Lesen - Golf Dornseif
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Neuguinea 1902: Mutter und Kind aus Rache ermordet<br />
von <strong>Golf</strong> <strong>Dornseif</strong><br />
Vergleicht man die Lebensumstände von zivilen Europäern (ohne Militärpersonen) in den<br />
afrikanischen Kolonien mit der zeitgenössischen Situation (1890 – 1914) in Deutsch-<br />
Neuguinea, so lässt sich ohne Übertreibung feststellen, dass Forscher, Jäger und Siedler<br />
neben Missionaren usw. dort am ehesten riskierten (oft aus unbekannten Gründen) von<br />
Eingeborenen ermordet zu werden. Das folgende Beispiel demonstriert anschaulich ein<br />
typisches Schicksal (Deutsches Kolonialblatt 1902).<br />
Amtlicher Bericht des Kaiserlichen Richters Wolff zu Herbertshöhe über die Bestrafung der Eingeborenen<br />
von Paparatava und Tomainisiki wegen des Überfalls auf das Besitztum des Pflanzers Wolff<br />
und der Ermordung von dessen Frau und Kind wie dokumentiert:<br />
Der Pflanzer Rudolf Wolff hatte sich im Oktober 1900 am Südfuss des Barzin in Tobaule im Gelände<br />
der Dorfschaft Paparatava niedergelassen, etwa zweieinhalb Stunden von Herbertshöhe entfernt. Das<br />
Gouvernement hatte ihm gestattet, von den Eingeborenen Land bis zu 500 Hektar zu erwerben. Der<br />
Erwerb erfolgte anscheinend glatt und friedlich. Ein großer Teil des Landes war bereits vermessen.<br />
Im Dezember 1900 war Wolffs Ehefrau Hedwig, geborene Krebs, nachgekommen. Dem Ehepaar war<br />
am 10. November 1901 ein Knabe geboren worden. Seit einigen Wochen hielt sich auf der Ansiedelung<br />
auch ein Fräulein Carrie Coe besuchsweise auf. Wolff betrieb hauptsächlich Plantagenwirtschaft.<br />
Neben dieser hatte sich ein bedeutender Tauschhandel entwickelt. Wolff handelte<br />
Kopra aus den kokosnussreichen Distrikten von Paparatava, Tomainisiki, Weiriki, Taolspitoko.
Am 20. März 1902 meldete Wolff dem Kaiserlichen Richter in Herbertshöhe, die Paparatava-Eingeborenen<br />
zeigten sich unruhig. Tokitau, der vom Gouvernement eingesetzte Häuptling von Paparatava,<br />
sei nachts zu Wolffs Koch Siar gekommen und habe ihn gewarnt. Ebenso habe Pater Eberlein Wolff<br />
wegen der Stimmung der Eingeborenen zur Vorsicht ermahnt. Anlass zum feindseligen Verhalten der<br />
Eingeborenen scheine der Umstand gewesen zu sein, dass ein zum angekauften Grundstück gehöriger,<br />
unmittelbar am Gunan des alten Häuptlings Tokitau gelegener Abhang zur Anlage einer Kaffee-<br />
Pflanzung abgeholzt wurde. (Anmerkung: Gunan gleich Wohnhütte).<br />
Tokitau habe daraufhin die als Bezahlung für das Land schon vor mehr als Jahresfrist<br />
angenommenen Waren an Wolff zurückgesandt und den Gunan verlassen. Auf diese Nachricht hin ritt<br />
der Kaiserliche Richter am 22. März nach Tobaule hinauf. Bei der Besichtigung des Geländes traf der<br />
Richter unter anderen nicht den bestellten Tokitau, aber einen zur Verwandtschaft des Tokitau<br />
zählenden Eingeborenen. Dieser Mann erklärte, Tokitau habe die Aufforderung zum Erscheinen nicht<br />
rechtzeitig erhalten, doch werde er morgen kommen.<br />
Diese Auskunft war offenkundig eine Unwahrheit und das Versprechen für den folgenden Tag<br />
unglaubwürdig. Die Ortsbesichtigung ergab, dass das Grundstück, auf dem der Gunan (Wohnhütte)<br />
stand, unzweifelhaft zu dem an Herrn Wolff verkauften und bereits vermessenen Land gehörte. Es<br />
wurde dem Tokitau eingeschärft, dass er den Tokilan anweisen solle, seine Ansprüche und Beschwerden<br />
in Herbertshöhe beim Gouvernement zur Sprache zu bringen.<br />
Dem Tokitau wurde ferner bedeutet, dass er, falls Tokilan seinen Weisungen nicht nachkäme,<br />
Polizeijungen (Hilfspolizisten) zu seiner Verfügung erhalten würde. Nach dem Grund seiner Warnung<br />
gegenüber Wolff befragt, erklärte Tokitau, Tokilan sei sehr aufgeregt gewesen und hätte Krieg machen<br />
wollen. Einige Tage später erklärte Wolff in Herbertshöhe dem Kaiserlichen Richter, die Sache<br />
sei inzwischen beigelegt. Tokilan habe die Tauschartikel wieder angenommen, sei in seinen Gunan<br />
(Hütte) heimgekehrt und habe ihn sogar aufgefordert einmal zu Besuch zu kommen. Wie es sich jetzt<br />
herausgestellt hat, war diese Haltung des Tokilan eine arglistige Täuschung. Er wollte Wolff in einen<br />
Hinterhalt locken und ermorden.<br />
Am dritten April kurz vor 10 Uhr, während der Postdampfer TANGLIN auf Reede ankerte, kam ein<br />
Arbeiter der Pflanzung Girre-Girre ins Büro des Kaiserlichen Richters beim Gouvernement und sagt<br />
aus, Herr Wolff sei auf der Kolbe-Pflanzung Girre-Girre erschienen, um den Leiter Ossmann zu<br />
sprechen, der aber nicht anwesend war. Wolff habe darum gebeten, Arbeiter der Kolbe-Plantage mit<br />
Speeren zu bewaffnen. Der Bote sollte in Herbertshöhe melden: Tobaule wurde von Eingeborenen<br />
überfallen. Frau Wolff mit ihrem Kind sowie Fräulein Coe seien ermordet worden!<br />
Polizeisoldaten beim Appell in Rabaul<br />
Morde an Europäern in Deutsch-Neuguinea 1885 bis 1899
Mai 1885 Kaboteron Svente Carlston Händler<br />
Sept. 85 Lessoa Cambell Händler<br />
Dez. 85 Nanuk Carr Händler<br />
Sept. 86 Kapsu Herrmann Händler<br />
----------87 Nakanai Weidlandt Händler<br />
Dez. 88 Kapsu Robert Hoppe Händler<br />
März 89 Tubtup Joseph Haas Händler<br />
Okt. 89 Pogomianu Kerakoose und Frau Händler<br />
1890 Kapsu Frank Bradley Händler<br />
Dez. 90 Nuguria John Coe Pflanzer<br />
Apr. 91 Bosso Alex Gunderson Händler<br />
Mai 91 Malala Friedrich Bösch Missionar<br />
Bodo von Molsy Stationsleiter<br />
Wilhelm Scheidt Missionar<br />
Aug. 91 Tonbenam Ludwig Müller Aufseher<br />
Sept. 92 Nuguria Agostino Stallio Kapitän<br />
Juli 93 Nuguria Robert Anderson Pflanzer<br />
Georg Müller<br />
Gerichts-Sekretär<br />
März 94 Kabien Carl Rojahn Händler<br />
Dez. 94 Rambutjo Louis Coatelan Händler<br />
Apr. 94 Liri Friedrich Senf Steuermann<br />
Aug. 95 Siwa Louis Numa Händler<br />
Okt. 95 Kaiser Wilhelms Land Otto Ehlers Forscher<br />
Wilhelm Piering Unteroffizier<br />
Sept. 95 Kandoka Hilson Händler<br />
März 96 Wuwulu Schielkopf Händler<br />
1897 Simberi Anat Händler<br />
Mai 97 Nissan Oliver Beavis Händler<br />
Aug. 97 Klein-Gorib Curt von Hagen Landeshauptmann<br />
Mai 98 Kap Laverdie Max Kolshorn Steuermann<br />
Aug. 99 Komuli Hans Maetzke Händler<br />
Okt. 99 Papitalai Richard Dathe Kapitän<br />
Nielson<br />
Steuermann<br />
Die Polizeitruppe wurde sofort alarmiert, und der Kaiserliche Richter fuhr mit seinem Wagen nach<br />
Paparatava. Hinter Girre-Girre schloss sich ihm der dort zu Pferd am Weg wartende Herr Wolff an und<br />
noch vor Paparatava schlossen sich die Herren Coe, Schultze und Döllinger beritten an. Gegen 11<br />
Uhr erreichte der kleine Trupp den Tatort.<br />
Im Hof zwischen dem Wohnhaus und dem Küchengebäude, drei bis vier Schritte von der Hintertreppe<br />
des Wohnhauses entfernt, lag die Leiche der Frau Wolff mit großen Wunden am Hinterkopf. Auf der<br />
Veranda fand man die Leiche des Säuglings. Fräulein Coe hatte rechtzeitig fliehen können. An der<br />
Treppe rechter Hand lag ein Schwein, offenbar von den Eingeborenen zum Kauf angeboten. In den<br />
Zimmern des Wohnhauses waren alle Möbel umgestürzt, alle Schubladen durchwühlt, alle möglichen<br />
Gegenstände zertrümmert, auch das Klavier. Die Tasten wurden einzeln zerfetzt. Den Eingeborenen<br />
fielen nach Angaben von Herrn Wolff auch mehrere Gewehre mit Munition in die Hände.<br />
Gegen 12 Uhr erschien die Polizeitruppe. Mittlerweile waren einige Arbeiter des Herrn Wolff verwundet<br />
aufgefunden worden. 20 Polizisten wurden deshalb zur Durchsuchung des Geländes nach<br />
weiteren Verletzten abgestellt. Der Regierungsarzt Dr. Wendland erschien ebenfalls vor Ort.<br />
Die Haupttruppe der Polizeisoldaten ging jetzt unter Leitung des Kaiserlichen Richters gegen die Dorfschaft<br />
Paparatava vor. Der Ort war menschenleer. Die Hütten wurden zerstört. Anschließend rückte<br />
man zur Missionsstation St. Joseph am Abhang des Verzin-Gebirges vor. Einige Farbige flüchteten<br />
beim Anblick der Soldaten, doch wurde nicht geschossen, weil es sich um Missionszöglinge handeln<br />
konnte. Tatsächlich waren es jedoch Bewohner aus Paparatava. Es gelang nicht, Gefangene zu<br />
machen, und die Polizeijungen bezogen ihr Nachtquartier.
Am 5. April wurde mit 20 Soldaten ein Marsch in die Umgebung des Paparatava Geländes<br />
unternommen, um die Ausbreitung des Aufstandes festzustellen. Mit den übrigen Polizisten griff der<br />
Kaiserliche Richter die Eingeborenen aus Paparatava in ihren neuen, von langer Hand vorbereiteten<br />
und im tiefen Busch verborgenen Gunans (Hütten) überraschend an und vertrieb sie. Am 6. und 7.<br />
April wurden die Pflanzungen der Paparatava-Eingeborenen zerstört, unterstützt durch zahlreiche<br />
Plantagenarbeiter europäischer Unternehmen der Umgebung.<br />
Am 11. April besetzte die Truppe Tomainisiki, weil sich die dortigen Bewohner an der Ermordung von<br />
Mutter und Kind Wolff beteiligt hatten. Häuptling To Bagira galt als erbitterter Feind aller Weißen. Die<br />
Pfade dorthin waren mit Hindernissen versehen, und die Eingeborenen leisteten nur geringen Widerstand.<br />
Die Truppe übernachtete in Tomainisiki. Inzwischen flüchtete Tokilan mit seinen drei Söhnen<br />
und anderen Getreuen sowie To Vagira nebst Sohn und Gefolge in den unzugänglichen Busch zwischen<br />
Tomainisiki und Taulil. Von dort aus bewegten sich nach Angaben von Eingeborenen sieben<br />
Männer – unter ihnen die drei Söhne des Tokilan – mit drei Mausergewehren aus dem Besitz von<br />
Herrn Wolff nach Taulil, um dort Unterstützer zu finden.<br />
Tatsächlich wurden die Besucher zunächst freundlich aufgenommen, jedoch nach etwa einer Woche<br />
plötzlich erschlagen. Daraufhin sind Tokilan und To Bagira, die sich bereits auf dem Weg nach Taulil<br />
befanden, umgekehrt. Nachdem die Bewohner von Taulil der Aufforderung des Kaiserlichen Richters<br />
nicht nachkamen, die Mörder auszuliefern, marschierte die Polizeitruppe am 28. April nach Taulil. Kurz<br />
vor ihrer Ankunft entdeckten die Polizisten in einem tief eingeschnittenen Bachbett zerlegte Teile einer<br />
Leiche, die nicht identifiziert werden konnte. Wenig später überraschten die Polizeisoldaten eine<br />
Schar Eingeborener aus Taulil bei einem Mahl mit Menschenfleisch. Es war das Fleisch der vor einer<br />
Woche Erschlagenen. Am 2. Mai wurde Tokilan bei einem Streifzug von Polizeisoldaten erschossen.<br />
Der Aufstand ist inzwischen zur Ruhe gekommen.
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