Thema: obligatorische und fakultative Ergänzungen – Angaben
Thema: obligatorische und fakultative Ergänzungen – Angaben Thema: obligatorische und fakultative Ergänzungen – Angaben
Universität Bochum, Sose 2003 03.06.03 Fachbereich: Linguistik Proseminar: Argumentstruktur Dozentin: Katharina Klein Referentin: Lucia an der Brügge Thema: obligatorische und fakultative Ergänzungen – Angaben 1. Wie kam man zu dieser Unterscheidung? • Tesniere (1959) hat als erster zwischen „actants“ (Ergänzungen) und „circonstants“ (Angaben) aufgrund des Kriteriums der Sinnnotwendigkeit unterschieden à der erste Test „Weglassbarkeit“: diejenigen Konstituenten im Satz, die weggelassen werden können, ohne dass der Satz ungrammatisch wird sind nicht sinnnotwendig. • Helbig (1965) zeigt die Inadäquatheit des Kriteriums auf: es gibt weglassbare Konstituenten, die den Status von E haben: so Unterscheidung zwischen obligatorischen (nicht weglassbare E), fakultativen (weglassbare E) und Angaben Helbig charakterisiert die o E / f E und A demnach so: Obligatorische Ergänzungen: • „(...) im Stellenplan des Verbs enthaltene subklassenspezifische, valenzgebundene Glieder, die in der Regel nicht weglassbar sind“ (Helbig, 1992: 99) Fakultative Ergänzungen: (1) Ich besuche ihn. * Ich besuche. • „(...) ebenso im Stellenplan des Verbs enthaltene subklassenspezifische, valenzgebundene Glieder, die jedoch Angaben: im Kontext weglassbar sind“ (Helbig, 1992: 99) (2) Ich esse (ein Brötchen.) • „(...) nicht im Stellenplan des Verbs enthaltene nicht-subklassenspezifische, nicht-valenzgebundene (...) Ellipsen: Glieder“ (Helbig, 1992, S. 99) (3) Ich besuche dich am Samstag/ im Garten/ gerne/ à freie Hinzufügbarkeit à „weglassbare“ obligatorische Eà lexikalische Ellipse: (3) Die Henne legt. (....Eier) à „weglassbare“ fakultative E mit Kontextabhängigkeit à kontextuelle Ellipse: [...] (4) Als ich ihn das letzte Mal sah, erzählte er [mir] von dem neuen Buch. (freier Dativ) Tests zur Unterscheidung von f E und o E: • 1.) Frageprobe: (5) Wirst du zum Wettkampf kommen? – Ja ich werde kommen. (f E) * Traust du ihm? – Ja, ich traue ihm. à (o E) • 2.) Die Frage: Was tut er? / Was geschieht mit ihm? à bei fakultativer E ist eine schlichte Antwort „er isst“, „er zeltet“,... möglich; aber nicht: „er besucht“, „er schenkt“... Vermutung: es können diejenigen Verben mit einer f E stehen, die hohen semantischen Eigenwert haben, d.h. solche Sachverhalte bezeichnen, unter denen sich jeder – auch unabhängig vom Kontext etwas vorstellen kann
- Seite 2 und 3: 2 2. offene und Streit -Fragen •
Universität Bochum, Sose 2003 03.06.03<br />
Fachbereich: Linguistik<br />
Proseminar: Argumentstruktur<br />
Dozentin: Katharina Klein<br />
Referentin: Lucia an der Brügge<br />
<strong>Thema</strong>: <strong>obligatorische</strong> <strong>und</strong> <strong>fakultative</strong> <strong>Ergänzungen</strong> <strong>–</strong> <strong>Angaben</strong><br />
1. Wie kam man zu dieser Unterscheidung?<br />
• Tesniere (1959) hat als erster zwischen „actants“ (<strong>Ergänzungen</strong>) <strong>und</strong> „circonstants“ (<strong>Angaben</strong>) aufgr<strong>und</strong> des<br />
Kriteriums der Sinnnotwendigkeit unterschieden à der erste Test „Weglassbarkeit“: diejenigen<br />
Konstituenten im Satz, die weggelassen werden können, ohne dass der Satz ungrammatisch wird sind nicht<br />
sinnnotwendig.<br />
• Helbig (1965) zeigt die Inadäquatheit des Kriteriums auf: es gibt weglassbare Konstituenten, die den Status<br />
von E haben: so Unterscheidung zwischen <strong>obligatorische</strong>n (nicht weglassbare E), <strong>fakultative</strong>n (weglassbare<br />
E) <strong>und</strong> <strong>Angaben</strong><br />
Helbig charakterisiert die o E / f E <strong>und</strong> A demnach so:<br />
Obligatorische<br />
<strong>Ergänzungen</strong>:<br />
• „(...) im Stellenplan des Verbs enthaltene subklassenspezifische, valenzgeb<strong>und</strong>ene Glieder, die in der Regel<br />
nicht weglassbar sind“ (Helbig, 1992: 99)<br />
Fakultative<br />
<strong>Ergänzungen</strong>:<br />
(1) Ich besuche ihn. * Ich besuche.<br />
• „(...) ebenso im Stellenplan des Verbs enthaltene subklassenspezifische, valenzgeb<strong>und</strong>ene Glieder, die jedoch<br />
<strong>Angaben</strong>:<br />
im Kontext weglassbar sind“ (Helbig, 1992: 99) (2) Ich esse (ein Brötchen.)<br />
• „(...) nicht im Stellenplan des Verbs enthaltene nicht-subklassenspezifische, nicht-valenzgeb<strong>und</strong>ene (...)<br />
Ellipsen:<br />
Glieder“ (Helbig, 1992, S. 99) (3) Ich besuche dich am Samstag/ im Garten/ gerne/ à freie Hinzufügbarkeit<br />
à „weglassbare“ <strong>obligatorische</strong> Eà lexikalische Ellipse: (3) Die Henne legt. (....Eier)<br />
à „weglassbare“ <strong>fakultative</strong> E mit Kontextabhängigkeit à kontextuelle Ellipse: [...]<br />
(4) Als ich ihn das letzte Mal sah, erzählte er [mir] von dem neuen Buch. (freier Dativ)<br />
Tests zur Unterscheidung von f E <strong>und</strong> o E:<br />
• 1.) Frageprobe: (5) Wirst du zum Wettkampf kommen? <strong>–</strong> Ja ich werde kommen. (f E)<br />
* Traust du ihm? <strong>–</strong> Ja, ich traue ihm. à (o E)<br />
• 2.) Die Frage: Was tut er? / Was geschieht mit ihm? à bei <strong>fakultative</strong>r E ist eine schlichte Antwort<br />
„er isst“, „er zeltet“,... möglich; aber nicht: „er besucht“, „er schenkt“...<br />
Vermutung: es können diejenigen Verben mit einer f E stehen, die hohen semantischen Eigenwert<br />
haben, d.h. solche Sachverhalte bezeichnen, unter denen sich jeder <strong>–</strong> auch unabhängig vom Kontext<br />
etwas vorstellen kann
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2. offene <strong>und</strong> Streit -Fragen<br />
• Wo findet sich „Valenz“ à Syntax, Semantik, Pragmatik? Und damit zusammenhängend:<br />
• Welche Hilfsmittel können für eine Unterscheidung hinzugezogen werden? Tests oder nicht?<br />
• Zu den Tests: Werden sie richtig interpretiert? Werden keine irrelevanten Schlüsse gezogen, z.B. indem man<br />
verschiedene Ebenen (syntaktisch/semantisch) miteinander vermischt? Und: Können Zirkelschlüsse<br />
ausgeschlossen werden?<br />
• Gibt es die Unterscheidung überhaupt <strong>–</strong> oder besteht nur eine graduelle Abstufung zwischen den einzelnen<br />
Konstituenten im Satz bezüglich ihrer Abhängigkeit zum Verb?<br />
2.1 Zu Tesnieres Problemen „Reine Kasus vs. Präpositionalkasus“ <strong>und</strong><br />
„Handelnde vs. Umstände“<br />
• Tesniere folgte der traditionellen Grammatik, als er keine „Umstandsbestimmungen“ als E deutete; denn der<br />
trad. Satzgliedlehre nach galten sie prädikatenlogisch nicht als Argumente, sondern mussten selbst als<br />
Funktion angesehen werden: sie „bestimmen“ den Satz/ das Verb „nach Umständen“ à mit Helbig (u.a.)<br />
jedoch Ablösung von trad. Satzgliedlehre, so dass auch „Umstandsbestimmungen“ E sein können<br />
• Aber: es gilt prinzipiell 2 Arten von Präpositionalgruppen zu unterscheiden à 1. diejenigen, bei denen die<br />
Präposition immer mit einem bestimmten Verb steht: teilnehmen an, sich verlieben in, sich beziehen auf,<br />
zurückführen auf... à ist formregiert (Präpositionalkasus), kann als Argument des Verbs betrachtet werden<br />
à <strong>und</strong> 2. diejenigen, bei denen eine Wahl zwischen Präpositionen stattfindet <strong>und</strong> diese durch Semantik des<br />
Verbs bedingt ist: legen + Lokalangabe auf, unter, neben... à hier handelt es sich nicht um einen<br />
Präpositionalkasus, nicht formregiert, aber syntaktisch obligatorisch; wenn als Argument des Verbs<br />
betrachten: dann Präposition „fälschlicherweise“ wie bei Gruppe 1 mit zum Verb denken<br />
3. einzelne Tests zur Unterscheidung E <strong>–</strong> A<br />
• Reduktionstest: hier erweisen sich die A als „reduzierte Sätze“, d.h. sie können entweder auf<br />
Nebensätze oder einen zweiten Hauptsatz zurückgeführt werden. Daraus kann gefolgert werden, dass<br />
sie nicht mit dem Verb in direkter Verbindung stehen, also nicht vom Verb als Ergänzung gefordert<br />
werden. Der Test unterscheidet auch zwischen den f E <strong>und</strong> den o E, indem die o E bei Reduktion<br />
ungrammatische, die f E sinnentfremdete Sätze ergeben.<br />
• Variationen des Testes: Nebensatz mit „als“; Bildung eines zweiten HS<br />
(1) Er aß sein Brot in der Schule. (A) ß Er aß sein Brot, als er in der Schule war.<br />
(3) Mein Fre<strong>und</strong> wohnte in Dresden. (oE) ß * Mein Fre<strong>und</strong> wohnte, als er in Dresden war.<br />
(4) Er stieg in die Straßenbahn ein. (fE) ß * Er stieg ein, als die Straßenbahn (da!) war.<br />
(5)Er fand eine Mark in der Hosentasche. ß Er fand eine Mark. Sie war in der Hosentasche<br />
• Proverb-Test <strong>und</strong> „<strong>und</strong>-zwar-Test“: Ein ähnliches Prinzip wie das des Reduktionstestes: Die A<br />
können aus dem Satz isoliert werden <strong>und</strong> in einem zweiten Satz entweder mit <strong>und</strong> zwar oder mit<br />
machen/ tun/ geschehen (= Proverb-Test) angeschlossen werden. Der Proverb-Test ist aber nur auf die<br />
Klasse der <strong>und</strong> Tätigkeits- <strong>und</strong> Vorgangsverben anzuwenden. (Zustandsverben haben kein “Proverb“)<br />
(1) Er aß sein Brot, <strong>und</strong> das machte (tat) er in der Schule. (A)<br />
(2) Er stieg ein, <strong>und</strong> das machte (tat) er in die Straßenbahn. (E)<br />
(3) Er starb, <strong>und</strong> zwar in Dresden. (A) *Er wohnte, <strong>und</strong> zwar in Dresden. (E)<br />
• Nachteil des Tests: keine Unterscheidung zwischen f E <strong>und</strong> o E, da auch die f E mit „<strong>und</strong> zwar“<br />
angeschlossen werden können. 4) Er wartete, <strong>und</strong> zwar auf die Straßenbahn. (f E)<br />
• Kommutationsverfahren: aus der freien Hinzufügbarkeit der A kann
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Subkategorisierung des Verbs durch E geschlossen werden: so zeigt der Test, dass ein Austausch von<br />
Verben in der Umgebung von A (im Gegensatz zu E) nicht zu syntaktischen Konsequenzen führt à d.h.<br />
die A sind syntaktisch unabhängig vom Verb à anders bei den E: hier führt der Austausch zu<br />
syntaktischen Konsequenzen, was darauf schließen lässt, dass die E die Verben durch ihre „direkte<br />
Verbindung“ zum Verb hinsichtlich ihrer Kasus subkategorisieren.<br />
(1a) Er half ihm eine ganze Woche. (E ; A) (1b) Er unterstützte ihn eine ganze Woche. (E ; A)<br />
(2a) Er wohnt am anderen Ort (E)<br />
(3a) Er bewohnt ein Einfamilienhaus.(E)<br />
(4a) Er trifft ihn im Dorf (A)<br />
(2b) *Er bewohnt am anderen Ort.<br />
(3b) *Er wohnt ein Einfamilienhaus.<br />
(4b) Er arbeitet im Dorf. (A)<br />
• Selektion der E durch das Verb: Subkategorisierung zeigt: Verb wird durch E subkategorisiert à<br />
analog dazu selektiert das Verb die E <strong>und</strong> nur diese (nicht die A) à So wie die fehlende<br />
Subkategorisierung durch die freie Hinzufügbarkeit von A (im Gegensatz zu E) gezeigt werden kann <strong>–</strong><br />
so kann analog dazu die Selektion durch die fehlende freie Hinzufügbarkeit der E (im Gegensatz zu A)<br />
gezeigt werden.<br />
(5a) Er schläft im Keller. (5b) *Er schläft in den Keller. (5c) *Er schläft seine Braut.<br />
(5d)* Er schläft seiner Braut. (5e) Er schläft mit seiner Braut.<br />
• A u s K riterien der Subkategorisierung <strong>und</strong> Selektion folgt für die E:<br />
Unmöglichkeit asyndetischer Reihen:<br />
* Er beobachtet die Fre<strong>und</strong>in das Haus.<br />
• „Satzglied-Stellungs-Tests“: 1. Determiniertheit <strong>und</strong> Satzgliedstellung bezüglich<br />
Adverbialbestimmungen: Das Verb determiniert die syntaktische Stelle, an der eine E erscheinen muss.<br />
So kann durch „Verrückung“ der einzelnen Glieder zwischen E <strong>und</strong> A differenziert werden:<br />
(1a) Du hast das Buch [am Vormittag] auf den Schrank gelegt.<br />
(1b) (*)Du hast das Buch auf den Schrank [am Vormittag] gelegt.<br />
(1c) (*)Du hast das Buch auf den Schrank gelegt am Vormittag.<br />
(1d) *Du hast das Buch am Vormittag gelegt auf den Schrank<br />
(1e) * Du hast am Vormittag auf den Schrank gelegt das Buch.<br />
[ ] à A<br />
Die E ist „mehr“ mit dem Verb verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> muss <strong>–</strong> bei normaler Betonung - daher direkt vor dem Verb<br />
stehen (a,b) à die E kann nicht im Verbnachfeld stehen à verhält sich dort wie Objekt (d,e); evt. kann aber<br />
die A aus Betonungsgründen im Verbnachfeld stehen (c )<br />
• 2 . Stellung der Satznegation nicht bezüglich Adverbialbestimmungen<br />
Die Satznegation muss vor einer E gesetzt werden, kann aber vor <strong>und</strong> nach einer A gesetzt werden.<br />
(2a) Berlin liegt nicht an der Oder. (E) (2b) *Berlin liegt an der Oder nicht.<br />
(3a) Er arbeitete nicht an der Oder. (A) (3b) Er arbeitete an der Oder nicht.<br />
v e r w e n d e t e L i t e r a t u r :<br />
Welke, Klaus (1988): Einführung in die Valenz- <strong>und</strong> Kasustheorie. Leipzig: Bibliographisches Institut, Kap. 2<br />
(Semesterapparat)<br />
Helig, Gerhard (1992): Probleme der Valenz- <strong>und</strong> Kasustheorie. Tübingen: Niemeyer, Kap. 4 (Semesterapparat)<br />
N i c h t v e r w e n d e t e , a ber dennoch interessante Literatur zum <strong>Thema</strong>:<br />
Jacobs, Joachim (1994b): Das lexikalische F<strong>und</strong>ament der Unterscheidung von <strong>obligatorische</strong>n <strong>und</strong> <strong>fakultative</strong>n<br />
<strong>Ergänzungen</strong>. Zeitschrift für germanistische Linguistik 22; 284-319. (UB: 2/2; ZGB 2502; Bibl. Germanistik: Zd1973)<br />
Rapp, Irene (1997): Fakultativität von Verbargumenten als Reflex der semantischen Struktur. Linguistische Berichte 172;<br />
490-529. (Bibl. Germanistik: Zd1969/1)