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Leseprobe - Lesewelt

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7 Bausteine zum Wortschatz<br />

Im Schulalter stehen Kinder vor einer gigantischen Lernaufgabe, die sie in<br />

den meisten Fällen scheinbar mühelos meistern: Sie erweitern kontinuierlich<br />

ihren Wortschatz, bis sie mit ca. 16 Jahren über ein Lexikon von ungefähr<br />

60.000 Wörtern verfügen (Miller 1993). Dazu erwerben sie ab einem<br />

Alter von ca. zwei Jahren („Wortschatzspurt“) ca. 10 Wörter täglich – weswegen<br />

Pinker (1994) gerne von „lexikalischen Staubsaugern“ spricht. Bereits<br />

mit sechs Jahren stehen ca. 14.000 Wörter zur Verfügung (Grimm<br />

1995).<br />

Wortschatzerwerb<br />

7.1 Grundlagen<br />

Nicht bei allen Kindern verläuft der Wortschatzerwerb mit einer derartigen<br />

Leichtigkeit. Im Rahmen von Mehrsprachigkeit, Sprachentwicklungsstörungen<br />

und in Zusammenhang mit erworbenen neurogenen (z. B. kindliche<br />

Aphasie, d. h. Sprachverlust nach neurologischer Schädigung) oder<br />

psychogenen Störungen (z. B. Autismus) sind die Betroffenen entweder in<br />

einem oder beiden der folgenden Bereiche eingeschränkt:<br />

Probleme<br />

• Erwerb von Wortbedeutungen (Semantik eines Wortes), d. h. im Ausbau<br />

und der Vernetzung von Einträgen im mentalen Lexikon<br />

• im<br />

Wortabruf (lexikalischer Abruf), d. h. im Zugriff auf ihr im mentalen<br />

Lexikon gespeichertes Wortwissen<br />

Beide Formen fasst man unter dem Begriff „semantisch-lexikalische Störung“<br />

zusammen.<br />

Definition<br />

„Semantisch-lexikalische Störungen beschreiben Phänomene im Spracherwerb,<br />

bei denen es Kindern und Jugendlichen häufig und anhaltend<br />

nicht gelingt, eine sprachliche Form zu bilden, die in semantischem (Ausdruck<br />

der Wortbedeutung im Kontext der Äußerung) und lexikalischem<br />

Aspekt (Wahl der Wortform) der Äußerungsintention entspricht“ (Glück<br />

2007, 284).


96 Bausteine zum Wortschatz<br />

Modell des mentalen<br />

Lexikons<br />

syntaktische<br />

Informationen<br />

Semantisch-lexikalische Störungen können rezeptiv Sprachverständnis-<br />

(Kap. 9) und Leseverständnisstörungen bedingen.<br />

Grundlegend für das Verstehen dieses Störungsbildes sind Modellvorstellungen,<br />

die den Aufbau und Prozesse im „mentalen Lexikon“ beschreiben,<br />

also jenen Teil des Langzeitgedächtnisses, in dem unser Wortwissen<br />

gespeichert ist (Dannenbauer 1997a). Dieses darf man sich nicht im Sinne<br />

eines herkömmlichen Wörterbuchs als linear geordnete Liste vorstellen:<br />

Vielmehr steht hier Wissen zu vielfältigen Aspekten in hoch organisierter,<br />

netzwerkartig verknüpfter Weise zur Verfügung (Levelt 1989; Luger 2006).<br />

Ziel ist es, einen flexiblen und effizienten Wortabruf sowie eine vernetzte<br />

Speicherung zu ermöglichen. Abbildung 25 verdeutlicht die Komplexität<br />

eines Lexikoneintrags am Beispielwort „fahren“.<br />

Zu jedem Eintrag sind sowohl Informationen zur Form (Lexem) als<br />

auch zum Inhalt (Lemma) gespeichert. Ein Eintrag ist umso schneller abrufbar,<br />

umso besser vernetzt und umso präsenter im aktiven Wortschatz, je<br />

ausführlicher die gespeicherten Informationen sind.<br />

Eine Besonderheit stellen syntaktische Informationen dar: Sie fungieren<br />

quasi als Schnittstelle zwischen Lexem und Lemma. Beispielsweise gibt die<br />

LEXEM<br />

FORM<br />

Schreibweise<br />

mit ,<br />

am Wortende<br />

Beispiel: „fahren“<br />

graphemische<br />

Information<br />

prozedurale<br />

Information<br />

automatisiertes Wissen<br />

zum Radfahren, Autofahren, ...<br />

LEMMA<br />

INHALT<br />

bestehend aus<br />

den Wortbausteinen<br />

|fahr| und |en|,<br />

starke Verbkonjugation, ...<br />

morphologische<br />

Information<br />

episodische<br />

Information<br />

Erinnerungen und Emotionen zu<br />

meiner ersten Autofahrt,<br />

zur Radtour letzten Sommer,<br />

zum Fahrgefühl, ...<br />

gesprochen<br />

als [],<br />

geklatscht in zwei Silben,<br />

reimt sich auf „Waren“,<br />

„sparen“, ...<br />

phonologische<br />

Information<br />

syntaktische<br />

Information<br />

semantische<br />

Information<br />

Wortbedeutung von „fahren“:<br />

Fortbewegung mit einem Gefährt,<br />

schneller als gehen, ...<br />

zu gebrauchen als einstelliges („ich fahre“) oder<br />

zweistelliges („ich fahre einen Lastwagen“) Verb<br />

Abb. 25: Modell eines Lexikoneintrags (in Anlehnung an Luger 2006, 30)


Diagnostik 97<br />

Valenzinformation auf der Formseite vor, welche und wie viele Objekte ein<br />

Verb benötigt um vollständig besetzt zu sein. (z. B. einstellige Verben: es regnet;<br />

zweistellig: jemand liest etwas, dreistellig: jemand gibt jemandem etwas) Gleichzeitig<br />

wird durch die Wahl des Valenzrahmens und die Besetzung der Positionen<br />

eine gewisse Grundbedeutung auf der Inhaltsseite des Satzes festgelegt.<br />

Erwerben Kinder nun ein neues Wort, gilt es also nicht nur, die Sprechweise<br />

(phonologische Information) sowie dessen Bedeutung (semantische<br />

Information) zu speichern, sondern auch im Sinne einer vielfältigen Elaboration<br />

Informationen zu den anderen Aspekten zu vernetzen.<br />

Zusammenfassung<br />

Konsequenzen für den Unterricht:<br />

1. Zur Steigerung des Wortschatzumfangs sollte tägliche Wortschatzarbeit<br />

festes Unterrichtsprinzip sein.<br />

2. Zur sicheren Elaboration des Wortschatzes müssen neue Wörter<br />

vielfältig auf Form- und Inhaltsebene erarbeitet werden.<br />

7.2 Diagnostik<br />

Zeigt die erste Schülerbeobachtung (Kap. 2.1) Schwächen im Bereich<br />

Wortschatz, überprüft der Lehrer mit Beobachtungskriterien oder einer<br />

sprachlichen Einzeldiagnostik differenzierter die sprachlichen Voraussetzungen<br />

der Schüler.<br />

Kriteriengeleitete Beobachtung<br />

Für eine kriteriengeleitete differenzierte Beobachtung eignen sich vorrangig<br />

Situationen, in denen Bilder bzw. Bildkarten betrachtet und benannt werden,<br />

z. B. im Schriftspracherwerb, im Sachunterricht oder beim Betrachten<br />

eines Wimmelbilder- bzw. Bilderwörterbuchs.<br />

Schwächen im semantisch-lexikalischen Bereich (v. a. Wortfindungsprobleme)<br />

können anhand folgender spezieller Anzeichen beobachtet werden:<br />

geeignete<br />

Situationen<br />

Symptome<br />

•Auch vertraute Wörter stehen nicht oder nicht schnell genug zur Verfügung<br />

(lange Antwortzeiten bei alltäglichen Begriffen wie „Stift“).<br />

•Der Schüler verwendet häufig Platzhalter („weißt schon“) oder unspezifische<br />

Wörter („Dings“, „tut“).<br />

•Der Schüler bildet Wortneuschöpfungen („Schwarzvogel“ für „Amsel“).


98 Bausteine zum Wortschatz<br />

•Er liegt semantisch „daneben“ (semantische Ersetzungen / Paraphasien)<br />

und verwendet Oberbegriffe („Anziehsachen“ für „Hose“), nebengeordnete<br />

oder untergeordnete Begriffe („Glas“ für „Tasse“).<br />

•Er benutzt Umschreibungen und / oder setzt häufig Gesten ein („Brille“:<br />

„Das zum Durchschauen, dass man besser sieht“, zusätzlich Nachbilden<br />

der Brille mit den Händen).<br />

•Die Äußerungen sind häufig unterbrochen durch Pausen, Pausenfüller,<br />

Umformulierungen, Selbstkorrekturen („äh“, „also“, Banane: „Der Apfnein<br />

Bir-, äh Banane“).<br />

•Der Schüler liegt phonologisch „daneben“ (phonologische Paraphasien)<br />

und verwendet ähnlich klingende Wörter („Lappwaschen“ für „Waschlappen“,<br />

„Biene“ für „Birne“).<br />

•Der Schüler macht Bemerkungen über das eigene Wortfindungsverhalten<br />

(„Wie heißt das gleich wieder?“, „Jetzt fällt es mir nicht ein.“),<br />

Störungsbewusstsein (z. B. durch Vermeidungsverhalten: „Hab ich<br />

vergessen.“).<br />

Kriteriengeleitete Beobachtung zum Wortschatz<br />

Wortschatz allgemein<br />

Tab. 21: Kriteriengeleitete Beobachtung zum Wortschatz<br />

Versteht viele Begriffe richtig<br />

Benennt viele Begriffe differenziert<br />

Wortfindung<br />

Kurze Antwortzeit (auch bei neuen Begriffen)<br />

Keine Platzhalter („weißt schon“), keine unspezifischen<br />

Begriffe („Dings, tut“)<br />

Keine Wortneuschöpfungen (Neologismen:<br />

„Blumenmann“ – „Gärtner“)<br />

Keine semantischen Ersetzungen<br />

(Oberbegriffe: „Tier“ – „Hund“;<br />

Neben- / Unterordnung: „Apfel“ – „Tomate“)<br />

Keine Umschreibungen, Gesten („Brille“: „Das zum<br />

Durchschauen auf der Nase“; Geste für Brille)<br />

Keine Unterbrechungen (Pausen, Pausenfüller „äh“,<br />

Umformulierungen, Selbstkorrekturen „Die Birn- äh-<br />

Banane“)<br />

Keine phonologischen Ersetzungen („Biene“ für<br />

„Birne“, „Marine“ für „Mandarine“)<br />

Keine Metakommentare, kein Vermeidungsverhalten<br />

(„Wie heißt das gleich wieder?“,<br />

Abbruch, keine Antwort, „Hab ich vergessen.“)<br />

Auswertung: + (ja: sprachliche Stärke), U (Schüler zeigt Unsicherheiten), – (nein: sprachliche Schwäche)<br />

Bitte in den grau unterlegten Feldern die Namen der Schüler eintragen!


Prävention im Unterricht 99<br />

Tabelle 21 kann unter http://www.reinhardt-verlag.de heruntergeladen werden.<br />

Noch differenziertere Kriterien finden sich in SemLexKrit (Glück 2002,<br />

enthalten auch im Handbuch des WWT, Glück 2007, Tab. 3.1. oder<br />

http://www.elsevier.de/sixcms/media.php/795/47480_Glueck_kapitel_3.pdf).<br />

Einzelverfahren<br />

Bei manchen Schülern kann man durch reine Beobachtung schwer unterscheiden,<br />

ob die Schwierigkeiten eher auf Ebene der Wortbedeutung oder<br />

der Wortform liegen.<br />

Für das Schulalter können ergänzend diagnostische Einzelverfahren wie<br />

der Wortschatz- und Wortfindungstest für sechs- bis zehnjährige Kinder<br />

(WWT, Glück 2007) angewandt werden. Daneben gibt es Verfahren für<br />

jüngere Kinder (z. B. AWST-R, Kiese-Himmel 2005), die vorrangig bei<br />

sehr schwachen Schülern qualitativ verwendet werden können.<br />

Teilweise eignen sich Untertests wie Wortfindung (WF) und Begriffsklassifikation<br />

(BK) aus dem Heidelberger Sprachentwicklungstest (HSET,<br />

Grimm / Schöler 1990). Weitere Verfahren sind in Nachschlagewerken<br />

(Kap. 2.1) erläutert.<br />

Wortschatz- und<br />

Wortfindungstest<br />

Untertests<br />

7.3 Prävention im Unterricht<br />

Die Größe des Wortschatzes und die Leichtigkeit, mit der Kinder ihn normalerweise<br />

erweitern, könnte im Hinblick auf Kindergruppen mit sprachlichen<br />

Problemen schnell demotivierend wirken: Macht Wortschatzarbeit<br />

überhaupt Sinn, angesichts der vernichtend kleinen Menge an Begriffen,<br />

die im Unterricht erarbeitet werden können? Die Antwort lautet ja, denn<br />

obwohl Kinder bis zur Pubertät zwar die unglaubliche Menge von ca.<br />

60.000 Wörtern erwerben, genügen schon ca. 4.000, um 95 % der Äußerungen<br />

verstehen zu können (Glück 2000).<br />

Wortschatzarbeit als grundlegendes Unterrichtsprinzip: Um ein möglichst<br />

umfangreiches Begriffsrepertoire zu erlernen, sollte Wortschatzarbeit zum<br />

grundlegenden Unterrichtsprinzip erhoben werden. Mindestens täglich, möglichst<br />

jedoch in jeder Unterrichtsstunde sollte semantisch-lexikalisches Wissen<br />

erweitert werden. Für jedes Wort sollten sowohl Lexem- als auch Lemmainformationen<br />

thematisiert werden (vgl. Modell des mentalen Lexikons). Dabei<br />

Lexem- und Lemmainformationen


100 Bausteine zum Wortschatz<br />

eignen sich prozedurale Aspekte besonders für Verben und episodische für<br />

Abstrakta wie Gefühle. Für Konkreta (v. a. Nomina) sind Abbildungen oder<br />

im Idealfall bei jüngeren Kindern sogar Realgegenstände hinzuzuziehen. Zur<br />

Begriffsarbeit bieten sich folgende Übungen an:<br />

Übungen zur<br />

Begriffsarbeit<br />

Kollokationen<br />

• Erklären, Definieren und Umschreiben von Begriffen<br />

•ähnliche Begriffe finden (Synonyme)<br />

•freie Assoziationen zum Begriff sammeln (z. B. Mindmapping)<br />

•emotionalen Bezug zum Begriff aufbauen, den Begriff mit allen Sinnen<br />

erleben (z. B. Eigenschaften des Begriffes erfühlen, erschmecken)<br />

•Kategorisierungen verwenden: Über- (Hyperonyme: Obst) und Unterbegriffe<br />

(Hyponyme: Apfel), nebengeordnete Begriffe (Kohyponyme: Apfel<br />

und Birne), Teil-Ganzes-Beziehungen (Meronymie: Apfel und Schale)<br />

•Funktion klären (Was kann man mit einem Apfel machen?)<br />

•eigene Erfahrungen zum Begriff erzählen (Hast du schon einmal einen<br />

Apfel geerntet?)<br />

•Vorkommen und Ort klären (Woher hast du deinen Apfel?)<br />

•Eigenschaften klären (Wie schmeckt er?)<br />

•visuelle Vorstellung durch eigene Zeichnungen oder Bilder bzw. Realgegenstände<br />

unterstützen<br />

•gestisch-motorische Assoziationen: typische Bewegungen und Handlungen<br />

pantomimisch darstellen<br />

•Schreibweise präsentieren (Wortkarte, Wörterheft etc.)<br />

Durch das Unterrichtsgespräch über einen Begriff wird einerseits der Eintrag<br />

gesichert und kann somit immer schneller und müheloser abgerufen werden.<br />

Andererseits wird dieser automatisch auch mit benachbarten Begriffen<br />

verknüpft (Kollokationen, z. B. Apfel mit Birne, Schale, süß). Auf diese Weise<br />

kann der Eintrag in ein größeres Gesamtnetzwerk eingebettet werden:<br />

Verknüpfen eines Begriffs mit anderen im Unterricht<br />

•Lehrer: „Was ist denn eine Birne?“<br />

•Schüler 1: Das ist ein Obst [Hyperonym]. Du kannst es essen [Kollokation].<br />

Meine Mama hat eine im Supermarkt gekauft [Kollokationen].<br />

•Schüler 2: So was wie ein Apfel [Kohyponym]. Sie hat auch einen Stiel<br />

[Meronym].<br />

Arbeit mit<br />

Wortfeldern<br />

Projekt- und themenorientiertes Arbeiten (John 2007): Wortfelder sind<br />

Gruppen von Wörtern, die sich semantisch (bedeutungsmäßig) ähnlich<br />

sind (z. B. Wortfeld „sagen“: reden, rufen, wispern, schreien etc.). Wenn im<br />

Unterricht projekt- bzw. themenorientiert gearbeitet wird, werden einzelne


Prävention im Unterricht 101<br />

Begriffe insgesamt hochfrequenter und zugleich häufiger zusammen mit<br />

ähnlichen gebraucht. Auf diese Weise gelingt eine Vernetzung besonders<br />

leicht. Geht es im Sachunterricht z. B. um Ernährung, könnte man im Förderunterricht<br />

mit den semantisch-lexikalisch schwächeren Schülern im<br />

Rahmen eines Kaufladenspiels mit Hilfe von Realgegenständen das Wortfeld<br />

„Nahrungsmittel“ vertiefen (Einkaufszettel gestalten, einkaufen, verkaufen,<br />

Waren nachbestellen, sortieren etc.). Später könnte dann ein Unterrichtsgang<br />

mit der ganzen Klasse allen die Möglichkeit bieten, ihre<br />

Kenntnisse zu nutzen.<br />

Als thematische Brücken bieten sich in der Regel die im Lehrplan vorgeschlagenen<br />

Inhalte aus dem Sachunterricht an. Oft richten Lehrkräfte ihre<br />

Trimesterplanung von vornherein an diesem Unterrichtsfach aus: Wenn also<br />

z. B. das Sachunterrichtsthema „Wiese“ behandelt wird, werden in Kunst<br />

Wiesencollagen aus Naturmaterialien hergestellt, im Rechtschreiben das <br />

behandelt, in Englisch das Bilderbuch „The Very Hungry Caterpillar“ (Carle<br />

1972) gelesen etc. In allen Fächern stehen Begriffe wie „Pflanze“, „Wiese“,<br />

„blühen“ etc. im Vordergrund. Somit fällt es wortschatzschwachen Schülern<br />

leichter, diese ins Langzeitgedächtnis zu überführen und dort zu verknüpfen.<br />

Natürlich können auch andere Fächer solche Brückenthemen liefern,<br />

z. B. Deutsch (Arbeit an einer Lektüre) oder Mathematik (Geometrie und<br />

Orientierung im Raum).<br />

Weitere Unterrichtsprinzipien: Idealerweise sollte sich Wortschatzarbeit<br />

stets an den kindlichen Interessen orientieren, da der Input bei guter intrinsischer<br />

Motivation schneller zum Intake wird (Dannenbauer 2002b).<br />

Authentisches Lernen und Erfahrungen mit allen Sinnen fördern zusätzlich<br />

eine gute Elaboration auf Lemmaebene. Im Rahmen eines tatsächlichen<br />

Bauernhofbesuchs, bei dem die Kinder mit ihren eigenen Händen<br />

Obst ernten dürfen, oder beim Zubereiten eines Obstsalats werden Einträge<br />

im mentalen Lexikon mit prozeduralen Handlungsroutinen vernetzt.<br />

Mehrkanalige Sinneserfahrungen ermöglichen zudem das Anlegen multimodaler<br />

Markenmixe (taktil-kinästhetisch, gustatorisch, olfaktorisch etc.).<br />

Zusätzlich wirkt eine spielerische Umsetzung gerade für jüngere Kinder<br />

anspornend: Statt eines monotonen Übungskontextes (z. B. Wörter wie Vokabeln<br />

auswendig lernen) empfiehlt es sich, Begriffe entweder in thematisch<br />

passende Rollenspiele (z. B. mit dem Kaufladen zum Thema „Obst und Gemüse“)<br />

oder in bekannte Regelspielformate einzubetten (z. B. „Montagsmaler“,<br />

„Wer wird Millionär“) (zur Spieltheorie vgl. Oerter 1998).<br />

Optimierung der Lehrsprache: In Kapitel 3 wurde bereits ausführlich auf<br />

die Lehrersprache als störungsübergreifende Methode eingegangen. Um<br />

Themenfindung<br />

kindliche<br />

Interessen<br />

berücksichtigen<br />

Lernen mit<br />

allen Sinnen<br />

spielerische<br />

Umsetzung<br />

störungsübergreifende<br />

Methode<br />

Lehrersprache


102 Bausteine zum Wortschatz<br />

Kindern den Wortschatzerwerb zu erleichtern, ist besonders auf folgende<br />

Aspekte zu achten:<br />

•vor der Begriffsarbeit die Aufmerksamkeit der Kinder auf sich zentrieren<br />

und Blickkontakt sicherstellen. Evtl. kann man die Wichtigkeit der<br />

folgenden Äußerung auch durch Gesten unterstützen, indem man z. B.<br />

den Zeigefinger hebt.<br />

•den neuen Begriff möglichst häufig und prägnant in prototypischen<br />

Bedeutungskontexten verwenden (z. B. nicht metaphorisch).<br />

•das Wort dazu betont, mit etwas gehobener Lautstärke und mit einer<br />

kurzen Pause davor präsentieren. Das Zielwort langsam und gedehnt<br />

aussprechen.<br />

•die Komplexität der Sprache reduzieren, damit sich die Kinder ganz auf<br />

das neue Wort konzentrieren können.<br />

•Modellierungstechniken bezüglich Wortschatz verwenden (Kap. 3):<br />

Bei Abrufproblemen könnte man z. B. Alternativen vorgeben (Lehrer:<br />

„Meinst du kriechen oder hüpfen?“), zur Festigung die Äußerungen der<br />

Kinder erweitern (Schüler: „Kriechen!“, Lehrer: „Ah ja, du meinst ganz<br />

langsam auf dem Boden … [Pause] kriechen [betont, langsam]“) oder<br />

verbessern (Schüler: „Genau, er ist langsam gekriecht“, Lehrer: „Hm,<br />

ganz langsam … [Pause] gekrochen [betont, langsam]“)<br />

•eine Fragehaltung anbahnen (Kap. 9: Baustein Monitoring des Sprachverstehens)<br />

und Nachfragen positiv verstärken: Fangen Kinder tatsächlich<br />

an, nach Wortbedeutungen zu fragen, kann eine neue Qualität des<br />

Wortschatzerwerbs beginnen.<br />

Ziel dieser präventiven Maßnahmen sollte die Sicherung des vorhandenen<br />

und der Aufbau eines weiterführenden, möglichst vielfältigen Wortschatzes<br />

sein. Ist jedoch der Wortschatzumfang eines Kindes sehr eingeschränkt<br />

oder hat der Schüler Probleme beim Abruf, sind weitergehende, sprachtherapeutisch<br />

fundierte Maßnahmen im Unterricht notwendig, die im folgenden<br />

Abschnitt erläutert werden.<br />

7.4 Sprachtherapeutische Intervention im<br />

Unterricht<br />

Vorbereitung der Intervention<br />

Im Rahmen der Vorbereitung einer Unterrichtssequenz oder -stunde gilt<br />

es, einige Vorüberlegungen zu treffen, um ideale Voraussetzungen für semantisch-lexikalisches<br />

Lernen zu schaffen:


Sprachtherapeutische Intervention im Unterricht 103<br />

1. Auswahl eines fächerübergreifenden, projektorientierten bzw. für die<br />

Schüler relevanten Rahmenthemas: Die Auswahl eines Rahmenthemas orientiert<br />

sich an den förderdiagnostischen Ergebnissen der Klasse bzw. einzelner<br />

Schüler, an den Interessen der Kinder sowie am Lehrplan, hier v. a.<br />

am Sachunterricht.<br />

Klassische Themen sind Obst / Gemüse, Kleidung, Körper, Einkaufen,<br />

Essen / Nahrung, Bauernhof, Tiere, Familie / Haus / Wohnung, Verkehr sowie<br />

verschiedene Orte bzw. Regionen (Schule, Wald, Meer, Zoo, Zirkus).<br />

Themensammlungen finden sich z. B. bei Brügge / Mohs (2007, 85 ff) oder<br />

auch im Computerprogramm „zabulo“ (Reber / Steidl 2008, vgl. auch<br />

Kap. 2.6).<br />

Ein Rahmenthema begleitet eine Klasse mindestens zwei, idealerweise sogar<br />

vier Wochen. Nur durch ein intensives, Tiefe erreichendes Lernen finden<br />

ausreichende Vernetzungen im mentalen Lexikon statt, so dass die Einträge<br />

auch überdauernd im Langzeitgedächtnis erhalten bleiben. Ein wöchentlicher<br />

Themenwechsel ist gerade für schwache Schüler nicht sinnvoll.<br />

• Je mehr Interesse ein Schüler für das Wort aufbringt, desto leichter<br />

fällt es ihm, es zu behalten (für Dinosaurier begeisterte Schüler<br />

memorieren z. B. komplexe, lateinische Begriffe).<br />

•Eng damit verbunden ist die Alltagsrelevanz der Begriffe: Häufige<br />

Begriffe sind breit einsetzbar und werden wahrscheinlich auch bald<br />

wieder abgerufen werden.<br />

•Konkrete Begriffe sind einfacher als abstrakte (semantische Komplexität).<br />

Demzufolge muss man bei Letzteren darauf achten, intensiv auf<br />

die Lemmaebene einzugehen.<br />

•Besonders zu Beginn der Lernzeit sollte auf eine geringe phonologische<br />

Komplexität geachtet werden (Wörter mit maximal zwei Silben,<br />

keine Mehrfachkonsonanz bzw. Konsonantencluster, keine fremdsprachigen<br />

Wörter mit ungewöhnlicher Betonung oder Silbenstruktur).<br />

•Neben Nomen sollten bewusst auch Wörter anderer Wortarten aufgenommen<br />

werden, vor allem Verben und Adjektive (die Schüler sollten<br />

Farben, Formen, Größen, Mengen und Materialien beschreiben können;<br />

Brügge / Mohs 2007, 81 ff).<br />

•Gerade mehrsprachigen oder sprachbehinderten Kindern bereiten oft<br />

die eher inhaltsleeren, aber sehr häufigen Funktionswörter (z. B. Pronomen,<br />

Präpositionen, Konjunktionen) Probleme. Diese beeinflussen die<br />

Bedeutung des Satzganzen jedoch maßgeblich und müssen daher diffeklassische<br />

Themen<br />

Ziel: dauerhafte<br />

Speicherung<br />

der Wörter<br />

2. Auswahl des Wortschatzes: Im zweiten Schritt gilt es nun, zum Thema<br />

geeignete Begriffe auszuwählen, die dann mit den Schülern erarbeitet werden<br />

sollen. Wie schwer ein Wort erlernbar ist, hängt von verschiedenen<br />

Faktoren ab:<br />

Kriterien

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