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1 So geht Jungenarbeit Geschlechtsbezogene Entwicklung von ...

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WOZU JUNGENARBEIT UND JUNGENPÄDAGOGIK?<br />

WOZU JUNGENARBEIT UND JUNGENPÄDAGOGIK?<br />

bzw. Verliererstatus in allen traditionellen Männlichkeitsvorstellungen ohnehin problematisch<br />

ist.<br />

Das Verlierersein stellt auch modernisierungsbezogen ein Risiko dar. Denn als<br />

Modernisierungsverlierer gelten geschlechtsbezogen diejenigen Jungen, die nur<br />

wenige Chancen und eine geringe Auswahl dabei haben, sich facettenreiches<br />

Junge- und Mannsein anzueignen: arme Jungen, sozial benachteiligte Jungen,<br />

oft sind es Jungen im Schnittpunkt <strong>von</strong> Marginalisierung und Migration, bei denen<br />

sich Problemlagen gewissermaßen addieren und anreichern. In der Moderne<br />

ist es notwendig, zwischen verschiedenen konkurrierenden Männlichkeitsvorstellungen<br />

zu vermitteln, sich anregen zu lassen und damit spielen zu können. Keine<br />

Vermittlungskompetenz zu haben zwingt dazu, die eigenen Möglichkeiten in Bezug<br />

aufs Junge- oder Mannsein zu reduzieren. Das bedeutet letztlich auch, die<br />

Chancen der Ausgestaltung der sozialen Geschlechtlichkeit nicht nutzen zu können<br />

und Traditionelles weiter zu zementieren.<br />

Jenseits <strong>von</strong> strukturellen Verfestigungen und tradierter Kultur bietet die Moderne<br />

in der grundsätzlichen Offenheit männlicher Lebensentwürfe ein starkes Potenzial.<br />

Die Trennung <strong>von</strong> Jungesein und Männlichkeitsvorstellungen (vgl. Winter/Neubauer<br />

1998) läßt eine große Bandbreite <strong>von</strong> »männlichem« Verhalten als legitim<br />

erscheinen. Aber auch der patriarchale Rückbezug enthält Potenziale: Wenn Patriarchat<br />

nicht ausschließlich als Herrschaftsverhältnis, sondern (auch) als (moralische)<br />

Kultur gesehen wird, können traditionelle Männlichkeitsvorstellungen durchaus<br />

Schutz und Orientierung bieten (etwa über den Begriff Ritterlichkeit oder über die<br />

Aufgabe der Verantwortung für Frauen und Kinder). Das gesellschaftliche »Verlierersein«<br />

kann dann zur Chance werden, wenn es Zugänge für Hilfe – z.B. für Jugendhilfe<br />

– öffnet.<br />

Ein gesellschaftlicher Bezug ist für die Jungenpädagogik noch in einer anderen Hinsicht<br />

<strong>von</strong> Bedeutung. Weil die Lebenslage Jungesein auch deutlich sozial-strukturell<br />

definiert ist, manövriert sich Pädagogik in Überforderung, wenn sie nicht erkennt,<br />

dass es zur Veränderung <strong>von</strong> Strukturen Politik braucht. Strukturelle Vorgaben können<br />

durch Pädagogik kaum verändert werden, noch weniger durch Pädagogik gerade<br />

mit benachteiligten Jungen. Auf diesem Hintergrund ist es absolut notwendig,<br />

dass Jungenpädagogik auch eine fachpolitische Perspektive einnimmt. Das Ziel,<br />

Lebenslagen <strong>von</strong> Jungen zu verbessern, verlangt deshalb auch notwendigerweise<br />

nach politischer Vertretung. Diese Fachpolitik setzt zunächst vor allem im politischen<br />

Nahraum, auf der Gemeinde-, Stadt- und Kreisebene an. Hier ist das Öffentlichmachen<br />

<strong>von</strong> jungenspezifischen Ressourcen, Potenzialen und Problemlagen<br />

gemeint, das sozialpolitische Eintreten für Bedarfslagen und <strong>Entwicklung</strong>sräumen<br />

<strong>von</strong> Jungen. Gebündelt kann dies insbesondere in Arbeitsgemeinschaften nach §78<br />

KJHG gelingen.<br />

Noch ein Begriff: Lebensbewältigung<br />

»Lebensbewältigung« meint den Aspekt der Handlungskonzepte und -strategien<br />

sowie Bearbeitungsversuche <strong>von</strong> Chancen und Schwierigkeiten – also Form und<br />

Kompetenz, mit der Jungen mit ihrer Situation umgehen, in ihr leben, sie gestalten.<br />

Wenn wir Geschlecht als eine Form der Lebensbewältigung bezeichnen und annehmen,<br />

dann müssen die geschlechtsbezogenen Bewältigungsformen in einer ganz<br />

spezifischen Weise auf die Lebenslage »passen«. Lebensbewältigung als die »subjektive<br />

Dimension der Lebenslage« (Böhnisch/Funk 1989, S. 59) meint das »Aufschließen<br />

der Zugänge und Möglichkeiten, die in der Lebenslage liegen« (ebd.).<br />

Jungen in ihrer Lebensbewältigung unterstützen kann deshalb heißen, die Spielräume<br />

auszuloten, die in der Lebenslage – genutzt oder nur potenziell – liegen.<br />

Dazu ist es notwendig, Auseinandersetzungsräume mit ihrem Geschlecht anzubieten,<br />

wo Aneignungs- und Bewältigungsformen gefunden und Geschlechtsidentitäten<br />

prozesshaft und dynamisch (weiter) entwickelt werden können. Jungen in ihrer<br />

Lebensbewältigung zu unterstützen bedeutet zunächst, sie auch »als Jungen« wahr<br />

zu nehmen, ohne sie darauf zu reduzieren und dabei vor allem die Unterschiede<br />

zwischen Jungen zu erkennen (»Vielfalt des Jungeseins«). <strong>Jungenarbeit</strong> und Jungenpädagogik<br />

als offener Prozeß soll (im Rahmen des sozial Möglichen) aktuelle<br />

Neukonstruktion des Jungeseins ermöglichen.<br />

Dies stellt auf der Seite der <strong>Jungenarbeit</strong>er und -pädagogen (bzw. partiell auch<br />

-pädagoginnen) Ansprüche an die Beziehung zu den Jungen: Empathie, also ein<br />

Einfühlen können in die emotionale Befindlichkeit, die Lebenssituation und die Bewältigungsversuche<br />

<strong>von</strong> Jungen; die Fähigkeit, geschlechtsbezogene Anerkennung<br />

zu geben (als soziale Begrenzung, als Spiegelung, als Fremdwahrnehmung usw.)<br />

und Resonanz zu geben auf das Jungesein (im Sinne eines »männlichen Mitschwingens«).<br />

Vom pädagogischern Ansatz und der pädagogischen Zielsetzung her kann<br />

Unterstützung in Lebensbewältigungsprozessen heißen, die geschlechtsbezogenen<br />

Aneignungskompetenzen der Jungen wahrzunehmen und zu stärken (Selbstsozialisation,<br />

Bewältigungskompetenzen); gleichzeitig <strong>geht</strong> es um eine Erweiterung geschlechtsbezogener<br />

Handlungskompetenz. Möglichkeiten dazu gibt es sowohl alltäglich,<br />

quasi als Arbeit in der »passenden Situation«, im richtigen Augenblick<br />

(Kairos), wie im gezielten Schaffen <strong>von</strong> Situationen, Anregungsräumen und Milieus<br />

für ein balanciertes Jungesein (vgl. Winter/Neubauer 2001).<br />

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