17.11.2013 Aufrufe

Bilder oder Chiffren? - Wolfram Fleischhauer

Bilder oder Chiffren? - Wolfram Fleischhauer

Bilder oder Chiffren? - Wolfram Fleischhauer

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Fig 12: Detail<br />

Geschichte und Geschichten<br />

Welches Zusammenspiel von Umständen Gabrielles Schicksal besiegelt hat, beweisen<br />

natürlich auch diese Briefe nicht. Ein letzter Zweifel, daß der König nur zum Schein verhandelt<br />

hat, um Rom in Sicherheit zu wiegen und seine Scheidung voranzutreiben, kann nicht ganz<br />

ausgeschlossen werden. Hier stoßen wir an die Grenzen der Geschichtswissenschaft: keine<br />

noch so sensationelle historische Quelle gibt uns Einblick in das Herz eines Menschen und<br />

das Geheimnis seiner Motive. Wer dorthin will, muß die Disziplin wechseln.<br />

Eine letzte Wahrheit habe ich also nicht zu bieten, sondern lediglich ein bisher unbekanntes,<br />

verlorenes Stück des Puzzles. Allerdings gestattet dieses neue Puzzlestück eine ganz andere<br />

Sichtweise auf ein Kunstwerk, die ich in Romanform nachvollzogen habe. Ich habe zwei<br />

Rätsel - das der Gemälde und jenes der Geheimdepeschen - übereinander gelegt und dabei<br />

die Umrißlinie eines psychologischen und politischen Dramas entdeckt, das den<br />

Spannungsbogen meiner Erzählung bildet. Inwiefern diese plausibel ist, mögen die<br />

Kunsthistoriker und Geschichtswissenschaftler entscheiden. Wer weiß, vielleicht findet sich<br />

ja irgendwann einmal ein Kunsthistoriker, der Romane liest und Lust bekommt, diese<br />

apokryphe Korrespondenz im Medici-Archiv von Florenz zu entschlüsseln und herauszugeben?<br />

Ich bin einer Intution gefolgt und habe etwas getan, was Wissenschaftler in der Regel nicht<br />

sollen <strong>oder</strong> dürfen: der Phantasie zu glauben und den sogenannten Fakten zu mißtrauen.<br />

Dies auch als Anwort auf die mir oft gestellt Frage, warum ich keinen wissenschaftlichen<br />

Artikel über das Thema geschrieben habe <strong>oder</strong> schreiben wolle. Die Frage hat mich immer<br />

etwas ratlos und auch ein wenig traurig gemacht, klang doch darin der unausgesprochene<br />

Vorwurf durch, eigentlich sei es schade, einen so interessanten und verblüffenden historischen<br />

Fund an eine Fiktion „verschwendet“ zu haben.<br />

Meistens erwidere ich darauf nichts. Aber im Stillen denke ich immer das gleiche.<br />

Ich habe doch einen kunsthistorischen Aufsatz geschrieben! Nur eben in Romanform.<br />

Eine romanhafte Bildinterpretation.<br />

Nein, ich werde der Phantasie lieber keinen Doktorhut aufsetzen. Die Krempe verdeckt ihr<br />

den offenen Horizont. Und meinen Sie nicht auch: Solch einen Stoff in einer Fachzeitschrift<br />

abzuhandeln, mit Fußnoten und Bibliographie, nur für eine Handvoll Professoren und<br />

Doktoranden, das wäre doch wirklich schade gewesen.<br />

Oder?

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!