Genese und Genealogie - Einsnull

Einführung
»Genealogie« ist ein schillernder Begriff, der sich im Laufe seiner
langen Lebensdauer in vielerlei Hinsicht erweitert und verändert hat.
Zunächst bezeichnete »Genealogie« einfach die altgriechische Lehre
über die Abstammung der Götter und Heroen. Nach vielfältigen
Bedeutungsverlagerungen und inhaltlichen Transformationen stellt
die »Genealogie« im gegenwärtigen universitären Kontext mittlerweile
einen diskursübergreifenden epistemologischen Terminus dar,
der nicht nur in sämtlichen Bereichen der Humanwissenschaften
Anwendung findet, sondern zudem neue Möglichkeiten eröffnet,
Natur- und Kulturwissenschaften miteinander zu verschränken. 1
Die primäre Funktion der Genealogie hat der Philosoph Bernard
Williams in seinem letzten Werk Truth and Truthfulness. An Essay
in Genealogy mit den folgenden Worten beschrieben:
Eine Genealogie ist eine Erzählung, die ein kulturelles Phänomen zu
erklären versucht, indem sie beschreibt, wie es entstanden ist, wie es
hätte entstehen können oder wie man sich seine Entstehung ausmalen
könnte. 2
In einer neueren systematischen Darlegung der Genealogie definiert
Sigrid Weigel sie als »die Geschichte der symbolischen, ikonographischen
und rhetorischen Praktiken, der Aufschreibungssysteme
und Kulturtechniken, in denen das Wissen von Geschlechtern und
Gattungen oder von der Abfolge des Lebens in der Zeit überliefert
1 Sigrid Weigel, Inkorporation der Genealogie durch die Genetik, Vererbung
und Erbschaft an Schnittstellen zwischen Bio- und Kulturwissenschaften, in:
Genealogie und Genetik, hrsg. von Sigrid Weigel, Berlin 2002, S. 71−97.
2 Bernard Williams, Wahrheit und Wahrhaftigkeit, Frankfurt am M. 2003,
S. 38.
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