Sommer 2011 - Stadtgemeinschaft Tilsit eV - Ostpreußen
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Während der Arbeitszeit erhielten alle<br />
täglich ein warmes Essen. Darüber<br />
waren wir sehr froh.<br />
Ein paar Tage später, nachdem die<br />
Arbeit in der Kaserne beendet war,<br />
wurden alle Lagerinsassen durch<br />
Lautsprecher aufgefordert, sich auf<br />
dem Platz in der Mitte des Lagers zu<br />
versammeln. Wir standen eine Weile<br />
verängstigt herum. Plötzlich wurde<br />
eine lange Kolonne gefangener deutscher<br />
SS-Soldaten, schwer bewacht,<br />
schweigend quer durch das Lager an<br />
uns vorbeigeführt. Auch hatten wir<br />
vorher Sprechverbot erhalten. Man<br />
wollte wohl die Deutschen Männer<br />
und Frauen demoralisieren. Danach<br />
durften wir wieder gehen.<br />
Die Dänen gaben mehrmals zu verstehen,<br />
dass sie die Engländer nicht<br />
mochten. Wenn diese in den Läden<br />
einkauften, bezahlten sie nicht. Da<br />
waren ihnen die Deutschen lieber<br />
gewesen. Die gefangenen deutschen<br />
Soldaten lagen ca. 14 Tage außerhalb<br />
unseres Lagers, streng bewacht,<br />
in der Nähe im Wald. Mit dem<br />
Wetter hatten sie großes Glück. Sie<br />
waren ohne jeglichen Schutz, ohne<br />
Zelte, im Freien dem Wetter ausgesetzt.<br />
Es hatte die ganze Zeit nicht<br />
geregnet, der Mai war schon sehr<br />
warm.<br />
Der Günter war clever. Er buddelte<br />
sich am Ende des Lagers ein Loch<br />
unter dem Zaun hindurch und ging<br />
heimlich zu den Soldaten. Diese baten<br />
ihn, Trinkwasser zu holen. Er<br />
sammelte am Strand für sie immer<br />
Miesmuscheln. Die wurden von den<br />
Soldaten gekocht und gegessen.<br />
Das Trinkwasser musste er heimlich<br />
bei einem Fischer am Belt holen. Es<br />
wäre im Lager durch die Wachposten<br />
für ihn zu gefährlich gewesen, Wasser<br />
zu transportieren. Bevor die Soldaten<br />
abzogen, schenkten sie dem<br />
Günter ihre letzten dänischen Kronen,<br />
denn sie wurden nach England verfrachtet.<br />
Das Geld gab er sofort der<br />
Mutti, damit sie es gut versteckte.<br />
Ein paar Tage später, die meisten<br />
von uns lagen in der Sonne auf der<br />
Wiese und warteten auf den Mittagsgong.<br />
Auf einmal hörten wir von weitem<br />
ein großes Gekreische und Palaver.<br />
Uns kamen junge Däninnen mit<br />
glatt rasierten Köpfen entgegen gelaufen.<br />
Sie baten um Hilfe und wollten<br />
versteckt werden. Hinter ihnen<br />
her liefen dänische Zivilisten mit Stöcken,<br />
um sie zu verprügeln. Sie<br />
stürmten unser Lager und drangen<br />
zum Teil auch in unsere Unterkünfte<br />
ein. Meine Mutter war im Zimmer, als<br />
plötzlich ein junges Mädchen hereinstürmte<br />
und so schnell wie ein Wiesel<br />
unter dem Bettgestell verschwand.<br />
Sie weinte und jammerte vor Angst.<br />
Sie musste die Dunkelheit abwarten,<br />
denn durch den Lautsprecher wurden<br />
wir gewarnt, niemanden zu verstecken.<br />
Dann brachte Günter sie<br />
durch sein Schlupfloch nach draußen.<br />
Was aus ihr wurde, erfuhren wir<br />
nicht. Es waren Mädchen, die Liebesverhältnisse<br />
mit deutschen SS-<br />
Soldaten gehabt hatten, die in<br />
Middelfart stationiert waren. Die Dänen<br />
hatten auf sie einen großen Hass<br />
und beschimpften sie mit den übelsten<br />
Wörtern.<br />
Es gab im Lager auch viele reiche<br />
Gutsbesitzer, Grafen und Barone.<br />
Zwischen den Aufregungen und Vorkommnissen<br />
gab es auch Ruhephasen.<br />
Eine etwa 50-jährige Frau, die<br />
wir Kinder Tante Anna nannten, betreute<br />
uns. Sie war einfach und<br />
schlicht und hatte ein großes Herz.<br />
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