Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses ... - VCD
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Lan<strong>des</strong>verband NRW<br />
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<strong>Stellungnahme</strong> <strong>zur</strong> <strong>öffentlichen</strong> <strong>Anhörung</strong> <strong>des</strong> <strong>Ausschusses</strong> für Bauen und<br />
Verkehr zum Thema Sozialticket am 21. April 2009<br />
4/09<br />
In welchem Umfang sind Menschen, die auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind, oder nur ein geringes Einkommen<br />
haben, heute in der Lage, ihre Mobilitätsbedürfnisse mit dem ÖPNV zu befriedigen?<br />
Kann allein über eine Anpassung der Regelsätze garantiert werden, dass deisen Menschen ein Min<strong>des</strong>tmaß an Mobilität<br />
ermöglicht wird?<br />
Wie schätzen Sie die Notwendigkeit der Einführung von Sozialtickets ein?<br />
Der Blick auf die soziale Situation in Deutschland zeigt eine massive Polarisierung:<br />
• insgesamt nur leichter Anstieg der realen Nettoeinkommen privater Haushalte seit Anfang der<br />
90er Jahre, zum Teil rückläufig, verschärft seit 2000, selbst im Aufschwung<br />
• "Ausfransen" der mittleren Einkommensgruppen (70-150 % <strong>des</strong> Medianeinkommens) zugunsten<br />
der oberen und unteren<br />
• Ausweitung <strong>des</strong> Niedriglohnsektors auf über 20 %, darunter knapp 2 Mio Beschäftigte mit Brutto-<br />
Stundenlöhnen bis 5 EUR<br />
• Anstieg der Armutsquote (unter 60 % <strong>des</strong> Medianeinkommens) von 13 % (1991) auf 16,5 %<br />
(2007).<br />
Diese Entwicklung wird durch staatliche Transfers zwar noch gemildert, anders als früher aber nicht<br />
mehr korrigiert.
Demgegenüber steht im Bereich Mobilität eine völlig gegenläufige Entwicklung:<br />
So gelang es Anfang der 90er Jahre etwa im VRR, mit preislich günstigen Umweltkarten nach<br />
Schweizer und Freiburger Vorbild (Ticket 2000) und in der Folge verbesserten Leistungsangeboten<br />
einen Nachfrageschub für den ÖPNV auszulösen. Aufgrund zunehmender finanziellen Zwänge und der<br />
Vorgabe, das entstandende Defizit immer mehr zu verringern, wurden aber seit 2001 deutliche<br />
Preiserhöhungen jenseits der Inflationsrate vorgenommen: So stiegen die Verbraucherpreise in NRW<br />
von 2000-2008 um 14,4 %, der VRR-Tarif im Durchschnitt aber um 43,6 %.<br />
Da auch die Autokosten stiegen, konnte dennoch die Zahl der Abonnennten weiter gesteigert werden,<br />
von einem günstigen Nahverkehr kann jedoch für viele Menschen angesichts der oben dargestellten<br />
Entwicklungen bei den verfügbaren Einkommen selbst im VRR keine Rede mehr sein - vom Preisniveau<br />
in den anderen Kooperationsräumen ganz zu schweigen.<br />
So beträgt der Regelsatz für SGB II ("Hartz IV")-Empfänger derzeit 351 EUR. Allein die Monatskarte<br />
für den Bereich Köln-Düsseldorf schlägt mit 204,50 EUR zu Buche (im Abo noch 176,40 EUR). Selbst<br />
das günstigste 9 Uhr-Ticket im VRR kostet im Abo rund 35 EUR monatlich und damit mehr als<br />
doppelt so viel wie die rund 14 EUR, die laut statistischer Grundlage bei der Berechnung der Regelsätze<br />
für diesen Bereich vorgesehen sind.<br />
Vor diesem Hintergrund leuchtet die Forderung nach einem vergünstigten Ticket-Angebot für<br />
Menschen mit geringem Einkommen unmittelbar ein und wird vom <strong>VCD</strong> NRW unterstützt.<br />
Der <strong>VCD</strong> NRW teilt die Ansicht, dass hier der Bund gefordert ist, dem durch eine entsprechende<br />
Erhöhung der Regelsätze begegnen. Die Frage ist aber, was geschieht, wenn dies auf absehbare Zeit<br />
nicht geschieht: Warten und nichts tun mit dem Verweis auf die anderen, die doch zuständig seien?<br />
Das ist der derzeitige Zustand: ein trauriges Ping-Pong-Spiel, wo der Ball zwischen Kommunen, Land<br />
und Bund hin und her gespielt wird - mit dem Ergebnis, dass in einigen wenigen Kommunen und<br />
Kreisen in NRW ein Angebot geschaffen wurde (Köln, Dortmund, Unna), in den anderen jedoch nicht.<br />
Aus Sicht <strong>des</strong> <strong>VCD</strong> NRW sollte die Lan<strong>des</strong>regierung hier nicht länger tatenlos zusehen und finanziell<br />
aktiv werden.<br />
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Welche unterschiedlichen Sozialticket-Modelle kennen Sie und wie schätzen Sie diese ein?<br />
Die Antrag stellenden Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gehen von einer Berechtigtenzahl von 1,9 bis 2,0<br />
Millionen Menschen in Nordrhein-Westfalen für ein Sozailticket aus. Für die Jahre 2009 und 2010 beziffert die Fraktion von<br />
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die für eine Einführung eines Sozialtickets anfallenden Kosten auf ca. 65 Millionen Euro zusätzlich,<br />
für die das Land aufkommen soll. Wie ist diese Kostenschätzung vor dem Hintergrund laufender Versuche <strong>zur</strong> Einführung<br />
sogenannter Sozialtickets oder vergleichbarer bzw. ähnlicher Leistungsangebote, wie sie im Antrag gefordert werden,<br />
einzuschätzen?<br />
Der <strong>VCD</strong> NRW spricht sich dafür aus, reguläre Monatstickets für einen sozialpolitisch zu definierenden<br />
Personenkreis gegen einen finanziellen Ausgleich an das jeweilige Verkehrsunternehmen vergünstigt<br />
anzubieten, wie es bei den derzeitigen Modellen auch gemacht wird, sei es über einen Pass wie in<br />
Köln oder direkt wie in Unna und Dortmund. (In Köln werden darüber hinaus 4er-Tickets vergünstigt<br />
angeboten.)<br />
Der aufzuwende Betrag hängt dann neben dem Ausmaß der Inanspruchnahme sehr stark von der<br />
zugrunde gelegten Berechnung ab: So zeigte sich nach Darstellung <strong>des</strong> VRS in Köln aufgrund einer<br />
Marktforschung, dass der rechnerische Fehlbetrag von 34,30 EUR auf 4,10 EUR pro Ticket verringert<br />
werden konnte, also etwa um den Faktor 8. Dies war offenbar möglich, in dem man Abwanderungen<br />
aus dem Regeltarif Erkenntnisse über vermindertes Schwarzfahren und Mehrverkehr gegenüber stellte,<br />
zudem ist der Preis mit 28 EUR entsprechend hoch. Die Stadt Köln nennt als Ausgleichsbetrag an die<br />
KVB: 4,8 Mio EUR (2007), 2,8 Mio EUR (2008), 1,2 Mio EUR (2009). Der VRS weist allerdings<br />
darauf hin, dass die Bedingungen auf andere Regionen <strong>des</strong> VRS nicht übertragbar seien und der Ausgleichsbetrag<br />
entsprechend höher ausfallen müsste. Das zeigt auch die Grenzen <strong>des</strong> Modells auf, da<br />
bereits beim Preis von 28 EUR bei 175 000 Köln-Pass-Berechtigten nur 11 000 ein vergünstigtes<br />
Monatsticket in Anspruch nahmen.<br />
Eine ähnliche Rechnung ist nach Darstellung <strong>des</strong> VRR dort nicht möglich. In Dortmund wird demnach<br />
das Ticket 1000 im Abonnement zugrunde gelegt, und die Stadt übernimmt den Differenzbetrag<br />
zwischen dem Ticket 1000-Preis mit Großkundenrabatt und dem Ausgabepreis von 15 Euro. Der Ausgleichsbetrag<br />
betrug 2008 4,9 Mio EUR, die Forderung der Stadtwerke für 2009 beläuft sich auf 7<br />
Mio EUR.<br />
Dies macht deutlich, dass bei Zugrundelegung <strong>des</strong> VRR-Modells man lan<strong>des</strong>weit sehr schnell auf hohe<br />
Millionenbeträge kommt - was aber aus Sicht <strong>des</strong> <strong>VCD</strong> NRW nicht gegen ein finanzielles Engagement<br />
in diesem Bereich spricht:<br />
• Bereits im Zusammenhang mit der Diskussion um die Kürzung der Regionalisierungsmittel wurde<br />
darauf hingewiesen, dass die Lan<strong>des</strong>regierung einen Teil der erhöhten Mehrwertsteuereinnahmen<br />
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für einen Ausgleich verwenden könnte, um wenigstens das bestehende Angebot zu sichern. Die<br />
Ablehnung dieses Engagements durch die derzeitige Lan<strong>des</strong>regierung hatte <strong>zur</strong> Folge, dass das<br />
unter Rot-Grün erreichte Niveau von über 100 Mio Zugkm im regionalen Schienenverkehr in<br />
NRW wieder abbröckelte und steigenden Preisen für die Fahrgäste jetzt auch noch ein sich verschlechtern<strong>des</strong><br />
Angebot gegenüber steht. Hier sieht der <strong>VCD</strong> NRW angesichts von Mehreinnahmen<br />
von über einer Milliarde EUR weiterhin Handlungsbedarf und Spielraum auch für ein<br />
Sozialticket.<br />
• Aus Sicht <strong>des</strong> <strong>VCD</strong> NRW ist es durchaus denkbar, dass die Lan<strong>des</strong>regierung einen zu definierenden<br />
Betrag zugunsten einer - ggf. auch teilweisen - Finanzierung von Sozialtickets in die Hand<br />
nimmt und diesen dann entsprechend deckelt. Allerdings ist angesichts von Milliarden für Auto-<br />
Abwrackprämien, Stabilisierung von angeblich "systemrelevanten" Unternehmen etc. der Öffentlichkeit<br />
immer weniger vermittelbar, warum gerade der Bereich klima- und sozialverträgliche<br />
Mobilität in dem Maße zu kurz kommen soll wie es derzeit geschieht.<br />
Eckpunkte für Sozialtickets:<br />
- vor allem Monats-/Abo-Tickets (persönlich, ohne Tageszeitbeschränkung)<br />
- gültig für den Heimatort<br />
- Differenz zum Normalticket wird dem Verkehrsunternehmen erstattet (abzüglich betriebswirtschaftlich<br />
begründbarer Rabatte durch Einsparung von Vertriebsaufwand und durch Zusatzeinnahmen)<br />
- Ausfallrisiko der Einnahmen beim Veranlasser<br />
- Finanzierung durch das Land, analog <strong>zur</strong> Schülerbeförderung<br />
- keine Verrechnung mit anderen ÖPNV-Fördermitteln.<br />
Ist durch die Einführung von Sozialtickets oder vergleichbaren Ticketangeboten für den ÖPNV/SPNV mit einem erhöhten<br />
Verwaltungsaufwand zu rechnen?<br />
Welche Zusatzkosten fallen für Sozailtickets an?<br />
Wer sollte die Zusatzkosten für Sozialtickets tragen?<br />
Insgesamt dürfte der Verwaltungsaufwand aufgrund erschwerten Ticket-Handlings infolge Zahlungsausfällen<br />
etc. steigen; im VRR-Modell mit Großkundenrabatt wurde die Abwicklung dabei vom Verkehrsunternehmen<br />
auf den Träger abgeladen. Der <strong>VCD</strong> NRW hält dies allerdings für zumutbar.<br />
Ist zu erwarten, dass mit der Einführung von Sozialtickets Mehrerlöse erzeilt werden können, die geeignet sind, die<br />
erforderlichen Mehrkosten, die durch die Einführung von Sozialtickets oder vergleichbaren Ticketangeboten für den<br />
ÖPNV/SPNV verbunden sind, teilweise zu kompensieren?<br />
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Dies gilt insbesondere dann, wenn die Abwanderung aus dem Regeltarif eher gering ausfällt und es<br />
keine Sprungkosten für die Verkehrsunternehmen durch Angebotsverbesserungen gibt. Letztere allein<br />
durch Sozialtickets zu erwarten, hält der <strong>VCD</strong> NRW aber auch nicht für realistisch und insofern für<br />
kein Gegenargument. Insgesamt sollte die Kalkulation Kosten steigernde und Kosten senkende<br />
Faktoren berücksichtigen.<br />
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