Leseprobe - Hogrefe
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10<br />
Kapitel 1<br />
elektrisch, magnetisch, durch Apparate, Strahlen<br />
oder andere physikalische Vorgänge beeinflusst<br />
oder verändert. Das Kriterium des „Gemachten“,<br />
die Zurückführung auf äußere Einflüsse muss<br />
dabei erfüllt sein. Ansonsten ist eher an das Vorliegen<br />
von Zoenästhesien (abnorme Leibgefühle<br />
von seltsamem, bizarrem Charakter) zu denken.<br />
Geruchs- und Geschmackshalluzinationen kommen<br />
bei schizophren Erkrankten relativ selten vor.<br />
Wahn:<br />
– Falsche Überzeugung, die auf nicht korrekten<br />
gedanklichen Prozessen über die äußere<br />
Realität basiert. Diese wird auch fest aufrechterhalten,<br />
wenn eine unbestreitbar und<br />
offensichtlich objektive Evidenz das Gegenteil<br />
belegt. Die Überzeugung wird nicht<br />
von anderen Mitgliedern des Kulturkreises<br />
oder einer Subkultur geteilt, ist also z. B.<br />
nicht Ausdruck einer religiösen Überzeugung.<br />
– Wahn tritt bei mehr als 90 % der schizophren<br />
Erkrankten im Verlaufe ihrer Erkrankung<br />
auf.<br />
Unterschieden wird meist zwischen Wahngedanken<br />
und -wahrnehmungen, wobei es sich bei letzteren<br />
um die wahnhafte Interpretation realer<br />
Wahrnehmungen handelt. Ein Beispiel für eine<br />
Wahnwahrnehmung von Conrad (1992) ist, wenn<br />
der Patient Tropfen sieht, die sich am Käse gebildet<br />
haben, und er dann denkt, dies sei so gemacht,<br />
um ihm zu verstehen zu geben, er müsse<br />
schwitzen, d. h. sich mehr einsetzen und besser<br />
bewähren. Wahngedanken und -wahrnehmungen<br />
können mehr oder weniger stark durch Begründungen<br />
miteinander verbunden sein (systematisierter<br />
Wahn). Wahninhalte können verschiedene Themen<br />
umfassen. Am häufigsten anzutreffen sind Themen<br />
der Beeinträchtigung durch Verfolgung oder Vergiftung,<br />
hypochondrische Befürchtungen (insbesondere<br />
der bevorstehende eigene Tod) sowie Größenideen<br />
in Form von besonderen Fähigkeiten,<br />
politischer oder religiöser Berufung.<br />
1.2 Epidemiologie und Verlauf<br />
Über schizophrene Erkrankungen herrschen in der<br />
Allgemeinbevölkerung viele Vorurteile, die bereits<br />
in der langen Prodromalphase der Erkrankung von<br />
in der Regel 3 bis 5 Jahren, (vgl. Haefner, an der<br />
Heiden, Löffler, Maurer & Hamprecht, 1998) dazu<br />
führen, dass Betroffene und Angehörige zu spät<br />
professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Häufige<br />
Vorurteile sind, dass es sich um eine sehr seltene<br />
Erkrankung handelt, dass sie immer mit einer Gefährlichkeit<br />
einhergeht, die etwa dem Klischee des<br />
Dr. Jekyll und Mr. Hyde folgt („gespaltene Persönlichkeit“),<br />
und dass sie zu einer lebenslangen<br />
Lebensuntüchtigkeit führt. Epidemiologische<br />
Daten über den Verlauf der Erkrankung und deren<br />
Auftrittshäufigkeit machen klar, dass die Erkrankung<br />
durchaus nicht selten ist. Etwa 1 % der<br />
Bevölkerung, d. h. z. B. in Deutschland etwa<br />
800.000 Menschen, sind mindestens einmal in<br />
ihrem Leben von einer schizophrenen Episode<br />
betroffen. Das entspricht etwa der Einwohnerzahl<br />
einer Stadt wie Köln und der Häufigkeit des Auftretens<br />
einer Zuckererkrankung. Hinsichtlich der<br />
Gefährlichkeit ist zu sagen, dass keine erhöhte<br />
Auftretenshäufigkeit für Gewalttaten besteht,<br />
außer in den akuten Phasen der Erkrankung und<br />
unter Einfluss von Alkohol. Auch hinsichtlich der<br />
Lebensuntüchtigkeit muss man korrigierend feststellen,<br />
dass nur etwa 10 % der Erkrankten nicht<br />
dauerhaft außerhalb von Kliniken leben können.<br />
Und an die Stelle der Vorstellung von der gespaltenen<br />
Persönlichkeit tritt das Vulnerabilitäts-<br />
Stress-Kompetenz-Modell als heuristisches Ätiologiekonzept<br />
(s. u.). Die Punktprävalenz der<br />
Erkrankung beträgt 0,06 bis 0,83 % was in einem<br />
Land von der Bevölkerungszahl der Bundesrepublik<br />
Deutschland etwa 48.000 bis 665.000 akut<br />
erkrankten Patienten entspricht.<br />
Die Neuerkrankungsrate zeigt in epidemiologischen<br />
Studien eine weite Spanne z. B. von 0,7 bis<br />
1,4 neue Erkrankungsfälle pro Jahr auf 10.000<br />
Einwohner, was bei einer Bevölkerungsgröße wie<br />
in Deutschland 5.600 bis 12.000 Neuerkrankungen<br />
pro Jahr entspricht (Jablensky et al., 1992).<br />
Männer und Frauen sind von der Erkrankung<br />
nahezu gleich häufig betroffen. Das Ersterkrankungsalter<br />
unterscheidet sich jedoch je nach<br />
Geschlecht: Während die Männer zwischen dem<br />
15. und 35. Lebensjahr, also im Mittel um das<br />
30. Lebensjahr erkranken, sind Frauen zwischen<br />
dem 25. und 37. Lebensjahr, im Mittel um das<br />
36. Lebensjahr von der Krankheit erstmalig betroffen<br />
(Haefner et al., 1998). Die Langzeitverläufe<br />
schizophrener Erkrankungen sind sehr unterschiedlich.<br />
So hat die International Study of<br />
Schizophrenia (ISoS) der WHO (Moscarelli,