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Obergericht - Gerichte - Kanton Luzern

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<strong>Obergericht</strong><br />

Abteilung:<br />

Rechtsgebiet:<br />

Justizkommission<br />

Zivilprozessrecht<br />

Entscheiddatum: 29.01.1992<br />

Fallnummer: OG 1991 31<br />

LGVE: 1991 I Nr. 31<br />

Betreff:<br />

Leitsatz:<br />

§§ 305ff. ZPO; Art. 175 ZGB. Die Gewährung der unentgeltlichen<br />

Rechtspflege ist auch in Verfahren nach Art. 175 ZGB grundsätzlich<br />

möglich (Praxisbestätigung). Ein Anspruch auf Bestellung eines<br />

unentgeltlichen Rechtsbeistandes ist jedoch nur ausnahmsweise zu<br />

bejahen; Voraussetzungen.<br />

Rechtskraft:<br />

Diese Entscheidung ist rechtskräftig.<br />

Bemerkungen:


Entscheid:<br />

Mit Entscheid vom 14. Januar 1992 erteilte der Amtsgerichtspräsident der Gesuchstellerin für das von ihr<br />

anhängig gemachte Verfahren nach Art. 175 ZGB für die Anwaltskosten die unentgeltliche Rechtspflege. Zur<br />

Begründung führte er aus, sie sei mangels Kenntnis der deutschen Sprache zur Geltendmachung ihrer<br />

rechtlichen Ansprüche auf einen Anwalt angewiesen.<br />

Aus den Erwägungen:<br />

Gemäss § 305 ZPO kann sich um die Erteilung der unentgeltlichen Rechtspflege bewerben, wer wegen<br />

Armut ausserstande ist, sein Recht zu verfolgen oder zu verteidigen. Unmittelbar aus Art. 4 BV fliesst der<br />

Anspruch einer bedürftigen Person, dass Verfahrenskosten zumindest gestundet werden, soweit dies zur<br />

Führung eines für sie nicht aussichtslosen Verfahrens notwendig ist. Zu den Verfahrenskosten gehören auch<br />

die Kosten eines Anwalts, wenn ein solcher zur Wahrung der Interessen des unbemittelten Bürgers<br />

erforderlich ist (statt vieler: BGE 112 I a 14). Dieser Grundsatz muss für jedes Verfahren vor staatlichen<br />

Instanzen gelten, denn es gibt kein Verfahren, in welchem der Grundsatz der Rechtsgleichheit keine<br />

Anwendung findet. Art. 4 BV setzt deshalb den Rahmen für das Zivil-, das Straf- und das<br />

Verwaltungsverfahren. In wenigen besonderen Verfahren kommt die Erteilung der unentgeltlichen<br />

Rechtspflege allerdings nicht in Frage, weil das Verfahren ohnehin unentgeltlich durchgeführt wird und/oder<br />

ein Anwalt von Gesetzes wegen nicht zugelassen bzw. aus bestimmten Gründen nicht erforderlich ist (z.B.<br />

im Verfahren vor der Schlichtungsbehörde für Mietverhältnisse, LGVE 1990 I Nr. 29; im Verfahren vor<br />

Arbeitsgericht, §§ 67 f. AGG; zur bestehenden Praxis im Betreibungsverfahren vgl. LGVE 1989 I Nr. 21).<br />

Keine Ausnahme vom oben dargelegten Grundsatz bildet dagegen das im summarischen Verfahren nach §<br />

361 resp. §§ 342-342quater ZPO durchzuführende Eheschutzverfahren nach Art. 175 ZGB. In diesem Sinne<br />

ist der Amtsgerichtspräsident zu Recht auf das Gesuch der Gesuchstellerin um Gewährung der<br />

vollumfänglichen unentgeltlichen Rechtspflege eingetreten und hat materiell geprüft, ob und inwieweit das<br />

Gesuch gutgeheissen werden kann.<br />

a) Die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege setzt vorab voraus, dass das Begehren des<br />

Gesuchstellers nicht aussichtslos und dass er arm im Sinne von § 305 ZPO ist. Beide Voraussetzungen sind<br />

vorliegend erfüllt. Die Gesuchstellerin hat jedoch bereits einen kostendeckenden Vorschuss geleistet. Wie<br />

der Amtsgerichtspräsident zutreffend festhielt, entfällt daher die Gewährung der unentgeltlichen<br />

Rechtspflege für die Gerichtskosten (LGVE 1984 I Nr. 20 E. 4b).<br />

b) Die Gesuchstellerin hat Anspruch auf Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsvertreters, wenn sie nicht<br />

imstande ist, ihre Sache selbst vor Gericht zu vertreten (§ 309 Abs. 1 ZPO). Diese Umschreibung der<br />

<strong>Luzern</strong>er ZPO stimmt dem Inhalt nach mit dem direkt aus Art. 4 BV fliessenden Anspruch überein, wonach<br />

eine arme Partei Anspruch auf Ernennung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes hat, wenn sie eines<br />

solchen zur gehörigen Wahrung ihrer Interessen bedarf (BGE 112 I a 14). Das trifft zu, wenn sich<br />

komplizierte Sach- oder Rechtsfragen stellen. Zu berücksichtigen sind überdies die Bedeutung der<br />

Streitsache, die Rechtskundigkeit der Partei und der Umstand, dass die Gegenpartei durch einen Anwalt<br />

vertreten ist (Müller G., Kommentar zur schweizerischen Bundesverfassung, N 126 zu Art. 4 BV mit<br />

Hinweisen; Müller Jörg Paul, Die Grundrechte der schweizerischen Bundesverfassung, Bern 1991, S. 289<br />

mit Hinweisen). Ob ein Rechtsstreit schwierig zu führen ist, muss in jedem Einzelfall aufgrund der konkreten<br />

Umstände und unter Berücksichtigung der den Prozess führenden Parteien (auch die Parteirollenverteilung<br />

kann von Bedeutung sein) abgeklärt werden (BGE 112 I a 9ff.; 112 I b 345). Es sind somit alle subjektiven<br />

und objektiven Elemente zu würdigen (Ries Beat, Die unentgeltliche Rechtspflege nach aargauischem<br />

Zivilprozessrecht, Aarau 1990, S. 198 f.; Düggelin Walter, Das zivilprozessuale Armenrecht im <strong>Kanton</strong><br />

<strong>Luzern</strong>, Zürich 1986, S. 175 ff.).<br />

Im vorliegenden Fall geht es um ein Eheschutzverfahren gemäss Art. 175 ZGB. Aus dem Zweck des<br />

Eheschutzes ergeben sich besondere Anforderungen an das Verfahren. Erforderlich ist von Bundesrechts<br />

wegen vor allem ein mündliches Verfahren. Überdies soll es rasch sein und nur geringe Anforderungen an<br />

die Rechtsbegehren stellen. Auch bedarf das Eheschutzverfahren grundsätzlich der persönlichen<br />

Anwesenheit beider Ehegatten (Hausheer/Reusser/Geiser, Kommentar zum Eherecht, N 14 zu Art. 180<br />

ZGB). Schon von Bundesrechts wegen ist daher das Eheschutzverfahren summarisch durchzuführen (vgl.<br />

LGVE 1989 I Nr. 4 E. 2a mit Hinweisen). Diesen Anforderungen hat der <strong>Luzern</strong>er Gesetzgeber mit der<br />

Einführung von §§ 342bis, 342ter und 342quater Rechnung getragen. Danach ist der Gerichtspräsident<br />

insbesondere befugt, in begründeten Fällen auch ein mündliches Gesuch entgegenzunehmen (§ 342bis<br />

Abs. 1 ZPO); es genügt im wesentlichen das blosse Glaubhaftmachen der gesetzlichen Voraussetzungen,<br />

und der Gerichtspräsident kann ergänzende Abklärungen auch von Amtes wegen treffen (§ 342quater ZPO).


Es liegt auf der Hand, dass gerade wegen dieser für die Rechtssuchenden vorteilhaften Ausgestaltung des<br />

Eheschutzverfahrens im <strong>Kanton</strong> <strong>Luzern</strong> Eheschutzprozesse in der Regel einfach zu führen sind und somit<br />

eine Verbeiständung durch einen Rechtsanwalt normalerweise nicht nötig bzw. nur dann erforderlich ist,<br />

wenn sich die Sach- und Rechtslage ausnahmsweise als kompliziert herausstellt (z. B. schwierige<br />

Obhutszuteilung; komplizierte Berechnung der Alimente). Aufgrund der Pflicht des Richters, in begründeten<br />

Fällen auch mündliche Gesuche zu Protokoll zu nehmen, erscheint der Beizug eines Rechtsbeistandes<br />

namentlich nicht schon deshalb als nötig, weil die Gesuchstellerin oder der Gesuchsteller wegen irgendwie<br />

gearteter Unbeholfenheit nicht imstande ist, das Gesuch in geeigneter Form selbst zu verfassen. Auch<br />

mangelnde Kenntnisse der deutschen Sprache vermögen für sich allein noch keinen Anspruch auf einen<br />

Rechtsvertreter zu begründen. Einer solchen Partei ist es normalerweise möglich und zumutbar, aus dem<br />

Bekannten- oder Freundeskreis einen Dolmetscher zuzuziehen, um mit Hilfe von Drittpersonen oder des<br />

Richters ihr Begehren zu formulieren. Bei einfachen Fällen haben angesichts der bürgernahen<br />

Verfahrensausgestaltung die subjektiven Elemente regelmässig in den Hintergrund zu rücken. Allerdings<br />

gewinnen sie mit zunehmend schwierigerer Sach- und Rechtslage an Bedeutung. Der Richter wird daher in<br />

jedem Einzelfall zu prüfen und zu begründen haben, ob aufgrund der konkreten Umstände eine heikle Sachund<br />

Rechtslage vorliegt, welche ausnahmsweise die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands<br />

rechtfertigt. In diesem Sinne ist auch § 309 Abs. 1 letzter Satz der geltenden <strong>Luzern</strong>er ZPO, wonach in<br />

Verfahren vor dem Gerichtspräsidenten als Einzelrichter, mithin auch im Verfahren nach Art. 175 ZGB, die<br />

Bestellung eines Armenanwalts nur ausnahmsweise erfolgen darf (vgl. auch die ähnliche Reglung in § 134<br />

Abs. 3 des Entwurfs zur neuen ZPO: "Im summarischen Verfahren ist in der Regel kein Rechtsbeistand zu<br />

bestellen"), auszulegen und anzuwenden. Gerade wegen der besonderen Ausgestaltung des Verfahrens,<br />

aber auch wegen der Tatsache, dass Ausnahmen möglich sind, verletzt diese Bestimmung Art. 4 BV nicht.<br />

c) Angesichts der obigen Kriterien muss der Antrag der Gesuchstellerin auf Bestellung eines unentgeltlichen<br />

Rechtsbeistandes für das Eheschutzverfahren abgewiesen werden. In tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht<br />

bieten sich im vorliegenden Fall keine besonderen Schwierigkeiten. Allein deshalb, weil sich die<br />

Gesuchstellerin nicht in deutscher Sprache verständigen kann, ist der Beizug eines unentgeltlichen<br />

Rechtsbeistandes nicht erforderlich.

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