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Alle Roten Pfeile kamen aus Osten – zu Recht? - ETH Zürich

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54 <strong>Alle</strong> <strong>Roten</strong> <strong>Pfeile</strong> <strong>kamen</strong> <strong>aus</strong> <strong>Osten</strong> <strong>–</strong> <strong>zu</strong> <strong>Recht</strong>?<br />

eine eigene Wertung vornehmen, doch vorerst wollen wir <strong>zu</strong>r<br />

Kenntnis nehmen, was überhaupt in diesem Plan steht.<br />

Das Dokument ist handgeschrieben, in russischer Sprache<br />

verfasst und trägt das Visum von Staatspräsident Antonin<br />

Novotný, welcher am 14. Oktober 1964 diese Planung abgesegnet<br />

hat.<br />

Die Feindannahme <strong>–</strong> auf die Betroffenheit der Tschechoslowakei<br />

hinuntergebrochen <strong>–</strong> entspricht weitgehend der östlichen<br />

Doktrin und lässt sich so <strong>zu</strong>sammenfassen:<br />

− Die NATO will mit dem Führen überraschender Nuklearschläge<br />

auf die wichtigen politischen und wirtschaftlichen<br />

Zentren unseres Landes die Staatsführung desorganisieren<br />

und die Mobilisierung der Streitkräfte verhindern;<br />

− Mit Schlägen auf unsere Truppen, Flughäfen, Kommunikationsknoten<br />

und Versorgungsbasen die Streitkräftekorrelation<br />

gründlich stören;<br />

− mit gleichzeitigen Angriffen der Landstreitkräfte die Grenztruppen<br />

der tschechoslowakischen Volksarmee vernichten<br />

und, den Angriff weiter entwickelnd, die Hauptgruppierung<br />

unserer Truppen in West- und Mittelböhmen zerschlagen.<br />

− mit Nuklearschlägen auf Objekte in der Tiefe und durch<br />

das Absetzen von Luftlandetruppen operativer Bedeutung<br />

<strong>–</strong> beispielsweise ins Riesengebirge und ins Hinterland <strong>–</strong><br />

einen Aufmarsch strategischer Reserven des Warschauer<br />

Vertrages verhindern und die Vor<strong>aus</strong>set<strong>zu</strong>ngen für einen<br />

erfolgreichen Abschluss der gesamten Operation schaffen.<br />

Dar<strong>aus</strong> wurde gefolgert, dass, <strong>aus</strong>gehend von dieser operativen<br />

Absicht des Gegners, die Kampftätigkeiten der Armeen<br />

in der Anfangsphase des Krieges den Charakter von Begegnungsgefechten<br />

im Grenzraum tragen würden. Mit der Möglichkeit,<br />

den Krieg ohne Anwendung der Kernwaffen <strong>zu</strong> beginnen,<br />

wurde nicht gerechnet.<br />

Die Vorbereitung einer Gegenoffensive durch die CVA, verstärkt<br />

durch eine sowjetische Luftarmee und eine sowjetische<br />

Division <strong>aus</strong> Ungarn <strong>–</strong> die Letztere nur im Fall, dass<br />

Österreich neutral bliebe <strong>–</strong> ging davon <strong>aus</strong>, dass einerseits<br />

eine starke erste Staffel in permanenter Einsatzbereitschaft<br />

verfügbar sei und andererseits für die weitere Entwicklung<br />

der Offensive Reserven nach einer schnellen Mobilisierung<br />

innerhalb kürzester Fristen in die Abschnitte der Kampftätigkeiten<br />

verschoben werden könnten.<br />

Mit dem Befehl <strong>zu</strong>m Gegenangriff des Oberkommandierenden<br />

der Vereinten Streitkräfte bei Kriegsbeginn erhielt die<br />

tschechoslowakische Front folgenden Grundauftrag: Den<br />

Hauptschlag in Richtung Nürnberg<strong>–</strong>Stuttgart<strong>–</strong>Strassburg<strong>–</strong><br />

Epinal<strong>–</strong>Dijon führen, mit einem Teil der Kräfte in Richtung<br />

Straubing<strong>–</strong>München. Dieses operative Ziel sei in folgenden<br />

Phasen <strong>zu</strong> erreichen:<br />

− Bereit sein, unmittelbar nach einem eigenen strategischoperativen<br />

Nuklearschlag <strong>zu</strong>m Angriff in Richtung Nürnberg,<br />

Stuttgart und mit einem Teil der Kräfte nach München<br />

über<strong>zu</strong>gehen. Die eigenen taktischen Nuklearschläge<br />

auf die gegnerischen Truppen bis <strong>zu</strong>r Linie Würzburg<strong>–</strong>Erlangen<strong>–</strong>Regensburg<br />

und Landshut führen.<br />

− Die nächste Aufgabe nach Kriegs<strong>aus</strong>bruch <strong>–</strong> in Zusammenarbeit<br />

mit der sowjetischen 8. Gardearmee der ers-<br />

ten Westfront <strong>–</strong> die Hauptkräfte der Zentralen Armeegruppe<br />

des Gegners im südlichen Teil der Bundesrepublik<br />

zerschlagen, gegen Ende des ersten Tages die Linie Bayreuth<strong>–</strong>Regensburg<strong>–</strong>Passau<br />

in Besitz nehmen, am Ende<br />

des zweiten Tages die Linie Höchstadt (Hochstadt a.M.?)<strong>–</strong><br />

Schwabich (evt. Schwabach südl. Nürnberg)<strong>–</strong>Ingolstadt<strong>–</strong><br />

Mühldorf und am vierten Angriffstag die Linie Mosbach<br />

(exkl.)<strong>–</strong>Nördlingen<strong>–</strong>Memmingen<strong>–</strong>Kaufbeuren erreicht haben.<br />

− Danach den Angriff in Richtung Strassburg, Epinal, Dijon<br />

entwickelnd, die Zerschlagung des Gegners auf dem<br />

südlichen Territorium der BRD vollenden, den Rhein überqueren<br />

und am siebten bis achten Operationstag die Linie<br />

Langres<strong>–</strong>Besançon in Besitz nehmen.<br />

− Mit dem Erreichen der Operationsziele <strong>zu</strong>r Entwicklung des<br />

weiteren Angriffs in Richtung Lyon bereit sein.<br />

Der Kräftevergleich der konventionellen Mittel in der bayrischen<br />

Richtung fiel gering <strong>zu</strong>gunsten der CVA <strong>aus</strong>: Divisionen:<br />

1,1:1,0; Panzer (Westliche: 2800 Pz),: 1:1; Artillerie:<br />

1:1, Flugzeuge: 1,1:1. Bei den nuklearen Mitteln geht der<br />

Plan von 130 NATO-Atomabschussrampen <strong>aus</strong>, die tschechoslowakischen<br />

Planer rechneten mit derselben Zahl sowjetischer<br />

Raketen.<br />

Da die Schweiz mit keinem Wort<br />

erwähnt wird, lässt sich schliessen,<br />

dass die Schweizer Neutralität respektiert<br />

worden wäre.<br />

Da die Schweiz mit keinem Wort erwähnt wird, lässt sich<br />

schliessen, dass die Schweizer Neutralität respektiert worden<br />

wäre. Realistischerweise muss man sagen, dass die Benüt<strong>zu</strong>ng<br />

schweizerischen Territoriums für die geplante Operation<br />

nicht notwendig war. Die Schweiz spielte <strong>–</strong> zwangsläufig und<br />

i.e.S. ungewollt <strong>–</strong> den gewünschten Flankenschutz links und<br />

ermöglichte eine Verkür<strong>zu</strong>ng der Front. Die Betroffenheit der<br />

Schweiz durch die Nuklearschläge, durch Flüchtlinge oder<br />

abgedrängte Truppen wäre zweifellos enorm gewesen.<br />

Die Unterzeichnung des Planes durch den tschechoslowakischen<br />

Staatspräsidenten am Tage des Sturzes von Chruščev<br />

ist eine Ironie des Schicksals.<br />

Wir halten fest, dass der «Plan 64» im Vergleich <strong>zu</strong>m «Plan<br />

60» keine fundamentalen Neuerungen für die CVA enthält,<br />

was bisher völlig unbeachtet geblieben ist.<br />

Die ersten Jahre der Ära Brešnew zeigen, dass die Planung<br />

weitergeführt und insbesondere betreffend die Logistik konkretisiert<br />

worden ist. Parallel da<strong>zu</strong> ist der Übergang von einem<br />

konventionellen <strong>zu</strong> einem nuklearen Konflikt vertieft<br />

diskutiert worden. Konsequenzen auf die bisherige Kriegsplanung<br />

hatte diese Variante vorerst noch keine. Erst die neue<br />

sowjetische Strategie (vojennia strategia) ab 1968 unter Leitung<br />

von Marschall Sokolowskij scheint vermehrt auf die absolute<br />

Dominanz der Nuklearkomponente verzichtet <strong>zu</strong> haben,<br />

ohne die NATO-Strategie der «Flexible Response» einfach <strong>zu</strong><br />

kopieren. Die Möglichkeit einer Eskalation des Krieges <strong>aus</strong><br />

konventionellen Anfängen oder der nukleare Schlagabt<strong>aus</strong>ch<br />

blieben zwei gleichberechtigte Szenarien nebeneinander. Bei<br />

MILITARY POWER REVUE der Schweizer Armee <strong>–</strong> Nr. 2/2012

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