Hohe Kosten im Gesundheitswesen: Eine Frage des Alters?

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gesundheit Schaubild 6 Behandlungsfälle und Behandlungskosten in Krankenhäusern 2008 Behandlungskosten (EUR je Behandlungsfall) 10 000 8 000 Sterbefälle 6 000 4 000 Entlassungen 2 000 0 0 5 10 15 20 Behandlungsfälle (Millionen) Die Blasenfläche gibt den jeweiligen Anteil an den Gesamtkosten der Krankenhäuser im Jahr 2008 wieder. 2011 - 01 - 0471 Milliarden Euro bei nur 5,2%. Anders ausgedrückt: Der Beitrag der Kosten der Sterbefälle zu den Gesamtkosten der Krankenhäuser ist, trotz hoher Kostenintensität je Fall, infolge der relativ niedrigen Fallzahlen verhältnismäßig gering. Dieser Eindruck bestätigt sich, wenn man zusätzlich nach Altersgruppen differenziert. Schaubild 7 ist zu entnehmen, inwieweit die beiden Komponenten – Häufigkeit und Kostenintensität einer Behandlung – zu den absoluten Behandlungskosten je Altersklasse beitragen. So entfallen zum Beispiel mit knapp 25,9 Milliarden Euro rund 39 % der gesamten Behandlungskosten in Krankenhäusern auf Entlassungen im Alter von 65 bis 84 Jahren, aber nur 3,1 % auf Sterbefälle der gleichen Altersgruppe – obwohl die durchschnittlichen Behandlungskosten bei einem Sterbefall (9 050 Euro) in dieser Altersgruppe mehr als doppelt so hoch waren wie die bei einer Entlassung (4 160 Euro). Offensichtlich entscheiden auch an dieser Stelle die stark differierenden Fallzahlen über das Gesamtvolumen: So konnten in dieser Altersgruppe gut 6,2 Millionen Patientinnen und Patienten das Krankenhaus nach der Behandlung regulär verlassen, rund 230 000 Personen sind im Krankenhaus gestorben. Das heißt in dieser Altersgruppe gab es 27-mal so viele Entlassungen wie Sterbefälle. Schaubild 7 Behandlungsfälle und Behandlungskosten in Krankenhäusern 2008 nach Alter Behandlungskosten (EUR je Behandlungsfall) 15 000 bis 64 Jahre 10 000 65 bis 84 Jahre 65 bis 84 Jahre bis 64 Jahre 5 000 ab 85 Jahren ab 85 Jahren 0 0 2 4 6 8 10 12 Behandlungsfälle (Millionen) Sterbefälle Entlassungen Die Blasenfläche gibt den jeweiligen Anteil an den Gesamtkosten der Krankenhäuser im Jahr 2008 wieder. 2011 - 01 - 0472 670 Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik, Juli 2011
gesundheit Tabelle 2 Behandlungsfälle und Behandlungskosten in Krankenhäusern 2008 nach Altersgruppen Alter von . . . bis . . . Jahren Behandlungsfälle in Krankenhäusern Behandlungskosten in Krankenhäusern Behandlungskosten je Behandlungsfall insgesamt Sterbefälle Entlassungen insgesamt Sterbefälle Entlassungen insgesamt je Sterbefall je Entlassung Anzahl Mill. EUR EUR je Fall bis 14 . . . . . . . . . . . . . 1 806 651 2 850 1 803 801 4 543 58 4 485 2 510 20 430 2 490 14 – 29 . . . . . . . . . . . . 1 816 400 1 927 1 814 473 5 064 40 5 024 2 790 20 760 2 770 30 – 44 . . . . . . . . . . . . 2 338 373 7 292 2 331 081 7 370 106 7 264 3 150 14 580 3 120 45 – 64 . . . . . . . . . . . . 4 361 469 59 283 4 302 186 17 349 693 16 656 3 980 11 690 3 870 65 – 84 . . . . . . . . . . . . 6 448 439 230 323 6 218 116 27 938 2 085 25 854 4 330 9 050 4 160 85 und mehr . . . . . . . 1 157 708 99 234 1 058 474 4 456 486 3 971 3 850 4 890 3 750 Insgesamt . . . 17 929 040 400 909 17 528 131 66 721 3 468 63 253 3 720 8 650 3 610 Zwischenfazit: Hohe Kosten – am Lebensende und im Alter Die dargestellten Ergebnisse zeigen zum einen, dass die Behandlungskosten im Krankenhaus bei einem Sterbefall mehr als doppelt so hoch sind wie die bei einem Patienten, der das Krankenhaus nach der Behandlung wieder regulär verlässt. Zum anderen belegen die Kosten bei den Sterbefällen eine bemerkenswerte Altersdynamik: Die durchschnittlichen Behandlungskosten liegen hier bei älteren Menschen um ein Vielfaches unter denen junger Menschen. 17 Gleichzeitig sind Krankenhausbehandlungen am Lebensende – gleich in welchem Alter – durchweg mit höheren Kosten verbunden als solche bei Patientinnen und Patienten, die das Krankenhaus wieder regulär verlassen. Eine indirekte Rolle spielt für diese Kostendifferenz wahrscheinlich die durchschnittliche Verweildauer: Je Behandlungstag betrachtet verringert sich das Kostengefälle zwischen Sterbe- und Entlassfällen um gut ein Viertel. Weiterführende Auswertungen weisen darüber hinaus auf die Bedeutung des Diagnosespektrums für das vorliegende Thema hin: Vergleicht man zum Beispiel die altersspezifischen Kostenprofile von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, von Neubildungen und von Verletzungen und Vergiftungen, so liegen die Kosten der Sterbefälle zwar bei allen drei Krankheitsarten über denen der Entlassungen. Dennoch ist die Heterogenität der Kostenprofile bemerkenswert und weitergehender Analysen wert. Die oben beschriebenen Ergebnisse bestätigen eine Reihe von Studien auf Grundlage von Krankenversicherungsdaten. 18 Das gilt insbesondere für das beobachtete Kostengefälle zwischen Sterbe- und Entlassfällen 19 sowie für den Rückgang der Sterbekosten mit zunehmendem Alter 20 . 17 Brockmann vermutet hinter diesem empirischen Befund eine „implizite Altersrationierung“ (siehe Brockmann, H.: “Why is less money spent on health care for the elderly than for the rest of the population? Health care rationing in German hospitals” in Social Science & Medicine, Jahrgang 55, Nr. 5, 2002, Seite 593 ff.). 18 Siehe dazu zum Beispiel den Überblick in Kruse, A./Knappe, E./Schulze-Nieswandt, F./Schwartz, F.-W./Wilbers, J.: „Kostenentwicklung im Gesundheitswesen: Verursachen ältere Menschen höhere Gesundheitsausgaben?“ Heidelberg 2003, Seite 18 ff. 19 Siehe zum Beispiel Lubitz, J./Prihoda, R., Fußnote 14, und Felder, S./Zweifel, P.: „Gesundheits- und sozialpolitische Implikationen des Alterungsprozesses“ in Zweifel, P./Felder, S. (Herausgeber): „Eine ökonomische Analyse des Alterungsprozesses“, Bern 1996, Seite 221 ff. 20 Siehe hierzu Lubitz, J./Riley, G., Fußnote 14, hier: Seite 1094, und Brockmann, H., Fußnote 17. Unterschiede im Ergebnis, zum Beispiel im Niveau und im Ausmaß des Kostengefälles, können durch den methodischen Ansatz und das abweichende Datenmaterial plausibel erklärt werden. Einhellig kommen diese Studien zu dem Schluss, dass ein Großteil der lebenslangen Krankheitskosten im letzten Jahr vor dem Tod entsteht beziehungsweise diese Kosten mit der zeitlichen Nähe zum Tod ansteigen. Einzelne Vertreter der Sterbekostenthese gehen sogar davon aus, dass die Restlebenszeit die Kostenverteilung bestimme, und zwar unabhängig vom chronologischen Lebensalter. 21 Vor diesem Hintergrund ist der relativ geringe Kostenanteil der Sterbefälle von 5,2 % an den Gesamtkosten der Krankenhäuser besonders interessant. 22 Zu diesem geringen Anteil trägt auch das Datenmaterial bei: Erstens wird hier nur ein Ausschnitt des Gesundheitswesens – nämlich der Krankenhausbereich – betrachtet. Zweitens können ausschließlich die letzten Krankenhausbehandlungen vor dem Tod identifiziert werden und nicht längere Passagen, wie etwa sämtliche Krankenhausbehandlungen im letzten Lebensjahr. Dadurch können drittens im Datenmaterial Mehrfachzählungen von Personen enthalten sein, sofern diese das Krankenhaus innerhalb eines Jahres mehrfach aufgesucht haben. Trotz dieser Einschränkungen sind die Ergebnisse plausibel, insbesondere wenn man sich die jeweiligen Häufigkeiten − rund 400 000 Krankenhaussterbefälle im Vergleich zu 17,5 Millionen Entlassungen – vor Augen führt. Ein Gedankenspiel soll die Dynamik hinter dem Kostengeschehen im Krankenhausbereich verdeutlichen: Nimmt man an, dass sämtliche Sterbefälle im Jahr 2008 bereits eine weitere reguläre Krankenhausbehandlung 23 in Anspruch genommen hatten, und teilt Sterbe- und Entlasskosten auf dieser Grundlage neu auf, so erhöht sich der Anteil der Sterbekosten an den Gesamtkosten in Krankenhäusern von 5 % auf 8 %. Bei zwei zusätzlichen Krankenhausbehandlungen 21 Zweifel kommt auf Basis von Schweizer Krankenkassendaten zu dem Schluss, dass „[d]as Alter der Verstorbenen [...] keinen erkennbaren Einfluss auf die Behandlungskosten der über 65jährigen Verstorbenen [habe], sobald die Nähe zum Todeszeitpunkt als zusätzlicher Faktor berücksichtigt wird“. Siehe Zweifel, P.: „Alter, Gesundheit und Gesundheitsausgaben – eine neue Sicht“ in Wissenschaftliches Institut der AOK und AOK-Bundesverband (Herausgeber): G+G Wissenschaft (GGW), 1. Jahrgang, Heft 1/2001, Seite 10. Höpflinger stellt angesichts dieser Ergebnisse die Frage, „ob die immer wieder angeführte positive Korrelation zwischen (chronologischem) Alter und Krankheitskosten nicht eine Scheinbeziehung darstellt“ in Demografische Alterung – Trends und Perspektiven, April 2011, Seite 14, im Internet unter www.hoepflinger.com/fhtop/Demografische-Alterung.pdf (abgerufen am 12. Juli 2011). 22 Lubitz und Prihoda ermitteln auf Grundlage von amerikanischen Medicare-Daten für 1978, dass 28 % der Kosten auf Versterbende entfallen, die 6 % der Studienpopulation ausmachten (Fußnote 14, hier: Seite 119). Brockmann berichtet auf Grundlage von Daten von über 400 000 AOK-Versicherten der Jahre 1996/1997, dass 10 % bis 12 % der jährlichen Krankenhauskosten auf sämtliche Sterbefälle entfallen (siehe hierzu Brockmann, H., Fußnote 17, hier Seite 595). Polder und andere errechnen für die Niederlande, dass 10 % der gesamten Gesundheitsausgaben 1999 im letzten Lebensjahr angefallen sind (siehe Polder, J./Barendregt, J./van Oers, H.: “Health care costs in the last year of life – the Dutch Experience” in Social Science & Medicine, Jahrgang 63, Nr. 7, 2006, Seite 1720 ff. 23 Bewertet mit den entsprechenden altersspezifischen Kosten der regulären Entlassungen. Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik, Juli 2011 671
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