1 So geht Jungenarbeit Geschlechtsbezogene Entwicklung von ...
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PARADIGMEN DES ERFOLGS<br />
ENTWICKLUNG BRAUCHT ZEIT – DER ZEITFAKTOR<br />
wenn sie sich quasi »geoutet« haben oder besser noch: vor diesem Schritt. Zunächst<br />
braucht es für diese Integration soziale Kristallisationspunkte, die zu einem besonderen<br />
sozialen Milieu weiterwachsen können. Hier erhalten sowohl die jungenbezogenen<br />
»Spezialprojekte«, wie auch Arbeitsgruppen und Fach-Arbeitsgemeinschaften<br />
als Foren für die Integration eine besondere Bedeutung. Dass ein solches Milieu wächst<br />
und über lediglich kurzfristige Aktionen hinaus kommt lässt sich z.B. in einer gemeinsamen<br />
Kultur (Sprache, Witze, Running-Gags, Umgangsformen), in gemeinsamen<br />
Bezügen, sozialen Netzen und einer gemeinsamen Vergangenheit feststellen.<br />
Umgekehrt <strong>geht</strong> es in der <strong>Jungenarbeit</strong> – und teilweise anders als bei der Mädchenarbeit<br />
– besonders darum, jungenbezogene Ansätze ins Allgemeine zu platzieren,<br />
also die Normalität zu öffnen und umzudeuten. Bei der Mädchenarbeit zeichnete<br />
es sich historisch ab und entwickelte es sich so, dass die »Besonderung« ein zentrales<br />
strategische Durchsetzungsmedium war: Mädchen wurden herausgehoben und<br />
herausgenommen, Mädchenthemen skandalisiert, die Mädchenarbeit setzte sich<br />
deutlich <strong>von</strong> der »allgemeinen« Jugendhilfe ab (Deduktion), es ging darum, etwas<br />
herauszubringen und hervorzuheben. Bei der <strong>Jungenarbeit</strong> dagegen scheint es erfolgversprechender<br />
zu sein, sich im Allgemeinen zu platzieren und auszubreiten<br />
(also mehr induktiv). Es <strong>geht</strong> dabei also viel mehr darum, das Geschlechterthema<br />
im Allgemeinen und Normalen »reinzubringen«. Dazu gehört es allerdings auch,<br />
die bisherigen Leistungen der Mitarbeiter in Bezug auf die Jungen zu würdigen und<br />
auch in ihren Geschlechtsbezügen anzuerkennen. Hier ist es notwendig, dem Mythos<br />
»<strong>Jungenarbeit</strong> gibt es noch gar nicht bzw. viel zu wenig« deutlich und professionell<br />
entgegen zu wirken.<br />
OB BEI DER INNERBETRIEBLICHEN FORTBILDUNG IM SPÄTZLE-SCHABEN, BEI DEN EXKURSIONEN IN<br />
MÄNNLICHE LEBENSWELTEN – VOM BAUMARKT ÜBER DIE KEGELBAHN BIS ZUM KÜNSTLERATE-<br />
LIER –, BEI DER SCHWITZHÜTTE FÜR DIE INSIDER, BEIM KONZIPIEREN EINER »MÄNNERGERECHTEN<br />
KÜCHE«, BEI EINER HOCHGEISTIGEN THEORIEDISKUSSION AM BOLLEROFEN IN EINER WERKSTATT<br />
– MIT BIER UND BROT AUF DEM TISCH – ODER BEIM RITUALE-SEMINAR FÜR JUNGENARBEITER: DAS<br />
PROJEKT BOT ANSATZPUNKTE, EIN UMFELD, ES ENTWICKELTE SOZIALE MILIEUS, WO »GUTE MÄN-<br />
NER« ZU FINDEN WAREN UND SICH AUFGEHOBEN FÜHLTEN.<br />
DIESER ANSATZ GEHT ÜBER DAS REIN FACHLICH VERMITTELBARE HINAUS. DIE IMPLEMENTIERUNG<br />
VON JUNGENARBEIT UND -PÄDAGOGIK HAT VIEL MIT STIMMUNG UND STIMMUNGEN ZU TUN –<br />
ZWISCHEN RATIONALEM UND EMOTIONALEM, VERSTAND UND SEELE, GEIST UND KÖRPER, AR-<br />
BEIT, ENTSPANNUNG, SPAß UND LUST. SO ENTSTEHEN WIRKLICH PRODUKTIVE PROZESSE. UND<br />
MANCHES VON DEM, WAS ZUNÄCHST ALS KREATIVE ERWEITERUNG UNSERER EIGENEN ARBEITS-<br />
WEISE BEGANN, WURDE ZUR JUNGENPÄDAGOGISCHEN METHODE WEITERENTWICKELT.<br />
<strong>Entwicklung</strong> braucht Zeit – der Zeitfaktor<br />
<strong>Entwicklung</strong> und Implementierung <strong>von</strong> <strong>Jungenarbeit</strong> und -pädagogik brauchen ohne<br />
Frage viel Zeit. <strong>So</strong> gesehen ist es gut, sich dafür Zeit zu nehmen und zu geben.<br />
Gerade, wenn <strong>Jungenarbeit</strong> und -pädagogik nicht kurzfristige Angelegenheiten mit<br />
Strohfeuereffekt sein sollen, ist für die <strong>Entwicklung</strong> <strong>von</strong> unten eine mittelfristige Perspektive<br />
angebracht. Im IRIS-Projekt »Jungenpädagogik« lag ein Schlüssel des Erfolgs<br />
aber auch darin, dass das Projekt zeitlich befristet angelegt wurde. Es war nicht<br />
beabsichtigt, das Projekt in eine Regelförderung zu überführen oder gar als Wirtschaftsunternehmen<br />
weiter zu betreiben. Das bedeutet: Der Erfolg eines solchen<br />
Vorhabens wird nach dem Projektende daran gemessen, in wie weit es gelungen ist,<br />
die Kompetenz ins Feld fließen zu lassen. Trotz der Kristallisations- und Dienstleistungsfunktion<br />
<strong>geht</strong> es bei der Implementierung jungenpädagogischer Ansätze nicht<br />
darum, möglichst viel an einem Punkt zu konzentrieren (also viel an sich zu ziehen),<br />
sondern interaktiv nach außen zu gehen und auch vieles nach außen zu geben: Kooperationen<br />
einzugehen, Kompetenzen gemeinsam entwickeln oder weiter zu vermitteln,<br />
Vernetzungen anzuzetteln. Die begrenzte Zeit ist dafür ein wichtiges Hilfsmittel,<br />
wenn das Interesse an einer Kontinuität der entwickelten jungenpädagogischen<br />
Ansätze besteht. Die Tendenz zur Ausbildung <strong>von</strong> unflexiblen Institutionen (gar eines<br />
jungenpädagogischen Apparates, einer verkrusteten Institution) verhindert der Faktor<br />
der begrenzten Zeit sehr wirksam. Genauso muß aber auch nicht alles ewig gehen<br />
– der Markt ist eng, andere Themen sind ebenfalls wichtig. Nicht jeder Arbeitszusammenhang,<br />
jede Arbeitsgruppe oder jede Einrichtung ist auf Dauer und immer sinnvoll.<br />
Die Möglichkeit und Erlaubnis, sich als Bezugssystem oder als Institution auch<br />
(einmal) auflösen zu dürfen befreit für die Entscheidung, all dies so lange bestehen zu<br />
lassen, solange es fruchtbar und nützlich ist.<br />
WIRD ENTWICKLUNG ALS LERNEN BEGRIFFEN, DANN KÖNNTE DIE LEKTION IM ABSCHNITT »ZEIT«<br />
HEIßEN: PFLEGE DIE KURZFRISTIGEN ERFOLGE UND SCHÖPFE AUS DER KRAFT, DIE DU AUS IHNEN<br />
ZIEHEN KANNST. DENN DU BRAUCHST EINEN LANGEN ATEM FÜR DAS GANZE. DAS GILT FÜR DIE<br />
ARBEIT MIT GROßEN INSTITUTIONEN EBENSO, WIE FÜR DIE ARBEIT MIT KLEINEN JUNGEN.<br />
NICHT ZULETZT IM KONTAKT MIT ETABLIERTEN INSTITUTIONEN UND JUGENDVERBÄNDEN KÖN-<br />
NEN ZEITLICHE GRENZEN AUCH SCHMERZLICH ERFAHREN WERDEN. MANCH HOFFNUNGSVOLLER<br />
ANFANG BLEIBT EIN ANFANG, VIELES VERSICKERT IN DEN ZAHLREICHEN SCHICHTEN, DIE GROßEN<br />
ORGANISATIONEN UND VERWALTUNGEN ZU EIGEN SIND. IMPULSE LIEFERN, VERNETZEN, VERSTÄR-<br />
KEN – DAS WIRKT AUF DIESER IMPLEMENTIERUNGSEBENE NUR DANN NACHHALTIG, WENN ES KON-<br />
TINUIERLICH UND VOR ALLEM LANGFRISTIG PASSIERT.<br />
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