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Gibt es ihn noch, den guten Arzt - GHA

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<strong>Gibt</strong> <strong>es</strong> <strong>ihn</strong> <strong>noch</strong>, <strong>den</strong> <strong>guten</strong> <strong>Arzt</strong> ?<br />

B.Müller-Oerlinghausen<br />

Vortrag am 20.6.2009, in München vor der G<strong>es</strong>ellschaft der Hochschullehrer für<br />

Allgemeinmedizin (GAH)<br />

Ich bedanke mich für Ihre freundliche Einladung, zu einem Thema zu sprechen,<br />

das in heutiger Zeit mehr Fragen als Antworten impliziert, -Fragezeichen,die<br />

wir, die Ärzt<strong>es</strong>chaft, in zunehmender Ratlosigkeit und Hilflosigkeit erblicken,--<br />

aber auch Fragen zum Zustand unserer Prof<strong>es</strong>sion in <strong>den</strong> Augen der Bürger, so<br />

wie sie uns wahrnehmen.<br />

Ich hoffe, Sie haben nicht <strong>den</strong> Bock zum Gärtner gemacht, indem sie<br />

ausgerechnet einen Pharmakologen mit di<strong>es</strong>em Thema betrauern, - einen<br />

Pharmakologen freilich, der auch über Jahrzehnte klinisch-psychiatrisch und<br />

natürlich auch im stu<strong>den</strong>tischen Unterricht tätig war. Den<strong>noch</strong> wer<strong>den</strong> wir uns<br />

di<strong>es</strong>em Thema primär weder aus Sicht der Psychiatrie <strong>noch</strong> der Arzneitherapie<br />

nähern können und wollen. Und ich sage mit Absicht: nähern - - umkreisen, - zu<br />

eindeutigen Aussagen, etwa gar im Sinne der Evi<strong>den</strong>z based Medizin wer<strong>den</strong><br />

wir in di<strong>es</strong>er Stunde sicher nicht gelangen. Da geht <strong>es</strong> mir so wie dem Pfarrer<br />

auf der Kanzel am Sonntag. Beliebte Prediger steigen heute gerne kasuistisch in<br />

ihr Thema ein, das sie ja auch jeweils nicht selber wählen können,… (" vor<br />

einigen Tagen habe ich meinen Taxifahrer gefragt, was er <strong>den</strong>n so von J<strong>es</strong>us und<br />

der Jungfrauengeburt hält. .. ") - das wird auch mir und <strong>ihn</strong>en nicht erspart<br />

bleiben, jenseits aller Statistik und Epidemiologie. Und di<strong>es</strong>e Kasuistik wird,<br />

dafür bitte ich um Nachsicht, notwendigerweise sehr selektiv, sehr subjektiv<br />

sein. Aber das ist ja ärztlichem Erleben und Verhalten im Grunde gar nicht so<br />

fremd.<br />

Wir wer<strong>den</strong> nicht umhin können, uns zunächst zu fragen, und dabei auch <strong>noch</strong><br />

einmal auf die Ausführungen der Vorredner zu rekurrieren, darüber zu<br />

reflektieren, wie <strong>den</strong>n ein guter <strong>Arzt</strong> heutzutage definiert wer<strong>den</strong> kann? Und<br />

fragen, ob sich das Ergebnis ein<strong>es</strong> solchen Definitionsversuch<strong>es</strong> unterscheidet<br />

von früheren Definitionen, zum Beispiel in der Antike oder in der Zeit der<br />

romantischen Medizin. Und wir wer<strong>den</strong> auch fragen müssen, inwieweit<br />

Patientenerwartungen und unsere Konzepte sich überhaupt in Übereinstimmung<br />

bringen lassen.<br />

Und schließlich wer<strong>den</strong> wir sehen, ob sich aus di<strong>es</strong>em Nach<strong>den</strong>ken oder b<strong>es</strong>ser<br />

freiem Assoziieren irgendwelche Konsequenzen ziehen lassen. Was ich<br />

versuchen werde, zu sagen, wird vermutlich nicht jedem gefallen, aber ich halte<br />

<strong>es</strong> da mit Oscar Wilde, der einmal sagte: "Wer nicht auf seine Weise <strong>den</strong>kt,<br />

<strong>den</strong>kt überhaupt nicht." Und ein andermal: "Wenn die Leute meiner Meinung<br />

sind, habe ich immer das Gefühl, dass ich Unrecht habe .“


Was ist ein guter <strong>Arzt</strong>? Einer, der <strong>den</strong> hippokratischen Eid befolgt? Der eine gut<br />

gehende Praxis hat?Der nie eine Regr<strong>es</strong>sforderungen seiner KV bekommt?<br />

Oder gerade der, der jed<strong>es</strong> Quartal mit einer solchen konfrontiert wird? Einer,<br />

der gerne g<strong>es</strong>ehener Referent auf Fortbildungsveranstaltungen mit industriellem<br />

Sponsoring ist? Oder gerade einer, der dort nie g<strong>es</strong>ehen wird, auch freiwillig<br />

nicht hingeht? Einer, der aktiv in der Selbstverwaltung tätig ist? Einer, von dem<br />

die Patienten und Bürger gut sprechen? Einer der mit seinem Beruf zufrie<strong>den</strong><br />

oder eher einer, der mit seinem Beruf unzufrie<strong>den</strong> ist?<br />

Ich habe Kasuistisch<strong>es</strong> angedroht: in der Tat habe ich meinen Friseur gefragt,<br />

wie er einen <strong>guten</strong> <strong>Arzt</strong> definieren würde. Und er sagte, ohne lange nach<strong>den</strong>ken<br />

zu müssen: also zunächst einmal muss er mit seinem Beruf zufrie<strong>den</strong> sein. Dann<br />

muss er verschie<strong>den</strong><strong>es</strong> können - aber di<strong>es</strong> ist ja eigentlich selbstverständlich,<br />

dafür hat er schli<strong>es</strong>slich studiert. Vor allem aber muss er nicht nur meine<br />

Rückenschmerzen sehen, sondern er muss mich als ganzen Menschen anschauen<br />

so wie ich eben bin und sein möchte.<br />

Ja, wo ist die M<strong>es</strong>slatte? In unserer ärztlichen Berufsordnung? Die sagt, dass<br />

wir uns ganz in <strong>den</strong> Dienst unserer Patienten stellen sollen - freilich hat <strong>es</strong> hier<br />

vor 12 Jahren eine wichtige Änderung gegeben auf die wir später <strong>noch</strong><br />

zurückkommen wer<strong>den</strong>. Sie sagt manch<strong>es</strong> deutlich, manch<strong>es</strong> ziemlich<br />

undeutlich - zum Beispiel wenn <strong>es</strong> darum geht, wie wir uns gegenüber<br />

Manipulationen der pharmazeutischen Industrie verhalten sollen.<br />

Ich trete jetzt in <strong>den</strong> ersten, relativ altmodischen Teil meiner betrachtungen ein,<br />

dem ich die Farbe Blau und Grün geben möchte. Ein späterer Teil wird für mich<br />

die Farben Weiß und Rot tragen. Was das bedeutet, bleibt zunächst mein<br />

Geheimnis.<br />

Lassen Sie mich Ihnen ein Märchen vorl<strong>es</strong>en. Es ist sehr alt, vielleicht aus dem<br />

16. Jahrhundert und von <strong>den</strong> Brüdern Grimm überliefert. Es heißt "Der Gevatter<br />

Tod".<br />

Es hatte ein armer Mann 12 Kinder und musste Tag und Nacht arbeiten, damit er<br />

<strong>ihn</strong>en nur Brot geben konnte .Als nun das dreizehnte zur Welt kam, wusste er<br />

sich in seiner Not nicht zu helfen, ging hinaus auf die große Landstraße und<br />

wollte <strong>den</strong> ersten, der ihm begegnete, zu Gevatter bitten. Der erste, der ihm<br />

begegnete, das war der liebe Gott, der wusste schon, was er auf dem Herzen<br />

hatte, und sprach zu ihm: Armer Mann, du dauerst mich, ich will dein Kind aus<br />

der Taufe heben, will für <strong>es</strong> sorgen und <strong>es</strong> glücklich machen auf Er<strong>den</strong>. Der<br />

Mann sprach: wer bist du? Ich bin der liebe Gott" „So begehre ich dich nicht<br />

zu Gevatter“ sagte der Mann, „ Du gibst dem Reichen und läss<strong>es</strong>t <strong>den</strong> Armen<br />

hungern"… Nun begegnet ihm natürlich auch <strong>noch</strong> der Teufel und dann<br />

schließlich der Tod, der sich ebenfalls zum Gevatter anbietet mit der<br />

Selbstrühmung :“ Wer mich zum Freunde hat, dem kann’s nicht fehlen.“ Der<br />

Tod wird also angenommen, erscheint, wie er versprochen hat zur Taufe, und<br />

als der Knabe herangewachsen ist, tritt irgendwann der Gevatter, also der Pate<br />

ein und heißt <strong>ihn</strong> mitgehen. "Er führte <strong>ihn</strong> hinaus in <strong>den</strong> Wald, zeigte ihm ein<br />

Kraut, das da wuchs und sprach: „ Jetzt sollst du dein Pateng<strong>es</strong>chenk


empfangen. Ich mache dich zu einem berühmten <strong>Arzt</strong>, wenn du zu einem<br />

Kranken gehst, so will ich dir jed<strong>es</strong> Mal erscheinen; stehe ich zu Häupten d<strong>es</strong><br />

Kranken, so kannst du keck sprechen, du wollt<strong>es</strong>t <strong>ihn</strong> wieder g<strong>es</strong>und machen,<br />

und gibst du ihm dann von jenem Kraut ein, so wird er gen<strong>es</strong>en; stehe ich aber<br />

zu Füßen d<strong>es</strong> Kranken, so ist er mein, und du musst sagen, alle Hilfe sei<br />

umsonst, und kein <strong>Arzt</strong> in der Welt könne <strong>ihn</strong> retten. Aber hüte dich , dass du<br />

das Kraut nicht gegen meinen Willen gebrauchst, <strong>es</strong> könnte dir schlimm ergehen<br />

" E s dauerte nicht lange so war der Jüngling der berühmt<strong>es</strong>te <strong>Arzt</strong> auf der<br />

ganzen Welt. " Er braucht nur <strong>den</strong> Kranken anzusehen, so weiß er schon, wie <strong>es</strong><br />

steht, ob er wieder g<strong>es</strong>und wird oder ob er sterben muss“, so hieß <strong>es</strong> von ihm,<br />

und weit und breit kamen die Leute herbei, holten <strong>ihn</strong> zu <strong>den</strong> Kranken und<br />

gaben ihm so viel Gold, das er bald ein reicher Mann war. Und nun kommt die<br />

Wende: Es trug sich zu dass der König erkrankte. Der <strong>Arzt</strong> wird gerufen und wi<br />

er zu dem Bett tritt, so steht da der Tod zu <strong>den</strong> Füßen d<strong>es</strong> Kranken und der <strong>Arzt</strong><br />

sagt zu sich da <strong>es</strong> ja nun der König ist "Wenn ich doch einmal <strong>den</strong> Tod<br />

überlisten könnte". Er fasst also <strong>den</strong> Kranken und legt <strong>ihn</strong> verkehrt herum, so<br />

dass der Tod zu Häupten d<strong>es</strong>selben zu stehen kommt, dann gibt er ihm von dem<br />

Kraut etwas ein, der König erholt sich und wird wieder g<strong>es</strong>und. Der Gevatter<br />

Tod war über di<strong>es</strong><strong>es</strong> Manöver natürlich nicht entzückt und droht dem <strong>Arzt</strong>,<br />

wenn er das <strong>noch</strong> einmal macht dann wird <strong>es</strong> ihm schlecht gehen. Nun: bald<br />

hernach verfiel die Tochter d<strong>es</strong> Königs in eine schwere Krankheit. Sie war sein<br />

einzig<strong>es</strong> Kind , er weinte Tag und Nacht, dass ihm die Augen erblindeten, und<br />

ließ bekannt machen, wer sie vom Tode errettete, der sollte ihr Gemahl wer<strong>den</strong><br />

und die Krone erben. Der <strong>Arzt</strong>, als er zu dem Bette der Kranken kam, erblickte<br />

<strong>den</strong> Tod zu ihren Füßen. Er hätte sich der Warnung sein<strong>es</strong> Paten erinnern<br />

sollen, aber die große Schönheit der Königstochter und das Glück, ihr Gemahl<br />

zu wer<strong>den</strong>, führten <strong>ihn</strong> so, dass er alle Gedanken in <strong>den</strong> Wind schlug.( Also, er<br />

hat jetzt einen Inter<strong>es</strong>senkonflikt…) Er sah nicht, daß der Tod ihm zornige<br />

Blicke zuwarf, die Hand in die Höhe hob und mit der dürren Faust drohte. Er<br />

hob die Kranke auf und legte ihr Haupt dahin wo die Füße gelegen hatten; dann<br />

gab er ihr das Kraut ein, und alsbald röteten sich ihre Wangen, und das Leben<br />

regte sich von neuem.<br />

Ich nehme mal an, dass einige von <strong>ihn</strong>en <strong>den</strong> Ausgang der G<strong>es</strong>chichte <strong>noch</strong> in<br />

Erinnerung haben der Tod holt natürlich <strong>den</strong> <strong>Arzt</strong>, führt <strong>ihn</strong> in die große Höhle,<br />

wo die Kerzen- Lebenslichter aller Menschen brennen die eben je nach der<br />

vorb<strong>es</strong>timmten Lebenswerwartung ( und die Leute damals wussten <strong>noch</strong> nichts<br />

vom Langlebigkeits-Gen…) <strong>noch</strong> hoch sind oder schon ganz klein z.B. bei<br />

sehr alten Menschen. Der <strong>Arzt</strong> fragt nach seinem eigenen Licht und natürlich<br />

muss er sehen, dass <strong>es</strong> kurz vor dem Verlöschen ist „Alsbald sank der <strong>Arzt</strong> zu<br />

Bo<strong>den</strong> und war nun selbst in die Hand d<strong>es</strong> Tod<strong>es</strong> geraten."<br />

Meine Damen und Herren ich habe di<strong>es</strong><strong>es</strong> Märchen als Kind immer wieder<br />

gel<strong>es</strong>en, obwohl ich gar nicht wusste, daß ich einmal <strong>Arzt</strong> und <strong>noch</strong> dazu


Pharmakologe ,also ein Jünger der heilsamen Kräuter, wer<strong>den</strong> würde, das lag<br />

mir gänzlich fern. Ich musste <strong>es</strong>, wie auch andere Märchen, immer wieder l<strong>es</strong>en,<br />

weil <strong>es</strong> so gruslig war und weil <strong>es</strong> gleichzeitig meine kindlichen<br />

Allmachtsfantasien beflügelte (wir wollten doch alle mal Kapitän,<br />

Lokomotivführer Schauspieler,Pirat oder General wer<strong>den</strong> -), aber vielleicht<br />

auch, weil <strong>es</strong> mich über das Schicksalhafte von Leben und Sterben belehrte.<br />

Und ich fragte mich, ob mein weißhaariger, überaus freundlicher Grossonkel,<br />

der Hausarzt in dem Dorf am Bo<strong>den</strong>see war, wo ich als Kind aufwuchs, - er<br />

stammte aus der Medizinerfamilie Wiedersheim und seine Enkel sind dort unten<br />

heute <strong>noch</strong> als Ärzte tätig - ,ob er also wohl auch solche magischen Kräfte hatte,<br />

gar einen Bund mit dem Tod oder dem Teufel?<br />

Lassen Sie uns <strong>noch</strong> ein wenig nach<strong>den</strong>ken über di<strong>es</strong>e tiefsinnige G<strong>es</strong>chichte,:<br />

Das war nun sicher ein <strong>Arzt</strong>, <strong>den</strong> die Leute als tüchtig bezeichneten, als einen<br />

echten Könner, <strong>den</strong>n seine Prognosen trafen zu und sein Kräutlein war auch<br />

immer wirksam, weil er <strong>es</strong> ja nur <strong>den</strong>en gab , die ohnehin für das Überleben<br />

vorg<strong>es</strong>ehen war. Peter Bamm, der Schriftsteller und <strong>Arzt</strong> schrieb einmal : „ Die<br />

Medizin, welche der <strong>Arzt</strong> in der Praxis dem Kranken verschreibt, ist nicht nur in<br />

einem Glas Wasser zu nehmen, sondern auch mit drei Teelöffeln <strong>guten</strong> Glauben<br />

: an die Tüchtigkeit d<strong>es</strong> <strong>Arzt</strong><strong>es</strong>, die Güte der Schöpfung und die Zuverlässgkeit<br />

der pharmazeutischen Industrie.“ Je<strong>den</strong>falls ist unser Wunderarzt auch ein guter<br />

Jünger von Hippokrat<strong>es</strong> ; <strong>den</strong>n Sie wer<strong>den</strong> wissen, dass das Nil-nocere-Gebot ja<br />

nicht einem empathisch-humanistischen Impetus entsprang, sondern ein Versuch<br />

war, die ärztliche Zunft zu schützen ; lieber nichts tun, was vielleicht später zur<br />

Vermutung Anlass geben könnte, man habe <strong>den</strong> Patienten g<strong>es</strong>chädigt oder gar<br />

zu Tode gebracht. ,- sondern eben lieber der Natur ihren Lauf lassen,- das ist der<br />

Reputation förderlicher.<br />

Unserem modernen Verständnis von <strong>Arzt</strong>-Sein, insb<strong>es</strong>ondere dem d<strong>es</strong> zu Ende<br />

gehen<strong>den</strong> Jahrhunderts entspricht di<strong>es</strong> nicht: wir sind lieber Heroen, wir ringen<br />

bis zum letzten mit dem Tod (manchmal auch mit <strong>den</strong> Patienten… ) und die<br />

Chirurgen sind die Könige, die leben<strong>den</strong> Denkmäler unserer Zunft. (Die<br />

künftigen Könige wer<strong>den</strong> vielleicht die modernen Kardiologen sein?) Aber,<br />

wenn wir dem Märchen <strong>noch</strong> einmal zu hören, wer<strong>den</strong> wir f<strong>es</strong>tstellen das <strong>es</strong><br />

auch dem Denken von Paracelsus nicht fern ist, <strong>den</strong>n er hat ja immer betont das<br />

unsere ärztliche Kunst darin b<strong>es</strong>teht, mit der Natur, mit der auf der Schöpfung in<br />

Einklang zu bleiben.<br />

Paracelsus in der Sicht von Victor von Weizsäcker wagt sich ins Paradoxe<br />

hinaus, weil nämlich der objektive ärztliche Heilerfolg gar nicht das<br />

Entschei<strong>den</strong>de ist, sondern der Stufengang d<strong>es</strong> Kranken zu seinem Ziel, das nur<br />

metaphysisch zu fassen ist. Er ist auf di<strong>es</strong>em Wege d<strong>es</strong> Kranken kein Führer,<br />

kein Bewirker, nur ein Ermöglicher, er steht , wie sich von Weizsäcker<br />

ausdrückt "nicht über der Entscheidung, sondern mit dem Kranken in der<br />

Entscheidung „


Nun, spät<strong>es</strong>tens an di<strong>es</strong>er Stelle erwarte ich ihren Widerspruch: was soll das<br />

<strong>den</strong>n heißen? Soll ich als <strong>Arzt</strong> zu sehen, wie mein Patient 10 Jahre früher stirbt,<br />

weil ich sein Asthma bronchiale oder seine Herzinsuffizienz nicht behandle, der<br />

Störung der kardialen Gegenregulation oder der aus der Ordnung gefallenen<br />

Immunreaktion ihren Lauf lassen? Nein, das meine ich nicht - aber <strong>es</strong> gehört zur<br />

ärztlichen Vernunft, die uns potentiell zur Verfügung stehen<strong>den</strong> Massnahmen (<br />

schrecklich<strong>es</strong> Wort) im Lebenskontext d<strong>es</strong> Patienten zu sehen - ich erinnere an<br />

das, was Frau Braun so schön bereits expliziert hat -. Es gehört dazu, dass wir<br />

das, was wir im Prinzip bei irgend einer Störung machen könnten und was<br />

vielleicht eine entsprechende Leitlinie auch empfiehlt, auf dem benannten<br />

Hintergrund kritisch bezüglich erstens seiner Notwendigkeit und zweitens<br />

sein<strong>es</strong> Nutzen - Risiko - oder auch Nutzen - Risiko - Kosten - Verhältniss<strong>es</strong><br />

reflektieren, - und zwar, soweit <strong>es</strong> möglich ist und sinnvoll erscheint, unter<br />

Einbeziehung d<strong>es</strong> Patienten selbst.<br />

Ich bin vor Jahren zu einer niedergelassenen Internisten gegangen, zu dem ich<br />

hauptsächlich d<strong>es</strong>halb Vertrauen habe, weil wir schon schön miteinander<br />

musiziert haben,--- ich habe familiär ein ziemlich stark erhöht<strong>es</strong><br />

Serumschol<strong>es</strong>terin und fragte <strong>ihn</strong>, ob ich nicht doch ein Statin nehmen sollte, ich<br />

bin zwar Nichtraucher, aber immerhin männlich und relativ alt. Er meinte, dass<br />

wir das gerne machen könnten , wür<strong>den</strong> aber <strong>den</strong> Herzinfarkt damit nicht bei mir<br />

verhindern. Ich fragte verblüfft, warum nicht? Und er meinte: weil Sie gar<br />

keinen bekommen wer<strong>den</strong>. Er hatte zuvor das was man in einer normalen Praxis<br />

untersuchen kann, untersucht, und eine kurze aber sehr gezielte Anamn<strong>es</strong>e und<br />

Familienanamn<strong>es</strong>e aufgenommen. Ich habe <strong>es</strong> dann doch sechs Monate versucht<br />

und bekam alle Nebenwirkungen, die ein Pharmakologe nur bekommen kann.<br />

Ich nehme kein Statin mehr.<br />

Der Präsi<strong>den</strong>t der BÄK hat auf dem Ärztetag endlich einmal Priorisierung<br />

ang<strong>es</strong>toßen, was aus meiner Sicht schon seit 15 Jahren fällig war. Er meinte di<strong>es</strong><br />

freilich in einem übergreifen<strong>den</strong> Sinne, und d<strong>es</strong>halb gab <strong>es</strong> auch gleich seitens<br />

d<strong>es</strong> Staatssekretärs im Blick auf <strong>den</strong> bevorstehen<strong>den</strong> Wahlkampf eine ganz<br />

inadäquate Replik. Aber die patientenindividuelle Priorisierung unserer<br />

potentiellen diagnostischen und therapeutischen Strategien ist etwas, das primär<br />

nichts mit Rationierung zu tun hat, sondern ist der Versuch, zusammen mit <strong>den</strong><br />

Patienten herauszufin<strong>den</strong>, welche seiner zahlreichen Störungen die wichtigsten<br />

sind. Gerade bei älteren Menschen ist di<strong>es</strong> erst<strong>es</strong> Gebot, damit wir nicht streng<br />

leitliniengerecht ihm schließlich 12 verschie<strong>den</strong>e Medikamente verordnen<br />

müssen.<br />

Ein niedergelassener Internist, Mitglied d<strong>es</strong> früheren Vorstands der AKdÄ,<br />

erzählte gerne, dass er seine Patientin fragt: nun, Frau Schmidt, sind sie heute<br />

von ihren Tabletten satt gewor<strong>den</strong>? Und wenn die Antwort war: ja, Herr Doktor,<br />

dann wusste er, dass er etwas falsch gemacht hatte.


Da natürlich können wir uns bei dem Versuch, die uns bekannt gewor<strong>den</strong>en<br />

Umstände d<strong>es</strong> Patienten, seine medizinischen Diagnose und die uns zur<br />

Verfügung stehen<strong>den</strong> Therapie Potenziale miteinander abzugleichen, irren.<br />

"Irren ist ärztlich.", hat Kurt Goetz g<strong>es</strong>agt.<br />

Aber wir können uns auch bei der Nutzenbewertung ein<strong>es</strong> einzelnen<br />

Medikaments oder bei der adäquaten Interpretation ein<strong>es</strong> Laborwert<strong>es</strong> irren..<br />

Darauf kommt <strong>es</strong> nicht an. Worauf <strong>es</strong> ankommt, ist, dass wir mit unserem<br />

Patienten in eine Beziehung eintreten, in der der ärztliche Irrtum auch einen<br />

Platz hat, genauso wie die so genannte Non-Compliance d<strong>es</strong> Patienten, - die<br />

eigentlich nicht bedeutet, dass di<strong>es</strong>er seine Tabletten nicht so einnimmt, wie wir<br />

<strong>es</strong> für richtig halten oder wie <strong>es</strong> die Leitlinie empfiehlt, sondern, dass unser<br />

Krankheits - und Therapiekonzept und dasjenige d<strong>es</strong> Patienten nicht miteinander<br />

über einstimmen, - dass <strong>es</strong> also zwischen <strong>den</strong>en keine Compliance gibt. An<br />

di<strong>es</strong>er Übereinstimmung müssen wir entweder arbeiten, partnerschaftlich, -<br />

vielleicht ist ja schlussendlich die Theorie d<strong>es</strong> Patienten die richtigere, nur<br />

kommt die Wissenschaft erst 50 Jahre später drauf - oder wir müssen die<br />

Diskrepanz so stehen lassen und das B<strong>es</strong>te daraus machen. Die Wahrheit ist in<br />

gewissem Sinne eben doch teilbar. Damit tönen wir implizit das unerschöpfliche<br />

Thema <strong>Arzt</strong>-Patienten-Beziehung an.<br />

Mit di<strong>es</strong>er sehr b<strong>es</strong>onderen Beziehung zum Patienten als dem Anderen, in dem<br />

ich mich doch selber auch lei<strong>den</strong>d, mitlei<strong>den</strong>d spiegele, und die nach meinem<br />

Verständnis zu einem Kernstück (blau/grün) d<strong>es</strong>sen gehört, was <strong>den</strong> <strong>guten</strong> <strong>Arzt</strong><br />

ausmacht, haben sich unter anderem Victor von Weizsäcker und in seiner<br />

Nachfolge Klaus Dörner intensiv b<strong>es</strong>chäftigt.<br />

Von Weizsäcker spricht in dem oben schon angetönten Vortrag vor der Kölner<br />

Kant-G<strong>es</strong>ellschaft davon, dass lei<strong>den</strong> und heilen ineinander verschlungen sind<br />

und dass damit jede bloß vernünftige B<strong>es</strong>timmung d<strong>es</strong> Heilzwecks der Medizin<br />

eine Spielerei sei. Er schreibt: „Die Behauptung, Zweck der ärztlichen Handlung<br />

sei, die Arbeits- und Genussfähigkeit herzustellen – di<strong>es</strong>e Behauptung ist nicht<br />

eine W<strong>es</strong>ensb<strong>es</strong>timmung der Heilhandlung, sondern die B<strong>es</strong>chreibung ein<strong>es</strong><br />

g<strong>es</strong>ellschaftlichen Zustands und seiner Ideale. … Ein Fortschritt gelingt<br />

ausschließlich dort, wo der <strong>Arzt</strong> selbst <strong>den</strong> Kanon seiner Haltungen gemeinsam<br />

mit dem Kranken einer Umg<strong>es</strong>taltung preisgibt.“ Und er formuliert an einer<br />

späteren Stelle <strong>noch</strong> radikaler: „Der metaphysische Ort d<strong>es</strong> <strong>Arzt</strong><strong>es</strong> drückt sich<br />

eben darin aus, dass er nicht einer ist, der Mitleid hat, sondern darin, dass sich<br />

der im Kranken reelle Krankheitsproz<strong>es</strong>s in <strong>ihn</strong> existentiell hinein verlängert.“<br />

Gleichzeitig aber ist der kranke Mensch für <strong>den</strong> <strong>Arzt</strong> letzten End<strong>es</strong> weder<br />

einfühlbar <strong>noch</strong> verstehbar, - „Als Erkenntnisgegenstand betrachtet, befindet<br />

sich der Kranke in di<strong>es</strong>em Sinne in einer radikalen Ferne. … – Als Patient aber<br />

andererseits rückt der Kranke in eine bis zur I<strong>den</strong>tifizierung unendliche Nähe<br />

zum <strong>Arzt</strong>. …“


Klaus Dörner fasst di<strong>es</strong>e Begrifflichkeit <strong>noch</strong> etwas anders, geht di<strong>es</strong>e<br />

Grundsituation <strong>noch</strong> einmal von einem anderen Blickwinkel an, der mir wichtig<br />

erscheint, weil er uns schon selbstverständlich Gewor<strong>den</strong><strong>es</strong> kritisch hinterfragt.<br />

Wir erleben ja heute eine sehr starke Betonung d<strong>es</strong> prädiktiven, d<strong>es</strong> präventiven<br />

Aspekts der Medizin, <strong>den</strong> wir einerseits wohl alle unterschreiben – quasi in einer<br />

modernen, kollektiven Wiederb<strong>es</strong>innung auf das W<strong>es</strong>en der chin<strong>es</strong>ischen und<br />

antiken Medizin („Europa der G<strong>es</strong>undheit“) -, der aber andererseits hinsichtlich<br />

der daraus r<strong>es</strong>ultieren<strong>den</strong> ärztlichen und staatlichen Machtansprüche und er<br />

gigantischen Kommerzialisierung der G<strong>es</strong>undheit auch sehr be<strong>den</strong>kliche<br />

Facetten impliziert. In der g<strong>es</strong>penstisch vorausschauen<strong>den</strong> Karikatur von Aldous<br />

Huxley klingt <strong>es</strong> so: „Die Medizin hat so enorme Fortschritte gemacht, dass <strong>es</strong><br />

überhaupt keine g<strong>es</strong>un<strong>den</strong> Menschen mehr gibt.“<br />

Ich weiß nicht, ob jedem von Ihnen geläufig ist, wie sich der §1 unserer<br />

ärztlichen Berufsordnung in 50 Jahren seit 1947 bedeutsam geändert hat? Da<br />

steht nämlich jetzt: „Der <strong>Arzt</strong> dient der G<strong>es</strong>undheit d<strong>es</strong> einzelnen Menschen und<br />

der Bevölkerung.“ Die Implikationen, segensreiche wie aber auch ärztlich und<br />

g<strong>es</strong>ellschaftlich gefährliche, sind irritierend.<br />

Dörner setzt dagegen oder eingrenzend <strong>den</strong> Begriff der ärztlichen<br />

Selbstbegrenzung, zum Beispiel wenn er schreibt: „Mit Selbstbegrenzung hat <strong>es</strong><br />

zu tun, wenn ich mich als <strong>Arzt</strong> hinsichtlich der Notwendigkeit, mir <strong>den</strong><br />

Patienten anzueignen, auf eben di<strong>es</strong>e Notwendigkeit dadurch begrenze, dass ich<br />

mich zuvor schon ihm untergeordnet habe, in seinen Dienst getreten bin.“<br />

Er mahnt, nicht zu verg<strong>es</strong>sen, dass auch sorgende, verantwortende Beziehungen<br />

immer Machtbeziehungen sind, und er fordert „gleichsinnig sowohl die Distanz<br />

der universalistischen Gerechtigkeitsperspektive als auch die Nähe meiner<br />

Unterwerfung unter die Lei<strong>den</strong>ssprache der Augen d<strong>es</strong> Anderen zu<br />

radikalisieren, wachsen zu lassen.“<br />

Es ist klar, dass wir hier von anderen B<strong>es</strong>timmungen d<strong>es</strong> <strong>Arzt</strong><strong>es</strong> sprechen als sie<br />

etwa in einem alten Spruch über Ärzte zum Ausdruck kommen: „Drei Dinge<br />

braucht ein <strong>Arzt</strong>, um erfolgreich zu sein: einen spitzen Hut für die Autorität,<br />

einen dicken Bauch für die Würde und Hämorrhoi<strong>den</strong> für <strong>den</strong> b<strong>es</strong>orgten<br />

G<strong>es</strong>ichtsausdruck.“<br />

MDH, ich möchte an di<strong>es</strong>er Stelle <strong>den</strong> blau/grünen Reflexionsbereich erst<br />

einmal abbrechen, <strong>ihn</strong> so erratisch stehen lassen und mich der Frage (im<br />

weiß/roten Bereich) zuwen<strong>den</strong>, wie wir <strong>den</strong>n das eher abstrakt G<strong>es</strong>agte in Teile<br />

unserer ärztlichen Lebenspraxis integrieren können. – Ich tue das wiederum<br />

schon aus Zeitgrün<strong>den</strong> extrem selektiv und entsprechend meinen eigenen<br />

Prägungen und Idiosynkrasien, das heißt primär am Beispiel der Arzneitherapie,<br />

in vier Abschnitten.<br />

1.) Die Einbeziehung d<strong>es</strong> Patienten in die Therapieentscheidung heißt heute<br />

„shared-decision-making“. Sie ist, meine ich, unverzichtbar, auch im


Sinne der verb<strong>es</strong>serten „Adherence“. Sie ist das, was sie im Sinne der<br />

vorangegangenen Reflexionen wirklich bedeutet, bzw. bedeuten soll nur<br />

dann, wenn die Information, die ich dem Patienten zu geben versuche,<br />

umfassend, wahrhaftig und verständlich ist. (Die Altersforscherin Ursula<br />

Lehr sagte einmal: „Der alte <strong>Arzt</strong> spricht Lateinisch, der junge englisch.<br />

Der gute <strong>Arzt</strong> spricht die Sprache d<strong>es</strong> Patienten.“) Sie sollte immer<br />

Alternativen zu meinem ärztlichen Primärvorschlag enthalten; sie muss<br />

nicht, aber sie kann die Totalmedikalisierung der allgemeinmedizinischen<br />

Praxis, die wir heute beobachten, potentiell antagonisieren. Sie sollte sich<br />

nicht von der heutigen, geradezu b<strong>es</strong><strong>es</strong>senen und häufig von Big-Pharma<br />

unterstützten Zielwert-Orientierung beherrschen lassen. Sie sollte sich, da<br />

wo <strong>es</strong> sie gibt, auf wissenschaftliche Evi<strong>den</strong>z stützen, aber auch die<br />

Bereiche, wo solche Evi<strong>den</strong>z gar nicht vorhan<strong>den</strong> ist, dem Patienten<br />

deutlich machen.<br />

Gerade im Bereich der Prävention ist <strong>es</strong> so wichtig, nicht sofort ang<strong>es</strong>ichts<br />

ein<strong>es</strong> Laborwerts oder ein<strong>es</strong> erhöhten Blutdrucks <strong>den</strong> Verordnungsreflex<br />

anspringen zu lassen, <strong>den</strong> uns die Fachg<strong>es</strong>ellschaften und Fachärzte in<br />

ihrer so häufig industriekontaminierten Fortbildung anerziehen wollen.<br />

Für jede di<strong>es</strong>bezügliche Behauptung gibt <strong>es</strong> ja auch immer irgendeine<br />

epidemiologische Studie.<br />

In der Psychiatrie ist derzeit inter<strong>es</strong>sant zu beobachten, wie unter dem<br />

Druck der endlich auch bei uns in Gang gekommenen breiten Diskussion<br />

über die reale Wirksamkeit von Antidepr<strong>es</strong>siva, jetzt von <strong>den</strong><br />

psychiatrischen Meinungsbildnern begonnen wird, die<br />

Behandlungsbedürftigkeit auch „subdiagnostischer“ Depr<strong>es</strong>sionen zu<br />

propagieren.<br />

Es hat mich gefreut, dass der di<strong>es</strong>jährige Berliner G<strong>es</strong>undheitspreis <strong>den</strong><br />

Autoren ein<strong>es</strong> Software-Programms „arriba“ zug<strong>es</strong>prochen wurde. Arriba<br />

ermöglicht <strong>es</strong> dem Hausarzt, mit dem Patienten zusammen d<strong>es</strong>sen<br />

individuell<strong>es</strong> kardiovaskulär<strong>es</strong> Risikoprofil und die Chancen<br />

verschie<strong>den</strong>er Präventionsstrategien patientenzentriert zu entwickeln und<br />

kritisch zu diskutieren. Ich möchte in di<strong>es</strong>em Kontext <strong>den</strong> Bremer<br />

Allgemeinmediziner Egidi zitieren, der selber vor einigen Jahren<br />

Preisträger war: „Wenn einer nach einer umfangreichen Aufklärung<br />

entscheidet, weiter zu rauchen oder weiter übergewichtig zu bleiben, ist<br />

di<strong>es</strong>e Entscheidung bewusst gefällt und okay für mich. Wir sollten uns in<br />

der Medizin davon verabschie<strong>den</strong>, die Menschen zu ihrem eigenen Glück<br />

zwingen und normieren zu wollen. … Die Menschen sind zufrie<strong>den</strong>er,<br />

wenn sie ihr Verhalten selbst wählen und klar dazu stehen können.<br />

Vielleicht leben einige von <strong>ihn</strong>en damit etwas kürzer, aber sie sind<br />

glücklicher.“<br />

Sehr kritisch sollte von uns freilich g<strong>es</strong>ehen wer<strong>den</strong>, wie die<br />

pharmazeutische Industrie der Themen shared-decision-making und<br />

Adherence als einer großartigen neuen G<strong>es</strong>chäftsidee annimmt. Hier ist


ein Potential zu lukrativen Marktausweitungen gegeben. Applebaum aus<br />

<strong>den</strong> USA hat di<strong>es</strong> kürzlich sehr kritisch und warnend für <strong>den</strong> Bereich der<br />

Psychiatrie b<strong>es</strong>chrieben. Beispielsweise klinkt man sich auf der Ebene der<br />

WHO als Hersteller von Psychopharmaka sponsorierend ein in Anti-<br />

Stigma-Kampagnen, etwa in Hinblick auf depr<strong>es</strong>sive Patienten. Wenn Sie<br />

die von Jahr zu Jahr massiv steigen<strong>den</strong> Verordnungen von Antidepr<strong>es</strong>siva<br />

anschauen, wird der Erfolg solcher Marketing-Strategie sichtbar. Die<br />

steigen<strong>den</strong> Psychopharmaka-Verordnungen bei Kindern und Jugendlichen<br />

machen ebenfalls b<strong>es</strong>orgt. Es sind gewiss nicht nur die g<strong>es</strong>ellschaftlichen<br />

Verhältnisse, die unsere Kinder und Alten krank machen, sondern <strong>es</strong> ist<br />

die Industrie, die entschei<strong>den</strong>d mitdefiniert, was behandlungsbedürftige<br />

Krankheit ist. „The anti-stigma-campaign is a happy example for the<br />

pharmaceutical industry because it showcas<strong>es</strong> an instance in which the<br />

industry, and the public health and medical prof<strong>es</strong>sion clearly support the<br />

same goal” (Applebaum 2009).<br />

2.) Wenn die Entscheidung für eine medikamentöse Therapie auf der Basis<br />

ärztlicher Vernunft und d<strong>es</strong> informierten Patientenwillens zustande<br />

gekommen ist, dürfen Patient und seine Angehörigen, dass der <strong>Arzt</strong> sich<br />

bezüglich sein<strong>es</strong> anzuwen<strong>den</strong><strong>den</strong> Handwerkszeugs optimal informiert und<br />

all<strong>es</strong> tut, um Scha<strong>den</strong> vom Patienten fernzuhalten. Das heißt, er richtet<br />

sich nach hausarztfokussierten, unabhängigen EBM-Leitlinien zum<br />

Beispiel der DEGAM oder der AkdÄ; er benutzt zur Auswahl d<strong>es</strong><br />

richtigen Wirkstoffs, zur Erkennung und Reduktion von Risiken, etwa<br />

durch Nichtberücksichtigung von Kontraindikationen,<br />

Wechselwirkungen, eing<strong>es</strong>chränkter Nierenfunktion, Alter etc. eine<br />

intelligente Verordnungssoftware (CPOE), er führt die notwendigen<br />

Kontrollen durch, misst ggf. <strong>den</strong> Plasmaspiegel d<strong>es</strong> Medikaments. Er sieht<br />

mögliche Risiken der Arzneimittel sein<strong>es</strong> überschaubaren und nicht von<br />

Quartal zu Quartal ständig wechseln<strong>den</strong> Praxissortiments voraus, rechnet<br />

ständig mit <strong>ihn</strong>en – er betreibt schon das, was der mit der AkdÄ<br />

zusammen entwickelte Aktionsplan der Bund<strong>es</strong>regierung zur<br />

Verb<strong>es</strong>serung der Arzneitherapi<strong>es</strong>icherheit in Deutschland verbreiten<br />

möchte: eine umfassende Fehler- und Sicherheitskultur. Er verlässt sich<br />

nicht auf gefühlte Sicherheit, sondern er organisiert die optimale<br />

Sicherheit seiner Therapie. Und di<strong>es</strong> insb. für seine alten, multimorbi<strong>den</strong><br />

Patienten, von <strong>den</strong>en ein polnischer Satiriker schrieb: „Früher starben alte<br />

Leute, weil sie der Krankheit nicht gewachsen waren. Heute gibt <strong>es</strong><br />

Heilmittel gegen jede Krankheit, nur sind die alten Leute <strong>den</strong> Heilmitteln<br />

nicht gewachsen“ (Hugo Steinhaus in „Das rationale Wörterbuch“).<br />

Der gute <strong>Arzt</strong> kümmert sich um die adäquate, unabhängige<br />

Arzneimittelinformation seiner Patienten, indem er sie zum Beispiel auf<br />

die Patientenbroschüren der AkdÄ hinweist und in seinem Wartezimmer


die unabhängige und kritische Arzneimittelzeitschrift für Laien<br />

„GutePillenSchlechtePillen“ auslegt.<br />

3.) Der gute <strong>Arzt</strong> bewahrt seine Freiheit vor dem immer umfassender und<br />

stärker wer<strong>den</strong><strong>den</strong> manipulativen D<strong>es</strong>-Informations Zugriff der<br />

pharmazeutischen Industrie, - d<strong>es</strong>sen kritische Wahrnehmung nun endlich auch,<br />

wie man aus verschie<strong>den</strong>en Schlussanträgen in Mainz sehen konnte, auch beim<br />

deutschen Ärztetag angekommen ist. Er pflegt im wohlverstan<strong>den</strong>en Inter<strong>es</strong>se<br />

seiner Patienten einen distanzierten Umgang mit Pharmareferenten und verlässt<br />

sich nicht auf seine gefühlte Unabhängigkeit. Wenn Sie mich für di<strong>es</strong>bezüglich<br />

ein wenig altmodisch oder übersensitiv halten, empfehle ich Ihnen, einen Blick<br />

in amerikanische Lehrbücher für Pharmareferenten zu tun. Da lernen sie, wie<br />

Sie selbst als Ärzte und Ärztinnen aus Sicht der Industrie klassifiziert wer<strong>den</strong>.<br />

Sind sie vielleicht ein "Apostel", der auch öffentlich seine Zufrie<strong>den</strong>heit mit der<br />

Pharmaindustrie bekundet, oder sind Sie ja eine "Geisel", die zwar<br />

Machenschaften von Big Pharma kritisch sieht aber sich <strong>den</strong><strong>noch</strong> unabhängig<br />

gefühlt? Oder gehören sie zum Typ der "Söldner", die sich nicht an einen<br />

b<strong>es</strong>timmten Hersteller und seine Präparate bin<strong>den</strong> lassen? Beunruhigt ist die<br />

Industrie, das ist zunehmend "Rebellen" unter uns gibt, die Mund- Propaganda<br />

gegen die Industrie machen. Und vielleicht, wenn sie di<strong>es</strong>e ganze<br />

Rollendiffusion endgültig satt haben, wer<strong>den</strong> sie ein<strong>es</strong> Tag<strong>es</strong> zum so genannten<br />

„ no-see-doctor“ , das heißt sie empfangen überhaupt keine Vertreter mehr. - in<br />

dem Buch von Hans Weiß: "Korrupte Medizin "fin<strong>den</strong> Sie zu di<strong>es</strong>em Thema<br />

weiter<strong>es</strong> Material für Träumereien am Kamin über unsere „ brave new world of<br />

medicine“.<br />

Wie immer <strong>es</strong> der gute Doktor hält: in einem sollte er strikt sein, nämlich der<br />

grundsätzlichen Verweigerung von G<strong>es</strong>chenken der Pharmazie; das reicht von<br />

<strong>den</strong> kleinen Dingen bis hin zu <strong>den</strong> Einladungen auf internationale Kongr<strong>es</strong>sen.<br />

Ein guter <strong>Arzt</strong> kann nicht der Meinung sein, all<strong>es</strong> g<strong>es</strong>chenkt bekommen zu<br />

müssen. Eine im letzten Monat in <strong>den</strong> Archiv<strong>es</strong> of Internal Medicine publizierte<br />

Studie hat bei Medizin-Studieren<strong>den</strong> zeigen können, dass die Annahme auch<br />

kleiner Aufmerksamkeiten der Industrie zu einer m<strong>es</strong>sbar positiven Einstellung<br />

gegenüber deren jeweilige pharmazeutische Produkte führt. (Grande et.al., 2009)<br />

So wie das Royal College of Physicians in Großbritannien, so hat auch das<br />

Institute of Medicine, eine von der amerikanischen Academy of Science<br />

eing<strong>es</strong>etzte, regierungsunabhängige Organisation, vor wenigen Wochen von der<br />

Ärzt<strong>es</strong>chaft eine sehr viel r<strong>es</strong>triktivere Haltung gegenüber dem<br />

Industriemarketing gefordert und im Detail ausgeführt, was darunter zu<br />

verstehen ist.IOM ist dabei von folgender Situation in <strong>den</strong> USA ausgegangen:<br />

Zwei Drittel der Ärzte akzeptieren kostenfreie Muster und Gratismahlzeiten,<br />

mehr als ein Drittel empfängt Zuschüsse zu Fortbildungen und mehr als ein<br />

Viertel b<strong>es</strong>ucht Marketingsveranstaltungen oder ist in<br />

Anwendungsbeobachtungen eingebun<strong>den</strong>.


4.) Der gute <strong>Arzt</strong> fühlt sich in seiner eigenen Lebensweise dem Konzept der<br />

Salutogen<strong>es</strong>e verpflichtet und bringt di<strong>es</strong>e Einstellung dem Patienten gegenüber<br />

auch zum Ausdruck. Di<strong>es</strong> mag viele Details betreffen, vielleicht sogar die<br />

Pflanzen im Wartezimmer: Falko Rademacher, der manche Gags für die Harald<br />

Schmidt Show g<strong>es</strong>chrieben hat, sagte dazu: Sie kennen ja di<strong>es</strong>e immergrünen<br />

Pflanzen, die sich durch jed<strong>es</strong> <strong>Arzt</strong>wartezimmer ranken.Wür<strong>den</strong> Sie einem <strong>Arzt</strong><br />

vertrauen, der nicht mal richtige Pflanzen am Leben halten kann?<br />

MDH. Es ist schwer, in Worte und in eine Stunde zu fassen, was di<strong>es</strong><strong>es</strong><br />

komplexe Thema enthält. Eine wissenschaftlich begründete Beantwortung der<br />

Frage, ob <strong>es</strong> nun <strong>den</strong> <strong>guten</strong> <strong>Arzt</strong> gibt oder nicht, erlassen Sie mir bitte. Nur einen<br />

<strong>noch</strong>mals extrem kasuistischen Satz: Ich selbst habe in früheren Jahren viel<br />

ärztlichen Unsinn an mir erduldet, gegen <strong>den</strong> ich mich damals nicht getraut<br />

habe, mich zu wehren .Ich habe im Laufe mein<strong>es</strong> Lebens und als ein Mensch,<br />

dem bislang ganz schlimme Krankheit erspart wurde ,2 Hausärzte und vier<br />

niedergelassene Fachärzte und einen Kollegen am Krankenhaus erlebt, <strong>den</strong>en<br />

ich glaubte und glaube, voll vertrauen zu können, und die mir Gut<strong>es</strong> getan<br />

haben. Ich bin <strong>ihn</strong>en dafür aus ganzem Herzen dankbar und bewundere<br />

sozusagen stellvertretend für Sie alle, MDH, ihr nicht erlahmend<strong>es</strong> kompetent<strong>es</strong><br />

Engagement in di<strong>es</strong>er für ein Gut<strong>es</strong>-<strong>Arzt</strong>-Sein schwierig gewor<strong>den</strong>en Welt.

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