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1 So geht Jungenarbeit Geschlechtsbezogene Entwicklung von ...

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STANDORTBESTIMMUNGEN<br />

ZUM VERHÄLTNIS VON JUNGENARBEIT UND EINEM DISKURS ÜBER »MÄNNLICHKEIT«<br />

»Mädchen« einen Zeitraum, der sich zwischen Kindheit und Erwachsenenalter ausspannt.<br />

Jungen als Zielgruppe <strong>von</strong> <strong>Jungenarbeit</strong> und Jungenpädagogik sind damit<br />

auch Kids und männliche Jugendliche bis hin zum Übergang ins Erwachsenenalter<br />

als junge Männer.<br />

Zum Verhältnis <strong>von</strong> <strong>Jungenarbeit</strong> und einem Diskurs über »Männlichkeit«<br />

Ausgangspunkt für <strong>Jungenarbeit</strong> und Jungenpädagogik nach § 9.3 KJHG sind die<br />

Lebenslagen <strong>von</strong> Jungen. Der Forschungsstand unter einer dezidiert geschlechtsbezogenen<br />

Perspektive ist allerdings dünn (vgl. Winter/Neubauer 1999, S. 20ff)<br />

und damit auch die theoretische Basis für ein Projekt der Implementierung <strong>von</strong><br />

<strong>Jungenarbeit</strong>. Fundierte Erhebungen zu Lebenslagen <strong>von</strong> Jungen gibt es kaum,<br />

Fragen der männlichen <strong>So</strong>zialisation und des Mannwerdens im Jungenalter werden<br />

deshalb über weite Strecken eher spekulativ verhandelt. Aus diesem Grund stützen<br />

sich viele Ansätze der <strong>Jungenarbeit</strong> auf Theorien über »Männlichkeit«, die zur Begründung<br />

pädagogischer Interventionen adaptiert werden. Dabei entsteht ein doppeltes<br />

Problem: Gelebtes Jungesein und »Männlichkeit« sind etwas anderes; und<br />

dabei muß nochmals zwischen Mannwerden und Mannsein unterschieden werden.<br />

Auf diesem Hintergrund wirkt vieles, was über Jungen zu lesen und/oder zu<br />

hören ist, wie eine Rückprojektion der gesellschaftlichen Erfahrungen mit bereits<br />

erwachsenen Männern auf Jungen als erst noch werdende Männer.<br />

Theorien über »Männlichkeit« – etwa die Konzepte »Patriarchat«, »hegemoniale<br />

Männlichkeit«, »Sexismus« – bewegen sich weitgehend auf einer gesellschaftlichstrukturellen<br />

Ebene. Pädagogik hat eine im Vergleich zunächst eher individualisierende<br />

Perspektive. Im Sinn deduktiver Ableitungen wird deshalb immer wieder versucht,<br />

die entsprechenden gesellschaftlichen Strukturen in Lebenszusammenhängen<br />

oder in Einzelbiographien zu identifizieren. Dass dieser etwas schlichte Wechsel der<br />

Ebenen zum einen das theoretische Modell überfordert und zum anderen in der<br />

Gefahr steht, falsche Optionen zu produzieren – nämlich fast ausschließlich individuelle<br />

statt auch politische – liegt auf der Hand. Zumindest erscheint etwas größere<br />

<strong>So</strong>rgfalt im Prozeß der fachlichen Vermittlung zwischen den beiden Ebenen angezeigt.<br />

Deutlich wird dies etwa bei den vielfältigen Erwartungen an heutige Jungen,<br />

die <strong>von</strong> Erwachsenen oft in Form negativer, abwertender Zuschreibungen präsentiert<br />

werden. Gelingende Seiten können dagegen kaum wahrgenommen werden,<br />

so dass das Jungesein »insgesamt«als Problem erscheint.<br />

Beim »Durchmarsch«<strong>von</strong> Theorien über Männlichkeit und entsprechende Strukturen<br />

zur Kritik am Jungesein und zu »den« Jungen wird auch übersehen, dass die<br />

Jungen, die bislang in Jugendarbeit oder <strong>Jungenarbeit</strong> auftauchen oder Jugendhilfe<br />

frequentieren, eine spezielle Auswahl darstellen. Abgesehen da<strong>von</strong>, dass sich selbst<br />

diese Auswahl sehr heterogen zusammensetzt, ist nicht einsehbar, warum <strong>Jungenarbeit</strong><br />

gleichsam als Diskriminierung (im Wortsinn: Ausscheidung, Herabsetzung)<br />

begründet werden muss.<br />

Dazu kommt, dass zu schnell Generationsgrenzen übersprungen werden. Jungen<br />

sind noch keine Männer. Sie sind zunächst auch noch nicht für all das verantwortlich<br />

oder gar haftbar, was ältere Männer vor ihnen angerichtet haben. Auch kann in<br />

ihnen als Angehörigen einer kommenden Männergeneration nicht vor allem die<br />

Möglichkeit dazu gesehen werden, das Problem »Männlichkeit« in den Griff zu<br />

bekommen und besser zu bewältigen. Natürlich brauchen Jungen die Möglichkeit<br />

zur Auseinandersetzung mit reduzierten, traditionellen und ideologischen Bildern<br />

<strong>von</strong> »Männlichkeit«. Das kann umso besser gelingen, je mehr in Bezug auf ihr<br />

Verhalten diagnostische Vorsicht Vorrang gegenüber Identifikationen des angeblich<br />

typisch Männlichen erhält. Das Augenmerk kann dann mehr auf Vielfalt und<br />

Bandbreite des Jungeseins gelegt werden. Auf der Verhaltensebene wird deutlich,<br />

dass individuelle Ausprägungen an je verschiedener Stelle gleichermaßen Gelingendes,<br />

Brüchiges oder Problematisches hinsichtlich der Aufgabe eines modernisierten<br />

Mannseins beinhalten.<br />

Es wird deutlich, dass die bisherigen Leittheorien nur bedingt für eine Fundierung<br />

geschlechtsbezogener Arbeit mit Jungen taugen. In ihren Ableitungen werden vor<br />

allem reduzierte und defizitäre Bilder über das Jungesein produziert, die zwar in<br />

ihrer jeweiligen Absicht verständlich, aber für die Arbeit mit Jungen zu einseitig und<br />

im gewissen Sinn kontraproduktiv sind. Um zur Stabilisierung <strong>von</strong> Jungen und zur<br />

Unterstützung ihres Mannwerdens beitragen zu können, braucht <strong>Jungenarbeit</strong> nicht<br />

zuletzt eine Option darauf, dass sie für Jungen ein Gewinn ist. Ein vorrangiger<br />

Ansatz ist deshalb Abgleich und Erweiterung <strong>von</strong> Kompetenzen. Aus der Perspektive<br />

des Mangels und der Defekte wird die der Vielfalt und des Gelingenden.<br />

Ein auch im Projektzusammenhang immer wieder geäußertes Missverständnis liegt<br />

allerdings in dem Vorwurf, diese Sichtweise würde ja »immer nur das Positive«<br />

sehen und Kritik an Jungen, an Männern, am Jungesein oder an Männlichkeitsvorstellungen<br />

außer acht lassen, ja sogar regelrecht unterschlagen. Das kann selbstverständlich<br />

weder Ziel noch Zugang zu <strong>Jungenarbeit</strong> und -pädagogik sein. Ohne<br />

Zweifel kann und muß kritisches Jungenverhalten wahrgenommen und benannt<br />

werden, traditionelle Vorstellungen <strong>von</strong> Männlichkeit müssen unbedingt reflektiert,<br />

bisweilen kritisiert, manchmal aber auch anerkannt werden. Und strukturelle<br />

Ungleichheit muß sowieso beseitigt werden, keine Frage. Nur: Was kann hierbei<br />

Pädagogik leisten? Um Strukturelles zu verändern, braucht es zuerst strukturelle<br />

Veränderungen, Pädagogik kann hier allenfalls unterstützen. <strong>So</strong>ziale Geschlechtervorstellungen<br />

entstehen und vergehen und kümmern sich vermutlich um Pädago-<br />

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