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Was heißt hier „Abbruch“? So voll wie jetzt waren die Kirchen noch ...

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<strong>Was</strong> <strong>heißt</strong> <strong>hier</strong> <strong>„Abbruch“</strong>?<br />

<strong>So</strong> <strong>voll</strong> <strong>wie</strong> <strong>jetzt</strong> <strong>waren</strong> <strong>die</strong><br />

<strong>Kirchen</strong> <strong>noch</strong> nie!<br />

n 6,5 Millionen Besucherinnen und Besucher jährlich in nur einer<br />

einzigen Kirche. Wer hat da was zu jammern? Sagen Sie <strong>jetzt</strong> nicht:<br />

Klar, der Kölner Dom, aber …<br />

<strong>So</strong> weit her ist es mit dem „aber“ nämlich gar nicht.<br />

Menschen gehen in <strong>die</strong> Kirche. Sie setzen<br />

sich in eine Bank und genießen <strong>die</strong> Stille, sie<br />

kommen zur Ruhe und ins Denken. Sie zünden<br />

ein Licht an, für einen geliebten Anderen,<br />

für einen Herzenswunsch, damit es heller<br />

wird bei ihnen und in ihnen. Sie bewundern<br />

Architektur und Kunstschätze. Sie hören Orgelmusik<br />

und Chorgesang. Sie zeigen Kindern<br />

und Enkeln, wo sie getauft wurden, geheiratet<br />

haben, wo sie herkommen oder vor langer Zeit<br />

mal zuhause <strong>waren</strong>. Sie erzählen ihnen von<br />

langweiligen Predigten und urplötzlichen Erfahrungen<br />

der Nähe eines ganz Anderen. Sie<br />

kommen zuhauf zu Krippenspielen und Einschulungsgottes<strong>die</strong>nsten.<br />

Und sie kommen,<br />

wenn kollektives, öffentliches Unglück zu beklagen<br />

ist, um miteinander zu weinen und zu<br />

trauern. Wer wollte <strong>die</strong> Türen verschließen vor<br />

all dem?<br />

Eben <strong>die</strong>ser Eindruck verschlossener Türen<br />

aber drängt sich zur Zeit auf. Gar manche Kirche<br />

ist aus Sicherheitsgründen außerhalb der<br />

Gottes<strong>die</strong>nstzeiten verschlossen. Das ist verständlich<br />

und vernünftig und doch ein Verlust.<br />

Viele <strong>Kirchen</strong> sind endgültig geschlossen,<br />

weil sie im Zuge des Strukturwandels der<br />

Gemeinden als überzählig gelten. Angesichts<br />

der baulichen Unterhaltskosten sind Konzepte<br />

der Entwidmung, der Umnutzung, auch des<br />

Abrisses durchaus nach<strong>voll</strong>ziehbar und doch<br />

für viele Menschen kaum erträglich. Und das<br />

gilt nicht nur für <strong>die</strong> unmittelbar betroffenen<br />

Gemeindemitglieder, nicht nur für <strong>die</strong> in der<br />

Tat klein werdende Gruppe der sonntäglichen<br />

Kirchgängerinnen und Kirchgänger. Sie und<br />

viele ihrer Nachbarn und Nachbarinnen kämpfen<br />

um Erhalt und Nutzung des <strong>Kirchen</strong>raums.<br />

Das führt gelegentlich zu schweren Konflikten<br />

mit der <strong>Kirchen</strong>leitung, <strong>die</strong> – theologisch völlig<br />

zu Recht – darauf verweist, dass bei aller<br />

Wertschätzung der <strong>Kirchen</strong>raum im Christentum<br />

doch höchst relativ ist. <strong>So</strong> hat auch <strong>die</strong><br />

Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen<br />

Konzils den <strong>Kirchen</strong>raum als Raum der<br />

feiernden Gemeinde stärker ins Bewusstsein<br />

gerückt. Sie hat mit der Betonung der Bedeutung<br />

der versammelten Gemeinde angeknüpft<br />

an das Verständnis der ersten Christinnen und<br />

Christen, denen <strong>die</strong> Versammlung wichtig ist,<br />

nicht aber der Ort an sich. Die Antwort der<br />

frühen christlichen Gemeinden auf <strong>die</strong> Frage<br />

nach dem wahren Kultort ist „personal“: „Ihr<br />

seid auf das Fundament der Apostel und Propheten<br />

gebaut; der Schlussstein ist Christus<br />

Jesus selbst. Durch ihn wird der ganze Bau<br />

zusammengehalten und wächst zu einem heiligen<br />

Tempel im Herrn. Durch ihn werdet auch<br />

ihr im Geist zu einer Wohnung Gottes erbaut.“<br />

(Eph 2, 20-22)<br />

Dieser Gedanke durchzieht auch <strong>die</strong> Liturgiekonstitution.<br />

Er entspringt nicht einfach<br />

nur einer Wertschätzung der sozialen Dimension<br />

des Glaubens, sondern betrifft den Kern<br />

der christlichen Gottesrede: Gott will und<br />

sucht <strong>die</strong> Gemeinschaft mit den Menschen,<br />

unmittelbar, jederzeit und überall.<br />

112 n Bibel und Kirche 2/2013


von Prof. Dr. Rita Burrichter<br />

Religionspädagogin in Paderborn<br />

und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bibelwerks<br />

Die feiernde Gemeinschaft ist der unübersehbare<br />

Ausdruck und zugleich <strong>die</strong> sichtbare<br />

Antwort auf <strong>die</strong> Vergemeinschaftung Gottes<br />

mit den Menschen. Die feiernde Gemeinde ist<br />

in <strong>die</strong>sem Sinne in einem ganz und gar nicht<br />

triumphalistischen Sinn Gottes privilegierter<br />

Ort. Diese theologisch motivierte Wertschätzung<br />

hat auch den modernen <strong>Kirchen</strong>bau und<br />

das Verständnis der gegenwärtigen liturgischen<br />

Formen nachhaltig geprägt.<br />

Allerdings hat <strong>die</strong> Betonung der feiernden<br />

Gemeinde gelegentlich auch vergessen lassen,<br />

dass <strong>Kirchen</strong>räume schon früh in der Geschichte<br />

des Christentums immer auch anders<br />

gedeutet und anders genutzt wurden, nicht<br />

selten konträr und ambivalent: der <strong>Kirchen</strong>raum<br />

als heiliger Ort und als Ort der Zuflucht<br />

in Gefahr, als öffentlicher Ort mit weltlicher<br />

Rechtsfunktion, als Wirtschaftszone und Ort<br />

der wohlkalkulierten Zurschaustellung irdischen<br />

Reichtums und irdischer Machtfülle. Der<br />

<strong>Kirchen</strong>raum als unterhaltsamer Ort, der Neugier<br />

und Sensationslust befriedigt, als Ort des<br />

Anbandelns zwischen den Geschlechtern. Der<br />

<strong>Kirchen</strong>raum als Ort ekstatischer Erfahrungen<br />

und als Vollzugsort der <strong>Kirchen</strong>disziplin, als<br />

Ort der Orthopraxie und als Ort, der immer<br />

<strong>wie</strong>der auch innerchristlich unter Blasphemieund<br />

Götzen<strong>die</strong>nstverdacht gerät. Der <strong>Kirchen</strong>raum<br />

als Pferdestall und Schlosserwerkstatt,<br />

als Kneipe und Krankenhaus. Mit Blick<br />

auf Tun und Treiben in den <strong>Kirchen</strong>räumen<br />

quer durch <strong>die</strong> Jahrhunderte kommen manche<br />

kontrovers und erregt diskutierten Nutzungskonzepte<br />

in Zeiten der <strong>Kirchen</strong>schließung,<br />

der Umwidmung und Umnutzung von<br />

<strong>Kirchen</strong>räumen in der Gegenwart geradezu<br />

harmlos und zahm daher. Der „traditionelle“<br />

Umgang mit dem <strong>Kirchen</strong>raum aber zeichnet<br />

sich gerade nicht durch Fixierung, sondern<br />

durch Flexibilität aus! Es ist deshalb theologisch<br />

und pastoral gleichermaßen fragwürdig,<br />

wenn angesichts vermeintlich überzähliger<br />

<strong>Kirchen</strong> auf das „eigentliche“ christliche Verständnis<br />

ver<strong>wie</strong>sen wird. Dass Menschen zu<br />

allen Zeiten den <strong>Kirchen</strong>raum vielfältig genutzt<br />

– im Wortsinn gebraucht – haben, auch<br />

anders, auch quer zur jeweils herrschenden liturgischen<br />

Deutungshoheit, sollte theologisch<br />

und pastoral zu denken geben. <strong>Was</strong> suchen<br />

Menschen <strong>hier</strong>? <strong>Was</strong> haben sie <strong>hier</strong> verloren?<br />

Vielleicht braucht es zur Suche nach Antworten<br />

auf <strong>die</strong>se Fragen weniger den Blick in <strong>die</strong><br />

Liturgiekonstitution als vielmehr in <strong>die</strong> Pastoralkonstitution<br />

des Zweiten Vatikanischen<br />

Konzils. Ihre vielzitierten Eingangsworte lauten:<br />

„Freude und Hoffnung, Trauer und Angst<br />

der Menschen von heute, besonders der Armen<br />

und Bedrängten aller Art, sind auch Freude<br />

und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger<br />

Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches,<br />

das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall<br />

fände.“ Vor <strong>die</strong>sem Hintergrund sind <strong>die</strong><br />

„Nutzungskonzepte“ der 6,5 Millionen jährlichen<br />

Besucherinnen und Besucher des Kölner<br />

Doms zu lesen, aber auch <strong>die</strong> all der (zufälligen,<br />

frommen, randständigen, eiligen, nur gezwungener<br />

Maßen <strong>hier</strong> seienden, kichernden,<br />

weinenden, eine Dienstleistung in Anspruch<br />

nehmenden, betenden) Besucherinnen und<br />

Besucher all der einsturzgefährdeten ostdeutschen<br />

Dorfkirchen, der neugotischen Scheußlichkeiten<br />

des Ruhrgebiets, der niedlichen barocken<br />

Gipskirchlein im Süden Deutschlands,<br />

der spektakulären Stadt- und Klosterkirchen<br />

und der unscheinbaren Stadtviertelkirchen.<br />

Prof. Dr. Rita Burrichter, Paderborn<br />

E-Mail: rita.burrichter@upb.de<br />

Bibel und Kirche 2/2013 n 113

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