: Thomas Fiedler<br />
Bor<strong>de</strong>rlines / UA<br />
Aisha Khan im Auftrag von THEATER AN<br />
DER PARKAUE und West Yorkshire Playhouse<br />
Leeds / Fonds "Wan<strong>de</strong>rlust"<br />
Regie: Lajos Talamonti<br />
<br />
Der gol<strong>de</strong>ne Topf<br />
E.T.A. Hoffmann<br />
Regie: Sascha Bunge<br />
Ten Seconds / UA<br />
Koproduktion von Takao Baba und E-Motion<br />
mit <strong>de</strong>m tanzhaus nrw und <strong>de</strong>m THEATER<br />
AN DER PARKAUE<br />
Choreographie: TAKAO Baba und E-Motion<br />
WINTERAKADEMIE 6<br />
Sagen wir Berlin liegt am Meer<br />
31. Januar bis 5. Februar 2011<br />
Leitung: Karola Marsch / Sascha Willenbacher<br />
P r e m i e r e n u n d<br />
w e i t e r e V o r s t e l l u n g e n s t e r m i n e<br />
u n t e r<br />
w w w . p a r k a u e . d e<br />
www.gaertnerplatztheater.<strong>de</strong><br />
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Tanz-porträt<br />
Porträt <strong>de</strong>s Choreografen Stephan Thoss<br />
Von Ulrike Lehmann<br />
--------------------------<br />
Tanz ist<br />
wie Musik<br />
Als <strong>Junge</strong> konnte er kaum stillsitzen, wenn er Musik hörte. Er erfasste<br />
<strong>de</strong>n Rhythmus schnell und sprang dann durch <strong>de</strong>n Raum. Die Eltern<br />
wollten das Talent <strong>de</strong>s Sohnes unterstützen und mel<strong>de</strong>ten ihn mit<br />
10 Jahren an <strong>de</strong>r Palucca-Schule in Dres<strong>de</strong>n an. Der wird wohl bald<br />
zurückkommen, dachten sie damals.<br />
Stephan Thoss kam nicht zurück, son<strong>de</strong>rn ist einer <strong>de</strong>r wichtigsten<br />
zeitgenössischen <strong>de</strong>utschen Choreografen gewor<strong>de</strong>n.<br />
Der heute 45-Jährige ist inzwischen Ballettdirektor am<br />
Hessischen Staatstheater Wiesba<strong>de</strong>n. Und vor allem eines<br />
hat er seit damals gelernt: »Egal wie stark manchmal <strong>de</strong>r Gegenwind<br />
weht, man muss über <strong>de</strong>n eigenen Schatten springen und<br />
das tun, was zu hun<strong>de</strong>rt Prozent mit einem selbst zu tun hat.«<br />
Denn beson<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>r Kunst, im schöpferischen Prozess sei es<br />
wichtig, keine Kompromisse einzugehen. Der in Leipzig geborene<br />
Künstler benutzt im Gespräch ganz plastische Bil<strong>de</strong>r, um diese<br />
Vorstellung von seiner Arbeit zu beschreiben. »Wenn das Publikum<br />
neben meinem Kuchen auch eine Cremetorte will, dann<br />
kriegt es die. Aber es wird dann meine Cremetorte sein.«<br />
Stephan Thoss tut, was er selbst für richtig hält, das war schon<br />
während seiner Ausbildung zum Tänzer so. An <strong>de</strong>r Dresdner<br />
Schule hatte er neben klassischem Ballettunterricht auch<br />
<strong>de</strong>n so genannten Neuen Künstlerischen Tanz, <strong>de</strong>n die<br />
Grün<strong>de</strong>rin <strong>de</strong>r Schule – Gret Palucca – entwickelt hatte. Es ging<br />
dort nicht nur um körperlichen Drill, son<strong>de</strong>rn auch um die Erziehung<br />
zum selbst <strong>de</strong>nken<strong>de</strong>n Tänzer: Improvisation gehörte zum<br />
Stun<strong>de</strong>nplan. Zusätzlich bekam Stephan Thoss dort Theorieunterricht<br />
von <strong>de</strong>m chilenischen Choreografen Patricio Bunster.<br />
21<br />
20<br />
alle fotos <strong>de</strong>s artikels: martin kaufhold<br />
Ulrike Lehmann, die Autorin dieses<br />
Beitrags, hat 2009 ihr Studium (Germanistik,<br />
Psychologie und Philosophie)<br />
been<strong>de</strong>t und ist seit<strong>de</strong>m Redakteurin<br />
bei <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bühne</strong>.<br />
Choregrafien von Stephan Thoss: »Dornröschen« (mit Yuki Mori u. Sandro Westphal),<br />
»Irr-Garten« aus <strong>de</strong>m Ballettabend »Labyrinth« (Sandro Westphal u. Emilia Giudicelli)<br />
und »Es war einmal...« (Ludmilla Komkova, Anton Rudakov u. Christian Maier).<br />
Der hatte das Talent und die wissenschaftliche Neugier seines<br />
Schützlings schnell erkannt. Oft trafen sich die bei<strong>de</strong>n heimlich<br />
nach <strong>de</strong>m Aben<strong>de</strong>ssen in <strong>de</strong>n Schulräumen und Patricio führte<br />
<strong>de</strong>n <strong>Junge</strong>n in tanztheoretische Wissensgebiete ein: Geometrie,<br />
die Lehre vom Gol<strong>de</strong>nen Schnitt o<strong>de</strong>r die von <strong>de</strong>n acht Qualitäten<br />
<strong>de</strong>r Bewegung. »Du musst es begreifen und dann alles vergessen.«,<br />
hatte sein Lehrer ihm gesagt. Als Stephan Thoss dann<br />
später begann, eigene Stücke zu choreografieren, bestätigte sich<br />
das. Die erlernten Grundlagen beeinflussten unbewusst seine<br />
Raumvorstellung.
Fotostrecke links:<br />
Stephan Thoss bei Proben.<br />
Tanz-PORTRÄT<br />
Großes Foto: Aoi Nakamura<br />
und Zen Jefferson in<br />
»Es war einmal…«.<br />
22<br />
Als Stephan Thoss seinen Abschluss machte, gab es in <strong>de</strong>r damaligen<br />
DDR Choreografen, die bei <strong>de</strong>n Prüfungen zusahen und<br />
die jungen Absolventen direkt an ihre Theater holten. So hatte er<br />
sein erstes Engagement als Tänzer an <strong>de</strong>r Dresdner Semperoper.<br />
Schon mit 17 Jahren bekam er viele solistische Aufgaben, die ihn<br />
an seine körperlichen Grenzen führten. Später ging er als Tänzer<br />
an die Komische Oper in Berlin und fing an, auch eigene Stücke zu<br />
entwickeln. Als er das Angebot bekam, nach Dres<strong>de</strong>n zurückzukehren,<br />
tat er das unter <strong>de</strong>r Bedingung, selbst choreografieren<br />
und auch woan<strong>de</strong>rs Gastspiele geben zu dürfen. Ballettdirektor<br />
wollte er da noch nicht wer<strong>de</strong>n: »Das Unangenehmste, was<br />
ich mir vorstellen konnte, war jeman<strong>de</strong>m ins Gesicht zu sagen,<br />
dass seine Fähigkeiten nicht ausreichen, ihn enttäuschen zu<br />
müssen.« So wur<strong>de</strong> er zwar Hauschoreograf, hatte aber einen<br />
Ballettdirektor über sich, <strong>de</strong>r die Auswahl <strong>de</strong>r Tänzer vornahm.<br />
Da begriff Thoss, dass er eine gewisse Macht braucht, um sein<br />
wichtigstes Material als Choreograf zu schützen: seine Tänzer.<br />
Als sich wenig später die Möglichkeit bot, Ballettdirektor am<br />
Theater Kiel zu wer<strong>de</strong>n, zögerte er nicht mehr.<br />
Elf Tänzer nahm er aus Dres<strong>de</strong>n mit, als er 1998 nach Kiel ging.<br />
Das ist üblich, <strong>de</strong>nn wenn Choreografen an einem Theater neu<br />
anfangen, ist es hilfreich, wenn einige Tänzer ihre Arbeitsweise<br />
schon kennen. Diese Truppe war die Thoss TanzKompanie, mit <strong>de</strong>r<br />
er zuvor in <strong>de</strong>n Sommerpausen <strong>de</strong>r Dresdner Semperoper Gastspielreisen<br />
quer durch die Welt gemacht hatte: Sie zeigten seine<br />
Stücke in Italien, Finnland, Frankreich, <strong>de</strong>r Schweiz, in Brasilien,<br />
Indonesien, Thailand und <strong>de</strong>n USA.<br />
-----------------------------------------------<br />
»Du musst es begreifen und<br />
dann alles vergessen.«<br />
-----------------------------------------------<br />
Ab 2001 war Stephan Thoss einige Jahre Ballettdirektor <strong>de</strong>r<br />
Staatsoper Hannover. In fünf Spielzeiten entstan<strong>de</strong>n dort knapp 20<br />
neue Choreografien, eine ausgesprochen produktive Zeit unter<br />
sehr guten Bedingungen. Wenn <strong>de</strong>r Choreograf neue Stücke<br />
erarbeitet, lässt er sich dabei vor allem von <strong>de</strong>r Musik inspirieren.<br />
Er wünscht sich, dass man <strong>de</strong>n Tanz mehr wie Musik statt wie<br />
Oper und Schauspiel behan<strong>de</strong>lte – schließlich funktioniere er auch<br />
ähnlich, nämlich ohne Text. »Die Offenheit, die <strong>de</strong>r Musik zugesprochen<br />
wird, warum gilt die nicht auch für Bewegung?« Er<br />
hasst es, seine Stücke erklären zu müssen, mag es nicht, wenn<br />
<strong>de</strong>m Zuschauer Interpretationen vorgegeben wer<strong>de</strong>n: »Ich<br />
möchte nicht in ein Stück gehen, und darin dauernd springen<strong>de</strong><br />
Rehe sehen, nur weil die Einführung mir vorher von springen<strong>de</strong>n<br />
Rehen erzählt hat.« Aber gera<strong>de</strong> die Intendanten von<br />
Theatern wollen lieber einfache Geschichten, die <strong>de</strong>r Zuschauer<br />
kennt. Sie bauen darauf, dass ein »Dornröschen« o<strong>de</strong>r ein »Schwanensee«<br />
sich besser verkauft als ein Stück mit einem abstrakten<br />
Titel wie »in between«.<br />
Stephan Thoss musste einen Weg fin<strong>de</strong>n, sich in diesen Zwängen<br />
<strong>de</strong>s Theaterbetriebes treu zu bleiben. Er machte »Dornröschen«,<br />
aber die Geschichte war verän<strong>de</strong>rt. Er choreografierte eine<br />
»Giselle« (eines <strong>de</strong>r bekanntesten romantischen Handlungsballette),<br />
aber <strong>de</strong>r Stil war nicht klassisch son<strong>de</strong>rn sein eigener Stil.<br />
Gera<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m ist er erfolgreich: 2007 wur<strong>de</strong> seine »Giselle M.«<br />
am Ballett <strong>de</strong>s Theaters Chemnitz mit <strong>de</strong>m Deutschen Theaterpreis<br />
DER FAUST ausgezeichnet. Apropos Stil: Stephan Thoss<br />
bezweifelt <strong>de</strong>n Sinn all dieser Diskussionen über Stilrichtungen:<br />
ob klassisches Ballett o<strong>de</strong>r Ausdruckstanz, ob Graham- o<strong>de</strong>r<br />
Limón-Technik. Eigentlich, sagt er, arbeitet er stilfrei. Es geht ihm<br />
nicht darum, die eine Richtung in <strong>de</strong>n Himmel zu heben und die<br />
an<strong>de</strong>re zu verneinen. Dafür hat er durch seinen Lehrer Patricio<br />
zuviel über die elementaren Gemeinsamkeiten aller Bewegungsformen<br />
begriffen. Wahrscheinlich ist es gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>shalb so aufregend,<br />
seine Stücke anzuschauen: Weil es soviel Verschie<strong>de</strong>nes zu<br />
ent<strong>de</strong>cken gibt.<br />
Mehr als 60 Stücke hat <strong>de</strong>r Choreograf bisher geschaffen. Wie<br />
bewahrt man die, zum Beispiel für Wie<strong>de</strong>raufnahmen? Schließlich<br />
gibt es im Tanz kein Textbuch o<strong>de</strong>r keine Partitur. Manche<br />
Choreografen haben während <strong>de</strong>r Proben immer die Kamera im<br />
Saal, weil sie sehr flüchtig arbeiten. Stephan Thoss hingegen hat<br />
ein gut funktionieren<strong>de</strong>s visuelles Gedächtnis. Er könnte von<br />
Produktionen, die Jahre her sind, je<strong>de</strong> Bewegung erinnern – für<br />
ihn selbstverständlich: »Das ist ja mein eigenes Werk, hinter je<strong>de</strong>r<br />
Sequenz liegt eine Entstehungsgeschichte. Die zu vergessen,<br />
wäre ja sträflich.« Zusätzlich macht er sich in <strong>de</strong>n Pausen Notizen,<br />
kleine Strichmännchen, sein ganz eigenes System.<br />
Zurzeit ist Stephan Thoss Ballettdirektor in Wiesba<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>r<br />
nächsten Spielzeit wird er dort zum Beispiel »Blaubarts Geheimnisse«<br />
choreografieren (man sieht schon: <strong>de</strong>r Titel ist wie<strong>de</strong>r etwas<br />
zum um die Ecke <strong>de</strong>nken, angelehnt an die Oper »Herzog Blaubarts<br />
Burg« von Béla Bartók). Was er sonst noch für Pläne hat?<br />
Vielleicht mal eine Oper inszenieren, das hat bisher terminlich<br />
noch nicht geklappt.<br />
23
Alte junge bühne<br />
Moriz Seeler, <strong>de</strong>r Kopf <strong>de</strong>r <strong>Junge</strong>n <strong>Bühne</strong> mit Szenenbil<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r<br />
Inszenierung von »Exzesse«. Die Inszenierung von 1925 am Berliner<br />
Lessingtheater war <strong>de</strong>r Höhepunkt <strong>de</strong>r Skandalbühne.<br />
Links unten: die Rezension <strong>de</strong>s berühmten Kritikers Herbert Jhering.<br />
Links oben: <strong>de</strong>r Besetzungszettel zu »Vatermord« (1922), <strong>de</strong>r ersten<br />
Inszenierung <strong>de</strong>r <strong>Junge</strong>n <strong>Bühne</strong>.<br />
VON Holger Zebu Kluth<br />
------------------------------<br />
foto moriz seeler: persona verlag, lisette buchholz<br />
weitere fotos: archiv aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r künste<br />
24<br />
Eine ältere junge bühne<br />
In <strong>de</strong>n 1920er Jahren gab es in Berlin<br />
schon einmal eine »junge bühne«.<br />
Das war keine Zeitschrift, son<strong>de</strong>rn<br />
ein Theater... »Vom Gange her hörte er das Dröhnen <strong>de</strong>r Stimmen von <strong>de</strong>r<br />
<strong>Bühne</strong>, ein zerhacktes Schreien lei<strong>de</strong>nschaftlicher Empörung,<br />
Schüsse, Röcheln, Wahnsinnsgebrüll – dazwischen Meckern,<br />
dämonisches Pfeifen und Höllengelächter«. So heißt es in Paul<br />
Gurks Roman »Berlin«, in <strong>de</strong>m ein reales Ereignis durch die Sicht<br />
<strong>de</strong>r Hauptfigur Eckenpenn beschrieben wird: die erste<br />
Premiere <strong>de</strong>r <strong>Junge</strong>n <strong>Bühne</strong> am 14. Mai 1922. Eckenpenn<br />
schleicht sich in die Aufführung, die gera<strong>de</strong> zu En<strong>de</strong> geht<br />
und sieht, was da passiert: »Der Kampf <strong>de</strong>s Sohnes gegen<br />
<strong>de</strong>n Vater, <strong>de</strong>s <strong>Junge</strong>n gegen das Alte, <strong>de</strong>s Wer<strong>de</strong>ns gegen<br />
das Gewor<strong>de</strong>ne, <strong>de</strong>s Unreifen gegen das Verwesen<strong>de</strong>.« Der<br />
Sohn macht sich über <strong>de</strong>n Vater lustig, spricht ihm je<strong>de</strong> Autorität<br />
ab und Peng!, da en<strong>de</strong>t die Aufführung mit <strong>de</strong>m Vatermord.<br />
Zuerst ruft nur jemand ein »Pfui« in die Stille. Dann setzt<br />
wüten<strong>de</strong>s Klatschen ein, die jungen Leute im Saal beginnen wild<br />
auf die Lehnen zu schlagen. Ein Pfiff gellt aus einem Schlüssel,<br />
ihm antwortet eine Kin<strong>de</strong>rtrompete, begleitet vom kunstvollen<br />
Heulen auf hohlen Fäusten. Unter taktmäßigem Schlagen wird ein<br />
Name herausgebrüllt, wohl <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Schriftstellers, dagegen erschallen<br />
Rufe »Gemeinheit«, »Frechheit«, »Anmaßung«. Es bil<strong>de</strong>n<br />
sich streiten<strong>de</strong> Gruppen. Eckenpenn fühlt sich plötzlich in eine<br />
ultraradikale Volksversammlung versetzt. Auf <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong> erscheinen<br />
nun <strong>de</strong>r Regisseur, die Schauspieler und <strong>de</strong>r Autor, »ein<br />
blasser, blon<strong>de</strong>r Jüngling, <strong>de</strong>r sich ängstlich, mit scheuen, run<strong>de</strong>n<br />
Augengläsern auf <strong>de</strong>r Nase in das Rasen hinein verbeugt...«<br />
Nach<strong>de</strong>m die Menge nach einer halben Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Saal noch<br />
immer nicht verlässt, wird die Polizei gerufen, die das Theater mit<br />
sanfter Gewalt räumt. Und mit einem <strong>de</strong>r größten Theaterskandale<br />
<strong>de</strong>r 20er Jahre <strong>de</strong>s letzten Jahrhun<strong>de</strong>rts hat die <strong>Junge</strong> <strong>Bühne</strong><br />
energisch ihren Fuß in die Tür <strong>de</strong>r Theatergeschichte gestellt. Die<br />
skandalöse Premiere machte Arnolt Bronnen, <strong>de</strong>n Autor <strong>de</strong>s<br />
Stückes »Vatermord« und die <strong>Junge</strong> <strong>Bühne</strong> auf einen Schlag<br />
bekannt. 38 Kritiken erschienen u.a. in Berlin, Zürich, Prag, Wien<br />
und München. Die wichtigsten Zeitungen schrieben über die<br />
Aufführung. Die <strong>Junge</strong> <strong>Bühne</strong> wur<strong>de</strong> ausnahmslos für ihren<br />
Mut und ihr Engagement für neue Dramatik gelobt.<br />
25
fotos: archiv aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r künste<br />
Alte junge bühne<br />
Fotos links: »Exzesse« von Arnold Bronnen: Szenenfoto zur Uraufführung,<br />
<strong>de</strong>r Autor, das Ensemble samt Moriz Seeler (mit Brille).<br />
Holger Zebu Kluth, <strong>de</strong>r Autor dieses Artikels, studierte in Berlin<br />
Germanistik und Theaterwissenschaft. Er schrieb seine Magisterarbeit<br />
über Moriz Seeler und die <strong>Junge</strong> <strong>Bühne</strong>. Kluth war<br />
Dramaturg am Berliner Hebbel-Theater und Künstlerischer<br />
Leiter <strong>de</strong>s Theater am Halleschen Ufer. Seit 2004 ist er Geschäftsführer<br />
<strong>de</strong>r Hamburger Kammerspiele, <strong>de</strong>s Altonaer<br />
Theaters und <strong>de</strong>s Harburger Theaters.<br />
„Dass aus quälen<strong>de</strong>n Klassikerlektionen wun<strong>de</strong>rbare<br />
Kulturblüten erwachsen können, hat Bodo Wartke bewiesen.<br />
14 Rollen vom Hirten über Iokaste bis zu Teiresias, meistert<br />
er klar abgegrenzt und mimisch überzeugend. So entsteht<br />
Hochkomik im Geiste <strong>de</strong>r Auf klärung, wie sie lei<strong>de</strong>r selten<br />
gewor<strong>de</strong>n ist.“ Süd<strong>de</strong>utsche Zeitung<br />
26<br />
Der Grün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r <strong>Junge</strong>n <strong>Bühne</strong> war Moriz Seeler,<br />
ein jüdischer Intellektueller, <strong>de</strong>r einige Jahre zuvor<br />
aus Greifenberg in Pommern nach Berlin gekommen<br />
war. Bei <strong>de</strong>r Premiere <strong>de</strong>s »Vatermord« war er gera<strong>de</strong> 26<br />
Jahre alt. »Einer <strong>de</strong>r vornehmsten Charaktere <strong>de</strong>r Berliner<br />
Bohème. Wenn man ihn an einem <strong>de</strong>r Marmortische <strong>de</strong>s Romanischen<br />
Cafés sitzen sah, in ein <strong>Bühne</strong>nmanuskript o<strong>de</strong>r in eine<br />
Theaterkritik vertieft, so konnte man glauben, hier halte <strong>de</strong>r Junior<br />
eines patrizischen Bankhauses seine Kaffeepause ab. Seeler aber<br />
hat niemals mit Geschäftsdingen etwas zu tun gehabt – es sei<br />
<strong>de</strong>nn, er ermöglichte einem jungen literarischen Genie <strong>de</strong>n <strong>Bühne</strong>nstart.<br />
Die Matineen <strong>de</strong>r <strong>Junge</strong>n <strong>Bühne</strong> waren berühmt. Er war<br />
<strong>de</strong>r Schrittmacher <strong>de</strong>r jungen Dramatik; ein nobler Mann mit<br />
einem sicheren Blick für die kommen<strong>de</strong>n jungen Dichter. Auch er,<br />
wie so viele <strong>de</strong>r besten Geister <strong>de</strong>r zwanziger Jahre, fiel <strong>de</strong>m<br />
Naziterror zum Opfer«, so beschreibt ihn ein Zeitgenosse.<br />
o<strong>de</strong>r die Hinterwäldler«, das dieser später selbst so<br />
schlecht fand, dass es als einziges keinen Eingang in<br />
seine Gesammelten Werke fand.<br />
Ihren Höhepunkt als Skandalbühne erreichte die <strong>Junge</strong><br />
<strong>Bühne</strong> mit <strong>de</strong>r Uraufführung von Arnolt Bronnens Drama<br />
»Exzesse«, einem »Lust-Spiel« in 13 Bil<strong>de</strong>rn. Um Arnolt Bronnen<br />
war schon vor dieser Uraufführung ein heftiger Streit entbrannt,<br />
da er mit <strong>de</strong>m Stück »Rheinische Rebellen« auch aus nationalen<br />
und national-rechten Kreisen Applaus einheimste und bereits<br />
seine politische Odyssee zu <strong>de</strong>n Nationalsozialisten begonnen<br />
hatte, die ihn bis in <strong>de</strong>n Kreis um <strong>de</strong>n späteren Reichspropagandaminister<br />
Joseph Goebbels führen sollte. Die »Exzesse« selbst<br />
waren ein Frühwerk, unpolitisch, sexuell aufgela<strong>de</strong>n, exzessiv<br />
und <strong>de</strong>r Skandal war somit vorprogrammiert. Er kulminierte in<br />
<strong>de</strong>r öffentlichen Ohrfeige Seelers für einen kommunistischen<br />
Dramaturgen, <strong>de</strong>r die Aufführung von Beginn an mit<br />
--------------------------------------------------------------------------------------------------<br />
Moriz Seeler war <strong>de</strong>r Schrittmacher <strong>de</strong>r jungen Dramatik; ein nobler Mann<br />
mit einem sicheren Blick für die kommen<strong>de</strong>n jungen Dichter.<br />
--------------------------------------------------------------------------------------------------<br />
Der Kreis <strong>de</strong>r Mitstreiter <strong>de</strong>r <strong>Junge</strong>n <strong>Bühne</strong> rekrutierte sich aus<br />
jungen Schauspielern (wie Elisabeth Bergner o<strong>de</strong>r Agnes Straub),<br />
Autoren und Regisseuren, die nach einer Möglichkeit suchten,<br />
jenseits <strong>de</strong>s arrivierten Theaterbetriebes ihr Talent unter Beweis<br />
zu stellen und aus schon arrivierten Künstlern, die ihr Engagement<br />
und ihr Interesse am Theaterschaffen <strong>de</strong>s Nachwuchses zur<br />
<strong>Junge</strong>n <strong>Bühne</strong> brachte. In diesem Sinne war die <strong>Junge</strong> <strong>Bühne</strong><br />
sicher auch eine <strong>de</strong>r ersten Freien Gruppen, wie sie heute<br />
ein völlig normaler Bestandteil <strong>de</strong>r Theaterlandschaft sind. Auch<br />
insofern, als sie kein Theatergebäu<strong>de</strong> fest bespielte, ähnelte sie<br />
einem Freien Theater.<br />
In <strong>de</strong>n fünf Jahren ihres Bestehens brachte die <strong>Junge</strong> <strong>Bühne</strong><br />
insgesamt elf Produktionen an <strong>de</strong>n wichtigsten Theatern Berlins<br />
heraus, u.a. im Theater am Schiffbauerdamm (heute: Berliner Ensemble),<br />
<strong>de</strong>m Theater in <strong>de</strong>r Königgrätzer Straße (Hebbel-Theater), <strong>de</strong>m<br />
Schauspielhaus am Gendarmenmarkt (Konzerthaus Berlin) o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m<br />
im Krieg zerstörten Lessingtheater. Neben Arnolt Bronnens »Vatermord«<br />
gibt man als weitere historische Uraufführungen Bertolt<br />
Brechts »Baal« und Marieluise Fleißers »Fegefeuer in Ingolstadt«, ein<br />
Wild-West-Drama von Carl Zuckmayer mit Namen »Pankraz erwacht<br />
einer Pfeife störte und hatte ein wochenlanges publizistisches<br />
Nachspiel. Allein 103 Zeitungsbeiträge sind heute noch zu <strong>de</strong>n<br />
»Exzessen« zu fin<strong>de</strong>n.<br />
Der Treffpunkt <strong>de</strong>r Mitwirken<strong>de</strong>n war das Romanische Café an<br />
<strong>de</strong>r heutigen Gedächtniskirche im Berliner Westen. Es war ein<br />
Treffpunkt <strong>de</strong>r Berliner Bohème, ein Haifischbecken <strong>de</strong>r<br />
Kunstwelt <strong>de</strong>r 20er Jahre. Die <strong>Junge</strong> <strong>Bühne</strong> war von Beginn an als<br />
Experimentierstudio gedacht, das versuchte, die Autoren und<br />
Stücke <strong>de</strong>s ausgehen<strong>de</strong>n Expressionismus innerhalb <strong>de</strong>s bürgerlichen<br />
Geschäftstheaterbetriebes durchzusetzen. Die Matineen,<br />
zum Teil als Geschlossene Vorstellungen konzipiert, bei <strong>de</strong>nen je<strong>de</strong>r<br />
Zuschauer eine Erklärung unterschreiben musste, dass er auf die<br />
möglicherweise verwerflichen Inhalte hingewiesen wor<strong>de</strong>n sei,<br />
waren vorwiegend an die Berliner Theaterschaffen<strong>de</strong>n gerichtet.<br />
Der Versuch Seelers, <strong>de</strong>n Aufführungen ein Publikum zu verschaffen,<br />
das <strong>de</strong>n neuen Produktionen aufgeschlossen gegenüber<br />
stand und selbst Einfluss in Theaterkreisen hatte, brachte es mit<br />
sich, dass Seeler mit <strong>de</strong>m Theater kaum etwas einnahm, so dass<br />
die <strong>Junge</strong> <strong>Bühne</strong> und ihr Leiter Moriz Seeler eigentlich immer<br />
pleite waren.<br />
Und was wollte die <strong>Junge</strong> <strong>Bühne</strong> erreichen? Sie war nicht als<br />
Karrierenetzwerk gedacht, son<strong>de</strong>rn war ein radikaler Versuch,<br />
das Theater künstlerisch zu verän<strong>de</strong>rn. Das, was unter<br />
<strong>de</strong>m Begriff Schwarzer Expressionismus als Beschreibung <strong>de</strong>r<br />
Stücke, die die <strong>Junge</strong> <strong>Bühne</strong> aufführte, zusammengefasst<br />
wird, ist ein Angriff auf die künstlerischen »Väter«. Vier Jahre<br />
nach En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 1. Weltkrieges fand sich die Jugend vor einem<br />
moralischen Trümmerhaufen. Die »Alten« hatten ausgedient.<br />
Die jungen Dichter waren hart, zynisch, materialistisch – hätte<br />
es Punk damals schon gegeben, sie wären Punks gewesen.<br />
Brecht hatte noch nicht zum Kommunismus gefun<strong>de</strong>n, sein<br />
»Baal« ist ein zynisches, unmoralisches Monster; Arnolt<br />
Bronnen, <strong>de</strong>r später mit <strong>de</strong>m Nationalsozialismus kokettierte,<br />
war ein Radikaler, Anarchist, <strong>de</strong>r »Richard« von Hans Henny<br />
Jahnn fand sich reduziert auf Greuel, Exzesse und Gewalt – so<br />
sahen die jungen Dichter die Welt, in die sie hineinwuchsen<br />
und trafen somit genau das Lebensgefühl ihrer Zeitgenossen,<br />
die wie beim »Vatermord« einem Popkonzert gleich <strong>de</strong>n<br />
gewaltsamen Tod <strong>de</strong>r alten Generation bejubelten. Die »<strong>Junge</strong><br />
<strong>Bühne</strong>« traf genau <strong>de</strong>n Zeitgeist <strong>de</strong>r jungen Nachkriegsgeneration<br />
<strong>de</strong>s 1.Weltkrieges...<br />
Moriz Seeler blieb auch weiterhin ein Ent<strong>de</strong>cker und<br />
Wegbereiter für junge Ausnahmetalente. Nach <strong>de</strong>r Machtübernahme<br />
<strong>de</strong>r Nationalsozialisten wer<strong>de</strong>n Zeugnisse von<br />
ihm jedoch sehr spärlich. Als Ju<strong>de</strong> war ihm je<strong>de</strong> Tätigkeit am<br />
Theater untersagt. Vermutlich war er als »heimlicher Dramaturg«<br />
(Arnolt Bronnen) ab 1935 am Theater am Kurfürstendamm<br />
unter seiner Intendantin Agnes Straub tätig, die eine<br />
treue Freundin aus Zeiten <strong>de</strong>r <strong>Junge</strong>n <strong>Bühne</strong> war.<br />
Seeler gelang die Flucht aus Deutschland nicht. Anfang<br />
1942 traf <strong>de</strong>r Schriftsteller August Schlotis auf Seeler, <strong>de</strong>r<br />
nunmehr illegal in Berlin lebte: »Als ich ihn unerwartet anre<strong>de</strong>te,<br />
erschrak er erst, erkannte mich nicht gleich, erhob sich<br />
<strong>de</strong>mütig, schaute linkisch hin, erwartungsvoll und menschenscheu,<br />
wie ein streunen<strong>de</strong>r, verprügelter Hund«, erinnert sich<br />
Schlotis. Wenige Tage später versteckt Schlotis Seeler für einige<br />
Nächte, <strong>de</strong>r dann über die holländische Grenze flüchten will.<br />
Ebenfalls 1942 traf auch <strong>de</strong>r Schauspieler Rudolf Fernau noch<br />
einmal auf Seeler. »Jemand hat mich heimlich versteckt«,<br />
flüsterte Seeler, »aber morgen fahre ich mit einem falschen<br />
Pass ins Ausland. Wünschen Sie mir Glück«. Er lächelte<br />
krampfhaft, lüftete seine Melone und verschwand im Dunkeln.<br />
Kurze Zeit danach, am 15.8.1942 wur<strong>de</strong> Moriz Seeler<br />
gefangen genommen und mit <strong>de</strong>m 18. Osttransport vom<br />
Bahnhof Grunewald ins jüdische Ghetto nach Riga verschleppt,<br />
wo er vermutlich umgekommen ist.<br />
K ö n i g<br />
Ö D I P U S<br />
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Eine Ol<strong>de</strong>nburger Schülerin schrieb für die<br />
junge bühne ein Tagebuch ihrer Begegnungen<br />
mit <strong>de</strong>m Staatstheater Ol<strong>de</strong>nburg in <strong>de</strong>r<br />
vergangenen Spielzeit<br />
Meine Spielzeit<br />
29<br />
28Meine Spielzeit<br />
Marie Jelenka Kirchner, die Autorin dieses Artikels, ist 17 Jahre alt und geht in Ol<strong>de</strong>nburg zur<br />
Schule. Sie arbeitet intensiv in <strong>de</strong>r örtlichen Amnesty International Jugendgruppe und schreibt<br />
kurze o<strong>de</strong>r längere Geschichten. Ihre Interessen sind – neben Menschenrechten und Literatur –<br />
Politik, Musik, Freun<strong>de</strong> und natürlich das Theater. http://mariejelenka.jimdo.com<br />
Wolfgang<br />
Ama<strong>de</strong>us Mozarts<br />
Oper »Don Giovanni«<br />
am Staatstheater<br />
Ol<strong>de</strong>nburg.<br />
alle fotos dieses artikels: andreas j. etter
Von Marie Jelenka Kirchner<br />
------------------------------------<br />
Meine Spielzeit<br />
Das <strong>Bühne</strong>nbild. Das Erste, was man sieht, wenn man in <strong>de</strong>n<br />
stuckverzierten Aufführungssaal spaziert und sich vorfreudig auf<br />
einen <strong>de</strong>r samtgepolsterten Theatersessel fallen lässt. Ja, das<br />
<strong>Bühne</strong>nbild. Mal so pink wie – nein pinker als das schülervz<br />
(»Madama Butterfly«). An einem an<strong>de</strong>ren Abend verführt Don<br />
Giovanni in und um einen großen weißen Setzkasten – in <strong>de</strong>r<br />
Regionalzeitung treffend als »Billyregal in groß« bezeichnet – einen<br />
Haufen attraktiver Frauen. In »La Fête« tänzeln die Darsteller<br />
um große lila Sofas. Auf <strong>de</strong>r Stairway to Heaven bzw. <strong>de</strong>r breiten<br />
weißen Treppe zur »Welt auf <strong>de</strong>m Mond« stehen plötzlich alle<br />
Schauspieler in Unterwäsche da. Weiß, vielleicht Schiesser. Aber<br />
regelmäßige Theaterbesucher schockt das nicht. Die Bässe kriegt<br />
man in annähernd je<strong>de</strong>r Oper am Staatstheater Ol<strong>de</strong>nburg<br />
in Schlüpfern zu sehen. Nun ja, das mag Ansichtssache sein.<br />
Immerhin können die vollschlanken Bässe am Staatstheater ihren<br />
Resonanzkörper gut einsetzen, sprich großartig singen.<br />
auf <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong> einer osteuropäischen Haushaltsgehilfin in <strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>utschen Nachkriegszeit ihr Kind genommen wird, im Hintergrund<br />
auf einer Leinwand sich gegenseitig Ratten zerfleischen<br />
(»Die Ratten«). Während die verzweifelte »Alice im Wun<strong>de</strong>rland«<br />
weint und weint und weint, füllt sich ein Leinwandgarten mit<br />
Wasser – die <strong>Bühne</strong> bleibt trocken und das im Durchschnitt<br />
achtjährige Publikum fragte nur: »Hä?«<br />
Beson<strong>de</strong>rs interessant ist auch die Tatsache, dass ein Liebesnest<br />
stets durch pinke und rote Luftballons treffend gekennzeichnet<br />
wird. Doch viel interessanter ist, was sich hinter diesem<br />
müßig um Mo<strong>de</strong>rne besorgten <strong>Bühne</strong>nbild verbirgt. Denn während<br />
auf <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong> alles bunt, hell (es sei <strong>de</strong>nn das Licht wird<br />
nicht eingeschaltet – siehe unten) und glatt scheint, verläuft es<br />
hinter <strong>de</strong>n Kulissen nicht immer so gradlinig. Auch be<strong>de</strong>utete in<br />
dieser Spielzeit ein Strauß roter Luftballons nicht automatisch ein<br />
Liebesnest – manchmal sogar das genaue Gegenteil.<br />
--------------------------------------------------------------------------------------------------<br />
Gut, dass ich beim Theater nur liebe, was heraus kommt und<br />
ich mich nicht um die Finanzierung kümmern muss.<br />
--------------------------------------------------------------------------------------------------<br />
31<br />
30<br />
Doch auf <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong> ist mehr zu sehen als fast nichts o<strong>de</strong>r nur ein<br />
großer sparsam möblierter Kasten, je<strong>de</strong>nfalls gelegentlich. Beispielsweise<br />
wur<strong>de</strong> En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s vorletzten Jahrhun<strong>de</strong>rts etwas ganz<br />
Wun<strong>de</strong>rbares entwickelt, das Film genannt wird. Fin<strong>de</strong>n je<strong>de</strong>nfalls<br />
die Inszenierer in Ol<strong>de</strong>nburg. Das hat zur Folge, dass, während<br />
So war <strong>de</strong>r Beginn <strong>de</strong>r Spielzeit für die Intendanz am Staatstheater<br />
mit Stress verbun<strong>de</strong>n. Ausgehend von ver.di streikten mehrere<br />
Wochen lang knapp zwei Drittel <strong>de</strong>r Theaterangestellten hinter<br />
<strong>de</strong>n Kulissen dafür, dass in einem neu abzuschließen<strong>de</strong>n Tarifvertrag<br />
gleiches wie im alten Tarifvertrag, <strong>de</strong>r bis 2009 gültig war,<br />
steht, im Expliziten ging es um Zulagen für ungünstige Arbeitszeiten<br />
und Zusatzurlaub. Das begann am 24. August 2009 und<br />
en<strong>de</strong>te im Oktober 2009. Sprich, die erste Hälfte <strong>de</strong>r Spielzeit<br />
09/10 war geprägt durch fehlen<strong>de</strong> Schnei<strong>de</strong>rInnen, Beleuchter und<br />
MitarbeiterInnen <strong>de</strong>r Werkstätten. Und hin und wie<strong>de</strong>r war niemand<br />
da, <strong>de</strong>r die Scheinwerfer betätigen konnte, sodass das<br />
Publikum sich fragte, welche aufgehen<strong>de</strong> Sonne Cio-Cio San<br />
(»Madama Butterfly«) besang.<br />
Mehrere Wochen hielten die Streiken<strong>de</strong>n rote ver.di-Plakate<br />
vor Vorstellungsbeginn in die Höhe und sammelten mit Petitionen<br />
Unterschriften. Doch auf was wirkt sich ein solcher Streik<br />
beson<strong>de</strong>rs aus? So etwas gehe an erster Stelle auf die Qualität am<br />
Theater. Da trete dann ein Chor einfach mal nur in schwarz auf,<br />
erklärt eine <strong>de</strong>r streiken<strong>de</strong>n Requisiteurinnen im Gespräch. Und<br />
die innere Ruhe <strong>de</strong>r Schauspielerinnen und Schauspieler lei<strong>de</strong><br />
stark unter <strong>de</strong>m Streik. Weil die Intendanz versucht, Arbeitskräftemangel<br />
durch Fremdpersonal auszugleichen, fehlt das oft seit<br />
Jahren eingespielte Team.<br />
Wie ironisch, dass in dieser Spielzeit das Stück »Der nackte<br />
Wahnsinn« aufgeführt wird. Ein Theaterstück, in <strong>de</strong>m während <strong>de</strong>r<br />
Aufführung rein gar nichts klappt, und sage und schreibe <strong>de</strong>r<br />
nackte Wahnsinn ausbricht. Vor und hinter <strong>de</strong>n Kulissen. Da bricht<br />
eine Tür entzwei, die Handtaschen verschwin<strong>de</strong>n und, und, und…<br />
Zwar mussten keine Stücke ausfallen, doch eine geplante Wie<strong>de</strong>raufnahme<br />
wur<strong>de</strong> abgesagt. Noch vor einigen Jahren hat es prunkvolle<br />
<strong>Bühne</strong>nbil<strong>de</strong>r gegeben und beispielsweise »echte Wäl<strong>de</strong>r«.<br />
Ol<strong>de</strong>nburger Ballonszenen<br />
aus »Don Giovanni« (links) und<br />
»Madama Butterfly« (rechts).
32<br />
Meine Spielzeit<br />
Szene aus »Condor Unlimited«<br />
in <strong>de</strong>r Ol<strong>de</strong>nburger Exerzierhalle<br />
(mit Hanka Schmidt).<br />
Inzwischen wird eine neue, an<strong>de</strong>re, aber auf eine Art sicherlich<br />
reizvolle Linie, gefahren. Während im »Sommernachtstraum«<br />
vor ein paar Jahren unter mächtigen Bäumen hindurch geirrt<br />
wur<strong>de</strong>, fin<strong>de</strong>t »Schneewitte« die Zwergenhütte inzwischen<br />
umgeben von grünen, kunstvoll gebogenen, Metallstangen.<br />
Dynamisch tritt auch <strong>de</strong>r 36-jährige Intendant Markus Müller<br />
auf, <strong>de</strong>ssen schwarze Rollkragenpullover optimal zu <strong>de</strong>r »neuen«<br />
schlichten Linie <strong>de</strong>s Staatstheaters passen. Doch ein bisschen<br />
Mo<strong>de</strong>rne ist ja auch keinesfalls schlecht. Nur passt es manchmal<br />
einfach nicht und wirkt dann schnell zu gewollt. Beispielsweise<br />
wenn die Hochzeitsgäste einer 15-jährigen Braut im Kontext von<br />
Imperialismus und Menschenhan<strong>de</strong>l saufend vor einem<br />
Flatscreen grölten und das Kind eben dieser jungen Frau ein<br />
Barack-Obama-Shirt trägt (»Madama Butterfly«). O<strong>de</strong>r wenn <strong>de</strong>r<br />
Onkel von König Ödipus im Alt-68er-Style »Here comes the sun«<br />
trällert, während sein Neffe sich rachelüstern durch die wasserstoffblon<strong>de</strong>n<br />
schulterlangen Haare fährt. Ich sehe mir gerne<br />
mo<strong>de</strong>rn inszenierte Stücke an – doch auch in <strong>de</strong>n mo<strong>de</strong>rnsten<br />
Stücken muss sich nach meinem Geschmack nicht min<strong>de</strong>stens ein<br />
Darsteller pro Szene ausziehen und dann alle halbe Stun<strong>de</strong> einmal<br />
markerschütternd brüllen, im Sinne von: »Huhu – wenn Sie schon<br />
eingeschlafen sind, dann wachen Sie jetzt bitte wie<strong>de</strong>r auf!«<br />
Das Problem liege nicht nur am Theater an sich, son<strong>de</strong>rn<br />
auch am Publikum, meint <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong>ntechniker, mit <strong>de</strong>m ich<br />
beim Streik ins Gespräch kam, und wagt sich an einen Witz:<br />
»Was ist 14 Meter lang und hat zwei Zähne? – Die erste Reihe<br />
im Theater bei gefülltem Haus«. Natürlich heißt das nicht,<br />
dass sich partout kein Jugendlicher im Theater blicken<br />
lässt, doch sie dominieren auch keineswegs. Das Staatstheater<br />
versucht mit locken<strong>de</strong>n Angeboten (alle Schülerinnen und<br />
Schüler <strong>de</strong>r 11. Klasse bekommen alle Restkarten kostenlos)<br />
uns in die weichen roten Sessel zu bekommen.<br />
Umfragen bei Gleichaltrigen zum Staatstheater haben<br />
ergeben, was sich bei mir im Laufe <strong>de</strong>r vergangenen Spielzeit<br />
ebenfalls verfestigt hat: Mo<strong>de</strong>rne im Theater sei schon was<br />
»Cooles« und knallbunte Farbe o<strong>de</strong>r »Sex« auf <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong> gäben<br />
<strong>de</strong>m Ganzen mehr Pfiff, nur muss die Balance gewahrt wer<strong>de</strong>n.<br />
Abschließend kann nun gesagt wer<strong>de</strong>n, dass ich – so sehr<br />
ich unser Theater liebe – etwas enttäuscht wur<strong>de</strong>. Ich war sehr<br />
erwartungsvoll in diese Spielzeit gegangen und war zunächst<br />
von <strong>de</strong>m Streik etwas überrollt wor<strong>de</strong>n. Das war ein Moment,<br />
da dachte ich zunächst noch nur »Aha. So ist das also alles«.<br />
Meine Sympathie galt <strong>de</strong>n Streiken<strong>de</strong>n. Es wird in <strong>de</strong>r Theaterlandschaft<br />
über finanzielle Probleme gejammert – das alte<br />
Lied, das sich heutzutage durch so viele Bereiche zieht. Doch<br />
meiner Meinung nach sind auch fehlen<strong>de</strong> Subventionierung,<br />
die Finanzkrise und durchwachsene Zuschauerzahlen keine<br />
Entschuldigung dafür, an Qualität zu sparen und statt<strong>de</strong>ssen<br />
möglichst viele, dafür aber schlechter ausgestattete Stücke zu<br />
zeigen. Vielleicht muss ich aber auch sagen: »Gut, dass ich<br />
beim Theater nur liebe, was heraus kommt, und ich mich<br />
nicht um die Finanzierung kümmern muss.«<br />
Doch – und das nun wirklich zum En<strong>de</strong> – auch wenn es<br />
mir oft vorkam, als wenn ich in einem kleinen Provinztheater<br />
säße, liebe ich einige Singstimmen. Einige Tänzerinnen und<br />
Tänzer. Einige Schauspielerinnen und Schauspieler. Und einige<br />
Stücke. Und noch hat das Staatstheater Ol<strong>de</strong>nburg nicht seinen<br />
Charme verloren.<br />
10/11<br />
Premieren<br />
+++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++<br />
18.09.10 Ballhof Eins<br />
LittLe Boy – Big taifoon<br />
(europäische erstaufführung)<br />
Hisashi Inoue, Regie: Marc Prätsch<br />
Geför<strong>de</strong>rt durch die Schauspielfreun<strong>de</strong> (GFS)<br />
+++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++<br />
18.–26.09.10 Ballhofplatz<br />
repuBLik freies WendLand –<br />
reaktiviert Ein soziotheatrales Experiment<br />
Geför<strong>de</strong>rt durch die Kulturstiftung <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>s<br />
+++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++<br />
19.09.10 Ballhof zwEi<br />
crux o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r heiLand unterm Bett<br />
(uraufführung) Anne Jentsch, Regie: Martin Baierlein<br />
Geför<strong>de</strong>rt durch die Nie<strong>de</strong>rsächsische Lottostiftung<br />
+++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++<br />
24.10.10 Ballhof Eins<br />
neverLand (uraufführung)<br />
Popmärchenrecherche mit Jugendlichen aus Hannover<br />
Regie: Robert Lehniger. Kooperationspartner: enercity<br />
+++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++<br />
07.01.11 Ballhof Eins<br />
kristus – monster of münster<br />
(uraufführung)<br />
Robert Schnei<strong>de</strong>r / Mirko Borscht, Regie: Mirko Borscht<br />
+++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++<br />
11.02.11 Ballhof Eins<br />
cLavigo Johann Wolfgang von Goethe, Regie: Florian Fiedler<br />
Geför<strong>de</strong>rt durch die Sparkasse Hannover<br />
+++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++<br />
26.02.11 Ballhof zwEi<br />
unternehmen hunger<br />
Hans-Werner Kroesinger, Regie: Hans-Werner Kroesinger<br />
+++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++<br />
15.04.11 Ballhof Eins<br />
<strong>de</strong>portation cast (uraufführung)<br />
Björn Bicker, Regie: Marc Prätsch<br />
+++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++<br />
Karten unter (0511) 9999 1111 . infos unter (0511) 9999 2855
Städtische <strong>Bühne</strong>n Münster<br />
Spielzeit 2010|2011<br />
Intendanz Wolfgang Quetes<br />
Musiktheater<br />
Richard Wagner: Der fliegen<strong>de</strong> Hollän<strong>de</strong>r<br />
Leoš Janáček: Katja Kabanowa<br />
Johann Strauß: Die Fle<strong>de</strong>rmaus<br />
Francis Poulenc: Gespräche <strong>de</strong>r Karmeliterinnen –<br />
Die Letzte am Schafott<br />
Giuseppe Verdi: Nabucco<br />
Hans Werner Henze: Die englische Katze<br />
Schauspiel<br />
Joseph Roth: Hiob<br />
Ulla Lachauer: Paradiesstraße<br />
Aischylos/Peter Handke: Prometheus, gefesselt<br />
Harald Müller: Totenfloß<br />
»Ich wan<strong>de</strong>re durch Theresienstadt«<br />
Lie<strong>de</strong>r und Texte aus Terezín<br />
Gottfried Greifenhagen/Franz Wittenbrink:<br />
Die Comedian Harmonists<br />
John Buchan/Alfred Hitchcock: Die 39 Stufen<br />
Johann Wolfgang Goethe: Iphigenie auf Tauris<br />
Tom Lanoye: Atropa. Die Rache <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns<br />
Georg Büchner/Robert Wilson/<br />
Tom Waits/Kathleen Brennan: Woyzeck<br />
Jan Neumann: Fundament<br />
William Shakespeare: König Lear<br />
Michael Frayn: Der nackte Wahnsinn<br />
Anton Čechov: Onkel Vanja<br />
Friedrich Schiller: Don Carlos (WA)<br />
Konrad Hansen: De Lüü van’n Lehmpott<br />
Tanztheater<br />
Mark Sieczkarek: Common tones<br />
Daniel Goldin: Dichter. Liebe<br />
Daniel Goldin: Neues Stück (Arbeitstitel)<br />
Kin<strong>de</strong>r- und Jugendtheater<br />
Lars Norén: 20. November<br />
Susann Oberacker/Inken Rahardt:<br />
Jojo und das Geheimnis <strong>de</strong>r Oper<br />
Benjamin Britten: Noahs Flut<br />
Prasqual: Moses muss singen<br />
Gerdt von Bassewitz: Peterchens Mondfahrt<br />
Umsteigen – SpurweXel 2010<br />
Ein Kooperationsprojekt zu<br />
I<strong>de</strong>ntität und Urbanität<br />
Bruno Stori/Tonino Guerra: Die große<br />
Erzählung – Die Odyssee in einer Stun<strong>de</strong><br />
Wilfried Hiller: Das Traumfresserchen<br />
Neubrückenstraße 63 | 48143 Münster | Kasse 0251.5909-100 | www.stadttheater.muenster.<strong>de</strong>
INDIEN<br />
Das Nrityagram Dance Ensemble<br />
(vor <strong>de</strong>m Foto eines indischen<br />
Turbanträgers).<br />
Kontinental<br />
43<br />
42<br />
EINE REISE NACH INDIEN.<br />
Begegnungen mit<br />
<strong>de</strong>m indischen Theater<br />
<strong>de</strong>r Gegenwart.<br />
an<strong>de</strong>rs<br />
Andrea Gronemeyer, die Autorin dieses Textes,<br />
wur<strong>de</strong> 1962 im Emsland geboren. Seit <strong>de</strong>m Jahr 2002<br />
ist sie Direktorin <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>r- und Jugendtheaters<br />
am Nationaltheater Mannheim, <strong>de</strong>s Schnawwl.<br />
Seit 2006 leitet sie gemeinsam mit <strong>de</strong>m Operndirektor<br />
auch die <strong>Junge</strong> Oper am Nationaltheater.<br />
Sie arbeitet auch als Regisseurin und hat zahlreiche<br />
Bücher veröffentlicht.<br />
foto: nan melville
Zwei Tänzerinnen <strong>de</strong>s<br />
Nrityagram Dance Ensembles.<br />
Zum dritten Mal reise ich im Februar 2010 in <strong>de</strong>n südindischen Staat Karnataka. Inzwischen mit weniger klopfen<strong>de</strong>m Herzen als<br />
beim ersten Mal, vier Jahre zuvor, aber voll Vorfreu<strong>de</strong> und Konzentration auf das, was ich in <strong>de</strong>n nächsten zwei Wochen erreichen<br />
will: Schauspieler engagieren aus <strong>de</strong>m Pool <strong>de</strong>r Freelancer am »Ranga Shankara«, unserem Partnertheater in Bangalore,<br />
mit <strong>de</strong>m wir eine Koproduktion planen. Außer<strong>de</strong>m will ich möglichst viel über die aktuelle Theaterpraxis Südindiens lernen.<br />
INDIEN<br />
Von Andrea Gronemeyer<br />
--------------------------------<br />
44<br />
foto: nan melville<br />
Nirgendwo auf <strong>de</strong>r Welt habe ich mich bisher so fremd gefühlt<br />
wie in Indien, keine Kultur hat mich so fasziniert und neugierig<br />
gemacht. Aber ich habe auch schon ein paar Basics gelernt: zum<br />
Beispiel die Grundregeln <strong>de</strong>r Kommunikation mit <strong>de</strong>n höflichen<br />
und zurückhalten<strong>de</strong>n indischen Kollegen. Die acht Arten <strong>de</strong>s<br />
freundlich bis skeptischen Kopfwackelns, das alle Gespräche<br />
begleitet, sind mir kein Buch mit sieben Siegeln mehr. Ich versuche<br />
gut zuzuhören und zwischen <strong>de</strong>n Zeilen zu lesen. Es ist wichtig zu<br />
spüren, wann ein Ja eigentlich ein Nein ist und zu wissen, wann ein<br />
Insistieren nicht nur unhöflich son<strong>de</strong>rn schlicht sinnlos wäre. Ich<br />
erkenne inzwischen, was bei einem südindischen Mittagsmenue,<br />
<strong>de</strong>m Thali, auf meinem Bananenblatt liegt, kann anständig mit <strong>de</strong>n<br />
Fingern essen und weiß, dass die Verwendung <strong>de</strong>r linken Hand<br />
dabei absolut tabu ist. Ich habe gelernt, meine Vorstellungen von<br />
Zeitmanagement und Effizienz nicht mehr für normal zu halten<br />
und gelegentlich darauf zu vertrauen, dass es auch an<strong>de</strong>re Wege<br />
zum gemeinsamen Ziel geben kann als meine. Vor allem übe ich<br />
mich darin, mich durch <strong>de</strong>n Dschungel einer indischen Großstadt<br />
zu bewegen, Straßen zu überqueren, ohne mich vom halsbrecherischen<br />
Fahrstil <strong>de</strong>r In<strong>de</strong>r einschüchtern zu lassen.<br />
Orientierung in dieser frem<strong>de</strong>n Welt, das ist immer noch eine<br />
große Herausfor<strong>de</strong>rung und das erste was mir zu Indien einfällt,<br />
wenn mich Freun<strong>de</strong> in Deutschland nach meinen Eindrücken<br />
fragen, ist tatsächlich das Bild einer Straße in Bangalore. Die<br />
Heimat unseres Partnertheaters ist eine wirtschaftliche Boom-<br />
Town, bekannt auch als Silicon Valley Indiens, <strong>de</strong>ren Einwohnerzahl<br />
sich während <strong>de</strong>r letzten Jahrzehnte etwa verdreifacht hat auf<br />
neun Millionen. Dementsprechend fahren auf <strong>de</strong>n riesigen Straßen<br />
dicke Limousinen neben Eselskarren, überfüllten Autobussen und<br />
einer Unzahl von Motorrikschas und Motorrollern, auf <strong>de</strong>nen<br />
Waren transportiert wer<strong>de</strong>n. Dazwischen schleppt ein Familienvater<br />
seinen Umzugskarren mit allerlei Hausrat und <strong>de</strong>r ganzen<br />
Familie oben drauf mit eigener Muskelkraft hinter sich her, während<br />
zahlreiche Radfahrer und Fußgänger <strong>de</strong>n oft nur im Schritttempo<br />
vorankommen<strong>de</strong>n Autoinsassen Waren und Dienstleistungen<br />
anbieten. Und nicht selten trotten auch noch freilaufen<strong>de</strong><br />
heilige Kühe und manchmal sogar ein Elefant unbeeindruckt<br />
durch <strong>de</strong>n tosen<strong>de</strong>n Lärm aus knattern<strong>de</strong>n Zweitaktmotoren und<br />
dauern<strong>de</strong>m Gehupe. In Indien, so mein Eindruck, ist alles, was die<br />
Welt heute ausmacht, gleichzeitig und auf engstem Raum zu<br />
bestaunen. Aberwitziger Luxus und bittere Armut, hochentwickelte<br />
Technik und traditionelle Arbeitsweisen, hierarchisches<br />
Miteinan<strong>de</strong>r und Individualisierung nach westlichem Vorbild.<br />
Und obwohl sich Indien rasant wie kaum ein an<strong>de</strong>res Land auf<br />
<strong>de</strong>r Welt verän<strong>de</strong>rt, scheint es – bei allen Bemühungen, <strong>de</strong>n<br />
Westen wirtschaftlich einzuholen – die eigene Kultur entschie<strong>de</strong>n<br />
gegen die Vereinnahmung und Vereinheitlichung nach europäischamerikanischem<br />
Muster zu verteidigen. So sind zum Beispiel<br />
ausländische Markennamen be<strong>de</strong>utungslos und die westliche<br />
Mo<strong>de</strong> ist weit davon entfernt, <strong>de</strong>n Sari als das bevorzugte Kleidungsstück<br />
indischer Frauen zu ersetzen. Westlicher Fastfood setzt<br />
sich ebenso wenig durch wie Hollywood, <strong>de</strong>ssen Filme noch nie<br />
mehr als 5 Prozent <strong>de</strong>s indischen Filmmarktes besetzten. Filmemacher,<br />
Schriftsteller und Theaterkünstler <strong>de</strong>s postkolonialen Indien<br />
haben die Herausfor<strong>de</strong>rung angenommen, ein neues indisches<br />
Selbstverständnis zu entwickeln. Sie suchen nach einer kulturellen<br />
I<strong>de</strong>ntität, die nicht auf Mo<strong>de</strong>llen <strong>de</strong>s Westens beruht, son<strong>de</strong>rn auf<br />
<strong>de</strong>n eigenen Wurzeln, <strong>de</strong>n Geschichten, Traditionen und Formensprachen<br />
sowie <strong>de</strong>n spezifischen Erfahrungen <strong>de</strong>r Menschen.<br />
-----------------------------------------------<br />
Ich habe gelernt, meine Vorstellungen von<br />
Zeitmanagement und Effizienz nicht mehr<br />
für »normal« zu halten ...<br />
-----------------------------------------------<br />
Meine Expedition in die indische Theaterwelt soll mich zunächst<br />
einmal mit einem Stück <strong>de</strong>r großen indischen Tradition bekannt<br />
machen und beginnt mit einer Aufführung <strong>de</strong>r klassischen südindischen<br />
Volkstheaterform Yakshagana. Es gibt kein <strong>Bühne</strong>nbild, <strong>de</strong>n<br />
Hintergrund bil<strong>de</strong>t eine Gruppe Musiker, Trommeln, Harmonium<br />
und Gesang. Nach und nach treten die Akteure auf, in farbenprächtigen<br />
Kostümen, großem Kopfputz und mit aufwändiger<br />
Gesichtsbemalung. Sie zeigen eine Episo<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>m alten indischen<br />
Epos »Mahabharatha«: Es geht um die Tapferkeit eines<br />
Kin<strong>de</strong>rkriegers, <strong>de</strong>r alle möglichen Fein<strong>de</strong> besiegt, bis er letztlich<br />
<strong>de</strong>n Hel<strong>de</strong>ntod für die Ehre seiner Familie stirbt. In einer Mischung<br />
aus Tanz und Drama spielen die Darsteller mit großen Gesten<br />
und stilisierten Bewegungen Götter, Hel<strong>de</strong>n und schöne<br />
Frauen, kämpfen, lei<strong>de</strong>n und sterben. Sie <strong>de</strong>klamieren <strong>de</strong>n Text<br />
ohne erkennbare Zwischentöne in einem ausrufen<strong>de</strong>n Gestus. Die<br />
zahlreichen Kämpfe wer<strong>de</strong>n durch stilisierte akrobatische<br />
Sprünge und atemberauben<strong>de</strong> Pirouetten dargestellt, für die<br />
es Szenenapplaus gibt wie bei einer Eistanzshow. Im Yakshagana<br />
wer<strong>de</strong>n seit jeher auch die Frauenfiguren von Männern gespielt,<br />
bei <strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Truppe Saligrama Makkala Mela han<strong>de</strong>lt es<br />
sich freilich um Knaben zwischen acht und 15 Jahren. Das Kin<strong>de</strong>r-<br />
Yakshagana erfreut sich heute beson<strong>de</strong>rer Popularität und seine<br />
min<strong>de</strong>rjährigen Darsteller, die die Spielform ab <strong>de</strong>m fünften.<br />
Lebensjahr trainieren, gelten nicht als Laien, son<strong>de</strong>rn wer<strong>de</strong>n als<br />
Profis verehrt. Das Publikum begeistert sich vor allem für <strong>de</strong>n<br />
jüngsten Darsteller <strong>de</strong>r Truppe. Der älteste, <strong>de</strong>r – wie ich später<br />
erfahre – die Truppe bald verlassen muss, quittiert diese Bevorzu-<br />
45
foto: tobias metz<br />
links: Der Schauspieler<br />
Shrunga B.V.<br />
rechts: Schulkin<strong>de</strong>r nach<br />
einem Theaterbesuch.<br />
foto: sofia stepf<br />
Wer mehr zum Thema »Indien« wissen<br />
will, kann im Internet lesen, wie <strong>de</strong>r<br />
indischer Schauspieler Shrunga B.V.<br />
die <strong>de</strong>utsche Theaterwelt erlebt:<br />
www.die-junge-buehne.<strong>de</strong><br />
unter »Text <strong>de</strong>s Monats Juli 2010«.<br />
INDIEN<br />
Die Partnerschaft <strong>de</strong>r Theater Schnawwl<br />
und Ranga Shankara ist dokumentiert auf:<br />
www.schnawwlrangashankara.blogspot.com<br />
<strong>Junge</strong>s<br />
Staatstheater<br />
Premieren 2010/2011<br />
26.09.2010 | Uraufführung<br />
Was ich vergessen habe<br />
von Edward van <strong>de</strong> Ven<strong>de</strong>l<br />
Regie: Sebastian Wirnitzer<br />
27.10.2010 | <strong>Junge</strong> Oper<br />
Das Tagebuch <strong>de</strong>r Anne Frank<br />
von Grigori Frid<br />
Musikal. Ltg.: Burkhard Bauche<br />
Regie: Rebekka Stanzel<br />
46<br />
gung mit <strong>de</strong>monstrativem Missmut. Über weite Strecken <strong>de</strong>s<br />
langen Abends genieße ich die exotische Folklore, die sich mir<br />
darbietet. Doch die steifen Kostüme, die puppenhaften Darsteller<br />
und das nach spätestens einer Stun<strong>de</strong> eher stereotyp wirken<strong>de</strong><br />
Bewegungsrepertoire distanziert mich von <strong>de</strong>r Geschichte, das<br />
ganze Unternehmen kommt mir vor wie ein kunstgewerblicher<br />
Zirkus. Was mag nur das indische Publikum so sehr begeistern?<br />
Vielleicht, so <strong>de</strong>nke ich mir, erlebe ich einfach nur, wie sich kulturelle<br />
I<strong>de</strong>ntität über die I<strong>de</strong>ntifikation mit Tradition und virtuosem<br />
Handwerk herstellt.<br />
Bevor ich in die Versuchung komme, dieses Theatererlebnis für<br />
typisch indisch zu halten, bestaune ich am nächsten Abend auf<br />
<strong>de</strong>rselben <strong>Bühne</strong> das absolute Kontrastprogramm: Ibsens »Hedda<br />
Gabler« in einer englischsprachigen Inszenierung, wie ich sie<br />
genauso gut in einem Londoner Fringe Theater o<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r<br />
Studiobühne eines <strong>de</strong>utschen Stadttheaters sehen könnte. Nein,<br />
vielleicht doch nicht, <strong>de</strong>nn sie kommt dafür beinahe zu »werktreu«<br />
daher. Das historistische Kostüm verortet das Drama im Europa<br />
<strong>de</strong>s späten 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts Ibsens. Die Inszenierung <strong>de</strong>s jungen<br />
Regisseurs Rehaan Engineer kommt mit sparsamen Gesten aus und<br />
konzentriert sich ganz auf die hintergründigen Dialoge. Im differenzierten<br />
psychologischen Spiel <strong>de</strong>r Schauspieler entfaltet sich die<br />
komplexe Tragödie einer intelligenten und lei<strong>de</strong>nschaftlichen Frau,<br />
die unter <strong>de</strong>m begrenzten Aktionsradius einer Frau <strong>de</strong>r gehobenen<br />
Mittelklasse ihrer Zeit lei<strong>de</strong>t. Weil sie keinen Mut hat, ihr eigenes<br />
Schicksal in die Hand zu nehmen, maßt sie sich Macht über das<br />
Schicksal eines an<strong>de</strong>ren Menschen an und treibt mit unglaublicher<br />
Zerstörungswut <strong>de</strong>n ehemaligen Geliebten und sich selbst in einen<br />
sinnlosen Untergang. Auch wenn die bildnerischen und inszenatorischen<br />
Mittel <strong>de</strong>r Inszenierung mir eher pragmatisch gewählt und<br />
auch ein wenig nichtssagend erscheinen, gelingt es <strong>de</strong>n Schauspielern<br />
mit einer spannungsvollen Dialogführung doch, eine Geschichte<br />
zu erzählen, die mir unter die Haut geht. Das Publikum<br />
reagiert im Vergleich zum Vorabend verhalten, viele haben in <strong>de</strong>r<br />
Pause gelangweilt und vielleicht auch irritiert <strong>de</strong>n Saal verlassen,<br />
an<strong>de</strong>re freilich äußern sich nach <strong>de</strong>r Vorstellung enthusiastisch<br />
über die Ernsthaftigkeit <strong>de</strong>s Abends und die außergewöhnliche<br />
Schauspielkunst <strong>de</strong>r bekannten indischen Filmschauspielerin<br />
Sheeba Chaddha in <strong>de</strong>r Rolle <strong>de</strong>r Hedda Gabler. Wir fragen uns, ob<br />
sich hier für das urbane indische Publikum Parallelen auftun zur<br />
schizophrenen Situation <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen gebil<strong>de</strong>ten In<strong>de</strong>rin, die in<br />
<strong>de</strong>r Geschäftswelt selbstverständlich ihren Mann steht, sich in <strong>de</strong>r<br />
Familie jedoch immer noch in einer traditionellen Rolle gefangen<br />
sieht. So könnte man diesen Theaterabend als Versuch interpretieren,<br />
eine brisante Problematik <strong>de</strong>r Gegenwart im verfrem<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />
Spiegel einer fernen Kultur, die die eigene freilich stark beeinflusst<br />
hat, zu analysieren.<br />
-----------------------------------------------<br />
Ich bin zutiefst berührt von <strong>de</strong>r Schönheit<br />
<strong>de</strong>s Tanzes und <strong>de</strong>r Intensität <strong>de</strong>r Empfindungen,<br />
die sich in ihm spiegeln.<br />
-----------------------------------------------<br />
Noch habe ich nicht das Gefühl, <strong>de</strong>m mo<strong>de</strong>rnen indischen Theater<br />
begegnet zu sein. Wo sind sie die fortschrittlichen Künstler,<br />
die indische Avantgar<strong>de</strong>, die jenseits von kunstgewerblicher<br />
Musealität und Adaption westlicher Theaterkunst nach neuen<br />
Wegen suchen? Eine etwa zweistündige Autoreise führt uns 35<br />
km aus Bangalore hinaus zum idyllischen Künstlerdorf Nrityagram.<br />
Es ist ein Gurukul, eine Schule, in <strong>de</strong>r Schülerinnen und<br />
Lehrerinnen zusammenleben, um sich ganz <strong>de</strong>r Tanzkunst zu<br />
weihen. Erforscht und gelehrt wird hier unter an<strong>de</strong>rem die<br />
klassische indische Tanztheaterform Odissi, die in ihren<br />
Ursprüngen auf das 2. Jhdt. v. Chr. zurückgeht. Gemeinsam mit<br />
an<strong>de</strong>ren indischen Touristen, die das Dorf besuchen, dürfen wir<br />
<strong>de</strong>n Tänzerinnen beim Proben eines Programmes zuschauen, mit<br />
<strong>de</strong>r sie kurz darauf auf eine Amerikatournee aufbrechen<br />
sollen. Während <strong>de</strong>r ersten 15 Minuten nehme ich kaum<br />
etwas an<strong>de</strong>res wahr als <strong>de</strong>n überraschen<strong>de</strong>n Kontrast<br />
zwischen <strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong>, die die jungen Frauen beim Tanzen<br />
ausstrahlen, und <strong>de</strong>r Anstrengung, die sich bei je<strong>de</strong>r Unterbrechung<br />
auf Gesichter und Körper malt. Ich staune, wie die<br />
in Schweiß geba<strong>de</strong>ten Tänzerinnen sich so leichtfüßig unter<br />
<strong>de</strong>n Stoffmassen ihrer Saris bewegen können. Dann ziehen<br />
mich die wun<strong>de</strong>rschönen Bewegungen zum Rhythmus von<br />
Trommeln immer mehr in <strong>de</strong>n Bann. Ich könnte noch Stun<strong>de</strong>n<br />
zuschauen, wie die stampfen<strong>de</strong>n Füße <strong>de</strong>r Tänzerinnen<br />
mit ihren Schellenbän<strong>de</strong>rn zu Instrumenten wer<strong>de</strong>n, während<br />
Körper, Arme, Hän<strong>de</strong>, Finger, Gesichter und Augen <strong>de</strong>r<br />
Tänzerinnen von Liebessehnsucht, Liebeserfüllung und<br />
Liebesschmerz erzählen. Ich wun<strong>de</strong>re mich, weil es mir<br />
plötzlich vorkommt, als könne ich verstehen, wovon die<br />
Tänzerinnen in ihrer poetischen Körpersprache erzählen.<br />
Ich bin zutiefst berührt von <strong>de</strong>r Schönheit <strong>de</strong>s Tanzes<br />
und <strong>de</strong>r Intensität <strong>de</strong>r Empfindungen, die sich in ihm<br />
spiegeln. Später erfahre ich, dass die heutige Praxis <strong>de</strong>s<br />
uralten Odissi nicht auf lebendiger Überlieferung beruht.<br />
Erst seit etwa 60 Jahren wird diese Tanztheaterform aus <strong>de</strong>m<br />
Studium von Steinskulpturen und Schriften wie<strong>de</strong>r rekonstruiert.<br />
Vielleicht liegt hier <strong>de</strong>r Schlüssel, warum mich<br />
dieser Tanz so viel mehr begeistert als das folkloristische<br />
Yakshagana. Während mich <strong>de</strong>ssen Prunk und ausgestellte-<br />
Virtuosität kalt gelassen haben, erlebe ich bei <strong>de</strong>n Odissi-<br />
Tänzerinnen ein Streben nach höchster äußerlicher Präzision,<br />
mit <strong>de</strong>m auch innere Wahrhaftigkeit einhergeht. Vielleicht<br />
liegt dies daran, dass die Tänzerinnen die Tradition<br />
nicht einfach nur reproduzieren, son<strong>de</strong>rn sie im Vorgang <strong>de</strong>r<br />
Rekonstruktion auch interpretieren und mit neuem Sinn<br />
füllen müssen. Die Zeit während <strong>de</strong>r Probe vergeht wie im<br />
Fluge. Am En<strong>de</strong> küssen die Schülerinnen ihren Lehrerinnen<br />
die Füße wie es Brauch ist zwischen Guru und Schüler. Auch<br />
06.11.2010<br />
Pünktchen und Anton<br />
von Erich Kästner<br />
Regie: Robin Telfer<br />
12.02.2011<br />
Anfangen, anfangen!<br />
Theater für Zuschauer ab 2<br />
von Barbara Kölling<br />
Regie: Barbara Kölling<br />
17.02.2011<br />
Der zerbrochene Schlüssel<br />
von Bente Jonker<br />
Regie: Ulrike Hatzer<br />
01.04.2011 | Uraufführung<br />
Hotel Braunschweig<br />
von Juliane Kann. Auftragswerk<br />
Regie: Volker Schmidt<br />
03.05.2011 | <strong>Junge</strong>r Tanz<br />
Springinsfeld!<br />
von Wilfried van Poppel<br />
Choreografie: Wilfried van Poppel<br />
27.05.2011<br />
Schlachthof 5<br />
von Kurt Vonnegut<br />
Regie: Carlos Manuel<br />
www.staatstheater-braunschweig.<strong>de</strong><br />
Karten: (0531) 1234-567
SPIELZEIT 2010|11<br />
JUNGES THEATER FREIBURG<br />
JUNGES<br />
STAATS<br />
THEATER<br />
fotos: privat<br />
IN UNSERER ZUKUNFT<br />
WERDEN WIR LEBEN!<br />
Bil<strong>de</strong>r vom<br />
Atemworkshop<br />
von Veenapani<br />
Chawla.<br />
foto: fotograf<br />
DER GEWISSENLOSE MÖRDER 11+<br />
Von Henning Mankell<br />
Hasse Karlsson enthüllt die entsetzliche<br />
Wahrheit, wie die Frau über <strong>de</strong>r<br />
Eisenbahnbrücke zu To<strong>de</strong> gekommen ist.<br />
REGIE: Isabel Osthues<br />
PREMIERE: 12. SEPTEMBER 2010, STUDIO<br />
DIE SCHNEEKÖNIGIN 5+<br />
Nach <strong>de</strong>m Märchen von<br />
Hans Christian An<strong>de</strong>rsen<br />
REGIE: Oliver Wronka und Stefan Schletter<br />
PREMIERE: 14. NOVEMBER 2010,<br />
GROSSES HAUS<br />
ERSTE STUNDE 13+<br />
von Jörg Menke-Peitzmeyer<br />
Ein mobiles Klassenzimmer-Stück<br />
REGIE: Stefan Schletter<br />
ANMELDUNG UND INFORMATIONEN:<br />
m.friedrich@staatstheater–wiesba<strong>de</strong>n.<strong>de</strong><br />
Tel. 0611/132 240<br />
URAUFFÜHRUNG: DIE GLÜCKSFEE 3+<br />
nach <strong>de</strong>m Kin<strong>de</strong>rbuch von Cornelia Funke<br />
REGIE: Oliver Wronka<br />
PREMIERE: 20. FEBRUAR 2011, STUDIOR<br />
DER SATANARCHÄOLÜGENIALKOHÖLLISCHE<br />
WUNSCHPUNSCH 7+<br />
von Michael En<strong>de</strong><br />
REGIE: Christian Bron<strong>de</strong>r<br />
PREMIERE: 13. MÄRZ 2011, STUDIO<br />
URAUFFÜHRUNG: HIDE & SEEK 13+<br />
von Esther Rölz<br />
REGIE: Stefan Schletter<br />
PREMIERE ZUR ERÖFFNUNG DER<br />
JUNGEN WOCHE: 1. MAI 2011, STUDIO<br />
LEITUNG: Stefan Schletter und Oliver Wronka<br />
INTENDANT: Manfred Beilharz<br />
Information und Kartenvorverkauf:<br />
0611/132 325 und 0611/30 1000<br />
www.staatstheater-wiesba<strong>de</strong>n.<strong>de</strong><br />
ich bin dankbar, weil ich ein wenig mehr davon verstan<strong>de</strong>n habe, wie aus <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rbelebung<br />
einer alten Form etwas äußerst Gegenwärtiges und Wahres entstehen kann.<br />
Eine ganz ähnliche Erfahrung erwartet mich in einem Forschungszentrum <strong>de</strong>r Darstellen<strong>de</strong>n<br />
Künste, <strong>de</strong>m Lebens- und Arbeitscampus <strong>de</strong>r Experimentaltheatergruppe Adhishakti nahe<br />
<strong>de</strong>r Stadt Pondicherry im Nachbarstaat Tamil Nadu. Unter <strong>de</strong>r Leitung <strong>de</strong>r Theaterlehrerin<br />
und Regisseurin Veenapani Chawla hat man sich hier ganz <strong>de</strong>m Studium traditioneller Theaterformen<br />
und -techniken verschrieben. Man will die alten Künste für ein gegenwärtiges<br />
Theater fruchtbar machen und weiterentwickeln, um <strong>de</strong>m postkolonialen Indien in <strong>de</strong>r<br />
globalisierten Welt ein eigenes kulturelles Profil zu geben. Auch die neuen Texte, die Veenapani<br />
Chawla für das Theater schreibt, sind heutige Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen mit Geschichten<br />
aus <strong>de</strong>n tradierten Geschichten <strong>de</strong>r Myhten »Ramayana« und »Mahabharata«. Statt einer<br />
Aufführung sehen wir eine kommentierte Arbeits<strong>de</strong>monstration <strong>de</strong>s Schauspielers Vinay<br />
Kumar. Veenapani erläutert uns Herkunft und Zweck zahlreicher Körper-, Atem- und Rhythmusübungen,<br />
die die Basis ihrer Inszenierungen bil<strong>de</strong>n. Ich bin fasziniert von <strong>de</strong>r Intensität<br />
<strong>de</strong>s spielerischen Ausdrucks, <strong>de</strong>n Vinay unmittelbar erreicht. Seine Figurenentwicklung ist<br />
expressiv körperlich, die Darstellung wirkt auf mich archaisch und zugleich gera<strong>de</strong>zu<br />
erregend lebendig. Er leuchtet von innen, ich kann meine Augen nicht von ihm lassen und<br />
lausche fasziniert <strong>de</strong>n differenzierten Farben seiner Stimme. Ausgangspunkt für Veenapanis<br />
Körperarbeit ist die tänzerische Kampfkunst Kalaripayattu, die ein vielseitiges<br />
Repertoire aus Bewegungsfolgen und Positionen bereitstellt, <strong>de</strong>ren Vorbil<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>m Tierreich<br />
entlehnt sind, wie die Regisseurin erläutert. Ich erkenne ohne Schwierigkeiten einen<br />
drehen<strong>de</strong>n Fisch, einen springen<strong>de</strong>n Hirschen, einen Löwen, ein Pferd, die Schlange und <strong>de</strong>n<br />
Frosch. Aneinan<strong>de</strong>rgereiht ergeben die Positionen einen rasanten Kampftanz aus dynamisch<br />
fließen<strong>de</strong>n Bewegungssequenzen, Drehungen und hohen Sprüngen. Sie erzählen von <strong>de</strong>n<br />
verschie<strong>de</strong>nen Phasen von Annäherung, Auseinan<strong>de</strong>rsetzung und Kampf. Seit 18 Jahren<br />
arbeitet Vinay bei Veenapani und trat als Protagonist in <strong>de</strong>n weltweit erfolgreichen Produktionen<br />
<strong>de</strong>r Truppe auf. Es ist bezeichnend für die Ernsthaftigkeit ihrer Theaterarbeit, dass sie<br />
wenig Interesse an weiteren Auslandsgastspielen haben, son<strong>de</strong>rn sich vor allem auf ihre<br />
künstlerische Weiterentwicklung konzentrieren wollen. Tatsächlich sind sie auch in ihrer Heimat<br />
erfolgreich genug, um sich <strong>de</strong>n Luxus sehr langer Produktionszeiten – ein Jahr pro neuer<br />
Inszenierung – und weiterer intensiver Forschungsarbeit leisten können. Im Garten <strong>de</strong>s<br />
Campus bewun<strong>de</strong>re ich die Baustelle eines Schwimmbeckens, von <strong>de</strong>ssen Einsatz in <strong>de</strong>r<br />
Probenarbeit sich Veenapani eine ganz neue Qualität für die Stimmarbeit verspricht.<br />
Meine letzte Begegnung mit südindischen Theaterkünstlern führt mich in das Attakkalari<br />
Centre for Movements Arts. Während Veenapani die klassischen Körpertheatertechniken<br />
als Ausgangsmaterial für eine sehr archaisch anmuten<strong>de</strong> Schauspielkunst nutzt, konfrontiert<br />
Jayachandran Palazhy seine Choreografien mit einem neuen künstlerischen Kontext aus<br />
technischen Medien. Aus <strong>de</strong>m Dialog mit Vi<strong>de</strong>okunst, Licht und Raum kreiert er eine neue<br />
Bewegungssprache, die er als gegenwärtigen indischen Ausdruck für die zeitgenössische<br />
Realität versteht. Es ist eine große Herausfor<strong>de</strong>rung in einem Land hochentwickelter<br />
traditioneller Tanzstile wie Bharatanatyam (<strong>de</strong>m klassichen indischen Tempeltanz), Odissi<br />
und Kalaripayattuu eine neue Tanzsprache zu suchen, die sich auch vom mo<strong>de</strong>rn dance<br />
westlicher Prägung unterschei<strong>de</strong>t. Es freut mich, dass ich bereits mit meinen geringen<br />
Kenntnissen <strong>de</strong>s indischen Tanztheaters das klassische Bewegungsvokabular ausmachen<br />
kann, das <strong>de</strong>n faszinierend neuartigen Choreografien Jaychandrans zu Grun<strong>de</strong> liegt. In<br />
Bangalore dürfen wir seine junge Kompanie bei ihrer Vorbereitung auf ein Europagastspiel<br />
beobachten. Wir sehen die nackten Choreografien ohne musikalische Begleitung, Licht,<br />
Kostüme und <strong>Bühne</strong>nbild – aber nichts scheint zu fehlen. Die Aufführung <strong>de</strong>s Stückes<br />
»Chronotopia« erleben wir dann wenige Wochen später in Frankfurt und sind erneut<br />
überrascht. Zum zeitgenössischen indischen Tanz im interaktiven <strong>Bühne</strong>nbild eines US-<br />
Amerikaners hören wir die Musik eines Franzosen. Die Vi<strong>de</strong>okunst eines Deutschen und<br />
das expressive Licht<strong>de</strong>sign eines Dänen machen die Veranstaltung zu einem wahrhaft<br />
multimedialen Kunstwerk <strong>de</strong>r Gegenwart.<br />
------------------------------------------------------------------<br />
Sie scheuen we<strong>de</strong>r große Emotionen noch große Gesten.<br />
------------------------------------------------------------------<br />
Diese vielseitigen Eindrücke aus <strong>de</strong>m zeitgenössischen indischen Theater flankieren während<br />
<strong>de</strong>r zwei Wochen unseres Aufenthaltes meine Suche nach Schauspielern für unsere<br />
Koproduktion. Ich sehe <strong>de</strong>n Stil, in <strong>de</strong>m die jungen Darsteller ihre Rollen präsentieren, in<br />
einem neuen Licht. Alle stellen in ihrem Vortrag die Expressivität <strong>de</strong>s Körpers und <strong>de</strong>r<br />
Mimik in <strong>de</strong>n Mittelpunkt. Sie agieren mit Lei<strong>de</strong>nschaft und scheuen we<strong>de</strong>r große Emotionen<br />
noch große Gesten. Bei einer Audition in Deutschland hätte ich diese wahrscheinlich<br />
als übertrieben und pathetisch wahrgenommen. In Indien erkenne ich darin nun ein an<strong>de</strong>res<br />
Theaterverständnis, einen eigenen Sinn. Ich sehe es als eine Herausfor<strong>de</strong>rung für mich als<br />
Regisseurin, <strong>de</strong>r frem<strong>de</strong>n Qualität <strong>de</strong>r indischen Kollegen in unserer Koproduktion Raum<br />
zu geben. Ich bin neugierig auf die Begegnung meines Mannheimer Ensembles mit Pallavi,<br />
Shrunga und Kirthana aus Bangalore, die sich am En<strong>de</strong> meiner aufregen<strong>de</strong>n Expedition ins<br />
zeitgenössische indische Theaterleben mit mir gemeinsam auf die Zusammenarbeit in<br />
Mannheim und Bangalore freuen.<br />
KOMA<br />
von V. Schmidt und G. Staudacher<br />
Jugendstück mit Schülern & Lehrern<br />
SCHWARZWALD-<br />
MÄDEL RELOADED<br />
Musiktheaterprojekt mit Schülern<br />
MYSPACE<br />
INVADERS<br />
Rollenspiele mit Online-I<strong>de</strong>ntitäten<br />
SEX<br />
Theaterprojekt<br />
von und mit Jugendlichen<br />
... und 25 weitere Projekte unter:<br />
www.theater.freiburg.<strong>de</strong>/jungestheater
AFRIKA<br />
RUBRIK<br />
Von Afrika lernen<br />
51<br />
Christoph Schlingensief<br />
in seiner letzten Produktion:<br />
»Via Intolleranza II«.<br />
foto: aino laberenz<br />
Im August 2010 starb <strong>de</strong>r Regisseur und Medienkünstler Christoph<br />
Schlingensief im Alter von 49 Jahren. Er hatte an einer Krebserkrankung<br />
gelitten und diese seit längerem in seinen Kunstwerken radikal persönlich<br />
und unverkrampft zum Thema gemacht. Als kranker und <strong>de</strong>nnoch<br />
lebenslustiger Mensch verfolgte er seit Anfang 2009 mit großer Lei<strong>de</strong>nschaft<br />
ein eigentlich verrücktes Projekt: ein Festspielhaus in Afrika.<br />
In <strong>de</strong>r Nähe von Ougadougou im westafrikanischen Staat Burkina Faso<br />
wollte Schlingensief ein Kulturzentrum errichten. Auch nach seinem<br />
Tod wird das Projekt eines afrikanischen Festspielhauses<br />
weiterverfolgt. Das Operndorf Remdoogo besteht aus mehreren<br />
kleinen Modulen, die sich kreisförmig um einen zentralen Platz<br />
herum aufbauen. Im Kern dieser Anlage steht eine <strong>Bühne</strong> mit<br />
ca. 500 Zuschauerplätzen, die für Vorstellungen und Veranstaltungen<br />
jeglicher Art genutzt wer<strong>de</strong>n kann. Aber auch eine Schule<br />
mit Film- und Musikklasse, eine Krankenstation, ein selbst geführtes<br />
Restaurant, Künstlerwerkstätten und ein digitales Archiv<br />
sollen dazu gehören. Entworfen hat <strong>de</strong>n Bau, mit <strong>de</strong>m im Januar<br />
2010 begonnen wur<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r aus Burkina Faso stammen<strong>de</strong> Architekt<br />
Francis Kéré.<br />
Schlingensief sah das Projekt nicht als künstlerische Form <strong>de</strong>r<br />
Entwicklungshilfe, son<strong>de</strong>rn hoffte ganz im Gegenteil, dass Europa<br />
von Afrika lernen wird.<br />
Mehr Informationen fin<strong>de</strong>n sich unter: www.schlingensief.com<br />
Dort könnt ihr auch das Postkartenbuch (Foto links) zum Operndorf<br />
bestellen. Es zeigt Impressionen aus Burkina Faso, fotografiert von<br />
Kin<strong>de</strong>rn zwischen 5 und 11 Jahren. Wenn ihr das Buch kauft, unterstützt<br />
ihr damit direkt das erste Afrikanische Operndorf.<br />
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Leitung: Thomas Lang<br />
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RUBRIK<br />
RUBRIK china<br />
Matthias Renger, <strong>de</strong>r Autor dieses Beitrags, wur<strong>de</strong> 1985<br />
in Meerbusch geboren. Er studiert an <strong>de</strong>r Bayerischen<br />
Theateraka<strong>de</strong>mie August Everding Schauspiel (und ist<br />
stu<strong>de</strong>ntischer Sprecher seines Schauspieljahrganges). Im<br />
Herbst 2010 tritt Matthias Renger zum Absolventenvorsprechen<br />
an. Seit 2006 spielt er parallel zum Studium in<br />
diversen Produktionen auf <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong> und vor <strong>de</strong>r<br />
Kamera. Er arbeitet auch als Sprecher in Hörspielen, bei<br />
Filmsynchronisation und in Lesungen.<br />
53<br />
Von Matthias reNGer<br />
----------------------------<br />
foto: thomas koch<br />
52<br />
Mittwoch, 4. November 2009, wir sitzen im Flugzeug nach Shanghai. Seit Monaten<br />
hatten wir spekuliert, ob dieses Gastspiel wirklich stattfin<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn es waren<br />
etliche organisatorische und finanzielle Hür<strong>de</strong>n zu überwin<strong>de</strong>n. Das Goethe-Institut,<br />
das Kunstministerium <strong>de</strong>s Freistaats Bayern und das Kulturreferat <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>shauptstadt<br />
München halfen uns maßgeblich bei <strong>de</strong>r Überwindung dieser Hür<strong>de</strong>n. Und nun<br />
war erst vor wenigen Wochen aus Spekulation feste Zusage gewor<strong>de</strong>n – wenige<br />
Wochen, die wie Minuten vergingen, weil Semesterbeginn, Filmworkshop, Wie<strong>de</strong>raufnahme<br />
von Dogville und Man<strong>de</strong>rlay im Münchener Metropol-Theater und nicht<br />
zuletzt die Vorfreu<strong>de</strong> auf Shanghai wie Zeitraffer wirkten.<br />
Nun sitzen wir plötzlich im Flugzeug und <strong>de</strong>r Captain sagt, dass<br />
sich <strong>de</strong>r Start wegen technischer Probleme verzögert. Kein Grund,<br />
hysterisch zu wer<strong>de</strong>n, aber manche von uns sind noch nie geflogen,<br />
kennen solche Durchsagen nur aus Katastrophenfilmen und<br />
beruhigen sich erst nach <strong>de</strong>m Start wie<strong>de</strong>r. Wir schlafen wenig,<br />
schauen »Transformers«, »Coco Chanel« o<strong>de</strong>r »Die Entführung<br />
<strong>de</strong>r Pelham 123« an und fangen jetzt erst langsam an, zu begreifen,<br />
dass wir in ein paar Stun<strong>de</strong>n in China sind.<br />
Donnerstagnachmittag, die Fahrt vom Flughafen zum Hotel<br />
dauert so lang, dass wir die monströse Dimension dieser Stadt<br />
erstmals erahnen können. Im Bus sagt unsere Dolmetscherin, dass<br />
vielleicht Szenen in unserer »Dogville«-Inszenierung zensiert<br />
wer<strong>de</strong>n müssen. Wir sind erstaunt, <strong>de</strong>nn die Chinesen hatten<br />
eigentlich eine DVD <strong>de</strong>s Stücks erhalten und hätten uns das vor<br />
<strong>de</strong>r Reise schon mitteilen können. Jetzt sind wir einmal hier, jetzt<br />
können wir uns schlecht weigern zu spielen, wenn wir zensiert<br />
wer<strong>de</strong>n. Doch genau das wer<strong>de</strong>n wir tun, wenn wir sonst tatsächlich<br />
ganze Szenen aus diesem Stück komplett weglassen müssen.
Vorige Seite und links u. rechts: Bil<strong>de</strong>r vom gemeinsamen Workshop mit Stu<strong>de</strong>nten<br />
<strong>de</strong>r Bayerischen Theateraka<strong>de</strong>mie und <strong>de</strong>r Theateraka<strong>de</strong>mie Shanghai.<br />
RUBRIK china<br />
foto: thomas koch<br />
foto: thomas koch<br />
55<br />
---------------------------------------------------------------------------------------------------<br />
Im Publikum sitzen zwei Beauftragte <strong>de</strong>r Zensurbehör<strong>de</strong>, die ebenfalls ständig<br />
telefonieren, um zu klären, was an unserem Stück zensiert wer<strong>de</strong>n muss.<br />
---------------------------------------------------------------------------------------------------<br />
Links: Eine Szene aus »Dogville«,<br />
<strong>de</strong>m Gastspiel <strong>de</strong>r Bayerischen<br />
Theateraka<strong>de</strong>mie in Shanghai.<br />
54<br />
Unser Hotel ist ein Wolkenkratzer – wie scheinbar alle Gebäu<strong>de</strong> in<br />
Shanghai – mit 342 Zimmern. Wir fühlen uns wohl, haben aber<br />
sowieso nicht vor, viel Zeit darin zu verbringen. Der erste Abend<br />
wird gleich sehr lang, wir fin<strong>de</strong>n eine Bar in Fußnähe, in <strong>de</strong>r extra<br />
für uns Rammstein aufgelegt wird (auch wenn keiner von uns<br />
Rammstein-Fan ist – es ist <strong>de</strong>utsch!) und wir Billard spielen<br />
können. Hier kommen wir noch öfter hin.<br />
Die Stimmung ist großartig, zum Glück ist unsere Gruppe sehr<br />
harmonisch. Außer uns fünf Jungs und fünf Mä<strong>de</strong>ls aus <strong>de</strong>m<br />
dritten Jahrgang <strong>de</strong>r Theateraka<strong>de</strong>mie gehören dazu: Jochen Schölch,<br />
Leiter <strong>de</strong>s Studiengangs Schauspiel und Regisseur unseres Stücks,<br />
Veronika Jabinger, seine Assistentin, Thomas Koch, <strong>de</strong>r übrigens das<br />
Gastspiel inklusive Finanzierung organisiert hat, in <strong>de</strong>r Direktion<br />
<strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie für Kommunikation und Internationale Beziehungen<br />
zuständig. Außer<strong>de</strong>m Friedrich Rauchbauer, Gesangsdozent<br />
<strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie und Begleiter am Harmonium in Lars von Triers<br />
»Dogville«, und das eingespielte Team <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong>ntechniker:<br />
Christof Schaaf, technischer Direktor <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie und Peter Platz,<br />
Light<strong>de</strong>signer und Domagoj Maslov, Inspizient <strong>de</strong>r Produktion.<br />
Auch einige Vertreter <strong>de</strong>r Presse sind mit uns gereist, um von<br />
diesem ungewöhnlichen Gastspiel zu berichten.<br />
Am Freitag, <strong>de</strong>m 6. November, fin<strong>de</strong>t nach einem Besuch <strong>de</strong>r<br />
französischen Konzession Shanghais (ehemals von Franzosen<br />
besetztes Stadtviertel mit vielen Gärten und Villen) die erste<br />
Probe auf unserer <strong>Bühne</strong> statt: im Grand Theatre <strong>de</strong>r Shanghai<br />
Theatre Aca<strong>de</strong>my. Platz für 900 Zuschauer, vor so vielen haben wir<br />
noch nie gespielt! Die Probe ist eine Katastrophe, ständig re<strong>de</strong>n<br />
lautstark im Hintergrund Chinesen, <strong>de</strong>ren Job uns unklar bleibt,<br />
sie telefonieren, reagieren kaum auf unsere Hinweise, dass wir<br />
Ruhe brauchen und irgendwo piept während <strong>de</strong>r Hälfte <strong>de</strong>r<br />
Probe ein Gerät, das piepen muss, sonst geht das Licht nicht, wie<br />
man uns sagt. Im Publikum sitzen zwei Beauftragte <strong>de</strong>r Zensurbehör<strong>de</strong>,<br />
die ebenfalls ständig telefonieren, um zu klären, was an<br />
unserem Stück zensiert wer<strong>de</strong>n muss. Wir halten uns einfach an<br />
<strong>de</strong>n Plan: in <strong>de</strong>r heutigen und morgigen Probe, wenn die Zensurleute<br />
zuschauen, spielen wir die heiklen Stellen gedämpft<br />
und leicht reduziert. Die Stellen im Stück, an <strong>de</strong>nen Grace<br />
vergewaltigt wird, wer<strong>de</strong>n wir dann auch vor Publikum so<br />
<strong>de</strong>zent zeigen. Wir wer<strong>de</strong>n nicht bildlicher als nötig, <strong>de</strong>nn<br />
Sexualität ist in China ein schambesetztes Thema. An<strong>de</strong>rs als die<br />
Massenerschießungsszene: die Brutalität dieser Racheaktion im<br />
Stück halten wir auf Ansage Jochen Schölchs bei <strong>de</strong>n Proben<br />
gering – vor Publikum wer<strong>de</strong>n wir sie voll ausspielen.<br />
In China gibt es bis heute Massenhinrichtungen, ein politisch<br />
sehr brisanter und be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>r Bezugspunkt unseres Stücks, und<br />
beson<strong>de</strong>rs an solchen Stellen darf Kunst nicht beschnitten wer<strong>de</strong>n.<br />
Sollte es Konsequenzen geben, ist die klare Vereinbarung, dass <strong>de</strong>r<br />
Regisseur die Verantwortung trägt. Natürlich sind wir wahnsinnig<br />
aufgeregt und fragen uns und Jochen Schölch, was im schlimmsten<br />
Fall passieren kann. Dass er verhaftet wird? Wir alle?<br />
Am Samstagabend ist die ausverkaufte Premiere und wir<br />
ziehen <strong>de</strong>n Plan durch. Unsere Nervosität wirkt zum Glück nicht<br />
lähmend, wir spielen so konzentriert und involviert wie selten.<br />
In China ist man ten<strong>de</strong>nziell eher bunt-periphere Inszenierungen<br />
gewohnt und normalerweise wird während <strong>de</strong>r Aufführungen<br />
vernehmlich mit <strong>de</strong>m Nachbarn gere<strong>de</strong>t, gegessen und<br />
zwischendurch <strong>de</strong>r Saal verlassen. Etwa 20 Minuten braucht das<br />
Publikum, um sich darauf einzustellen, dass hier etwas Ungewöhnliches<br />
auf <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong> geschieht. Es wird still und alle folgen<br />
<strong>de</strong>m Geschehen; links und rechts <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong> wer<strong>de</strong>n unsere<br />
übersetzten Texte angezeigt. Teilweise gibt es Reaktionen, die wir<br />
so aus Deutschland nicht kennen – vielleicht gibt es in <strong>de</strong>r Übersetzung<br />
einen an<strong>de</strong>ren Wortwitz? Zum Schluss kommt die Massenhinrichtung,<br />
nun wird es unruhig im Publikum. Einige verlassen<br />
<strong>de</strong>n Saal, aber das kriegen wir kaum mit.<br />
foto: hilda lobinger<br />
Als wir fertig sind, braust ein tosen<strong>de</strong>r Applaus auf, wir gehen<br />
zweimal auf die <strong>Bühne</strong> zum Verbeugen. Jochen Schölch kommt<br />
dazu, <strong>de</strong>r Applaus wird sofort tobend und ebbt fast ebenso<br />
schnell wie<strong>de</strong>r ab, nach<strong>de</strong>m wir die <strong>Bühne</strong> verlassen. Sehr an<strong>de</strong>rs<br />
als in Deutschland, aber dieser kurze heftige Beifall entspricht<br />
etwa Standing Ovations bei uns. Und es wird auch niemand<br />
verhaftet. Wir feiern in <strong>de</strong>r »Rammstein-Bar«.<br />
Tags darauf ist die zweite Vorstellung wie<strong>de</strong>r ausverkauft<br />
und unsere Erleichterung lässt uns vielleicht noch freier spielen,<br />
je<strong>de</strong>nfalls fühlen wir uns wohl und das Publikum reagiert ähnlich<br />
wie bei <strong>de</strong>r Premiere. Nach<strong>de</strong>m wir uns umgezogen haben,<br />
wer<strong>de</strong>n wir in einen Raum gebeten, <strong>de</strong>r uns sehr befrem<strong>de</strong>t: hier<br />
stehen große rote Sessel in langen Abstän<strong>de</strong>n zueinan<strong>de</strong>r an <strong>de</strong>n<br />
fensterlosen Wän<strong>de</strong>n. Eine Chinesin re<strong>de</strong>t mit hohem Tempo und<br />
auf <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n gerichteten Blick – sie dankt uns von Seiten <strong>de</strong>s<br />
China Shanghai International Arts Festival für unser Gastspiel, wie<br />
die Dolmetscherin erklärt. Als nächstes dankt <strong>de</strong>r Direktor <strong>de</strong>s<br />
Goethe-Instituts Shanghai dafür, dass wir uns <strong>de</strong>r Zensur gebeugt<br />
haben, »an<strong>de</strong>re Län<strong>de</strong>r, an<strong>de</strong>re Sitten« – anscheinend ein Missverständnis.<br />
Thomas Koch dankt stellvertretend für uns und nimmt<br />
Stellung zu dieser Äußerung. Er betont, dass die Freiheit <strong>de</strong>r<br />
Kunst ein hohes Gut ist, ebenso wie die Freiheit <strong>de</strong>r Meinungsäußerung<br />
und dass die Be<strong>de</strong>utung von Kunst in <strong>de</strong>r Gesellschaft als<br />
Einspruchsfaktor eine wichtige Aufgabe erfüllt – auch in China.<br />
Offenbar sind diese Sätze gewagt, <strong>de</strong>nn die zwei chinesischen
RUBRIK china<br />
Aus <strong>de</strong>r Kritik <strong>de</strong>r chinesischen Zeitung »Wen Hui Bao«<br />
------------------------------------------------------------------------<br />
»Schon Lars von Triers Verfilmung von ›Dogville‹ hat eine tiefsinnige Aussagekraft, dieses<br />
Stück <strong>de</strong>r Bayerischen Theateraka<strong>de</strong>mie jedoch beweist einen beson<strong>de</strong>ren Sinn für das<br />
Experiment und <strong>de</strong>n Versuch, neue Formen zu entwickeln. (...) Erzähler und Schauspieler<br />
wechseln ihre Rollen auf <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong>. Problemlos spielen 10 Schauspieler 20 Rollen.«<br />
56<br />
Dolmetscherinnen haben plötzlich eine kurze Meinungsverschie<strong>de</strong>nheit.<br />
Später erfahren wir, dass fälschlicherweise eine <strong>de</strong>r<br />
bei<strong>de</strong>n übersetzte, wir wür<strong>de</strong>n gerne <strong>de</strong>n Preis <strong>de</strong>r Jury für<br />
»Dogville« erhalten. Irrtum o<strong>de</strong>r Absicht? Bis heute sind einige<br />
kurze Irritationen wie diese noch nicht geklärt.<br />
Es blieb bei diesen zwei Vorstellungen von »Dogville«, insgesamt<br />
verbrachten wir neun Tage in Shanghai. In <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n<br />
Tagen hatten wir die Gelegenheit, einen Bruchteil <strong>de</strong>r gigantischen<br />
Stadt und <strong>de</strong>s Umlan<strong>de</strong>s kennenzulernen. Wir wur<strong>de</strong>n vom<br />
Hofbräuhaus Shanghai zu einem großzügigen <strong>de</strong>utschen Aben<strong>de</strong>ssen<br />
eingela<strong>de</strong>n, was für einige, <strong>de</strong>nen Algen und Quallensalat,<br />
Frösche und diverse Un<strong>de</strong>finierbarkeiten schon zum Haar in <strong>de</strong>r<br />
Suppe gewor<strong>de</strong>n waren, einen echten Segen be<strong>de</strong>utete.<br />
Wir besuchten eine klassische Kun-Oper und erlebten dabei,<br />
wie sich chinesisches Publikum üblicherweise verhält, wie ungerührt<br />
<strong>de</strong>r kurze Applaus sonst ist. Wir kamen in <strong>de</strong>n Genuss<br />
wohltuen<strong>de</strong>r Ganzkörpermassagen, schmerzhafter Fußreflexzonenmassagen,<br />
ließen uns Kleidung maßschnei<strong>de</strong>rn, genossen das<br />
preiswerte Touristenleben und stellten dabei fest, dass wir<br />
ohne unsere Erfahrungen mit <strong>de</strong>m Gastspiel kaum bemerkt<br />
hätten, dass China ein kommunistisch regiertes Land ist, in <strong>de</strong>m<br />
es Zensur und hohe politische Empfindsamkeiten gibt.<br />
Nicht zuletzt aber durften wir <strong>de</strong>n kulturellen Austausch in<br />
diesen Tagen noch aktiv und sehr konkret vertiefen. Das war<br />
eines <strong>de</strong>r Hauptanliegen <strong>de</strong>r Veranstalten<strong>de</strong>n und es kam uns<br />
sehr entgegen. Wir trafen auf die Schauspielstu<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r Theateraka<strong>de</strong>mie<br />
Shanghai zu einem Workshop! Vor <strong>de</strong>r Reise hatten wir<br />
uns für dieses Treffen überlegt, welche Elemente unseres Schauspielunterrichts<br />
wir am besten zeigen und dabei die chinesischen<br />
Stu<strong>de</strong>nten mit einbeziehen könnten, und entschie<strong>de</strong>n uns für eine<br />
sehr dynamische Gruppenübung: ein zyklisches Training, das fast<br />
als Selbstläufer mit kollektiven und individuellen Prozessen<br />
experimentiert und dabei zu kreativer Freiheit verführt.<br />
Die chinesischen Stu<strong>de</strong>nten stürzten sich in zunehmen<strong>de</strong>r<br />
Anzahl und mit so großer Verve in diese Übung, dass sie für alle<br />
Beteiligten – auch und beson<strong>de</strong>rs für uns selbst – zu einem <strong>de</strong>r stärksten<br />
Eindrücke dieser Reise wur<strong>de</strong>. Umgekehrt zeigten uns die<br />
Chinesen auch ein paar ihrer Übungen, die uns in ähnlicher Form<br />
auch vertraut sind (Sprech- und Stimmtraining, Schulung von<br />
Konzentration und Koordination, Bezug zum <strong>Bühne</strong>nobjekt<br />
herstellen usw.). Anschließend stellten wir uns gegenseitig viele<br />
Fragen zum Studium und zum Beruf <strong>de</strong>s Schauspielers, wobei wir<br />
feststellten, dass die Chancen, als Schauspieler seinen Lebensunterhalt<br />
zu verdienen, in China etwa so groß sind wie in Deutschland.<br />
Den Kontakt mit diesen wissbegierigen und sympathischen Stu<strong>de</strong>nten<br />
genossen wir sehr und hätten uns mehr davon gewünscht,<br />
aber lei<strong>de</strong>r blieb es bei einem einmaligen Treffen mit ihnen.<br />
Es gab durchaus weitere Veranstaltungen, die in <strong>de</strong>r Theorie<br />
fortsetzen sollten, was wir so begeistert in <strong>de</strong>r Praxis miteinan<strong>de</strong>r<br />
ausgetauscht hatten. Aber diese Veranstaltungen verliefen dann<br />
doch etwas an<strong>de</strong>rs. Hier saßen an<strong>de</strong>re Stu<strong>de</strong>nten, die zum Teil<br />
unser Stück nicht gesehen hatten – und wir waren aufgefor<strong>de</strong>rt,<br />
über unser Verständnis von Kunst und unsere Absichten mit<br />
Dogville zu re<strong>de</strong>n, ohne ein Blatt vor <strong>de</strong>n Mund zu nehmen. Wie<br />
das, wenn die gesamte Veranstaltung von Regierungsbeamten<br />
protokolliert wird und man auch hier wie<strong>de</strong>r offenbar absichtlich<br />
falsch übersetzt, was wir sagen. Ein chinesischer Stu<strong>de</strong>nt stand<br />
auf und sagte auf Englisch, er schreibe Drehbücher, die ihm aber<br />
zensiert o<strong>de</strong>r stark verän<strong>de</strong>rt wür<strong>de</strong>n, »the government controls<br />
us– what can we do?«.<br />
Rückblickend merken wir alle, dass uns die neun Tage wie<br />
mehrere Wochen vorkamen. So viel ist in diesen Tagen geschehen<br />
und das Meiste war sehr abenteuerlich. Die zweitgrößte chinesische<br />
Zeitung berichtete von unseren Aufführungen in <strong>de</strong>n höchsten<br />
Tönen und kritisierte sogar im Vergleich die mangeln<strong>de</strong> Aussagekraft<br />
<strong>de</strong>s eigenen Theaters. Überraschen<strong>de</strong> Töne aus einem<br />
Regime, in <strong>de</strong>m wir viele beklemmen<strong>de</strong> Vorgänge hautnah<br />
erlebten, von <strong>de</strong>nen unserer Generation sonst nur beispielsweise<br />
im Schulunterricht erzählt wur<strong>de</strong>. Niemand von uns hat ja die<br />
DDR bewusst erlebt. Zurück in <strong>de</strong>r Theateraka<strong>de</strong>mie wur<strong>de</strong> ein<br />
studiengangsübergreifen<strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mietag organisiert, an <strong>de</strong>m wir<br />
allen, die nicht mitkommen konnten, von unseren Erfahrungen<br />
erzählten und darüber diskutierten.<br />
In einer <strong>de</strong>utschen Theaterlandschaft, in <strong>de</strong>r anscheinend alles<br />
auf <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong> erlaubt ist, be<strong>de</strong>utet uns diese Reise viel mehr als wir<br />
vorher für möglich gehalten hätten. Wir haben die Be<strong>de</strong>utung von<br />
Freiheit <strong>de</strong>r Kunst erfahren, weil sie bedroht war. Dass Theater<br />
mehr sein kann, sein muss, als Unterhaltung und unser Arbeitgeber,<br />
das war uns natürlich vorher auch schon klar, aber unsere Reise<br />
nach Shanghai hat uns bestärkt, diesen I<strong>de</strong>alismus zu leben.<br />
Foto: Ludwig Olah<br />
WWW.STAATSTHEATER.NUERNBERG.DE · 0180-5-231-600<br />
(FESTNETZ 14 CT/MIN; MOBILFUNK BIS 42 CT/MIN)
wagner-rap<br />
58<br />
Wagner<br />
Rap<br />
59<br />
Alle wollen <strong>de</strong>n verfluchten Ring – und mit ihm die Weltherrschaft<br />
an sich reißen. Inmitten dieses Kampfgetümmels<br />
stehen die drei Jugendlichen Siegfried, Brünnhil<strong>de</strong> und<br />
Hagen in einem Konflikt um Liebe, Macht und das Schicksal<br />
<strong>de</strong>r eigenen Herkunft. Die HipHop-Oper »Der Rap <strong>de</strong>s<br />
Nibelungen« erzählt Richard Wagners monumentale Opern-<br />
Tetralogie neu: aus 18 Stun<strong>de</strong>n »Wagner-Ring« wird die<br />
Kurzversion »Der Rap <strong>de</strong>s Nibelungen«.<br />
Von November 2009 bis zur Premiere am 8. Juni 2010<br />
haben 35 Darsteller <strong>de</strong>r Youth Crew am Theater Freiburg<br />
geprobt. Die Wagner-Beats lieferte <strong>de</strong>r DJ Philipp Barth vom<br />
Plattenteller. Verbun<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong> das musikalische Cross-<br />
Over mit <strong>de</strong>n Klängen <strong>de</strong>s RapRing-Jugendorchesters aus<br />
<strong>de</strong>m Orchestergraben. Dazu rappten, sangen, spielten und<br />
tanzten die 35 Darsteller. Neben <strong>de</strong>r Youth Crew stan<strong>de</strong>n<br />
die Rapper Prinz Pi (Siegfried) und Chefkoch (Hagen), <strong>de</strong>r<br />
Rocksänger Joachim Deutschland (Alberich) und die Opernsänger<br />
Julia Thornton (Brünnil<strong>de</strong>), Yaroslava Romanova<br />
(Fricka/Erda), Jin-Seok Lee (Wotan) und Christoph Waltle<br />
(Mime) auf <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong>.<br />
Wir haben Stimmen von Beteiligten gesammelt, einen<br />
Wagner-Kenner nach seinem Urteil zum »Rap« gefragt und<br />
zwei Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Raps gebeten, über die Inszenierung <strong>de</strong>r<br />
»Götterdämmerung« am Theater, die einige Wochen<br />
zuvor Premiere hatte, eine Kritik zu schreiben.<br />
alle fotos dieses artikels: maurice korbel
Von Larissa Schuberg & Ralph Christoph Merettig<br />
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wagner-rap<br />
Ob das mal gut geht?!<br />
Zwei Jugendliche in einer Richard Wagner Oper: »Die Götterdämmerung«,<br />
<strong>de</strong>r vierte Teil aus Richard Wagners 18 Stun<strong>de</strong>n langem Monumentalmusiktheater<br />
<strong>de</strong>s »Ring <strong>de</strong>s Nibelungen«. Bei<strong>de</strong> waren Mitglie<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>r Youth Crew beim »Rap <strong>de</strong>s Nibelungen«.<br />
60<br />
Die schiefen Blicke <strong>de</strong>r weiteren Zuschauer <strong>de</strong>s ausverkauften<br />
Hauses drücken Erstaunen und teilweise sogar Unverständnis<br />
aus. Sie hatten soeben zwei Jugendliche in einer Richard-Wagner-Oper<br />
ent<strong>de</strong>ckt. »Was die wohl hier suchen?«, vermochte man<br />
aus ihren Augen zu lesen. Wir müssen zugeben, dass wir uns auch<br />
etwas fehl am Platze fühlten. Zumin<strong>de</strong>st was das Wissen über die<br />
Thematik anbelangte, konnten wir problemlos mit <strong>de</strong>n Ring-Kennern<br />
konkurrieren. Schließlich hatten wir uns – mehr o<strong>de</strong>r min<strong>de</strong>r<br />
– exzessiv über sechs Monate hinweg mit <strong>de</strong>r Quintessenz dieser<br />
Oper auseinan<strong>de</strong>rgesetzt. Wir – Larissa Schubert, alias Gutrune &<br />
Ralph Christoph Merettig, also known as Fafner – sind ca. 5 Prozent<br />
<strong>de</strong>r Youth Crew <strong>de</strong>s »Rap <strong>de</strong>s Nibelungen«. Eine Hip H’Opera die <strong>de</strong>n<br />
gesamten Ring in 2,5 Stun<strong>de</strong>n unterbringt.<br />
Brünnhil<strong>de</strong>s (Sabine Hogrefe) Feuer umringtes Felsengefängnis<br />
wur<strong>de</strong> als Schlafzimmer und die Erscheinung ihrer Schwestern als<br />
Albtraum dargestellt. Diese Parallele zu ziehen war durchaus<br />
innovativ und wir legten unser Augenmerk auf die Schicksalsfä<strong>de</strong>n<br />
und spitzen unsere Ohren für die Klänge aus <strong>de</strong>m Orchestergraben,<br />
welche uns bei<strong>de</strong>n geläufig waren. Die Walküren<br />
wur<strong>de</strong>n zusätzlich durch Puppen personifiziert; dieses Motiv<br />
löste bei uns Assoziationen bezüglich <strong>de</strong>s Horrorfilmes »Chucky,<br />
die Mör<strong>de</strong>rpuppe« aus, was durchaus für die Maske und die<br />
<strong>de</strong>tailverliebten Requisiten spricht.<br />
Als nun Siegfried (Christian Voigt) aufstand und sich rasch<br />
umzog, um außer Haus zu gehen und weitere Hel<strong>de</strong>ntaten zu<br />
vollbringen, waren wir baff, wie emotionslos doch jetzt im Vergleich<br />
zum Rest <strong>de</strong>s Stückes die Verabschiedung von Brünnhil<strong>de</strong><br />
über die <strong>Bühne</strong> gebracht wur<strong>de</strong>. Belustigend allerdings waren die<br />
verschie<strong>de</strong>nen Interpretationen <strong>de</strong>r einzelnen Charaktere, im<br />
Vergleich zu unserem Stück. Vor allem befremdlich und ungewohnt<br />
fan<strong>de</strong>n wir die doch sehr erotische und betören<strong>de</strong> Gutrune<br />
(Sigrun Schell), was jedoch ihre schauspielerische und gesangliche<br />
Leistung nicht schmälern soll. Wirklich innovativ war die aus<br />
losen Umzugskartons erbaute Gibichungenburg, welche zum<br />
Erstaunen aller später noch zum Einsturz gebracht wur<strong>de</strong>. Die<br />
ganze Szene <strong>de</strong>r Geschwister mit <strong>de</strong>r Intrigenspannung zwischen<br />
Gunther (Wolfgang Newerla) und Hagen (Gary Jankowski) war sehr<br />
abwechslungsreich und kreativ gestaltet, auch wenn <strong>de</strong>r Halbbru<strong>de</strong>r<br />
Hagen sich in <strong>de</strong>r superioren Position befand und die bei<strong>de</strong>n<br />
Geschwister lediglich als seine Handlager fungierten. Alles in<br />
allem war <strong>de</strong>r erste Akt jedoch recht langwierig und mit einer<br />
Dauer von mehr als zwei Stun<strong>de</strong>n auch rein zeitlich sehr zäh. Wir<br />
waren uns <strong>de</strong>s Sachverhaltes aber bereits vorher bewusst, weil<br />
Richard Wagner ein Faible für große Spannungsbögen hat. Allerdings<br />
machten die Sänger ihre Sache durch die Bank weg wirklich<br />
gut, sodass wir uns bereits auf <strong>de</strong>n zweiten Akt freuten.<br />
»Götterdämmerung« versus<br />
»Rap« am theater freiburg<br />
Links: »Götterdämmerung« mit Wolfgang<br />
Newerla, Sabine Hogrefe und Christian<br />
Voigt im Vor<strong>de</strong>rgrund. Rechts: Szene aus<br />
»Rap <strong>de</strong>s Nibelungen«.<br />
Dieser begann mit <strong>de</strong>r Szene Hagens an seines Vaters Alberich<br />
Totenbett. Alberich (Neal Schwantes) gefiel uns bei<strong>de</strong>n ausgesprochen<br />
gut, da er seine Rolle gut interpretierte und es fast so schien,<br />
als ob er real <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> geweiht wäre. Jedoch ging beinahe unter,<br />
dass Hagen von seinem Vater dazu angehalten wur<strong>de</strong>, seinem<br />
Vater <strong>de</strong>n Ring darzubieten. In diesem Akt wur<strong>de</strong> die ganze Klasse<br />
<strong>de</strong>s Freiburger Opernhauses sehr gut zur Geltung gebracht. Die<br />
Massengesangszenen waren sehr authentisch, imposant und<br />
verursachten ein gewisses »Gänsehaut-Feeling«.<br />
Die für uns eindruckvollste Szene <strong>de</strong>s Stückes fand ebenfalls in<br />
diesem Akt statt. Der durch <strong>de</strong>n Tarnhelm als Gunther visualisierte<br />
Siegfried brach durch die Wand in das Gemach Brünnhil<strong>de</strong>s<br />
und fiel über sie her (vollzog mit ihr die Ehe). Musikalisch,<br />
sängerisch und schauspielerisch war diese Szene am herausragendsten,<br />
da sie total überraschend kam, und blieb uns am<br />
lebendigsten in Erinnerung.<br />
Der dritte Akt war <strong>de</strong>r ausge<strong>de</strong>hnte Tod Siegfrieds, welcher an<br />
sich bereits über eine halbe Stun<strong>de</strong> in Anspruch nahm und ein<br />
schöner Ausklang <strong>de</strong>s Stückes war, in<strong>de</strong>m die ganzen Intrigen<br />
zwischen <strong>de</strong>n Liebes-, Macht- und Hassverhältnissen aufgeklärt<br />
wur<strong>de</strong>n. Am En<strong>de</strong> herrschte Aufbruchstimmung, da von <strong>de</strong>m<br />
Protagonisten bloß Gutrune, die als einzige nicht <strong>de</strong>r Kraft <strong>de</strong>s<br />
Ringes zum Opfer fiel, überlebte. Im Schlussbild lag <strong>de</strong>r Fokus<br />
ebenfalls auf ihr und man fühlte sich, als ob etwas Großartiges<br />
und Neues beginnen wür<strong>de</strong>.<br />
Kurzum: Es lohnt sich durchaus – selbst für einen Jugendlichen<br />
bei schiefen Blicken – diesem epischen Werk seine Zeit zu<br />
widmen. Allein <strong>de</strong>r 15-minütige Premierenapplaus spricht für<br />
sich. Auch wenn sich sechs Stun<strong>de</strong>n sehr lang anhören, waren sie<br />
im En<strong>de</strong>ffekt voller sängerischer und schauspielerischer Impressionen<br />
und erschienen äußerst kurzweilig. Im Hiphop–Jargon<br />
wür<strong>de</strong> man sagen: »Props on that!«<br />
von Detlef Bran<strong>de</strong>nburg<br />
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Wagner fast forward<br />
Der Autor ist Chefredakteur <strong>de</strong>s Theatermagazins Die Deutsche <strong>Bühne</strong><br />
und bekennen<strong>de</strong>r Wagner-Liebhaber. Er schreibt über seinen Besuch<br />
<strong>de</strong>s »Rap <strong>de</strong>s Nibelungen«.<br />
Mit meinen 53 Jahren lag ich – geschätzt – um das Doppelte<br />
jenseits <strong>de</strong>s Durchschnittsalters, das das Publikum <strong>de</strong>r HipHop-<br />
Oper »Der Rap <strong>de</strong>s Nibelungen« am Theater Freiburg erreichte. Und<br />
mit meiner berufsbedingten Erfahrung von – ebenfalls geschätzt<br />
– an die 20 »Ring«-Produktionen kann ich womöglich genauer als<br />
die meisten im jungen Publikum beurteilen, wie »frei nach Richard<br />
Wagner« diese »Ring«-Version <strong>de</strong>nn wirklich zur Sache ging.<br />
Je<strong>de</strong>nfalls war dies keineswegs die ausgefallenste »Ring«-Version,<br />
die ich bislang zu Gesicht bekommen habe. Dieser riesige Opern-<br />
Vierling, <strong>de</strong>r in Bayreuth alljährlich Prominente und Möchtegern-<br />
Prominente, Mächtige und mächtig Reiche zu einer musikuntermalten<br />
Schwitzkur im miserabel klimatisierten Festspielhaus<br />
vereint: Er hat die Regisseure schon immer zum Wi<strong>de</strong>rspruch<br />
gegen Wagners Pathos und heiligen Ernst herausgefor<strong>de</strong>rt.<br />
Wenn man beispielweise mal erlebt hat, mit welcher Berserkerwut<br />
sich <strong>de</strong>r Skandal-Choreograf Johann Kresnik vor ein paar<br />
Jahren in Bonn an Wagners Opern-Wuchtbrumme abgearbeitet<br />
hat, bringt einen ein rappen<strong>de</strong>r Siegfried o<strong>de</strong>r eine hiphopen<strong>de</strong><br />
Youth Crew aus Freiburger Jugendlichen nicht unbedingt aus <strong>de</strong>r<br />
Fassung. Der Rap-»Ring« war beim Publikum fraglos ein großer<br />
Erfolg. Und die wenigsten <strong>de</strong>r jugendlichen Besucher hätten sich<br />
wohl <strong>de</strong>m originalen Wagner zuliebe vier Aben<strong>de</strong> lang Klangmasse<br />
und Be<strong>de</strong>utungsschwere zugemutet. Trotz<strong>de</strong>m wür<strong>de</strong> ich<br />
möglichst vielen von ihnen die Begegnung mit <strong>de</strong>m wirklichen<br />
»Ring« wünschen. Vielleicht geht es Ihnen dann wie mir und sie<br />
stellen fest, dass dieser »Rap« doch allzu viel von <strong>de</strong>m weglässt,<br />
was <strong>de</strong>n »Ring« erst spannend und liebenswert macht.<br />
Das betrifft gar nicht in erster Linie die Musik. Zwar war das<br />
eigens für diese Produktion zusammengestellte Rapring-Jugendorchester<br />
mit Wagners Orchestersatz, soweit er überhaupt live<br />
gespielt wur<strong>de</strong>, hörbar überfor<strong>de</strong>rt. Und was die Rapper angeht,<br />
Chefkoch als stämmig-stampftreten<strong>de</strong>r Hagen, Joachim Deutschland<br />
als Xavier-Naidoo-rastalockiger Alberich o<strong>de</strong>r Prinz Pi als hängeschultrig<br />
schwertschwingen<strong>de</strong>r Siegfried: da hatte ich, verglichen<br />
mit flüchtigen Kenntnissen aus <strong>de</strong>r Musikvi<strong>de</strong>othek meines Sohnes,<br />
<strong>de</strong>n Eindruck, dass man durchaus energetischer rappen kann.<br />
Trotz<strong>de</strong>m hatten die bei<strong>de</strong>n Arrangeure aus Originalklängen,<br />
Toneinspielungen, Samplersounds und Turntables-Scratches einen<br />
atmosphärisch fesseln<strong>de</strong>n Klangcocktail gemixt, <strong>de</strong>r sich erstaunlich<br />
genau mit Wagners musikalischen »Themen« auseinan<strong>de</strong>rsetzt und<br />
zugleich die Hiphop-Youth Crew gut unterstützt. Zu<strong>de</strong>m fand ich es<br />
beachtlich, dass Brünnhil<strong>de</strong> (Julia Thornton), Fricka (bemerkenswert<br />
gut: Yaroslava Romanova), Wotan (Jin Seok Lee) und Mime (ebenfalls<br />
sehr gut: Christoph Waltle) mit Opernsängern besetzt waren, die eben<br />
»Wagner« sangen. So wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>m Publikum eine intensive Begegnung<br />
mit Eindrücken <strong>de</strong>r Originalmusik zugemutet.
wagner-rap<br />
Regisseur Markus Kosuch fängt <strong>de</strong>n Abend da an, wo einem zwei<br />
Hauptfiguren unmittelbar nahe kommen: bei Siegfried und Brünnhil<strong>de</strong><br />
auf <strong>de</strong>m Walkürenfelsen, wo die Liebe noch blüht und das<br />
Glück greifbar nahe scheint: also am Beginn <strong>de</strong>r »Götterdämmerung«.<br />
Von hier aus geht es (zwei rohe Screens oben am <strong>Bühne</strong>nportal,<br />
die das Geschehen teils hübsch ironisch kommentieren, kündigen<br />
das mit <strong>de</strong>r Texteinblendung Rewind an, <strong>de</strong>r dann bei <strong>de</strong>r<br />
Rückkehr zur Haupthandlung das Fast forward folgt) in mehreren<br />
Rückblen<strong>de</strong>n zurück zu <strong>de</strong>n Schlüsselszenen aus »Rheingold«,<br />
»Walküre« o<strong>de</strong>r »Siegfried«. So wird klar, wie die Figuren gewor<strong>de</strong>n<br />
sind, was sie in <strong>de</strong>r »Götterdämmerung« sind – halbwegs je<strong>de</strong>nfalls.<br />
Die Ausstatterin Birgit Holwarth hat <strong>de</strong>n alten Kämpen Kostüme<br />
angezogen, die Vi<strong>de</strong>oclip-Ästhetik und Fantasy-Fashion keck<br />
Probe zum<br />
Freiburger »Rap <strong>de</strong>s<br />
Nibelungen«.<br />
mischen, und über Hagens und Gunthers Stierhornhelme darf man<br />
schmunzeln. Die offene <strong>Bühne</strong> mit ihrer mehrstöckigen Gitterarchitektur<br />
rechts und ihrem schrägen Kasten links schafft eine angemessen<br />
raue, düstere Atmosphäre sowohl für die furiosen Hiphop-<br />
Attacken <strong>de</strong>r Youth Group wie auch für eine Geschichte, die ja nun<br />
mal mit einem ausgewachsenen Weltuntergang en<strong>de</strong>t.<br />
Wenn das aber alles soweit OK ist, warum wer<strong>de</strong> ich mir<br />
weiterhin <strong>de</strong>n originalen Wagner antun, bis mir <strong>de</strong>r Hintern weh<br />
tut und ich vier Hem<strong>de</strong>n durchgeschwitzt habe? Vor allem <strong>de</strong>shalb,<br />
weil die Figuren so sehr viel reicher, weil die Geschichte tiefsinniger<br />
und aktueller ist, als Markus Kosuchs Konzept es auch nur<br />
ahnen lässt. Vielleicht hätte er sich doch genauer fragen sollen, ob<br />
so ein 16-Stun<strong>de</strong>n-Musikmythos, <strong>de</strong>r eine reichlich verwickelte ger-<br />
manische Göttergeschichte als Metapher <strong>de</strong>r beginnen<strong>de</strong>n<br />
Industrialisierung, <strong>de</strong>r Geldwirtschaft, <strong>de</strong>s »Kapitalismus«<br />
im 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>uten will – ob ein solches Monster an<br />
Handlungs- und Be<strong>de</strong>utungskomplikationen wirklich eine<br />
gute Vorlage für eine »HipHop-Oper« ist. Denn man hat<br />
<strong>de</strong>n Eindruck, dass diese Produktion über weite Strecken<br />
damit beschäftigt ist, dieser Handlung hinterher zu hecheln;<br />
dass sie es nicht schafft, Figuren über Standard-Posen<br />
hinaus tiefer zu profilieren und sich zu fragen, was uns<br />
<strong>de</strong>nn dieser ganze Götter- und Hel<strong>de</strong>n-Aufwand sagen soll.<br />
Hier schlägt das »frei nach Wagner« nicht als Gewinn,<br />
son<strong>de</strong>rn als Verlust zu Buche. Und das kann, wer es, wie<br />
ich, an<strong>de</strong>rs kennt, bei aller Sympathie für Rap und Hiphop<br />
nicht einfach ignorieren.<br />
Eine eigene interpretieren<strong>de</strong> Haltung gegenüber<br />
Wagners »Ring« fin<strong>de</strong>t diese Hiphop-Oper nicht. Die Frage,<br />
ob es nicht tatsächlich Berührungspunkte zwischen <strong>de</strong>r<br />
Rap- und Hiphop-Kultur und Wagners Hel<strong>de</strong>n gibt (was ich<br />
mir durchaus vorstellen könnte: unangepasste Hel<strong>de</strong>n,<br />
bankrottes Establishment und aggressive Kämpfer gibt es<br />
hier wie dort) stellt sie nicht einmal. Ihre Stärke liegt in<br />
einem theaterpädagogischen Coup: Sie bringt einem<br />
Publikum, das we<strong>de</strong>r mit Wagner noch mit <strong>de</strong>ssen Vorlage,<br />
<strong>de</strong>n Götter- und Hel<strong>de</strong>nsagen <strong>de</strong>r »Edda«, viel im Sinn hat,<br />
diesen Stoff nahe. Das meinte ich mit »brav« – Regisseure<br />
eines »richtigen« »Rings« lösen sich oft viel stärker von »<strong>de</strong>r<br />
Geschichte«, um Bezüge zu unserer Gegenwart aufzu<strong>de</strong>cken<br />
– und so einem Wunsch Wagners nachzukommen, <strong>de</strong>n<br />
<strong>de</strong>r alte Herr in die leutselige Auffor<strong>de</strong>rung klei<strong>de</strong>te: »Kin<strong>de</strong>r,<br />
schafft Neues«! Aber auch das kann man ja in Freiburg<br />
erleben: in Frank Hilbrichs »Ring«-Inszenierung, die im<br />
Juni bei <strong>de</strong>r »Götterdämmerung« ankam. Es gibt nicht viele<br />
Theater, die ihr Programm so klug abstimmen. Vielleicht<br />
nutzen ja ein paar von <strong>de</strong>nen, die <strong>de</strong>n Nibelungen-Rap so<br />
enthusiastisch bejubelt haben, dieses Angebot zum Opern-<br />
Crossover. Es lohnt sich!<br />
62<br />
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<strong>Junge</strong> Töne<br />
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Eine Übersicht über beson<strong>de</strong>res Musiktheater für<br />
Jugendliche in <strong>de</strong>r neuen Spielzeit (2010/2011):<br />
»Das Tagebuch <strong>de</strong>r Anne Frank« gehört zu <strong>de</strong>n bekanntesten<br />
überlieferten Büchern aus <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>s Nationalsozialismus.<br />
Als Musiktheater für junge Menschen kommt es in dieser<br />
Spielzeit auf die <strong>Bühne</strong>n <strong>de</strong>r Theater in Gera/Altenburg (ab<br />
16.10.2010) und Braunschweig (ab 27.10.2010).<br />
Die Berliner Staatsoper spielt zur Zeit im Ausweichquartier<br />
Schillertheater. Dort hat »Schnittstelle Figaro«, ein Musiktheaterprojekt<br />
für Jugendliche ab 15 Jahren von Max Schumacher<br />
und Rainer O. Brinkmann am 17.10.2010 Premiere.<br />
Künstler aus New York, Tokio und Berlin bringen dabei 48<br />
angehen<strong>de</strong> Friseure mit Musikern, Sängern und Zuschauern in<br />
einen Dialog. Wird aus <strong>de</strong>r Frisierkabine eine Therapiecouch<br />
o<strong>de</strong>r ein Beichtstuhl?<br />
An <strong>de</strong>r Staatsoper Hannover wird es ab dieser Spielzeit<br />
eine <strong>Junge</strong> Oper geben: Am 7. 11. 2010 startet »The Beggar’s<br />
Opera«. Für dieses Musiktheater hat die Berliner Komponistin<br />
und DJ Alexandra Holtsch Pop-Melodien <strong>de</strong>s 18. Jahrhun<strong>de</strong>rts zum<br />
Ausgangspunkt für ihre Musik genommen. Gemeinsam<br />
mit Sängern <strong>de</strong>r Staatsoper und Jugendlichen aus Hannover<br />
entwickelt Regisseurin Dagmar Schlingmann eine neue Version<br />
<strong>de</strong>s bekannten Stückes. Auch an <strong>de</strong>r Dresdner Semperoper<br />
gibt es etwas Neues: die Semperoper <strong>Junge</strong> Szene – für und<br />
mit Dresdner Schülern.<br />
Bereits zum vierten Mal fin<strong>de</strong>t an <strong>de</strong>r <strong>Junge</strong>n Oper<br />
Mannheim das Projekt »Zählen und Erzählen« nach einem<br />
Konzept von Mauricio Kagel statt. Dabei wer<strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>r<br />
selbst zu Regisseuren, <strong>Bühne</strong>n- und Kostümbildner und<br />
Komponisten, um ihr eigenes Musiktheaterstück zu<br />
erfin<strong>de</strong>n. Susanne Mautz wird die Mo<strong>de</strong>ration bei diesem<br />
Musiktheater für Unerwachsene übernehmen.<br />
Viele kicken<strong>de</strong> Jungs träumen von <strong>de</strong>r großen Fußballkarriere.<br />
Auch <strong>de</strong>r südamerikanische <strong>Junge</strong> Fernan<strong>de</strong>z,<br />
<strong>de</strong>r im Slum zwischen Müll und Armut aufwächst. Als<br />
er tatsächlich ent<strong>de</strong>ckt und zum Star wird, und bald all<br />
seine Freun<strong>de</strong> vergessen hat, fällt er tief... »Die Balla<strong>de</strong><br />
von Garuma« ist eine Oper für Jugendliche ab 12 Jahren<br />
von Ad <strong>de</strong> Bont und Guus Ponsioen. Premiere im<br />
Kammertheater <strong>de</strong>r Staatsoper Stuttgart ist am 30.6.2011.
wagner-rap<br />
Jan Schinzig (Youth Crew):<br />
»Ich bin beim Projekt dabei,<br />
weil ich an<strong>de</strong>ren zeigen will,<br />
dass Rap nicht nur mit Gewalt,<br />
Drogen und leichtbeklei<strong>de</strong>ten<br />
Frauen zu tun hat.«<br />
Marlene Mußotter (Youth Crew): »Beim ›Rap<br />
<strong>de</strong>s Nibelungen‹ kann ich, an<strong>de</strong>rs als bei<br />
an<strong>de</strong>ren Projekten <strong>de</strong>s <strong>Junge</strong>n Theaters, im<br />
Großen Haus auf <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong> stehen. Außer<strong>de</strong>m<br />
konnte ich mir hier als klassische Sängerin<br />
einiges von <strong>de</strong>n Opernprofis abschauen.«<br />
Cem Bekci (Youth Crew): »Am Rap <strong>de</strong>s Nibelungen<br />
gefallen mir vor allem die Choreografien<br />
und <strong>de</strong>r Wechsel zwischen HipHop und Oper.«<br />
Programm<br />
2010 2011<br />
Niklas Melcher (Youth Crew):<br />
»Mir gefällt dieses Cross-Over-<br />
Projekt – auch weil wir die<br />
ersten sind, die sowas<br />
Beson<strong>de</strong>res machen!«<br />
Calypso Casillas (Youth Crew): «Der<br />
Applaus und das Gejubel nach <strong>de</strong>r Premiere<br />
war das schönste Gefühl meines Lebens,<br />
durch <strong>de</strong>n Rap <strong>de</strong>s Nibelungen ist ein<br />
Traum in Erfüllung gegangen!«<br />
64<br />
Rebecca Rachel Räschke-Omorogbe<br />
(Youth Crew): »Die Youth Crew ist das<br />
Beste, was mir passieren konnte. Es ist<br />
ein unglaubliches Gefühl beim ›Rap <strong>de</strong>s<br />
Nibelungen‹ auf <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong> zu stehen.<br />
Man fühlt sich wie in einer<br />
an<strong>de</strong>ren Welt!«<br />
Maria Meier (Querflötistin im RapRing-<br />
Jugendorchester): »Im Orchestergraben<br />
ist es ziemlich warm, aber dafür entspannter<br />
als auf <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong>. Nur blöd, dass man vom<br />
<strong>Bühne</strong>ngeschehen nur die Hälfte mitbekommt...«<br />
Viet duc Cung (Youth Crew):<br />
»Beim ›Rap <strong>de</strong>s Nibelungen‹<br />
steht <strong>de</strong>r HipHop-Tanz nicht für<br />
sich allein, son<strong>de</strong>rn ist in ein<br />
ganzes Musiktheater eingebettet<br />
– für mich als Breaker ist<br />
das neu und sehr spannend.«<br />
Mira Pauli (Geigerin im RapRing-Jugendorchester):<br />
»Ich habe im Orchester eine Menge<br />
netter Leute getroffen. Es bringt Spaß, mal<br />
was Neues auszuprobieren und aus meinem<br />
Alltag rauszukommen.«<br />
Elberfel<strong>de</strong>r Straße 65 · 58095 Hagen · Tel.: 0 23 31 / 207 - 32 18 · www.theater.hagen.<strong>de</strong>
Die kulturelle Arbeit mit behin<strong>de</strong>rten<br />
Menschen kann eine Herausfor<strong>de</strong>rung<br />
sein. In <strong>de</strong>r Regel ist sie aber vor allem<br />
eines: eine Bereicherung für alle Beteiligten.<br />
Die Erfolgsgeschichte <strong>de</strong>s<br />
Berliner Ensembles Ramba Zamba<br />
beweist dies immer wie<strong>de</strong>r.<br />
Von Elisa Giesecke<br />
------------------------<br />
Für Michael läuft es heute nicht so gut. Während seine Schauspiel-Kollegen im<br />
Foyer <strong>de</strong>r Berliner Kunstwerkstatt »Sonnenuhr« an einem großen run<strong>de</strong>n Tisch<br />
genüsslich zu Mittag essen, sitzt er etwas abseits und wimmert, <strong>de</strong>n Kopf erschöpft<br />
gegen die Wand gelehnt. Dabei soll er doch am Abend auf die <strong>Bühne</strong>.<br />
Theater ungehin<strong>de</strong>rt<br />
Kunstvoll<br />
foto: ron gerlach<br />
66<br />
Elisa Giesecke, die Autorin dieses Beitrags, ist redaktionelle<br />
Mitarbeiterin <strong>de</strong>s Deutschen <strong>Bühne</strong>nvereins und u.a. mitververantwortlich<br />
für die Homepage <strong>de</strong>r jungen bühne.<br />
Die Winterreise nach <strong>de</strong>m berühmten Lie<strong>de</strong>rzyklus von Franz Schubert<br />
steht auf <strong>de</strong>m Programm <strong>de</strong>s Theaters RambaZamba. Ensemble-Chefin<br />
Gisela Höhne ist besorgt. Nicht um die Aufführung, son<strong>de</strong>rn um ihren Darsteller.<br />
Der wird nämlich immer blasser. Als sie ihn an die frische Luft führen will,<br />
fällt er auch noch um. Todkrank, <strong>de</strong>nkt man. Doch weit gefehlt. »Jetzt spielt er<br />
wie<strong>de</strong>r«, stöhnt die Regisseurin. »Keiner will so sehr spielen wie Michael, das<br />
<strong>de</strong>monstriert er auch gerne außerhalb <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong>. Er kennt alle Rollen und ist<br />
je<strong>de</strong>rzeit in <strong>de</strong>r Lage, für seine Kollegen einzuspringen; manchmal bemerkt er<br />
erst kurz vor <strong>de</strong>m Auftritt, dass er das Kostüm eines an<strong>de</strong>ren noch über sein<br />
eigenes gezogen hat.« Wenn das keine Lei<strong>de</strong>nschaft ist. Und jetzt ist ausgerechnet<br />
er krank. O<strong>de</strong>r doch nicht?<br />
Im Theater RambaZamba tickt die Uhr ein wenig an<strong>de</strong>rs. Bemerkenswert<br />
an<strong>de</strong>rs. Denn das Ensemble besteht größtenteils aus Menschen mit geistiger<br />
Behin<strong>de</strong>rung. Michael beispielsweise hat das Down-Syndrom. Genauso wie<br />
Mario, Juliana, Moritz, Jan-Patrick, Jennifer, Martin, Johannes, Helmut, René,<br />
Rita und Nele (Beim Down-Syndrom han<strong>de</strong>lt es sich um eine unverän<strong>de</strong>rbare<br />
genetische Beson<strong>de</strong>rheit. Anstatt <strong>de</strong>r üblichen 23 Chromosomenpaare weisen<br />
die Zellen <strong>de</strong>r Menschen mit Down-Syndrom ein zusätzliches Chromosom<br />
auf. Das Chromosom 21 ist bei ihnen dreifach vorhan<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>swegen spricht<br />
man auch von einer Trisomie 21). Einige von ihnen sind seit über zehn Jahren,<br />
teilweise sogar seit <strong>de</strong>r ersten großen Inszenierung <strong>de</strong>s Ensembles 1991, dabei.<br />
Ein großer Glücksfall für sie, <strong>de</strong>nn Gisela Höhne und Klaus Erforth, die vor<br />
zwanzig Jahren die »Sonnenuhr« für ihren mit Down-Syndrom geborenen Sohn<br />
Moritz erfan<strong>de</strong>n, haben ein Kunst-Refugium geschaffen, das seinesgleichen<br />
sucht. Die Kombination von Kunst-Atelier und Theater, bestehend aus<br />
<strong>de</strong>n Ensembles Höhne, Erforth (Kalibani) und Circus Sonnenstich macht möglich,<br />
was behin<strong>de</strong>rten Menschen im sozialen Alltag verwehrt bleibt. Hier<br />
wer<strong>de</strong>n sie nicht ständig mit ihren Grenzen konfrontiert, son<strong>de</strong>rn können sich<br />
entsprechend ihrer Fähigkeiten entfalten. Es sind wahre Meister ihres Fachs,<br />
die Abend für Abend auf <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong> stehen und die Welt nicht nur in Frage,<br />
son<strong>de</strong>rn auf <strong>de</strong>n Kopf stellen. Absurd, lei<strong>de</strong>nschaftlich, komisch, ernst, charmant,<br />
beseelt, pfiffig, verbissen – die Klaviatur <strong>de</strong>s Lebens wird mit Lust und<br />
Fantasie bespielt. Inzwischen ist RambaZamba weit mehr als nur ein Theater<br />
für Menschen mit Behin<strong>de</strong>rung. Längst gehören Gastspielreisen und<br />
Auftritte in großen Häusern zum Alltagsgeschäft <strong>de</strong>r Schauspieler. Künstlergrößen<br />
wie Frank Castorf, Meret Becker o<strong>de</strong>r Otto San<strong>de</strong>r zählen sich zu erklärten<br />
Anhängern und traten teilweise schon selbst mit <strong>de</strong>n Darstellern auf. Selbst<br />
<strong>de</strong>r Dramatiker Heiner Müller sprach seinerzeit von »einer Qualität <strong>de</strong>s An<strong>de</strong>rsseins<br />
im Zeitalter <strong>de</strong>r Nivellierungen«.<br />
67
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Links und vorige Seite: »Winterreise« am<br />
Theater RambaZamba mit Juliana Götze (vorige<br />
Seite), Nele Winkler und Franziska Kleinert.<br />
DER A NFA NG IS T GEM ACH T<br />
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foto: ron gerlach<br />
foto: theater rambazamba<br />
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Giesela Höhne.<br />
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Von Starallüren ist trotz einer solch prominenten Fangemein<strong>de</strong><br />
nicht viel zu spüren. Dafür ist auch gar keine<br />
Zeit. Nach <strong>de</strong>r Mittagspause ist erst einmal eine halbstündige<br />
Probe für die Abendvorstellung angesetzt. Michael<br />
wur<strong>de</strong> inzwischen von seiner Mutter abgeholt – sein mala<strong>de</strong>s<br />
Erscheinungsbild war diesmal wohl doch nicht<br />
seinem Schauspieltalent zuzuschreiben. Für Gisela Höhne<br />
be<strong>de</strong>utet das, sie muss umdisponieren. Mit zarter Strenge<br />
for<strong>de</strong>rt sie die Schauspieler auf, ihre Positionen einzunehmen,<br />
alle folgen ihrer Anweisung, nur Hans-Harald bleibt,<br />
in Gedanken versunken, stehen. Sein Hörgerät liegt noch in<br />
<strong>de</strong>r Gar<strong>de</strong>robe. Etwas verstimmt nimmt die Regisseurin die<br />
dadurch entstan<strong>de</strong>ne Verzögerung hin, doch schließlich<br />
sind alle bereit. Für frem<strong>de</strong> Augen beginnt nun ein kaum<br />
nachvollziehbares Treiben, <strong>de</strong>ssen Sinn sich nur <strong>de</strong>r Regisseurin<br />
und <strong>de</strong>n Akteuren erschließen mag. Hinter einem<br />
langen Tisch, <strong>de</strong>r beinahe die gesamte Länge <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong><br />
einnimmt, sitzen zunächst, wie Perlen an einer Schnur<br />
aufgereiht, die Darsteller. Sie re<strong>de</strong>n erst wild durcheinan<strong>de</strong>r,<br />
dann rennen sie auf <strong>de</strong>n vor<strong>de</strong>ren Teil <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong>n und<br />
kreisen in schnellen Drehungen um die eigene Achse.<br />
Weißes Papier wird mechanisch in Fetzen gerissen, während<br />
sich die Körper hin und her wiegen o<strong>de</strong>r sich scheinbar<br />
in einem Anfall <strong>de</strong>s Schmerzes zusammen krampfen.<br />
Immer wie<strong>de</strong>r ruft die Regisseurin dazwischen, lobt o<strong>de</strong>r<br />
bittet um Konzentration und treibt diejenigen an, die gera<strong>de</strong><br />
<strong>de</strong>n Fa<strong>de</strong>n verloren haben. Nach einer halben Stun<strong>de</strong> ist<br />
alles vorbei. Kaum vorstellbar, dass daraus am Abend eine<br />
vollständige Aufführung entstehen soll. Dennoch ist sich<br />
Höhne sicher: »Das war keine schwierige Probe, aber da<br />
Michael nun fehlt, muss man natürlich entsprechend<br />
ausprobieren.« Aber seine Lücke wur<strong>de</strong> problemlos gefüllt.<br />
Überhaupt ist das Probieren und Improvisieren die<br />
wichtigste Metho<strong>de</strong>, die Akteure an einen Stoff heranzuführen.<br />
Dabei zeigen sie schnell, was sie spielen wollen und<br />
was nicht. »Sie mimen grundsätzlich nur das, wozu sie einen<br />
Zugang haben«, erklärt Höhne. »Es bringt daher auch nichts,<br />
sie beispielsweise eine Szene in einem Café spielen zu lassen,<br />
wenn sie noch nie in einem Café waren. Ich muss dann<br />
um<strong>de</strong>nken und eine Tür öffnen, etwa wenn ich sage, wir<br />
spielen das Café unserer Träume, in <strong>de</strong>m ihr alles sein dürft,<br />
was ihr euch wünscht. Nur so funktioniert es.«<br />
Die Stoffe, <strong>de</strong>nen auf <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong> Leben eingehaucht wird,<br />
sind solche, die in <strong>de</strong>r Gesellschaft wurzeln, die aber gleichzeitig<br />
in engem Zusammenhang mit <strong>de</strong>m Leben <strong>de</strong>r behin<strong>de</strong>rten<br />
Menschen stehen. So wie »Mongopolis«, einer Inszenierung,<br />
in <strong>de</strong>r es um <strong>de</strong>n perfekten Menschen geht, um Themen<br />
wie Euthanasie und Bioethik. Dennoch ist die Theaterwissenschaftlerin<br />
Höhne sehr darauf bedacht, die Schauspieler mit<br />
solch ernsten Themen nicht zu überlasten, und sorgt daher<br />
für einen abwechslungsreichen Spielplan. Zwischen »Me<strong>de</strong>a«<br />
und »Winterreise« sind daher auch »leichtere« Stücke wie<br />
»Weiberrevue« o<strong>de</strong>r »Das Herz ist kein Fußball« zu fin<strong>de</strong>n.<br />
-------------------------------------------<br />
»Es gibt keinen besseren Ort für<br />
diese Menschen als das Theater.«<br />
-------------------------------------------<br />
Beeindruckend die Professionalität, die die Schauspieler an<br />
<strong>de</strong>n Tag legen. Keine Spur von Aufregung, dafür leuchten<br />
die Augen in <strong>de</strong>r Vorfreu<strong>de</strong> auf die Vorstellung. Mario und<br />
Grit sehen überhaupt nicht ein, warum sie nervös sein<br />
sollten. »Ist doch toll, auf <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong> zu stehen«, sind sie sich<br />
einig. Tatsache. Doch auch ein Profi fällt nicht einfach vom<br />
Himmel. Gisela Höhnes Ton wird strenger, wenn es um<br />
dieses Thema geht: »Die Schauspieler müssen wissen, das<br />
alles wichtig ist, was auf <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong> passiert. Je<strong>de</strong>s Detail
Kunstvoll<br />
Hans-Harald Janke<br />
in »Winterreise«.<br />
foto: fotograf<br />
Das Theatermagazin für alle Sparten<br />
------------------<br />
Winterreise<br />
------------------<br />
70<br />
Sich wehren gegen die Eiszeit unter <strong>de</strong>n Menschen und in <strong>de</strong>r<br />
Welt. Bei RambaZamba spielt Schuberts »Winterreise« in <strong>de</strong>r<br />
Anstalt. Unter <strong>de</strong>m Motto »… und sind wir selber Götter« wird<br />
aus Schuberts 180 Jahre altem Lie<strong>de</strong>rzyklus nach Texten von<br />
Wilhelm Müller etwas Heutiges. Mit Pauken und Posaunen,<br />
Streichinstrumenten und Schlagwerk, unterstützt von Bratsche,<br />
Gitarre, Percussion und Klavier, vor allem aber mit berühren<strong>de</strong>m<br />
Gesang und wil<strong>de</strong>m Geschrei kämpfen die Winterreisen<strong>de</strong>n an<br />
gegen pillengesättigte Traurigkeit, gegen eine Welt, die sie<br />
kaltzustellen versucht. www.theater-rambazamba.org<br />
muss sitzen, da bin ich gna<strong>de</strong>nlos. Erst so schafft man eine gewisse<br />
Professionalität, alles an<strong>de</strong>re ist schlechtes Theater.« Eine<br />
<strong>de</strong>utliche Entwicklung seit <strong>de</strong>n Anfängen sei insgesamt zu erkennen.<br />
»Sie spielen mittlerweile mit so viele Tiefe und Ernsthaftigkeit<br />
und wollen auch Altes gar nicht mehr wie<strong>de</strong>rholen. Wenn ich<br />
ein Stück neu aufnehmen, kann ich also auch etwas dazu tun o<strong>de</strong>r<br />
weglassen, ohne dass sie das durcheinan<strong>de</strong>r bringt.«<br />
Gute Voraussetzungen also für einen weiteren gelungenen<br />
Theaterabend. Als die Vorstellung <strong>de</strong>r »Winterreise« beginnt, liegt<br />
eine eigenartige Spannung in <strong>de</strong>r Luft, ein Flimmern, so als<br />
bestün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Raum nur noch aus <strong>de</strong>r Energie <strong>de</strong>r Schauspieler.<br />
Vom Chaos <strong>de</strong>r Nachmittagsprobe ist nichts mehr zu spüren. Die<br />
Tür öffnet sich, ein letzter Zuschauer schlüpft hindurch – es ist die<br />
berühmte Schauspielerin Angela Winkler, <strong>de</strong>ren Tochter Nele im<br />
Ensemble spielt. Man merkt, sie ist hier zuhause; <strong>de</strong>n Auftritt ihres<br />
Kin<strong>de</strong>s genießt sie hörbar, immer wie<strong>de</strong>r ist ein glockenhelles<br />
Lachen zu vernehmen. Nele ist einfach wun<strong>de</strong>rbar, ihre leicht<br />
stocken<strong>de</strong>, aber lei<strong>de</strong>nschaftliche Art zu sprechen, ihre hingebungsvolle<br />
Art zu tanzen, wie sie ihr ganzes Sein auf <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong><br />
zum Strahlen bringt. Joachim, einer <strong>de</strong>r Erfahreneren im Ensemble,<br />
beeindruckt mit seiner kraftvollen Präsenz und rührt zugleich mit<br />
seinem klaren, beseelten Tenor. Grit, die Unsentimentale, pfeffert<br />
ihre Worte ganz unverblümt über die <strong>Bühne</strong>, so dass man nur<br />
staunen kann angesichts <strong>de</strong>r Kraft, die aus ihr herausströmt. Und<br />
Juliana zieht mit ihrer ungeheuer liebreizen<strong>de</strong>n Ausstrahlung alle<br />
Blicke auf sich. Je<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Darsteller imponiert mit seiner ihm<br />
eigenen Fähigkeit, Geschichten zu erzählen. Die anfängliche<br />
Befürchtung, die behin<strong>de</strong>rten Künstler könnten auf unangenehme<br />
Weise vorgeführt wer<strong>de</strong>n, ist mit einem Mal erloschen. Wenn das<br />
keine Kunst ist, was dann? Gisela Höhne ist überzeugt, dass man<br />
ein Projekt wie RambaZamba nur leiten kann, wenn man die<br />
Wür<strong>de</strong> dieser beson<strong>de</strong>ren Menschen zu wahren weiß. »Das, was<br />
sie sind, muss Teil <strong>de</strong>s Kunstproduktes sein. Zu zeigen, was sie<br />
alles nicht können, geht überhaupt nicht, das wäre dann ein<br />
Vorführen ihrer Behin<strong>de</strong>rung, und das wollen wir nicht. Wir<br />
haben bisher immer erreicht, dass die Zuschauer nach wenigen<br />
Sekun<strong>de</strong>n vergessen, dass die Schauspieler an<strong>de</strong>rs sind.«<br />
Auch an diesem Abend ist dieses Phänomen zu bemerken. Die<br />
Zuschauer blicken wie gebannt auf die <strong>Bühne</strong> und belohnen die<br />
Leistung <strong>de</strong>r Akteure anschließend mit tosen<strong>de</strong>m Applaus. Sofort<br />
wird klar, es gibt keinen besseren Ort für diese kreativen Menschen<br />
als das Theater. Denn als Instrument <strong>de</strong>r Verkehrung<br />
<strong>de</strong>ssen, was gemeinhin als Normalität betrachtet wird, als Ort <strong>de</strong>s<br />
Absur<strong>de</strong>n, Phantastisch-Unlogischen eröffnet es <strong>de</strong>n Akteuren in<br />
ihrem »An<strong>de</strong>rssein« ungeahnte Möglichkeiten. Logische Strukturen<br />
gibt es nicht – und gera<strong>de</strong> das macht <strong>de</strong>n Charme und die<br />
Authentizität <strong>de</strong>s Spiels aus.<br />
»Ich kann diese Energie, die zwischen Schauspielern und<br />
Publikum entsteht, nicht trainieren, ich kann nur die Voraussetzungen<br />
dafür schaffen. Das ist natürlich eine Herausfor<strong>de</strong>rung,<br />
aber das ist auch das, was ich an diesem Theater so liebe«, erklärt<br />
Höhne. Dass dies auch ohne klassische Schauspielausbildung<br />
funktioniert, bestätigt sich immer wie<strong>de</strong>r. Dennoch wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n<br />
Ensemble-Mitglie<strong>de</strong>rn täglich Grundtechniken vermittelt, um das<br />
künstlerische Niveau aufrecht zu erhalten. Von Zeit zu Zeit reisen<br />
Choreografen und Sänger an, um mit ihnen Bewegungs- o<strong>de</strong>r<br />
Stimmtechniken zu erarbeiten. Und das zahlt sich aus. Was vor<br />
drei Jahren lediglich Freizeitbeschäftigung war, ist mittlerweile zu<br />
einem festen Arbeitsplatz für die professionell spielen<strong>de</strong>n<br />
Künstler gewor<strong>de</strong>n. Ein großer Erfolg für alle Beteiligten.<br />
Und die Akteure? Die sind nach <strong>de</strong>r Aufführung glücklich, aber<br />
erschöpft. Nele hat sich am Finger verletzt und möchte lieber gleich<br />
nach Hause. Joachim gönnt sich noch ein Bier und Mario lehnt sich<br />
lässig in seinem Stuhl zurück. Aber vielmehr als ein »Ist gut gelaufen!«<br />
ist auch ihm nicht mehr zu entlocken.<br />
Wir lassen<br />
euch nicht<br />
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BERUFE AM THEATER<br />
schauspieler und sänger sitzen vor einem<br />
auftritt oft lange in <strong>de</strong>r Maske – und kommen<br />
nicht unbedingt schöner raus, als sie vorher<br />
waren... wer arbeitet eigentlich am gesicht<br />
<strong>de</strong>r darsteller und was zeichnet <strong>de</strong>n beruf<br />
<strong>de</strong>s maskenbildners aus?<br />
Von VERA SCORY<br />
--------------------<br />
Maskenbildnerin Caroline<br />
Müller-Karl bei <strong>de</strong>r Arbeit.<br />
Ganz nah<br />
am Menschen<br />
foto: privat<br />
foto: peter awtukowitsch<br />
fühlt man sich doch lebendig«, schwärmt Müller-Karl. Auch für<br />
die Chefmaskenbildnerin am Aalto-Theater Essen, Doris<br />
Kallmeyer-Rauh, sind Hektik, Stress und Unruhe ganz normale<br />
Bestandteile ihres Tagesablaufs. Müller-Karl arbeitet seit 10 Jahren<br />
als Maskenbildnerin, Kallmeyer-Rauh seit 35. Bei<strong>de</strong> berichten mit<br />
<strong>de</strong>rart anstecken<strong>de</strong>r Begeisterung von ihrem Beruf, dass man am<br />
liebsten selbst zu Knüpfna<strong>de</strong>l, Stielkamm und Schminkschwamm<br />
greifen möchte, <strong>de</strong>n wichtigsten Werkzeugen eines Maskenbildners.<br />
73<br />
72<br />
Sabina Martin als<br />
sichtbar kranke Violetta in<br />
»La traviata« am Theater<br />
Plauen-Zwickau.<br />
foto: peter awtukowitsch<br />
Violetta stirbt. Die Kamera zoomt ran. Je<strong>de</strong>s Zucken ist auf <strong>de</strong>r<br />
Leinwand in Großaufnahme zu sehen, ihr kahler Kopf erzählt die<br />
Geschichte einer qualvollen Krankheit. Die Bil<strong>de</strong>r erinnern an <strong>de</strong>n<br />
englischen Big-Brother-»Star« Ja<strong>de</strong> Goody, die ihren monatelangen<br />
Krebstod medial begleiten ließ. »Der Zoom bringt mich je<strong>de</strong>s Mal<br />
ins Schwitzen, man sieht je<strong>de</strong>n Stoppelpunkt, da muss die Glatze<br />
perfekt sitzen«, sagt Chefmaskenbildnerin Caroline Müller-Karl.<br />
Am Theater Plauen-Zwickau gehört das <strong>de</strong>tailgenaue<br />
Sterben zur Inszenierung <strong>de</strong>r Oper »La traviata«. Im ersten Akt<br />
hatte Violetta noch lange glänzen<strong>de</strong> Haare, war das blühen<strong>de</strong><br />
Leben. In <strong>de</strong>r 20-minütigen Pause bekommt sie von Müller-Karl<br />
und zwei Kolleginnen eine Glatze aufgeklebt, die Kopfform muss<br />
natürlich aussehen, die Übergänge zur Haut unsichtbar sein. Je<strong>de</strong>n<br />
Abend lei<strong>de</strong>t Violetta auf <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong>, je<strong>de</strong>n Abend bringt die<br />
Maske die gleiche präzise und schnelle Leistung, die Kamera ist<br />
unerbittlich. »Natürlich ist das immer hektisch. Aber das ist das<br />
Tolle am Theater, je<strong>de</strong>n Tag wird eine neue Welt entworfen, da<br />
-----------------------------------------------<br />
»Der Mensch ist <strong>de</strong>r<br />
Ausgangspunkt je<strong>de</strong>r Maske.«<br />
-----------------------------------------------<br />
Zusammen mit <strong>de</strong>r Kostümabteilung, <strong>de</strong>r Regie und <strong>de</strong>n Künstlern<br />
erwecken Maskenbildner einen <strong>Bühne</strong>ncharakter zum Leben,<br />
arbeiten kontinuierlich am Gesamtkonzept mit. Nach Figurinenzeichnungen<br />
folgt die Umsetzung mit verschie<strong>de</strong>nsten Materialien,<br />
Farben und Stoffen. Am Theater wird das meiste noch selbst<br />
angefertigt, da bei je<strong>de</strong>r Inszenierung ganz individuell festgelegt<br />
wird, wie die Darsteller auszusehen haben. Perücken o<strong>de</strong>r Bärte<br />
wer<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>r Hand geknüpft, rund 40 Arbeitsstun<strong>de</strong>n dauert<br />
die Herstellung einer einzigen Perücke. Manchmal arbeiten die<br />
Maskenbildner lange an einem bestimmten Effekt. »Bei unserer<br />
»Elegie für junge Lieben<strong>de</strong>« musste ein Darsteller aussehen, als<br />
wäre er 40 Jahre lang im Eis eingefroren gewesen. Wir haben<br />
wochenlang probiert, bis das Eis auf seinem Körper glaubwürdig<br />
bis in die letzte Zuschauerreihe aussah und <strong>de</strong>m Scheinwerferlicht<br />
standhielt«, sagt Kallmeyer-Rauh. Das klebrige Gel, das für<br />
Ultraschalluntersuchungen verwen<strong>de</strong>t wird, erzielte in Kombination<br />
mit einer bestimmten Schminktechnik schließlich <strong>de</strong>n gewünschten<br />
Glimmer-Effekt.<br />
Als beson<strong>de</strong>rs reizvoll empfin<strong>de</strong>n bei<strong>de</strong> Maskenbildnerinnen<br />
die Mischung zwischen hoch konzentrierter Feinarbeit, schneller<br />
Improvisation und viel Trubel. Die filigrane, fast meditative<br />
Arbeit an einer Perücke, einem Bart o<strong>de</strong>r einer Kascheemaske, am<br />
liebsten morgens ganz früh, wenn es im Theater noch still ist. Die<br />
Aufregung vor und während <strong>de</strong>r Vorstellung, wenn nachgebessert,<br />
angeklebt, umgeschminkt wer<strong>de</strong>n muss. Aber das Schönste<br />
ist die Arbeit am und mit Menschen, die Kommunikation mit
DIE RUBRIK AUSBILDUNG<br />
--------------------<br />
Ausbildungsinhalte<br />
--------------------------<br />
Bereich Haare u.a.: Historische und zeitgenössische<br />
Frisuren, Haarteile einfrisieren,<br />
Perücken und Bärte knüpfen;<br />
Bereich Make-Up u.a.: Charakterschminke,<br />
Schönschminke, Altschminke;<br />
Bereich Special Effects u.a.: Wun<strong>de</strong>n, Entstellungen,<br />
Prothesen, Maskenherstellung und Formenbau.<br />
Ausbildung<br />
---------------<br />
Dreijährige Ausbildung nach <strong>de</strong>m dualen System,<br />
d.h. an einem Theater und an einer <strong>de</strong>r staatlichen<br />
Berufsschulen in Köln, Hamburg, Ba<strong>de</strong>n-Ba<strong>de</strong>n,<br />
Berlin. Die Prüfung erfolgt an <strong>de</strong>r IHK.<br />
Studium<br />
-----------<br />
Hochschule für Bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Künste Dres<strong>de</strong>n<br />
Schulische Voraussetzung: Hochschulbzw.<br />
Fachhochschulreife, Studiengebühren:<br />
keine, Abschluss: Diplom.<br />
Weitere Infos unter www.hfbk-dres<strong>de</strong>n.<strong>de</strong><br />
Bayerische Theateraka<strong>de</strong>mie im<br />
Prinzregententheater München<br />
Schulische Voraussetzung: Hochschulo<strong>de</strong>r<br />
Fachhochschulreife, alternativ<br />
Mittlere Reife o<strong>de</strong>r qualifizierter Hauptschulabschluss<br />
in Kombination mit einem<br />
berufsrelevanten Ausbildungsabschluss,<br />
Studiengebühren: 400 Euro pro Semester,<br />
Abschluss: Bachelor of Arts. Weitere Infos<br />
unter www.theateraka<strong>de</strong>mie.<strong>de</strong><br />
Weitere Informationen<br />
-------------------------------<br />
Einen guten Überblick über Beruf<br />
und Berufsumfeld gibt es bei <strong>de</strong>r<br />
Bun<strong>de</strong>svereinigung Maskenbild,<br />
bun<strong>de</strong>svereinigung-maskenbild.<strong>de</strong>,<br />
dort gibt es auch Informationen<br />
über die kostenpflichtigen<br />
Privatschulen.<br />
Außer<strong>de</strong>m gibt es Infos auf<br />
www.buehnenverein.<strong>de</strong> im Kapitel<br />
Jobs und Ausbildung. Bestellen kann<br />
man dort auch die Printbroschüre<br />
»Berufe am Theater«.<br />
In <strong>de</strong>r Masken-Werkstatt<br />
<strong>de</strong>s Essener Opernhauses.<br />
Vera Scory, die Autorin dieses Artikels, ist Referentin<br />
für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in <strong>de</strong>r Hauptgeschäftsstelle<br />
<strong>de</strong>s Deutschen <strong>Bühne</strong>nvereins.<br />
foto: aalto-theater<br />
9. 10. 2010 im Schauspielhaus/Studio<br />
Die Geschichte von Lena<br />
von Michael Ramlse<br />
und Kira Elhauge<br />
4. 11. 2010 im Schauspielhaus/Foyer<br />
Hinter <strong>de</strong>n Rosen<br />
Musiktheater von Marc Neikrug<br />
23. 11. 2010 im Opernhaus/Podium<br />
Tausendschön<br />
Ballettmärchen für Kin<strong>de</strong>r<br />
28. 11. 2010 im Opernhaus/<strong>Bühne</strong><br />
Der Räuber Hotzenplotz<br />
Märchen von Otfried Preußler<br />
16. 2. 2011 im Opernhaus/Podium<br />
Die Waldkin<strong>de</strong>r<br />
Taschenoper von Wilfried Hiller<br />
SPIE LZEIT<br />
2010<br />
2011<br />
74<br />
<strong>de</strong>nen, die sie je<strong>de</strong>n Abend verwan<strong>de</strong>ln. »Der Mensch ist <strong>de</strong>r<br />
Ausgangspunkt je<strong>de</strong>r Maske«, sagt Müller-Karl. »Künstler und<br />
Maskenbildner kommen sich sehr nahe, aber es hat nichts Grenzüberschreiten<strong>de</strong>s.<br />
Es ist eine ganz beson<strong>de</strong>re Form <strong>de</strong>r Intimität.<br />
Man lernt voneinan<strong>de</strong>r, man spricht viel, man schweigt miteinan<strong>de</strong>r.«<br />
Die klassischen Einstiegsfragen, wenn <strong>de</strong>r Maskenbildner<br />
<strong>de</strong>n Künstler noch gar nicht kennt, sind die nach Hautunverträglichkeiten,<br />
Kontaktlinsen, Haarproblemen. »Sänger und Schaupieler<br />
sind sehr unterschiedlich, die muss man auch unterschiedlich<br />
behan<strong>de</strong>ln,« sagt die Zwickauer Maskenbildnerin. Sie hat selbst<br />
musiziert, kann sich daher gut in <strong>de</strong>n körperlichen Zustand einer<br />
Sängerin hineinversetzen. Interesse an Menschen und an <strong>de</strong>r<br />
Kunst, Kommunikationsfähigkeit, Neugier, Offenheit und eine<br />
gewisse menschliche Reife machen einen guten Maskenbildner<br />
aus. Und natürlich eine gute Ausbildung.<br />
-----------------------------------------------<br />
»Kein Lockendrehen nach Schema-F.«<br />
-----------------------------------------------<br />
Seit 2003 gibt es eine eigenständige Ausbildung zum Staatlich<br />
Geprüften Maskenbildner (Ausbildungsinfos s. Kasten). Eine Friseurlehre<br />
o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re praktische Erfahrungen steigern allerdings die<br />
Chancen auf einen Ausbildungsplatz. Am Aalto-Theater müssen<br />
Azubis vor <strong>de</strong>r Ausbildung ein Praktikumsjahr absolvieren. »In<br />
<strong>de</strong>r Maske zählen Kreativität und praktisches Talent. Da kann die<br />
Bewerbungsmappe noch so hübsch sein, je<strong>de</strong>r Ausbil<strong>de</strong>r erkennt<br />
sofort, ob du dir anhand einer Figurine eigenständig etwas erarbeitest<br />
o<strong>de</strong>r ob du für eine bestimmte Rokoko-Frisur nur nach Schema-F.-Locken<br />
drehst«, so Kallmeyer-Rauh. Sie rät dazu, sich genau<br />
zu informieren und vor Ort am Theater zu fragen, welche Schulen<br />
zu empfehlen sind. »Privatschulen lehren oft ein wenig am Berufsalltag<br />
vorbei.« Auch bei <strong>de</strong>n Studiengängen gibt es Praxisbausteine,<br />
die entschei<strong>de</strong>nd sind auf <strong>de</strong>m Weg in <strong>de</strong>n Beruf.<br />
------------------------------------------<br />
X-Men, Blut und Bürokratie<br />
------------------------------------------<br />
Die Ausbildung in Deutschland umfasst die Bereiche Make-Up,<br />
Special Effects und Haararbeiten. Special Effects wer<strong>de</strong>n in<br />
Theatermasken immer wichtiger. »Dazu gehören beispielsweise<br />
Wun<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Blutfontänen. Aber auch die Filmästhetik hat einen<br />
großen Einfluss auf die visuellen Vorstellungen <strong>de</strong>r Regisseure, das<br />
müssen wir natürlich umsetzen,« sagt Kallmeyer-Rauh und zeigt<br />
geflügelte Figurinen für eine »Tannhäuser«-Produktion, die stark an<br />
»Angel« aus <strong>de</strong>m Superhel<strong>de</strong>n-Film »X-Men« erinnern. Büroarbeit<br />
gehört vor allem für Leitungspositionen zum Berufsalltag. »Die<br />
Sicherheitsauflagen sind in <strong>de</strong>n letzten Jahren strenger gewor<strong>de</strong>n,<br />
wir gehen ja täglich mit Gefahrenstoffen wie Silikon, Aceton,<br />
Spiritus, Haar- o<strong>de</strong>r Farbspray um«, so die Essener Maskenbildnerin.<br />
Ein weiteres Gesundheitsrisiko sind Rücken-schä<strong>de</strong>n durch das<br />
ständige Stehen und Arbeiten in gebückter Haltung, morgens beim<br />
konzentrierten Arbeiten in <strong>de</strong>r Werkstatt o<strong>de</strong>r beim Abenddienst.<br />
Lange Arbeitszeiten sind normal, wie für die meisten Theatermitarbeiter<br />
gilt auch für Maskenbildner selbstverständlich Dienst an<br />
Sonn- und Feiertagen und lediglich ein großer Urlaub im Jahr<br />
während <strong>de</strong>r Sommerpause.<br />
-----------------------------------------------<br />
Fest angestellt o<strong>de</strong>r frei –<br />
reich wird man nicht<br />
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Es gibt mehr weibliche als männliche Maskenbildner. Bis in die 60er<br />
Jahre war das noch an<strong>de</strong>rs, da arbeiteten aber auch mehr Männer in<br />
<strong>de</strong>n damals noch gesellschaftlich anerkannteren Berufen Friseur<br />
o<strong>de</strong>r Barbier. Müller-Karl vermutet, dass es auch am Verdienst<br />
liegt. Als Maskenbildner wird man – wie überall am<br />
Theater – nicht reich, die Bezahlung erfolgt nach Tarifvertrag,<br />
fällt aber je nach Standort o<strong>de</strong>r Größe <strong>de</strong>s Theaters unterschiedlich<br />
aus. Ein Jahrespraktikum wird meist nur mit 100<br />
Euro monatlich entlohnt, da geht es nicht ohne an<strong>de</strong>re Geldquellen.<br />
Beim Einstiegsgehalt kommt man auf ca. 1250 Euro<br />
brutto. Arbeitsplätze sind ebenso wie Ausbildungsplätze rar.<br />
In Essen bewerben sich auf einen Ausbildungsplatz oft 250<br />
Leute. Die Finanzkrise hinterlässt auch im Theater ihre<br />
Spuren, zurzeit stellt selbst die große Maske <strong>de</strong>r Aalto-Oper<br />
keine Azubis ein. Dort arbeiten neben <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Leitern<br />
Kallmeyer-Rauh und Frank Landau 20 Personen, beim<br />
fusionierten Theater Plauen-Zwickau sind insgesamt neun<br />
Leute für alle Sparten und bei<strong>de</strong> Standorte verantwortlich.<br />
Freie Maskenbildner arbeiten zumeist für die Werbe-, Kosmetik-<br />
o<strong>de</strong>r Filmbranche, eher selten am Theater. »Bei großen<br />
Produktionen wie <strong>de</strong>r »Evita« auf <strong>de</strong>r Freilichtbühne mit 60<br />
Perücken und 150 Personen im Extra-Chor benötigen wir<br />
manchmal Zusatzmaskenbildner, entwe<strong>de</strong>r Kollegen aus<br />
an<strong>de</strong>ren Häusern o<strong>de</strong>r Freie«, berichtet Müller-Karl.<br />
Kallmeyer-Rauh ist Prüferin bei <strong>de</strong>r Industrie- und Han<strong>de</strong>lskammer<br />
(IHK) Köln, an <strong>de</strong>r durchschnittlich 15 junge Leute<br />
pro Jahr ihre Maskenbildnerprüfung ablegen, 2009 allerdings<br />
lediglich vier. Um die Qualität <strong>de</strong>s Nachwuchses macht sie<br />
sich keine Sorgen, kümmert sich auch selbst tatkräftig darum.<br />
An einem Tag <strong>de</strong>r offenen Tür brachte sie vor einigen<br />
Wochen eine Schulklasse <strong>de</strong>sinteressierter Teenies dazu, dass<br />
sie mit Begeisterung stun<strong>de</strong>nlang in <strong>de</strong>n Räumen <strong>de</strong>r Maske<br />
Filzblumen bastelten und sich die Haare hippiemäßig frisierten.<br />
»Die meisten hatten keine Ahnung von ihrer Kreativität,<br />
davon, dass sie selber etwas gestalten können.« Am Abend<br />
haben dann alle mit <strong>de</strong>n Blumen im Haar »Jesus Christ<br />
Superstar« im Aalto-Theater angeschaut. Und ganz nebenbei<br />
<strong>de</strong>n Zauber <strong>de</strong>r Maskenbildner-Welt kennen gelernt.<br />
WANN<br />
27. MAI BIS 4. JUNI 2011<br />
WO<br />
IN BERLIN<br />
EINSENDESCHLUSS<br />
bis 7. Februar 2011<br />
ANMELDUNG FACHFOREN<br />
ab Januar 2011<br />
BEWERBUNGSINFOS<br />
www.theatertreffen-<strong>de</strong>r-jugend.<strong>de</strong><br />
Theater<br />
Mag<strong>de</strong>burg<br />
Kartentelefon: (0391) 540 65 55<br />
www.theater-mag<strong>de</strong>burg.<strong>de</strong><br />
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Jugendkulturelle Bun<strong>de</strong>swettbewerbe<br />
Berliner Festspiele, Schaperstraße 24<br />
10719 Berlin, Tel (030) 25489–213<br />
blog.theatertreffen-<strong>de</strong>r-jugend.<strong>de</strong><br />
www.facebook.com
KRASS UND kurios<br />
KRASS UND KURIOS<br />
Operntexte in neuer Form<br />
Mör<strong>de</strong>risch<br />
Wodka live<br />
RUBRIK<br />
Vermischte Meldungen aus<br />
<strong>de</strong>r Theaterwelt<br />
foto: komische oper berlin · hanns joosten<br />
In <strong>de</strong>r Oper lauscht man <strong>de</strong>m Gesang, <strong>de</strong>m<br />
Orchester – und verfolgt die Handlung. Doch bei<br />
Stücken auf italienisch o<strong>de</strong>r in an<strong>de</strong>rer Sprache<br />
gestaltet sich letzteres mitunter schwierig. Dafür<br />
gibt es Übertitelungsanlagen, welche <strong>de</strong>n<br />
Text in <strong>de</strong>utscher Sprache über <strong>de</strong>r <strong>Bühne</strong> einblen<strong>de</strong>n.<br />
Doch <strong>de</strong>r hohe Aufwand an Konzentration<br />
und das ständige Hoch- und Runterschauen<br />
versprechen auf Dauer wenig Kurzweil. In<br />
einigen Opernhäusern hat man nun neue Anlagen<br />
installiert, die Abhilfe schaffen sollen: Der<br />
Text wird in einem kleinen Bildschirm in <strong>de</strong>r<br />
Lehne <strong>de</strong>s Vor<strong>de</strong>rsitzes eingeblen<strong>de</strong>t. Hier<br />
können bis zu 10 Sprachen eingestellt wer<strong>de</strong>n,<br />
außer<strong>de</strong>m sind die Bildschirme graphikfähig und<br />
können auf bestimmte Gäste individuell eingestellt<br />
wer<strong>de</strong>n. Was <strong>de</strong>r Nacken nicht mehr mitmachen<br />
muss, übernehmen jetzt die Augen – diese<br />
müssen sich im ständigen Wechsel auf Nähe<br />
und Weite einstellen.<br />
Mangeln<strong>de</strong>n Einfallsreichtum kann<br />
man <strong>de</strong>m Theater Déboulonné nicht<br />
vorwerfen. Das nordfranzösische<br />
Theater hatte an die Medien unkonventionelle<br />
Einladungen zu einer Aufführung<br />
von »Der stumme Diener« verschickt,<br />
in Form eines kleinen, schwarzen<br />
Pappsargs inklusive einer Kugel<br />
und <strong>de</strong>r schriftlichen Mitteilung: »Bald<br />
haben Sie eine Verabredung mit Ben<br />
und Gus«. Was als humorvoll-kreative<br />
Werbung gedacht war, en<strong>de</strong>te alsbald<br />
in einem Anzeigenhagel: Viele <strong>de</strong>r<br />
Empfänger verstan<strong>de</strong>n die Einladung<br />
als Morddrohung und wandten sich<br />
an die Polizei. So wur<strong>de</strong> ermittelt, bis<br />
Phillippe Habart, Leiter <strong>de</strong>s Theaters,<br />
sich entschuldigte und das Missverständnis<br />
aufklärte: »Wir sind keine<br />
Kriminellen, wir sind nicht gefährlich.«<br />
Durchaus – getrunken wird in so manchem Theaterstück. Betrunkenes Lallen und Gestolper<br />
wird anschließend gemimt. Eigentlich (siehe dazu junge bühne 2009, S. 62 ff.). In Frankfurt<br />
schritten dagegen im Januar 2010 einige Darsteller vom Schauspiel zur Tat – und betranken<br />
sich mit echtem Wodka. Eine Lesung von »Die Reise nach Petuschki« in <strong>de</strong>r »Box«, <strong>de</strong>r<br />
kleinen Experimentalbühne <strong>de</strong>s Schauspiels Frankfurt, en<strong>de</strong>te in einer Art Saufgelage. Ein<br />
Schauspieler fiel nach <strong>de</strong>r Vorstellung sogar um und musste im Krankenhaus ausnüchtern.<br />
Dass diese Reise zu weit ging, stellten auch Intendant Oliver Reese und Stefanie Eue, Sprecherin<br />
<strong>de</strong>s Schauspiels, fest. Man habe hierfür später klare Worte gefun<strong>de</strong>n.<br />
Fritten und Operntickets<br />
Das eine hat mit <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren auf <strong>de</strong>n ersten Blick nicht viel zu tun – im schwedischen<br />
Malmö allerdings schon. Hier stellt das Ganze eine ungewöhnliche Marketingstrategie<br />
<strong>de</strong>s städtischen Musiktheaters dar: Inzwischen kann man als Zuschauer nämlich seine<br />
Opernkarten an <strong>de</strong>r Imbissbu<strong>de</strong> kaufen. Ziel: Man möchte ein größeres Publikum<br />
erreichen, auch diejenigen, für die die Oper auf <strong>de</strong>n ersten Blick zu elitär ist, so ein<br />
Pressesprecher <strong>de</strong>r Oper.<br />
77<br />
spielzeit 10/11<br />
kin<strong>de</strong>r- und jugendtheater<br />
dortmund<br />
premieren<br />
prinz friedrich<br />
von homburg<br />
von Heinrich von Kleist<br />
Regie: Johanna Weißert<br />
24. September 2010<br />
räuber_spielen<br />
nach Friedrich Schillers „Die Räuber“<br />
Regie: Frank Hörner<br />
Koproduktion mit <strong>de</strong>m<br />
theaterkohlenpott Herne<br />
13. November 2010<br />
das kalte herz<br />
Weihnachtsmärchen von Andreas Gruhn<br />
Regie: Andreas Gruhn<br />
18. November 2010<br />
koma o.k.<br />
Projekt mit jungen Menschen<br />
und Schauspielern<br />
Leitung: Andreas Gruhn,<br />
Christine Köck, Isabel Stahl<br />
24. Februar 2011<br />
tintenherz<br />
von Cornelia Funke, für die<br />
<strong>Bühne</strong> bearbeitet von Robert Koall<br />
Regie: Antje Siebers<br />
15. April 2011<br />
frühstück mit wolf<br />
von Gertrud Pigor<br />
Regie: Hartmut El Kurdi<br />
10. Juni 2011<br />
wie<strong>de</strong>raufnahmen<br />
nur ein tag<br />
von Martin Baltscheit<br />
big <strong>de</strong>al?<br />
von David S. Craig<br />
ich bin ein guter vater<br />
von Jörg Menke-Peitzmeyer<br />
spatz fritz<br />
von Rudolf Herfurtner<br />
tickets 0231/50 27 222 und www.theaterdo.<strong>de</strong><br />
Foto: Stage Picture<br />
inszenierung felix strasser<br />
9/11<br />
jugendclub<br />
premiere 02.07.11
KRASS UND KURIOS<br />
DIE SPIELZEIT 10/11<br />
Kirche und Kunst<br />
Zwecks Zusammenführung <strong>de</strong>r Katholischen Kirche mit <strong>de</strong>n<br />
Kulturschaffen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Zeit lud Papst Benedikt XVI. im November<br />
vergangenen Jahres eine kunterbunte Run<strong>de</strong> von 260 international<br />
erfolgreichen Künstlern zu einem Vortrag in die Sixtinische<br />
Kapelle ein: Regisseure, Sänger, Schauspieler, Maler, Komponisten,<br />
Architekten – ein spartenübergreifen<strong>de</strong>r Rundumschlag<br />
also. Immerhin: Ein Taufschein war für die Einladung nicht<br />
nötig. Die Reaktionen: durchaus unterschiedlich. Während <strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>utsche Theaterregisseur Peter Stein wegen <strong>de</strong>r Akustik nahezu<br />
nichts verstand, vor allem seine italienische Frau begleiten und<br />
Michelangelos Fresken betrachten wollte, waren an<strong>de</strong>re Gäste<br />
wie Andrea Bocelli tief bewegt. Gesponsert wur<strong>de</strong> das Treffen<br />
übrigens von einem Turiner Spirituosenhersteller.<br />
Elfrie<strong>de</strong> Jelinek<br />
Das Werk / Im Bus (ua) /<br />
eIn sturz (ua)<br />
Regie: Karin Beier<br />
Clemens Sienknecht<br />
söhne Des Äthers<br />
Regie: Clemens Sienknecht<br />
Wim Van<strong>de</strong>keybus<br />
monkey sanDWIch<br />
Regie: Wim Van<strong>de</strong>keybus<br />
Nach Motiven von Hans Christian An<strong>de</strong>rsen<br />
Des kaIsers neue kleIDer<br />
Regie: Schorsch Kamerun<br />
Suse Wächter und an<strong>de</strong>re<br />
agrIppIna – DIe kaIserIn aus köln<br />
Regie: Suse Wächter<br />
Anton Tschechow<br />
Der kIrschgarten<br />
Regie: Karin Henkel<br />
Iwan Alexandrowitsch Gontscharow<br />
oBlomoW<br />
Regie: Alvis Hermanis<br />
Virginia Woolf<br />
DIe Wellen<br />
Regie: Katie Mitchell<br />
Bertolt Brecht<br />
DIe DreIgroschenoper<br />
Regie: Nicolas Stemann<br />
Namenskampf<br />
Rheinische Rebellen 2.0 / Jugendclub<br />
Bau mIr eIn haus aus Den<br />
knochen von chargesheImer<br />
Szenische Leitung: Anna Horn<br />
Nikolai Wassiljewitsch Gogol / András Vinnai<br />
Der revIsor<br />
Regie: Viktor Bodó<br />
Antonio Latella<br />
mamma mafIa<br />
Regie: Antonio Latella<br />
Samuel Beckett<br />
Warten auf goDot<br />
Regie: Thomas Dannemann<br />
Rolf Dieter Brinkmann<br />
keIner WeIss mehr<br />
Regie: Stefan Nagel<br />
illustration: felix bra<strong>de</strong>n<br />
Fußballstadien wer<strong>de</strong>n ja gerne mal nach ihren Sponsoren benannt<br />
und tragen dann das Etikett großer Geldinstitute o<strong>de</strong>r<br />
Wirtschaftsunternehmen. Dass dies auch bei Theatern üblich<br />
wäre, lässt sich nicht behaupten – Ausnahmen bestätigen jedoch<br />
die Regel. Nach<strong>de</strong>m die Citibank das argentinische Theaterhaus<br />
und Kino Teatro Opera gekauft und restauriert hatte, wur<strong>de</strong> es vom<br />
neuen Eigentümer kurzerhand in Citi umbenannt. Sehr zur<br />
Empörung <strong>de</strong>r Menschen vor Ort, die sogleich gegen die werbewirksame<br />
Neuerung protestierten. Das 140 Jahre alte Gebäu<strong>de</strong> in<br />
Buenos Aires steht unter Denkmalschutz. Deshalb seien etwaige<br />
Verän<strong>de</strong>rungen – wie auch die <strong>de</strong>s Namens – erst zu genehmigen,<br />
so das Argument vieler Theaterschaffen<strong>de</strong>r und Intellektueller, die<br />
jetzt <strong>de</strong>n Namen Teatro Opera zurückfor<strong>de</strong>rn.<br />
SIGNA<br />
DIe hunDsprozesse<br />
Konzept & Regie: Signa & Arthur Köstler,<br />
Thomas Bo Nilsson<br />
ANTIGONE<br />
von Sophokles<br />
Inszenierung: Jan Stephan Schmieding<br />
Premiere: 17. September 2010, Halle Beuel<br />
NATHAN DER WEISE<br />
von Gotthold Ephraim Lessing<br />
Inszenierung: Franziska Marie Gramss<br />
Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen<br />
Premiere: 22. September 2010, Werkstatt<br />
PRINZ FRIEDRICH VON HOMBURG<br />
von Heinrich von Kleist<br />
Inszenierung: Stefan Heiseke<br />
Premiere: 24. September 2010, Kammerspiele<br />
In Kooperation mit Les Ballets C <strong>de</strong> la B<br />
GARDENIA<br />
von Alain Platel/Frank van Laecke,<br />
I<strong>de</strong>e: Vanessa van Durme<br />
Inszenierung u. Choreografie: Alain Platel/Frank van Laecke<br />
7. und 8. Oktober 2010, Kammerspiele<br />
Familienstück<br />
PÜNKTCHEN UND ANTON<br />
von Erich Kästner<br />
Inszenierung: Frank Heuel<br />
Premiere: 6. November 2010, Kammerspiele<br />
Eine Koproduktion von THEATER BONN<br />
und <strong>de</strong>m Théâtre National du Luxembourg<br />
HEDDA GABLER<br />
von Henrik Ibsen<br />
Inszenierung: Klaus Weise<br />
Premiere: 13. November 2010, Kammerspiele<br />
Uraufführung/Auftragswerk<br />
LASST EUCH ÜBERRASCHEN!(Arbeitstitel)<br />
Ein Weihnachtsstück von Frau Berg<br />
Inszenierung: Maaike van Langen<br />
Premiere: 3. Dezember 2010, Kammerspiele<br />
Deutschsprachige Erstaufführung<br />
DAS ENDE DES REGENS<br />
von Andrew Bovell<br />
Inszenierung: Klaus Weise<br />
Premiere: 10. Dezember 2010, Halle Beuel<br />
Uraufführung/Auftragswerk<br />
EIN NEUES STÜCK<br />
von Lothar Kittstein<br />
Premiere: 26. Januar 2011, Werkstatt<br />
In Kooperation mit <strong>de</strong>n New York City Players<br />
ODE TO THE MAN WHO KNEELS<br />
von Richard Maxwell<br />
Inszenierung: Richard Maxwell<br />
Premiere: 28. Januar 2011, Halle Beuel<br />
TOD EINES HANDLUNGSREISENDEN<br />
von Arthur Miller<br />
Premiere: 5. Februar 2011, Kammerspiele<br />
HERR PUNTILA<br />
UND SEIN KNECHT MATTI<br />
von Bertolt Brecht<br />
Inszenierung: Johannes Lepper<br />
Premiere: 25. März 2011, Kammerspiele<br />
GESCHICHTEN<br />
AUS DEM WIENERWALD<br />
von Ödön von Horváth<br />
Inszenierung: Klaus Weise<br />
Premiere: 1. April 2011, Halle Beuel<br />
LULU<br />
von Frank We<strong>de</strong>kind<br />
Inszenierung: Markus Dietz<br />
Premiere: 27. Mai 2011, Kammerspiele<br />
EINE FAMILIE<br />
von Tracy Letts<br />
Inszenierung: Ingo Berk<br />
Premiere: 15. Juni 2011, Werkstatt<br />
THEATERKASSE: 0221/221 28400 / WWW.SCHAuSpIELKoELN.DE<br />
Karten und Infos:<br />
0228 77 80 08 und 80 22
Betreff: Spielzeit 2010/2011<br />
Gesen<strong>de</strong>t: 10.09.2010<br />
Von: Betreff: Schauspiel Spielzeit Stuttgart 2010/2011 <br />
An: Gesen<strong>de</strong>t: Die <strong>Junge</strong> 10.09.2010 <strong>Bühne</strong> <br />
Von: Schauspiel Stuttgart <br />
An: Die <strong>Junge</strong> <strong>Bühne</strong> <br />
Metropolis.<br />
Metropolis.<br />
SchauSpiel Stuttgart<br />
Oberer Schlossgarten 6, 70173 Stuttgart<br />
SchauSpiel www.staatstheater.stuttgart.<strong>de</strong>/schauspiel<br />
Stuttgart<br />
Oberer Schlossgarten 6, 70173 Stuttgart<br />
www.staatstheater.stuttgart.<strong>de</strong>/schauspiel<br />
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