Psychische Gesundheit in Osteuropa - European Health Forum ...

Psychische Gesundheit in Osteuropa - European Health Forum ... Psychische Gesundheit in Osteuropa - European Health Forum ...

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Medieninformation vom 7. Oktober 2004 7. European Health Forum Gastein 2004 „Globale Herausforderungen für die Gesundheit Europäische Zugänge und Verantwortlichkeiten“ Psychische Gesundheit in Osteuropa: Von der Verwahrung zur Integration Aktuelle Informationen und Fotos unter www.ehfg,org Internationales Forum Gastein Tauernplatz 1 A-5630 Bad Hofgastein Dr. Carmen Kiefer Media Relations carmen.kiefer@sbg.at Tel: +43 6432 26138 Mobile: +43 676 344 9971 Fax: +43 6432 26138 www.ehfg.org Fax Presscenter: +43 6432 20992 +43 6432 26056 Um psychische Gesundheit ist es in den mittel- und osteuropäischen Staaten in mehrfacher Hinsicht schlechter bestellt als in Westeuropa: Viele reagieren auf die massiven gesellschaftlichen Umbrüche der letzten Jahre mit Depressionen und Angststörungen, flüchten in Drogen- und Alkoholkonsum oder begehen Selbstmord. Die Psychiatrie war jahrzehntelang von westlichen Entwicklungen abgeschnitten. Psychiatriepatienten müssen sich erst einen Platz in der Gesellschaft erkämpfen. Beim 7. European Health Forum Gastein ist ein Schwerpunkt dem Thema „Psychische Gesundheit“ gewidmet. Besonderes Augenmerk wird auf die Lage psychisch Kranker in Osteuropa gelegt. Erschreckende Selbstmordraten in Osteuropa Es ist schwer, über die psychische Befindlichkeit eine Nation zu urteilen. Selbstmordzahlen sind oft ein Surrogat dafür. Aus dem WHO-Atlas von 2003 geht hervor, dass im Jahr 2001 die Sterblichkeit aufgrund von Selbstmord und selbst zugefügten Verletzungen mit 44 Fällen auf 100 000 Einwohnern in Litauen die höchste in der ganzen Europäischen Region war und den EU-Durchschnitt um das Vierfache überstiegen hat. „Litauen ist ein extremes Beispiel, aber bei weitem nicht das einzige. In den meisten Staaten Mittel- und Osteuropas ist zu beobachten, dass viele Menschen nicht mit der neuen Situation zurechtkommen“, erklärt Dainius Puras von der Universität Vilnius, Litauen, beim EHFG. Nach dem Zusammenbruch der alten Ordnung ist der schnelle Aufschwung ausgeblieben. Viele kämpfen mit bitterer Armut. Besonders Männer hätten mit dem radikalen Wandel gesellschaftlicher Normen und Rollenmodelle zu kämpfen: „In manchen Staaten übersteigt die Suizidrate der Männer die der Frauen um das Fünffache“, so Puras. Die existentielle Unsicherheit führe zudem zu einer Vielzahl zu stressbedingten Krankheiten. Gewalttätiges, riskantes Verhalten und selbstzerstörerischer Lebensstil seien Ventile für das Gefühl von Lebensangst und Hilflosigkeit und führten vielfach zu verfrühtem Tod.

Medien<strong>in</strong>formation vom 7. Oktober 2004<br />

7. <strong>European</strong> <strong>Health</strong> <strong>Forum</strong> Gaste<strong>in</strong> 2004<br />

„Globale Herausforderungen für die <strong>Gesundheit</strong><br />

Europäische Zugänge und<br />

Verantwortlichkeiten“<br />

<strong>Psychische</strong> <strong>Gesundheit</strong> <strong>in</strong> <strong>Osteuropa</strong>:<br />

Von der Verwahrung zur Integration<br />

Aktuelle Informationen und Fotos unter www.ehfg,org<br />

Internationales <strong>Forum</strong> Gaste<strong>in</strong><br />

Tauernplatz 1<br />

A-5630 Bad Hofgaste<strong>in</strong><br />

Dr. Carmen Kiefer<br />

Media Relations<br />

carmen.kiefer@sbg.at<br />

Tel: +43 6432 26138<br />

Mobile: +43 676 344 9971<br />

Fax: +43 6432 26138<br />

www.ehfg.org<br />

Fax Presscenter:<br />

+43 6432 20992<br />

+43 6432 26056<br />

Um psychische <strong>Gesundheit</strong> ist es <strong>in</strong> den mittel- und osteuropäischen Staaten <strong>in</strong><br />

mehrfacher H<strong>in</strong>sicht schlechter bestellt als <strong>in</strong> Westeuropa: Viele reagieren auf die<br />

massiven gesellschaftlichen Umbrüche der letzten Jahre mit Depressionen und<br />

Angststörungen, flüchten <strong>in</strong> Drogen- und Alkoholkonsum oder begehen Selbstmord.<br />

Die Psychiatrie war jahrzehntelang von westlichen Entwicklungen abgeschnitten.<br />

Psychiatriepatienten müssen sich erst e<strong>in</strong>en Platz <strong>in</strong> der Gesellschaft erkämpfen. Beim<br />

7. <strong>European</strong> <strong>Health</strong> <strong>Forum</strong> Gaste<strong>in</strong> ist e<strong>in</strong> Schwerpunkt dem Thema „<strong>Psychische</strong><br />

<strong>Gesundheit</strong>“ gewidmet. Besonderes Augenmerk wird auf die Lage psychisch Kranker<br />

<strong>in</strong> <strong>Osteuropa</strong> gelegt.<br />

Erschreckende Selbstmordraten <strong>in</strong> <strong>Osteuropa</strong><br />

Es ist schwer, über die psychische Bef<strong>in</strong>dlichkeit e<strong>in</strong>e Nation zu urteilen. Selbstmordzahlen<br />

s<strong>in</strong>d oft e<strong>in</strong> Surrogat dafür. Aus dem WHO-Atlas von 2003 geht hervor, dass im Jahr 2001 die<br />

Sterblichkeit aufgrund von Selbstmord und selbst zugefügten Verletzungen mit 44 Fällen auf<br />

100 000 E<strong>in</strong>wohnern <strong>in</strong> Litauen die höchste <strong>in</strong> der ganzen Europäischen Region war und den<br />

EU-Durchschnitt um das Vierfache überstiegen hat. „Litauen ist e<strong>in</strong> extremes Beispiel, aber bei<br />

weitem nicht das e<strong>in</strong>zige. In den meisten Staaten Mittel- und <strong>Osteuropa</strong>s ist zu beobachten,<br />

dass viele Menschen nicht mit der neuen Situation zurechtkommen“, erklärt Da<strong>in</strong>ius Puras<br />

von der Universität Vilnius, Litauen, beim EHFG. Nach dem Zusammenbruch der alten Ordnung<br />

ist der schnelle Aufschwung ausgeblieben. Viele kämpfen mit bitterer Armut. Besonders<br />

Männer hätten mit dem radikalen Wandel gesellschaftlicher Normen und Rollenmodelle zu<br />

kämpfen: „In manchen Staaten übersteigt die Suizidrate der Männer die der Frauen um das<br />

Fünffache“, so Puras. Die existentielle Unsicherheit führe zudem zu e<strong>in</strong>er Vielzahl zu<br />

stressbed<strong>in</strong>gten Krankheiten. Gewalttätiges, riskantes Verhalten und selbstzerstörerischer<br />

Lebensstil seien Ventile für das Gefühl von Lebensangst und Hilflosigkeit und führten vielfach<br />

zu verfrühtem Tod.


Wie kann geholfen werden?<br />

<strong>Psychische</strong> Krankheiten wie Depressionen s<strong>in</strong>d auch <strong>in</strong> vielen Staaten Westeuropas mit<br />

Stigmata behaftet. In <strong>Osteuropa</strong> ist es nicht anders. Generell muss versucht werden, die<br />

Schwelle zu e<strong>in</strong>em Hilfsangebot so niedrig wie möglich zu halten – h<strong>in</strong>sichtlich Kosten, Nähe<br />

und sozialer Akzeptanz. „Wenn Hilfsangebote für Menschen für psychische Probleme nicht auf<br />

den lokalen Kontext Rücksicht nehmen und die vorhandenen Ressourcen nicht e<strong>in</strong>beziehen,<br />

dann s<strong>in</strong>d sie so gut wie umsonst“, f<strong>in</strong>det EHFG-Expert<strong>in</strong> Rachel Jenk<strong>in</strong>s, Professor<strong>in</strong> am<br />

K<strong>in</strong>g’s College <strong>in</strong> London. E<strong>in</strong>e Bausch- und Bogenpolitik nach dem Motto „Gleiches Angebot<br />

für alle“ verfehle ihr Ziel. E<strong>in</strong> litauischer Kle<strong>in</strong>bauer, der im Zuge der EU-Erweiterung sich und<br />

se<strong>in</strong>e Familie nicht mehr mit die traditionelle Arbeit erhalten kann, der klassischen<br />

Männerrolle nicht mehr entspricht und deswegen <strong>in</strong> Depression und Alkoholismus verfällt,<br />

braucht e<strong>in</strong>e Unterstützung, die genau auf se<strong>in</strong>e Bedürfnisse als Mann, als Landbewohner, als<br />

Mitglied e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Dorfgeme<strong>in</strong>schaft zugeschnitten ist. Das Angebot soll nicht nur<br />

erreichbar se<strong>in</strong>: Es muss vor allem für ihn annehmbar se<strong>in</strong>.<br />

Verwahrung statt Integration psychisch Kranker<br />

Die psychiatrischen E<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong> den ehemaligen Ostblockstaaten s<strong>in</strong>d noch immer von<br />

den Schatten der Vergangenheit belastet. „Die neuen EU-Staaten haben zwar <strong>in</strong> vielen<br />

Bereichen ungeheuer aufgeholt, die psychische <strong>Gesundheit</strong> ist allerd<strong>in</strong>gs immer noch e<strong>in</strong><br />

Stiefk<strong>in</strong>d“, betont David McDaid von der London School of Economics & Political Science. Es<br />

herrsche allgeme<strong>in</strong>er Konsens darüber, dass weder die Organisation des Angebots noch die<br />

Behandlungen selbst mit denen im Westen Schritt halten können. „Das ist ke<strong>in</strong> Wunder, wenn<br />

man bedenkt, dass psychiatrische Kl<strong>in</strong>iken und Heime lange als re<strong>in</strong>e Verwahrungsanstalten<br />

betrachtet wurden, wenn nicht gar als politische Repressalie für Oppositionelle“, erklärte<br />

McDaid. Jahrzehntelang seien die Staaten des ehemaligen Ostblocks von den <strong>in</strong>ternationalen<br />

Entwicklungen abgeschnitten gewesen, Zugänge zu Fachzeitschriften, Kongressen oder<br />

anderen Formen des Informationsaustausches waren blockiert.<br />

Menschenrechtsverletzungen <strong>in</strong> der Psychiatrie<br />

„Psychisch Kranke s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Kl<strong>in</strong>ik, um behandelt, nicht um bestraft zu werden“,<br />

unterstrich Patientenvertreter Stefan Bandol von der Aripi Organisation, Rumänien. In<br />

vielen psychiatrischen Krankenhäusern würden „schwierige“ Patienten immer noch mit<br />

Elektro-Schock oder e<strong>in</strong>er zu großen Dosis Beruhigungsmitteln „ruhig gestellt“. „Damit<br />

erreicht man viel zu oft, dass der Patient zu e<strong>in</strong>em willenlos dah<strong>in</strong>vegetierenden<br />

Geschöpf wird“, kritisiert Bandol. Auch McDaid berichtet von unhaltbaren Zuständen <strong>in</strong><br />

vielen osteuropäischen E<strong>in</strong>richtungen: „In manchen ungarischen Heimen ist die<br />

Bewegungsfreiheit der Patienten stark e<strong>in</strong>geschränkt, ihre Privatsphäre wird nicht<br />

respektiert, der Zugang zu Medikamenten ist sehr beschränkt. Der Europarat hat auch <strong>in</strong><br />

aller Schärfe verurteilt, dass die streng verbotenen Käfigbetten immer noch verwendet<br />

werden.“ Nach Schätzungen der WHO werden weltweit 65 Prozent der Betten <strong>in</strong><br />

Nervenkl<strong>in</strong>iken angeboten, wo die Bed<strong>in</strong>gungen katastrophal s<strong>in</strong>d.<br />

Wenige Ressourcen für psychische <strong>Gesundheit</strong><br />

„Es wird wenig für diesen Bereich ausgegeben, die Aus- und Fortbildung von<br />

psychiatrischem Personal oder Sozialarbeitern lässt zu wünschen übrig. „Es wäre auch<br />

schon viel erreicht, wenn es e<strong>in</strong>e bessere Kooperation zwischen psychiatrischen und<br />

anderen sozialen E<strong>in</strong>richtungen gebe. Ungarns psychiatrische Kl<strong>in</strong>iken s<strong>in</strong>d von den<br />

vielen Drogen- und Alkoholabhängigen überfüllt, dabei könnte hier durch externe<br />

Betreuungsangebote Entlastung geschaffen werden“, so McDaid.


Ste<strong>in</strong>iger Weg zur sozialen Integration<br />

„Wir waren sehr optimistisch, dass die Situation für psychisch Kranke nach dem Fall des<br />

Eisernen Vorhangs <strong>in</strong> wenigen Jahren besser werden würde, gerade was die Öffnung der<br />

psychiatrischen Anstalten und die sozialen Integration der Patienten betrifft. Inzwischen<br />

ist dieser Optimismus dem Gefühl gewichen, dass etwas mit den Reformen falsch<br />

gelaufen ist.“ Die neuen E<strong>in</strong>richtungen mit alternativen Hilfsangeboten für psychisch<br />

Kranke überlebten nur mithilfe der Unterstützung <strong>in</strong>ternationaler Organisationen und<br />

seien Exoten geblieben. Die traditionellen Krankenhäuser und Heime hätten trotz<br />

angespannter f<strong>in</strong>anzieller Lage ihre Position weiter verfestigt. Der breiten Öffentlichkeit<br />

sei der Integrationsgedanke noch völlig fremd. „In <strong>Osteuropa</strong> ist mit wenig Toleranz für<br />

Schwache und Außenseiter zu rechnen. Sie werden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er gesellschaftlich schwierigen<br />

Lage eher zu Sündenböcken gemacht.“<br />

Fluch und Segen neuer Psychopharmaka<br />

Zwiespältig ist die Rolle der <strong>in</strong>ternationalen Pharma<strong>in</strong>dustrie, die die neuen EU-Staaten<br />

nun mit neuen Medikamenten versorgt. „Es ist natürlich gut, wenn es endlich <strong>in</strong>novative<br />

Arzneien zur Behandlung psychischer Störungen auch im Osten gibt. Aber wenn die<br />

knappen Ressourcen nur <strong>in</strong> Tabletten gesteckt werden, haben dr<strong>in</strong>gend nötige<br />

psychosoziale Therapieansätze ke<strong>in</strong>e Chance, jemals <strong>in</strong> den ehemaligen Ostblockstaaten<br />

e<strong>in</strong>geführt zu werden“, erklärte Puras. Litauens <strong>Gesundheit</strong>ssystem wendet<br />

durchschnittlich zwei bis drei Millionen Euro auf, um alle Ausgaben für moderne<br />

Psychopharmaka zu decken, anstatt die gesamten Kosten für die präventive und<br />

rehabilitierende psychiatrische Behandlung von K<strong>in</strong>dern und Jugendlichen zu<br />

übernehmen, kritisierte Puras.

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