1 So geht Jungenarbeit Geschlechtsbezogene Entwicklung von ...
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GEHT SO JUNGENARBEIT?<br />
IMPLEMENTIERUNGS- UND VERNETZUNGSERGEBNISSE<br />
Sicher: Mädchenarbeit gibt es bereits 10 bis 20 Jahre länger als <strong>Jungenarbeit</strong>, sie ist<br />
institutionell und oft auch strukturell besser abgesichert und verfügt über einen<br />
breiten Erfahrungsschatz. Niemand bestreitet, dass die <strong>Jungenarbeit</strong> anfangs <strong>von</strong><br />
einer Vorarbeit der Mädchenarbeit profitieren konnte.<br />
Dass dieser Sachverhalt oft gerade <strong>von</strong> Männern so betont und dabei gleichsam<br />
mythisch aufgeladen wird, regt aber zu Nachfragen an. Denn real schrumpft dieser<br />
Vorsprung, je mehr jungenpädagogische Ansätze weiter entwickelt werden. Und<br />
bezogen auf das Gesamt der Jugendhilfe wird die marginale Bedeutung <strong>von</strong> Jungen-<br />
und Mädchenarbeit plastisch deutlich: Viele Bereiche der Kinder- und Jugendhilfe<br />
sind nach wie vor ziemlich unberührt <strong>von</strong> geschlechtsbezogenem Gedankengut,<br />
etwa die Regelkindergärten oder das Vereinswesen, weite Bereiche der Hilfen<br />
zur Erziehung. Auch den Jugendverbänden ist »Geschlecht« als durchgängiges pädagogisches<br />
Thema weitgehend fremd. Bleibt die offene Jugendarbeit – und hier<br />
bewirkt die Fluktuation gerade <strong>von</strong> Kolleginnen, dass es konkret oft keinen ersichtlichen<br />
Erfahrungsvorsprung in geschlechtsbezogen-professioneller Hinsicht gibt.<br />
Spezifische Mädchenangebote (Mädchenräume, Mädchentage) machen einen relativ<br />
kleinen Teil der offenen Arbeit aus, im Alltag, d.h. im offenen Bereich ist <strong>von</strong><br />
geschlechtsbezogener Pädagogik oft nichts erkennbar. Und bisweilen grenzen sich<br />
jüngere Kolleginnen deutlich <strong>von</strong> ihren Vorgängerinnen ab, indem sie feministische<br />
Orientierung und Vorarbeiten im Mädchenbereich generativ ablehnen.<br />
<strong>So</strong> können wir annehmen, dass der Mythos »Vorsprung der Mädchenarbeit« (nicht<br />
das Faktum!) noch eine andere Bedeutung hat. Für Männer dient er dazu, Leistungsdruck<br />
und -erwartungen zu mindern und es sich im Kinderschuh-Mythos<br />
bequem zu machen. Frauen dagegen haben mit diesem Mythos ein nicht zu parierendes<br />
Argument in der Hand, mit dem sie die Kollegen zurücksetzen und vermeiden<br />
können, die eigenen Konzepte weiter zu entwickeln.<br />
Implementierungs- und Vernetzungsergebnisse<br />
Unser Ansatz <strong>von</strong> Implementierung und Vernetzung ging in die Fläche. Wir können<br />
selbstverständlich nicht behaupten, dass wir die beiden Regionen »flächendeckend«<br />
mit jungenpädagogischen Ansätzen versorgt hätten. Unser Projektansatz beruht<br />
wesentlich auf Freiwilligkeit und dem Prinzip, mit der Motivation der Beteiligten zu<br />
arbeiten. Dafür bedarf es zuerst der »Offenheit« <strong>von</strong> Personen und Institutionen.<br />
Wir haben versucht Markierungen zu setzen – über Spezialprojekte, Veranstaltungen,<br />
Qualifizierung. Auf der anderen Seite haben wir in die Breite gearbeitet – über<br />
die Vermittlung <strong>von</strong> Informationen, als Servicestelle und mit einer Menge Hintergrundarbeit.<br />
Dieser regionale Ansatz auf einer mittleren Ebene zwischen Kommunen und Kreisen<br />
einerseits und der Landesebene andererseits hat sich bewährt. Auf Landesebene<br />
muss es in der Tendenz um Jungenpolitik gehen. Das schließt zunehmend die<br />
Ebene eines rein fachlichen Austauschs aus 9 . Auf der anderen Seite reicht das kleinräumige<br />
Vernetzungspotenzial unserer Erfahrung nach nicht aus, um ein eigenständiges<br />
Projekt wie das IRIS-Projekt Jungenpädagogik zu füllen und zu rechtfertigen.<br />
Räumlich gesehen gibt es eine »kritische Mindestgröße« für Vernetzung. Ein<br />
Landkreis oder eine Stadt sind insgesamt eher zu klein für die Stabilisierung eines<br />
fachpädagogischen Spezialinteresses. Dafür spricht auch, dass ein beträchtlicher<br />
Teil der Anfragen an das Projekt Jungenpädagogik – fast ein Drittel – <strong>von</strong> den<br />
»Rändern« der Projektregionen kam. Darüber hinaus gab es zahlreiche Anfragen<br />
bundesweit und aus dem deutschsprachigen Ausland. Es ist sinnvoll, der Eigendynamik<br />
<strong>von</strong> entstehenden Netzwerken zu folgen und nicht an vorher abgesteckten<br />
Grenzen abzubrechen. Daraus leiten wir auch die Notwendigkeit ab, sich über eine<br />
bundesweite und europäische Vernetzung <strong>von</strong> <strong>Jungenarbeit</strong> Gedanken zu machen 10 .<br />
Bewährt hat sich auch der Ansatz, das Projekt Jungenpädagogik nicht nur auf Jungen,<br />
<strong>Jungenarbeit</strong> und jungenpädagogische Methoden zu begrenzen, sondern auf<br />
die <strong>Entwicklung</strong> <strong>von</strong> Jugendhilfe insgesamt zu beziehen. Dafür war die Bestimmung<br />
eines breiteren Felds <strong>von</strong> »Geschlechterpädagogik« notwendig. Für die Implementierung<br />
<strong>von</strong> <strong>Jungenarbeit</strong> reicht der ausschließliche Blick auf das Jungensegment<br />
nicht aus. In der Chance der pädagogischen Konzentration auf ein<br />
homopädagogisches, sehr spezielles Setting liegt zugleich die Gefahr, die verbundenen<br />
Lebenslagen <strong>von</strong> Jungen und die Beweglichkeit der Kategorie »Geschlecht«<br />
aus den Augen zu verlieren. Also braucht es einen Blick mehr »auf’s Ganze«, auf<br />
den Querschnitt – auch wenn vom Jungensegment her gedacht und konzipiert<br />
wird. Vom »Ganzen« her betrachtet sind die Effekte des Projekts natürlich weit<br />
weniger greifbar, als im Kontext der relativ kleinen geschlechterpädagogischen Szene.<br />
Hier gilt: je größer der Bereich, je größer die Regionen, desto diffuser die Ergebnisse.<br />
Erfolge und Effekte des Projekts in Bezug auf das Gesamt der Kinder- und Jugendhilfe<br />
sind zudem in Relation zu den Ressourcen stellen, die uns zur Verfügung<br />
standen (1,25 »Stellen« + Honorarmittel) – das ist bezogen auf die Größe der beiden<br />
Projektregionen nicht gerade viel.<br />
9<br />
Das belegt u.a. die bisherige <strong>Entwicklung</strong> des Landesarbeitskreis Jungen Baden-Württemberg, der<br />
sich mit dem Austausch-Ansatz mittelfristig totgelaufen hatte.<br />
10 Diesem Zweck diente eine <strong>von</strong> uns initiierte erste Arbeitstagung »<strong>Jungenarbeit</strong> im deutschsprachigen<br />
Europa«, die am 23. und 24. November 2000 in Ulm stattgefunden hat. Die Teilnehmer kamen aus<br />
der Schweiz, aus Österreich und Deutschland. Eine Zusammenfassung <strong>von</strong> Ergebnissen kann bei IRIS<br />
Tübingen angefordert werden.<br />
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