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1 So geht Jungenarbeit Geschlechtsbezogene Entwicklung von ...

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TEILPROJEKTE IM IRIS-PROJEKT »JUNGENPÄDAGOGIK«<br />

JUNGENPÄDAGOGISCHE BERATUNG EINER BERATUNGSSTELLE<br />

Jungenpädagogische Beratung einer Beratungsstelle<br />

<strong>Geschlechtsbezogene</strong> Beratung <strong>von</strong> und für Jungen ist nach wie vor ein weitgehend<br />

offenes Thema. Das belegte bereits die BZgA-Jungenstudie (vgl. Winter/Neubauer<br />

1999, 334 – 341). Die »klassischen« Beratungsbereiche wie etwa Erziehungsberatung,<br />

schulpsychologische Dienste oder Pro Familia wirken – obwohl sie deutlich<br />

mehr in Bezug auf Jungenthemen und -probleme angefragt werden – oft zurückgezogen<br />

und in ihrem eigenen Milieu gefangen. <strong>So</strong> war es nicht überraschend,<br />

dass die Beratungsstellen insgesamt nur sehr vereinzelt Interesse am Projekt »Jungenpädagogik«<br />

zeigten. Gleichwohl entstand ein längerer Beratungsprozess mit<br />

Martin Zahn, einem Mitarbeiter der Psychologischen Beratungsstelle in Waiblingen,<br />

der die entsprechenden Ressourcen des Projekts registrierte und für sich nutzen<br />

konnte. Im Rahmen dieser Beratung wurde sehr gut deutlich, was Jungenberatung<br />

auch im Rahmen einer Beratungsstelle sein könnte und wie <strong>Jungenarbeit</strong> auch<br />

in einer Beratungsstelle »<strong>geht</strong>«.<br />

Das »Geheimnis« des Erfolgs lag dabei im niedrigschwelligen Ansatz. Die Kontakte<br />

zu Jungen waren in der Regel institutionell vermittelt aus anderen Beratungskontexten<br />

wie etwa Scheidungsberatung. Wichtig war dabei, dass die Gruppendefinition<br />

nicht primär über einen Problemfokus entstand – gewissermaßen stand nicht<br />

»Vorsicht: Beratung« an der Tür – sondern mehr über die status- und kompetenzorientierte<br />

Arbeit. Das Ziel der Beratung könnte mit »<strong>Entwicklung</strong>sstabilisierung«<br />

umschrieben werden (vgl. Zahn 2000). Es handelte sich um eine geschlossene,<br />

zeitlich befristete und für die Jungen freiwillige Gruppe.<br />

Merkmale der Jungengruppe waren unter anderem, dass die Gruppe regelmäßig<br />

und mit hoher Verbindlichkeit stattfand; die wöchentlich zweistündigen Treffen<br />

mußten in den Stundenplan integriert werden. Anerkennung und Respekt wurde<br />

den Jungen darüber vermittelt, dass sie jeweils selbst »gemeint« waren. Statt bei<br />

den Problemen zu verharren wurden vor allem Stärken und Größenphantasien in<br />

den Mittelpunkt gestellt, Kompetenzen und der »Expertenstatus« der Jungen ins<br />

Spiel gebracht. Auch methodisch wurde viel Abwechslung geboten: unterschiedliche<br />

Materialien, Spiele, Verkleidungsaktionen, Videoarbeit. Ein deutlich strukturiertes<br />

Angebot mit Spielen und Übungen wechselte mit offenen Phasen und offenen<br />

Zeit-Räumen, die nach den Interessen der Jungen gestaltet wurden. Im Verlauf<br />

des Beratungsprozesses haben etwa 30 zweistündige Treffen stattgefunden. Daneben<br />

gab es als erlebnisorientierte Aktionen einen Besuch im Fußballstadion und<br />

zwei Kanuwochenenden.<br />

Die Jungen(gruppen)arbeit in der Beratungsstelle hatte eine starke Ausstrahlung<br />

sowohl nach außen wie auch nach innen. Nach außen wurde durchaus registriert,<br />

»dass da einer sowas macht«. Es zeichnete sich bereits ab, dass sich aufgrund dieser<br />

Signale neue jungenbezogene Kontakte und Kooperationen anbahnten. Auch<br />

nach innen bemerkten Kolleginnen, Kollegen und Klienten bestimmte Veränderungen,<br />

weshalb Konflikte nicht ausblieben: wegen der Lautstärke der Jungen, kleineren<br />

Sachbeschädigungen, aber auch weil die Jungen etwas Besonderes bekamen<br />

und die Mädchen nicht – schöne Themen für Teambesprechungen jedenfalls.<br />

Deutlich wurde insbesondere auch, dass Jungenberatung mehr ist bzw. sein muß,<br />

als eine verdeckte Form der Sanktionierung. Wenn grenzverletzendes Verhalten als<br />

Bedürfnisäußerung der Jungen wahrgenommen werden kann, heißt Beratung: Jungen<br />

brauchen und bekommen etwas. Allerdings werden sie nicht lediglich versorgt<br />

oder bedient: Die Jungen sollen viel mehr ihre Chance bekommen, an sich zu arbeiten.<br />

Als wichtiges Prinzip gelingender Jungenberatung wurde das Gleichgewicht<br />

zwischen »die Jungen sein lassen/Themen und Interessen der Jungen aufgreifen/<br />

Lustseiten« und »Anforderungen stellen/Themen einbringen/die Jungen fordern«<br />

herausgearbeitet. Dabei stellte sich heraus, dass Beratungs-»Fehler« nicht schlimm<br />

sind, wenn sie wieder mit der Gegenseite aufgefangen wurden: Eine Überforderungssituation<br />

beim einen kann durch ein lustvolles nächstes Treffen ausgeglichen<br />

werden.<br />

Bei den Jungen entwickelten sich in der Jungengruppe vor allem die Selbstbezüge:<br />

Sie wissen jetzt mehr, wer sie sind und dass sie so sein dürfen, wie sie sind. Gleichzeitig<br />

gab es eine »organische <strong>Entwicklung</strong>« in der Lücke zwischen Realität und<br />

Idealbildern insofern, dass sich beide aufeinander zu entwickelt haben und mehr in<br />

Kontakt stehen. Bei allen Jungen wurde die Väterthematik als entscheidend für die<br />

persönliche Unsicherheit und für die demonstrativ männliche Bewältigungsformen<br />

erkannt – Coolsein als wichtige Orientierungslinie, Größenphantasien usw.<br />

Das Jungen-Gruppen-Setting war für die Jungen vor allem deshalb wichtig, weil sie<br />

hier auf unterschiedlichen <strong>Entwicklung</strong>sebenen in Beziehung zueinander treten<br />

konnten und dies – teils auch exzessiv – taten: Sich in einer »Schweinestall-Ecke«<br />

suhlen, Sauereien sagen, Sex-haben-spielen, sich übereinander wälzen, aber auch<br />

Konkurrieren, sich Befreunden, Abwertung usw. Eine themenbezogene Auseinandersetzung<br />

kam dabei nicht zu kurz. Wichtige Aspekte im Gruppenprozess waren<br />

die Themen Fremdbild – Selbstbild, Sexualität, Männlichkeit, Schwulsein, Väter,<br />

Konflikte, Rollen und Funktionen innerhalb der Gruppe (Führer und Loser), die<br />

Beziehung zum Berater bzw. Leiter der Gruppe usw.<br />

Wahrnehmbare Effekte bei den Jungen waren entsprechend eine persönlichkeitsbezogene<br />

Stärkung, die Befähigung zur Selbstbehauptung, zum »Sich in Szene setzen«<br />

und »sich ins Spiel bringen«. Ein Junge mit dem Ausgangssymptom »unspezifische<br />

Bauchschmerzen«, der deshalb ein- bis zweimal wöchentlich früher <strong>von</strong> der<br />

Schule nach Hause ging, konnte in dieser Jungengruppe etwa lernen, sich zu behaupten<br />

und nicht unterzugehen; die Symptome ließen nach. Im Beratungsprozess<br />

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