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DAS INTERVIEW - Universität Zürich

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geoscope Nr. 114 9<br />

<strong>DAS</strong> <strong>INTERVIEW</strong><br />

Prof. Dr. Conradin Burga<br />

das GIUZ an den Irchel<br />

kam, war das ganze Institut<br />

in einem einzigen Haus<br />

untergebracht, was zu einer<br />

sehr familiären Atmosphäre<br />

führte.<br />

Ich habe den Eindruck,<br />

d a s s d i e h e u tig e n<br />

Studierenden zu wenig<br />

lesen, und zwar zu wenig<br />

ältere, klassische Bücher<br />

der Geographie. Ich würde<br />

erwarten, dass man Werke,<br />

wie z.B. das „Eiszeitalter“<br />

von Hantke oder “Die Alpen<br />

im Eiszeitalter” von Penck &<br />

Brückner kennt und Teile<br />

davon gelesen hat. Es<br />

handelt sich dabei zum<br />

einen um Disziplin- bzw.<br />

Forschungsg e schichte.<br />

Andererseits finden sich in<br />

diesen Büchern, auch wenn<br />

inzwischen einiges davon<br />

überholt ist, einige noch<br />

gültige, intelligente Dinge.<br />

Im Gegensatz zu den<br />

“Schriftgelehrten”, wie<br />

beispielsweise bei der<br />

T h e o l o g i e u n d<br />

Jurisprudenz, arbeitet die<br />

Geographie bekanntlich<br />

empirisch/ experimentell im<br />

G e l ä n d e b z w .<br />

Laboratorium, aber auch<br />

theoretisch.<br />

Herr Burga, gibt es etwas,<br />

das sie den Studierenden<br />

schon immer mal sagen<br />

wollten?<br />

Das ist natürlich abhängig<br />

v o n d e r S itu atio n .<br />

Gegenüber früher gibt es<br />

heute eben viel mehr<br />

Studierende und dadurch<br />

mehr Anonymität. Dieses<br />

Wachstum ist natürlich<br />

einerseits erfreulich, hat<br />

aber auch seine negativen<br />

Seiten: Die Dozierenden<br />

kennen die Studierenden<br />

immer schlechter. Bevor<br />

Die Leute lesen bestimmt<br />

allgemein weniger, man<br />

hat mehr Möglichkeiten<br />

sich anderweitig zu<br />

b e s c h ä f t i g e n u n d<br />

a b z u l e n k e n , z . B .<br />

fernsehen.<br />

Die Leute brauchen heute<br />

die Able nkung und


10<br />

geoscope Nr. 114<br />

E n t s p a n n u n g v o m<br />

hektischen Alltag. Dafür<br />

gibt es sehr verschiedene<br />

Formen, so haben ja zum<br />

Beispiel auch Klöster, die<br />

e i n e n t e m p o r ä r e n<br />

Aufenthalt ermöglichen,<br />

Zulauf. Ich habe mein Buch<br />

zur Vegetations- und<br />

K lim ag e s c h ichte der<br />

Schweiz auch hauptsächlich<br />

zu Hause geschrieben, wo<br />

ich nicht ständig vom<br />

Alltagsgeschäft gestört<br />

werde; Und viele meiner<br />

Kolleginnen und Kollegen<br />

machen das ähnlich.<br />

Die neuen Medien bieten<br />

viele Möglichkeiten zu einer<br />

Präsentation des Wissens,<br />

aber sie werden Bücher<br />

nicht ersetzen können. Auf<br />

s ä u r e f r e i e m P a p i e r<br />

gedruckte Bücher sind<br />

immer noch die besten<br />

Wissensarchive und bilden<br />

damit nach wie vor den<br />

G r u n d s t e i n d e r<br />

Wissenschaft. Lesen und<br />

verstehen von Texten ist<br />

b e k a n n t l i c h m e i s t<br />

anstrengend und erfordert<br />

zudem eine Selbstreflektion<br />

des Gelesenen.<br />

Gibt es denn gegenüber<br />

früher auch ein stärkeres<br />

Konsumverhalten und<br />

mehr Passivität seitens<br />

der Studierenden?<br />

Diese Haltung kann man<br />

schon vermehrt beobachten.<br />

Andererseits kann man den<br />

Studierenden nicht mehr<br />

ein X für ein U vormachen:<br />

Man muss ihnen etwas<br />

bieten, es werden neue<br />

Formen der Präsentation<br />

gefordert. Allerdings ist es<br />

sicher auch nicht gut, wenn<br />

einfach nur noch Power-<br />

Point-Slides gezeigt werden;<br />

M anchmal sind die<br />

Studie renden meiner<br />

Meinung nach dankbar,<br />

wenn man auch mal mit<br />

Folien arbeitet oder sie eine<br />

Skizze selbst zeichnen<br />

müssen.<br />

H e u t e g e b e n s i c h<br />

Professoren mehr Mühe mit<br />

den Skripten als früher.<br />

Damals wurden oft einfach<br />

Seiten aus den wichtigsten<br />

L e h r b ü c h e r n<br />

zusammenkopiert. Ich<br />

versuche meine Skripten<br />

einfach zu halten, mit wenig<br />

Text. Sie sollen aber ein<br />

gutes Grundgerüst für die<br />

wichtigsten Themen der<br />

jeweiligen Vorlesung geben.<br />

Es gibt bei den Skripten<br />

z we i g e g e n s ätz liche<br />

Positionen von Dozenten:<br />

Die einen machen ein gutes<br />

Skript als Leitfaden zur<br />

Vorlesung. Andere geben<br />

bewusst keines ab, damit<br />

ihre Vorlesung besser<br />

besucht wird.<br />

Sie haben bereits einige<br />

Unterschiede zwischen<br />

heute und ihrer eigenen<br />

S t u d i e n z e i t<br />

angesprochen. Was hat<br />

sich noch geändert?<br />

Die Belastung für die<br />

heutigen Studierenden ist<br />

viel grösser geworden, da<br />

die Vielfalt des Studiums<br />

auch viel grösser ist. Dazu<br />

gibt es heute auch viel mehr<br />

Freizeitmöglichkeiten und<br />

Ablenkung.<br />

Worin sehen sie die<br />

Stärken und Schwächen<br />

der Geographie im Bezug<br />

auf die Berufschancen?<br />

Die Stärke ist sicher, dass<br />

die Studierenden zu<br />

Generalisten ausgebildet<br />

werden. Diese sind heute<br />

mehr gefragt als noch vor<br />

20 Jahren. Heute bieten vor<br />

allem Tätigkeiten mit einem<br />

U m w e l t b e z u g v i e l e<br />

Möglichkeiten. Früher<br />

gingen fast alle Geographen<br />

ins Lehramt, denn Berufe<br />

mit einem Umweltbezug<br />

waren damals eher selten.<br />

Das Problem ist aber auch,<br />

dass im Moment im<br />

U m we ltbereich stark<br />

gespart wird und dass der<br />

Bedarf für Ökobüros<br />

gesättigt ist.<br />

Andere Möglichkeiten<br />

ergeben sich im Consulting<br />

in kanto nale n o der<br />

eidgenössischen Ämtern<br />

oder auch in der Schule. Ich<br />

selbst wäre auch fast im<br />

Schuldienst geblieben,<br />

wechselte dann aber nach


geoscope Nr. 114 11<br />

Basel, um mein zweites<br />

Studium in Botanik mit<br />

Dissertation in diesem<br />

Fachgebiet zu absolvieren.<br />

Im Moment ist die Lage für<br />

alle Studienabgänger<br />

allerdings schwierig, doch<br />

die Generalistenausbildung<br />

der Geographie scheint mir<br />

derzeit ein Vorteil zu sein.<br />

Wie sehen sie denn die<br />

G e o g r a p h i e a l s<br />

Wissenschaft? Welchen<br />

Beitrag kann sie zur<br />

Lösung von Problemen,<br />

z u m Beispiel der<br />

K l i m a p r o b l e m a t i k ,<br />

leisten?<br />

Das Problem bei der<br />

Problemlösung ist der<br />

Wisse nstransfer. Die<br />

Erkenntnisse, die die<br />

Wissenschaft gewinnt,<br />

müssen in die Planung<br />

Eingang finden sowie den<br />

Politikern und der breiten<br />

Öffentlichkeit nahegebracht<br />

werden. Das ist allerdings<br />

keine leichte Aufgabe.<br />

Ich habe hier gerade eine<br />

Forschungsarbeit über<br />

Alpnutzung vor mir, bei der<br />

a u s s e r d e n<br />

w i s s e n s c h a f t l i c h e n<br />

E r k e n n tn isse n au c h<br />

Möglichkeiten aufgezeigt<br />

we r d e n , wie d ie se<br />

umgesetzt werden können.<br />

Man kann das Rad der Zeit<br />

nicht zurückdrehen, aber im<br />

Rahmen der Möglichkeiten<br />

sollte etwas gemacht<br />

werden. Es wird auch bei<br />

n a t i o n a l e n<br />

Forschungsprogrammen<br />

versucht, vorhandenes<br />

Grundlagenwissen für die<br />

Lösung konkreter Probleme<br />

einzusetzen.<br />

Beispielsweise bei der<br />

Diskussion über die<br />

Klimaänderung ist es so,<br />

dass die wirtschaftlichen<br />

u n d p o l i t i s c h e n<br />

Interessensdivergenzen<br />

und die Tatsache, dass es<br />

sich um ein sehr komplexes<br />

globales Phänomen mit<br />

v i e l e n l o k a l e n<br />

Schattierungen handelt, wir<br />

von einem Konsens im<br />

Handeln und bezüglich<br />

praktikablen Lösungen zu<br />

e inzelnen Proble men<br />

vielfach noch weit entfernt<br />

sind.<br />

Interview: Martin Beusch,<br />

Jürg Mannes<br />

Steckbrief:<br />

Name:<br />

Conradin Burga<br />

Hobbies:<br />

Musik (Klavier, Cembalo, Orgel; Gründer des<br />

Akademischen Chors beider Hochschulen in<br />

<strong>Zürich</strong>, 1981), Gesang, Malen (Landschaften,<br />

Pflanzen), Lesen, Wandern, Velofahren, Ski<br />

Lieblingsbuch:<br />

Es gibt gar viele Bücher, aber wenn es sein<br />

muss, dann “Die Kultur der Renaissance in<br />

Italien” von Jacob Burckhardt<br />

Lieblingspflanze:<br />

Schwer zu sagen, denn es gibt bekanntlich<br />

zahlreiche schöne und interessante höhere<br />

Blütenpflanzen (bekannt ca. 350’000). Wenn es<br />

trotzdem sein muss: Bayerischer Enzian<br />

(Gentiana bavarica), für mich mit dem schönsten<br />

Blau der Welt<br />

Schönste Reise:<br />

Erste Reise nach Indonesien (Java, Bali, West-<br />

Timor), wobei ich erstmals den tropischen<br />

Regenwald kennenlernen konnte<br />

Lieblingsstädte:<br />

Paris, London<br />

Vorbilder:<br />

fachlich Alexander von Humboldt, menschlich<br />

Albert Schweitzer<br />

Lebenslauf:<br />

• Studium der Geographie, <strong>Universität</strong><br />

<strong>Zürich</strong> (Diplomarbeit in Geomorphologie,<br />

1976).<br />

• Studium in Systematischer Botanik,<br />

<strong>Universität</strong> Basel (Dissertation, 1980).<br />

• Assistenz an der <strong>Universität</strong> <strong>Zürich</strong><br />

• Postdoc an der Botany School, University<br />

of Cambridge/ GB.<br />

• Habilitation an der <strong>Universität</strong> <strong>Zürich</strong>:<br />

Gletscher- und Vegetationsgeschichte der<br />

Südrätischen Alpen seit der Späteiszeit<br />

(1987).<br />

• Titularprofessor seit 1996.<br />

• Gründer des Arbeitskreises Biomonitoring/<br />

Global Change (1996).<br />

• Vizepräsident der Reinhold-Tüxen-<br />

Gesellschaft für Vegetationskunde,<br />

Hannover (2003).

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