Genese und Genealogie - Einsnull
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Inhalt<br />
Vorwort............................................ 7<br />
Einführung............................................ 1 1<br />
1 Das Ursprungsparadigma............................. 35<br />
1.1 genesis <strong>und</strong> paradeigma .......................... 35<br />
1.2 Der Kampf mit dem Ungeheuer: Kosmogonie ....... 47<br />
1.3 Geschaffen, nicht erzeugt: Anthropogonie .......... 59<br />
2 Einschreibung der Kosmogonie........................ 70<br />
2.1 »Was die Götter am Anfang taten«:<br />
Rituelle Wiederholung der Kosmogonie ............ 70<br />
2.2 Narrative Reproduktion: <strong>Genealogie</strong> des Helden ..... 81<br />
2.3 Geschlechterordnung ............................ 91<br />
3 Verortung des Paradigmas <strong>und</strong> Konstruktion<br />
der <strong>Genealogie</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105<br />
3.1 Topologie des Kosmos ........................... 105<br />
3.2 Verortung des Paradigmas ........................ 112<br />
3.3 Patria <strong>und</strong> Natio: Konstruktion <strong>und</strong> Organisation<br />
der <strong>Genealogie</strong> .................................. 132<br />
4. Die Ordnung der <strong>Genealogie</strong> <strong>und</strong> die »Theologie« der Macht 150<br />
4.1 Die Macht des Ursprungs: Zur <strong>Genealogie</strong> der Gewalt 150<br />
4.2 Der Demiurg <strong>und</strong> sein Repräsentant:<br />
Das genealogische Prinzip der Legitimation ......... 163<br />
4.3 Politische Theologie zwischen »Universalismus«<br />
<strong>und</strong> »Nationalismus«............................. 176<br />
Epilog: Das Prinzip <strong>Genealogie</strong>; antigenealogische Affekte . . . 192<br />
Literaturverzeichnis .................................... 207<br />
5
Vorwort<br />
Das Fragewort woher, das in der Frageliste der Menschheit ganz<br />
oben steht, findet am häufigsten an jener Person Anwendung, die<br />
sich außerhalb des Ortes ihrer Herkunft befindet – ob Herkunft oder<br />
Abstammung auf die ganze Wahrheit über jene Person, die gefragt<br />
wird, verweisen könnte – kann letztendlich zu dem uralten Glauben<br />
führen, nach welchem, wie Nietzsche formulierte, »am Anfang aller<br />
Dinge [...] das Wertvollste <strong>und</strong> Wesentlichste [stehe].« 1 Ein Ort,<br />
ein Land oder eine Gemeinschaft, hieße sie Sippe, Geschlecht oder<br />
Nation, die man durch seine Herkunft <strong>und</strong> die dadurch bestimmte<br />
Zugehörigkeit zu repräsentieren hat, vertreten die Personen, die in<br />
diesem circulus vitiosus der Repräsentationen sich auflösen <strong>und</strong> ihre<br />
singuläre Einmaligkeit zu Gunsten eines ›pluralen Ichs‹, das als etwas<br />
Gesamtes <strong>und</strong> Unpersönliches eintritt, abgeben. Dieses ›plurale Ich‹<br />
ist das genealogische Ich, in dem nicht nur die lebenden Dazugehörigen,<br />
sondern auch die Ahnen einbezogen sind <strong>und</strong> mitsprechen.<br />
Hinter dieser mehrstimmigen Einheit steht die Vorstellung nach<br />
einem gemeinsamen Ursprung, der es erst ermöglicht, eine Vielzahl<br />
von Menschen unter einer Entität zusammenzuschließen. Der<br />
Stammbaum als das bildliche Symbol der <strong>Genealogie</strong> entstammt<br />
dem Ursprung <strong>und</strong> verbindet jedes einzelne Menschenkind nicht<br />
nur mit seinen Vorfahren <strong>und</strong> Vorahnen, sondern sowohl mit den<br />
religiösen <strong>und</strong> politischen Institutionen, als auch Sinn- <strong>und</strong> Denkbildern,<br />
aus denen die genealogische Ordnung besteht. Ein wichtiges<br />
funktionales Element der <strong>Genealogie</strong>, das im Mythos am deutlichsten<br />
sichtbar ist, hat der Philosoph Klaus Heinrich hervorgehoben, indem<br />
1 Friedrich Nietzsche, Der Wanderer <strong>und</strong> sein Schatten, in: ders.: Kritische<br />
Studienausgabe, Bd. 2, hrsg. von Giorgio Colli <strong>und</strong> Mazzino Mmontinari,<br />
S. 540.<br />
7
er über »die Macht der heiligen Ursprünge« sprach, die durch die<br />
<strong>Genealogie</strong> auf das von ihnen Abstammende übertragen wird – eine<br />
These, die wegweisend für mich bei der Arbeit an diesem Buch<br />
war. Die Macht, die vom Ursprung ausgeht, hat sowohl bindende,<br />
als auch legitimierende Funktionen, die den Zusammenhalt einer<br />
genealogisch konstruierten Ordnung zustande bringen. Diese Macht<br />
auszuspüren <strong>und</strong> zu untersuchen war die Aufgabe des vorliegenden<br />
Buches. Deswegen wurde der Blick auf die Figuren gerichtet, die<br />
im ursprungsmythischen Denken erzeugt sind <strong>und</strong> die archaischen<br />
Muster der <strong>Genealogie</strong> bilden.<br />
»Genealogia« hieß auf Griechisch die Erzählung von der Geburt<br />
der Götter <strong>und</strong> der von ihnen erschaffenen Welt. Als Urform des<br />
Weltverstehens hat dieser Begriff Jahrh<strong>und</strong>erte lang die Ordnung der<br />
Dinge in der vormodernen Welt bestimmt: Die Weltordnung, welche<br />
die Griechen Kosmos nannten, war eine genealogische Konstruktion,<br />
die ihren Ursprung im »ursprungsmythischen Denken« hatte, das sie<br />
auch abbildete. So ist der Mythos vom Ursprung auch der Schlüssel<br />
zum Verständnis der genealogischen Ordnung, die nach der Logik des<br />
Ursprungs <strong>und</strong> seiner Übertragbarkeit durch die Blutsverwandtschaft<br />
<strong>und</strong> das Geburtsrecht konstruiert ist.<br />
Die zwei großen Namen, mit denen der Begriff <strong>Genealogie</strong> oft<br />
rein assoziativ in Verbindung gebracht wird – Nietzsche <strong>und</strong> Foucault<br />
- haben sich in ihren Konzepten der <strong>Genealogie</strong> von jeglichen<br />
Ursprungsgedanken distanziert, denn der Ursprung liege bei den<br />
Göttern <strong>und</strong> habe nichts mit den realen Sachverhalten zu tun. Abgetrennt<br />
vom Ursprung <strong>und</strong> den Stammbäumen wurde die <strong>Genealogie</strong><br />
zu einer kritischen Strategie, die, indem sie die Verschiebungen,<br />
Ungenauigkeiten oder gar Fälschungen aufdeckte, die genealogisch<br />
konstruierten Ordnung als eine Fiktion erkennen lässt. Diese Fiktion<br />
aber, die vom mythischen Ursprung ausgeht, wurde durch gewisse<br />
Institutionen <strong>und</strong> rituelle Praktiken ins Reale umgesetzt, das sich nie<br />
endgültig vom Mythos losgelöst hat. Im Gegenteil, die Repräsentation,<br />
durch die das Reale die Bühne der Geschichte betritt, stellt die<br />
Figuren auf, die den Ursprungsmythos aufwecken.<br />
Das vorliegende Buch behandelt also die <strong>Genealogie</strong>, die vom<br />
mythischen Ursprung, der sich als Paradigma nachweisen lässt,<br />
abgeleitet wird. Der Ursprung als Paradigma bedeutet die Nachbildung<br />
<strong>und</strong> Steuerung der gesellschaftlich-politischen Ordnung nach<br />
8
einem kosmogonischen Vorbild. Wie Protogonos – der »Erstgeborene«<br />
der orphischen Kosmogonie – ein urgöttliches Wesen, das in<br />
sich die Keime aller Seienden enthält, ist das Ursprungsparadigma<br />
ein Vorgänger, der die Zukunft weist <strong>und</strong> vorbestimmt. Am Ursprung<br />
durch die <strong>Genealogie</strong> verankert schufen die Menschen ihre ersten<br />
Gemeinschaften, die sich im Laufe der Geschichte zu den modernen<br />
Nationalstaaten entwickelten, wobei die Blutsverwandtschaften eine<br />
zweitrangige Rolle zu spielen scheinen, aber auch in der Zeit der<br />
Moderne ist die Menschheit nicht nur einmal in die »ursprungsmythische<br />
Geisteslage« vom »Blut <strong>und</strong> Boden« verfallen. 1933 schrieb Paul<br />
Tillich: »Der Ursprung enthält in sich das Gesetz des Kreislaufs: Was<br />
von ihm kommt, muss zu ihm zurück. Wo der Ursprung herrscht,<br />
kann es das Neue nicht geben. Die Herrschaft des Woher macht die<br />
Ernsthaftigkeit des Wozu unmöglich.« 2<br />
Dieses Buch ist als meine Doktorarbeit entstanden, die im Sommersemester<br />
2009 von der philosophischen Fakultät III der Humboldt<br />
Universität zu Berlin als Dissertation angenommen wurde.<br />
Einige Jahre zuvor habe ich eine Abhandlung meines künftigen<br />
Doktorvaters – Prof. Dr. Thomas Macho – »So viele Menschen.<br />
Jenseits des genealogischen Prinzips« 3 gelesen, die mich noch vor<br />
der persönlichen Begegnung mit ihm für die Beschäftigung mit der<br />
<strong>Genealogie</strong> inspirierte. Meine Interessen für den Ursprungsgedanke<br />
verdanke ich meinen georgischen Lehrer Prof. Dr. Zurab Kiknadze,<br />
der mich – wie dies in dem ersten Satz seiner georgischen Übersetzung<br />
des Gilgamesch-Epos heisst, – in »die Tiefe« des Mythos hineinschauen<br />
ließ. Dafür <strong>und</strong> für die Ermutigung während des Studiums<br />
als sein Doktorand <strong>und</strong> für die wertvollen Ratschläge möchte ich<br />
mich hier ganz herzlich bei ihm bedanken. Das Manuskript wurde<br />
zur Buchfassung revidiert <strong>und</strong> überarbeitet, als ich am Zentrum für<br />
Literatur- <strong>und</strong> Kulturforschung Berlin arbeitete. Einen besonderen<br />
Dank möchte ich der Direktorin des ZfL – Prof. Dr. Dr. h. c. Sigrid<br />
Weigel für ihre Unterstützung aussprechen. Auch im ZfL hatte ich<br />
die Gelegenheit gehabt den Honorary Member des ZfL Professor<br />
2 Paul Tillich, Die sozialistische Entscheidung, Berlin 1980, S. 26.<br />
3 Thomas H. Macho, So viele Menschen. Jenseits des genealogischen Prinzips,<br />
in: Vor der Jahrtausendwende. Berichte zur Lage der Zukunft, hrsg. von<br />
Peter Sloterdijk, Frankfurt am M. 1990, S. 29−64.<br />
9
Carlo Ginzburg kennen zu lernen, die Gespräche mit ihm haben mir<br />
bei der Gestaltung dieses Buches weiterhin geholfen, weswegen ich<br />
ihm sehr dankbar bin. Mein herzlicher Dank gilt Johanna Kaptein,<br />
Katrin Lechat <strong>und</strong> Katharina Voß für ihre Mühe, diesen Text in ein<br />
vernünftiges Deutsch zu bringen. Großen Dank Herrn Wolfram<br />
Burckhardt – dem Verleger dieses Buches – <strong>und</strong> dem Kulturverlag<br />
Kadmos für meine Aufnahme in ihrer Autorenreihe. Zuletzt möchte<br />
ich allen meinen Kollegen <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>en, insbesondere Dr. Zaal<br />
Andronikashvili, Dr. Franziska Thun-Hohenstein, Dr. Dirk Naguschewski,<br />
Dr. Daniel Weidner, Luka Nakhutsrishvili, Jens Reinke <strong>und</strong><br />
Thomas Weise für ihre Hilfsbereitschaft <strong>und</strong> ihren Beistand danken.<br />
Giorgi Maisuradze Berlin den 18. März 2013<br />
10
Einführung<br />
»<strong>Genealogie</strong>« ist ein schillernder Begriff, der sich im Laufe seiner<br />
langen Lebensdauer in vielerlei Hinsicht erweitert <strong>und</strong> verändert hat.<br />
Zunächst bezeichnete »<strong>Genealogie</strong>« einfach die altgriechische Lehre<br />
über die Abstammung der Götter <strong>und</strong> Heroen. Nach vielfältigen<br />
Bedeutungsverlagerungen <strong>und</strong> inhaltlichen Transformationen stellt<br />
die »<strong>Genealogie</strong>« im gegenwärtigen universitären Kontext mittlerweile<br />
einen diskursübergreifenden epistemologischen Terminus dar,<br />
der nicht nur in sämtlichen Bereichen der Humanwissenschaften<br />
Anwendung findet, sondern zudem neue Möglichkeiten eröffnet,<br />
Natur- <strong>und</strong> Kulturwissenschaften miteinander zu verschränken. 1<br />
Die primäre Funktion der <strong>Genealogie</strong> hat der Philosoph Bernard<br />
Williams in seinem letzten Werk Truth and Truthfulness. An Essay<br />
in Genealogy mit den folgenden Worten beschrieben:<br />
Eine <strong>Genealogie</strong> ist eine Erzählung, die ein kulturelles Phänomen zu<br />
erklären versucht, indem sie beschreibt, wie es entstanden ist, wie es<br />
hätte entstehen können oder wie man sich seine Entstehung ausmalen<br />
könnte. 2<br />
In einer neueren systematischen Darlegung der <strong>Genealogie</strong> definiert<br />
Sigrid Weigel sie als »die Geschichte der symbolischen, ikonographischen<br />
<strong>und</strong> rhetorischen Praktiken, der Aufschreibungssysteme<br />
<strong>und</strong> Kulturtechniken, in denen das Wissen von Geschlechtern <strong>und</strong><br />
Gattungen oder von der Abfolge des Lebens in der Zeit überliefert<br />
1 Sigrid Weigel, Inkorporation der <strong>Genealogie</strong> durch die Genetik, Vererbung<br />
<strong>und</strong> Erbschaft an Schnittstellen zwischen Bio- <strong>und</strong> Kulturwissenschaften, in:<br />
<strong>Genealogie</strong> <strong>und</strong> Genetik, hrsg. von Sigrid Weigel, Berlin 2002, S. 71−97.<br />
2 Bernard Williams, Wahrheit <strong>und</strong> Wahrhaftigkeit, Frankfurt am M. 2003,<br />
S. 38.<br />
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