Artikel lesen (PDF) - Globetrotter
Artikel lesen (PDF) - Globetrotter
Artikel lesen (PDF) - Globetrotter
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Fragmente einer SkandinavienreISe<br />
Mansikka<br />
(finnisch für Erdbeeren)<br />
Stockholm I Ein Flug zurück in<br />
die Vergangenheit? Zu unserem Erstaunen<br />
wartet Stockholm in gewissen Strassen und in<br />
einigen Schaufenstern mit DDR-Groove auf.<br />
Doch die Stimmung am Himmel ist weit, hell<br />
und klar, nachdem in Kloten der Juliregen unser<br />
Gepäck tränkte. So schlagen wir uns ohne<br />
Pijama unter die nordische Decke.<br />
Schifffahrt Auf dem mächtigen<br />
Schiff gleiten wir erhaben durch die Schärenwelt<br />
Stockholms, über Walkman von Sibelius’<br />
Klängen begleitet. Vorbei an Toteninseln, auf<br />
deren kahlem Geäst Hunderte von Kormoranen<br />
ihren Fang verdauen. Und dann hinaus in<br />
den Bottnischen Meerbusen, der uns weit und<br />
Text und Bilder: Roland Boss<br />
sanftmütig aufnimmt. Bis Åland spielt der<br />
Wind Schach mit den Plastikstühlen auf Deck.<br />
Spätabends, nach halb elf, berührt die Sonne<br />
endlich die Wipfel der nächsten Schäreninsel,<br />
während Seevögel kreischend im rosamilchigen<br />
Licht die Stille stören.<br />
Rot und rot Auf Åland ist vieles<br />
in selbstgenügsamem und ins dunkle ziehende<br />
Rot, wir nennen es das Ålandrot, gehalten.<br />
Überhaupt scheint Rot die Lieblingsfarbe dieser<br />
Kleininselbewohner zu sein. Aber mann<br />
und frau bleiben nicht stur dabei: Auf einem<br />
knallroten Dreigangfahrrad umrunden wir<br />
auf basaltrotschimmernden Asphaltstrassen<br />
in einer 75-Kilometer-Tour das Lumparnmeer.<br />
Vorbei an schmucken, meist sattroten<br />
Häusern und Serien von vielerlei roten, vielgestaltigen<br />
Briefkästen. Auch in der sommerlichen<br />
Abgeschiedenheit des Mökki – einer<br />
finnischen Ferienhütte – haben alle ihren<br />
Draht zur weiten Welt, und so ist denn der<br />
Gang zum Kasten jeden Tag höchste Pflicht.<br />
Da schleicht uns ein betörender Duft frischer<br />
Walderdbeeren, die im grünen Gras am Strassenrand<br />
aufblitzen, in die Nase. Wild leuchtende<br />
Feuerlilien brennen sich in den Augen<br />
fest. Abends, auf dem Solhemer Schiffssteg,<br />
will die glutrote Sonne nicht untergehen.<br />
Hüttenzauber in grüner Abgeschiedenheit.<br />
Strassenschluchtenschlendern in Stockholm.<br />
74 GLOBETROTTER-MAGAZIN sommer 2012
SKANDINAVIEN<br />
Während ein Schwumm durch den kleinen<br />
Fjord mit seinen kaltwarmen Wasserschichtungen<br />
die Muskeln lockert, schleicht ein<br />
stämmiger weisser Kater wie ein kleiner Eisbär<br />
um die Gestade des blutroten Stegs.<br />
Tierisch Überfahrt von Åland nach<br />
Turku zwischen einer Vielzahl der vierzehntausend<br />
Schären des Archipels hindurch. Wie<br />
die Superferry in Turku anlegt, begrüssen uns<br />
ein hoppelnder Hase – dem Bestseller Paasilinnas<br />
entwichen? – sowie ein Froschmann,<br />
der sich anschickt, in die algenreiche Ostsee<br />
zu steigen, um die Schiffsschraube zu untersuchen.<br />
Wie in Mariehamn auf Åland sind<br />
auch in Turku die Hafenbusse kostenlos.<br />
Abends feine Verköstigung im Teini, der In-<br />
Bude Turkus, bei schummrigem Licht. Aber<br />
wir erkennen: Die angerichteten Teller sind<br />
prachtvoll präsentiert.<br />
Helsinki als Hochburg des Klassizismus.<br />
Nordisch: Wasser, Inseln, Wälder, Weite, Wolkenflocken.<br />
Helsinki Helsinki und überhaupt<br />
Finnland als Ort der Erdbeeren – MANSIK-<br />
KA – par excellence. Mehrere Sorten der einheimischen<br />
Früchte stehen zur Auswahl. Die<br />
blanke Verführung in Sattrot, Sinnbild eines<br />
kurzen und intensiven Sommers, pure Lust<br />
am Leben. Im Café Engel am «Senatintori»<br />
stellt uns die Kellnerin ungefragt zwei Gläser<br />
Wasser auf den Tisch und fragt uns Verdutzte:<br />
«Somethin’ else?». – Schickt all die Miesepetrigen<br />
zu ihr in den Benimmkurs!<br />
Kunst Eine Stadt, ein Land, reich an<br />
Skulpturen und Architekturen. Das Olympiastadion<br />
Helsinkis mit seinem markanten<br />
Turm, den der Langstreckenläufer Nurmi<br />
gleichsam als Stafettenstab in der Hand zu<br />
halten scheint. Die Finnlandiahalle Alvar<br />
Altos – wo in den 70er-Jahren die historisch<br />
bedeutsame KSZE-Konferenz über die Bühne<br />
ging –, deren weisse Formgebung mit den<br />
Schippernd in Finnland.<br />
Wolken Puzzle spielt. Der ausgelüftete Kleiderschrank<br />
über der Strasse beim «Taidemuseo».<br />
Meistermaler Gallen Kallelas «Aino<br />
Mythos» im Atheneum: das junge Mädchen<br />
als Lebensquell, der dem weissbärtigen Alten<br />
entschwindet. Die «Temppeliaukion kirkko»,<br />
in den Felsen gehauen, mit einem freischwebenden<br />
Dachkäppchen aus 26 Kilometer<br />
Kupferdraht. Und Esa Lauremas wundersame<br />
Lichtbrechungen im kalten Höhlenlabyrinth<br />
des Kunstmuseums Retretti beim Moränendamm<br />
von Punkaharju.<br />
Ratsumies Der Opernbesuch des<br />
«Reitersmann» in Savonlinna. Auf der hehren<br />
im Wasser stehenden Trutzburg Olavinlinna<br />
wähnen wir uns unter lauter Waldschraten.<br />
Das Werk Aris Sallinens erzählt vom Freiheitskampf<br />
und dem Ringen um einen Waldstaat<br />
– Finnland –, vom täglichen Kampf des<br />
gemeinen Volkes mit korrupten Autokraten.<br />
Nach dem tiefen Blick in die finnische Volksseele<br />
kehren wir im Spunten ein, wo alles, ausser<br />
den Preisen, reichlich mittelalterlich anmutet:<br />
Gebäude, Möbel, Kleider, Portionen,<br />
Wartezeiten, Würste… Um Mitternacht<br />
zeichnet ein intensiver Glutstreifen<br />
den Nordhorizont über<br />
den dunklen stillen Wassern Savonlinnas<br />
– ein magischer Augenblick.<br />
Slow food In Kuopios<br />
Café Burts erhalten wir ein vorzügliches<br />
Frühstück mit Blinis –<br />
Russland ist ganz nahe – und<br />
Schnecken mit Lavendelsamen.<br />
Und der Designerschuppen gleich<br />
nebenan bringt meine Begleitung<br />
aus dem Häuschen. Auf dem<br />
Kauppatori-Platz verkauft uns<br />
eine finnische Mamma die hiesige<br />
Lokalspezialität, den Kalakukko, ein in Brot<br />
eingebackener Fisch. Nach einer wunderbar<br />
entspannenden Zugfahrt sieben Stunden lang<br />
gen Norden erreichen wir in Rovaniemi den<br />
Polarkreis, das Tor Lapplands. Wo auch das<br />
allerletzte McDonald's steht, starten wir im<br />
«Ravintola Gaissia» zum gastronomischen<br />
Höhenflug. Das lappische Buffet kredenzt uns<br />
Weissfisch und Stichling, Cranberries und<br />
Pfifferling sowie Rencarpaccio und Renschinken,<br />
später eine Morchelsuppe mit mehr Morcheln<br />
denn Suppe. Zum Schluss gibts Hilla.<br />
Halleluja – Moltebeeren mit Eis.<br />
LäppISch Im tiefen Lappland in<br />
Luosto finden sich dreifarbige Amethyste. Deren<br />
Farben erinnern an das Purpur bischöflicher<br />
Gewänder. Auf den unendlichen Strassen<br />
immer wieder Rentiere. Das – wohlverstanden<br />
unter schwerer Geweiheslast – staksige<br />
Trippeln der Rentiere über den Strassenasphalt<br />
scheint gelangweilt, lustlos und beliebig.<br />
Die schiere Häufigkeit von Ereignissen dieser<br />
Art lässt uns vermuten, dass Rentiere Strassen<br />
eventuell mehr mögen als den Waldboden.<br />
75
Wald Er steht breit und bedrohlich.<br />
Die Stämme wenig hoch und dünn, der Wald<br />
wirkt licht und still. Bisweilen stechen dunkle<br />
sibirische Fichten wie Pfeile mit schwerfallenden<br />
Ästen als angelegte Flügel aus dem nahen<br />
Horizont weit über alle Wipfel. Wie Grabdenkmäler<br />
harren sie dem Wintersturm.<br />
Denn der Sommer ist Ausnahmezustand hier.<br />
Dann, wenn die Mücken angreifen. – Ein<br />
Glückspilz, wer nicht pinkeln muss.<br />
Inari, im Samimuseum Wo wir<br />
lernen, dass Vögel im Winter in Schneehöhlen<br />
hausen. Dass Bären im Herbst Nadeln<br />
fressen, damit sich ihr Darmausgang verschliesst.<br />
Dass die Küstenseeschwalbe in der<br />
Die Natur macht Spektakel.<br />
Eismeer Nach einer<br />
sachte abfallenden Fahrt vom<br />
Plateau erreichen wir nach<br />
20 Kilometern das Ende des<br />
Fjords. Und tauchen unsere<br />
Hände in das kalte Wasser des<br />
Eismeeres. Nach so viel Land<br />
und Wald jetzt plötzlich wieder<br />
Meer. Die Sanftmütigkeit der<br />
Farben von Wasser, Hügelzügen<br />
und Himmel überrascht. Dazwischen<br />
als rote und gelbe<br />
Tupfer kleine Häuser aller Art.<br />
Tromsö Stadt im hohen<br />
Norden Norwegens, fast<br />
2000 Kilometer von Oslo entfernt.<br />
Eine alte, gelbfarbene Luftseilbahn führt<br />
auf den Fjellheisen, den Hausberg Tromsös,<br />
doch wir nehmen den Weg unter die Füsse.<br />
Nach einer halben Stunde schon erreichen wir<br />
die Waldgrenze. Schneeflecken liegen neben<br />
Hausbergaussicht: brückenverbundenes Tromsö.<br />
Antarktis, das Odinshühnchen am Persischen<br />
Golf überwintert. Dass Licht den Hormonhaushalt<br />
der Tiere steuert und so die Embryonalentwicklung<br />
derer Ungeborenen im Winter<br />
verzögert. Dass Sami ihren Rentieren die<br />
Ohren mit dem Messer markieren. Und dass<br />
Lemminge alle paar Jahre Massenauftreten<br />
feiern – Reproduktionszeit nur drei Wochen –<br />
und dann in Millionenscharen wandern, oft<br />
bis zur Erschöpfung in den Tod.<br />
Inari, der Samizyklus Im Juli<br />
ist Hochsommer, die Mücken fliegen. Im August<br />
sind die Tage merklich kürzer, Beeren<br />
und Pilze sind reif. Im September verfärbt<br />
sich alles rostrot, braun und gelb, die Zeit der<br />
Ruska. Im Oktober schneit es ein. Im November<br />
schneit es zu, die Brunft der Rentiere. Im<br />
Dezember kommt die Sonne nicht mehr – Polarnacht.<br />
Im Januar werden die jungen Bären<br />
in der Schneehöhle geboren. Im Februar sind<br />
die Tage merklich länger. Im März spüren die<br />
Wölfe den Frühling. Im April setzt Tauwetter<br />
ein. Im Mai schmilzt der grosse Schnee. Im<br />
Juni grünt und wächst die Natur, die Nacht<br />
bleibt aus – Mitternachtssonne.<br />
kIlpisjärvi und Peera Im<br />
äussersten Nordwesten Finnlands, am Ende<br />
eines veritablen Landschlauches und gleich<br />
neben der nördlichsten Ortschaft Schwedens,<br />
da liegt Kilpisjärvi. Und ein grosser See, in<br />
dem sich der in einer grosszügigen Geste erst<br />
steil und dann immer sanfter ansteigende,<br />
dann plötzlich tief abfallende Saana spiegelt,<br />
einer der heiligen Berge der Sami. Was doch<br />
diese Finnen für Wandertreppenbauer sind,<br />
denn eine führt in einem Stück den halben<br />
Berg hoch auf den Gipfel. Wir logieren in<br />
«Peera Remote Site», einem Wanderzentrum,<br />
wo keiner auch nur einen Brocken Englisch<br />
spricht. Das Essen aber ist polyglott und<br />
schmeckt riesig. Traumhafte Lichtstimmungen<br />
über dem nahen See, morgens Nebelschleier<br />
über den nassen Wollgräsern, abends<br />
verzaubert ein kräftiger Regenbogen die<br />
Landschaft. Hinterm Haus ein fast aussichtsloser<br />
Kampf mit den Mücken, es ist feucht<br />
und warm. Dafür gelingt die Auflösung eines<br />
Rätsels, das ich seit Südamerika mit mir herumtrage:<br />
der «tü… tü…tü…-Vogel» – sehr<br />
kurz und monoton in langen Abständen gesungen<br />
– heisst Goldregenpfeifer.<br />
Kein Norwegen ohne Fjorde.<br />
kräftig grünem Gras wie bei uns weisse Eier<br />
im Osternest. Uns zu Füssen liegt eine Märchenlandschaft<br />
und inmitten das gleichnamige<br />
Eiland mit dem Stadtkern von Tromsö, das<br />
von zwei hochgeschwungenen Brücken und<br />
einem Fluplatz verkehrsgespiesen wird. Innert<br />
drei Minuten landen Flugzeuge von<br />
«Norvegian», «Braatens» und «Skandinavian».<br />
Hinter einem Fjord hochauftürmende Gipfel<br />
und von Gletschern rundgeschliffene Flanken<br />
und Täler. Im nördlichsten botanischen Garten<br />
der Welt (Breitengrad 69,5) wachsen unter<br />
anderem die Burmanische Schlüsselblume,<br />
das Himalaya-Edelweiss und der blaublühende<br />
Tibetmohn.<br />
HImmelbeeren Hilla, die gelborangen<br />
Tupfer im Wald, auf Deutsch Moltebeeren,<br />
heissen auf schwedisch Hjortron. Und<br />
auf Englisch, weils so schön ist: Cloudberries.<br />
76
SKANDINAVIEN<br />
Seelenberuhigende Abendmagie in Finnlands äusserstem Nordwesten.<br />
Haben viele Finnen deshalb ein Trampolin im<br />
Garten, um damit in den Himmel zu springen,<br />
so wie die Cloudberries in den Mund?<br />
Schwedische BegrüSSung <br />
Bei Pello überschreiten wir die Grenze von<br />
Finnland nach Schweden – grau in grau. Es<br />
regnet. Die Uhr geht eine Stunde zurück. In<br />
einem schäbigen Wettlokal einer Supermarktkette<br />
schlagen wir uns anschlussbedingt die<br />
gewonnene verlorene Stunde um die Ohren.<br />
In Pajala kommen wir uns wie Ungläubige vor,<br />
denn von «Populärmusik aus Vittula» haben<br />
wir bis dahin noch nie gehört. In Gällivare<br />
werden wir mit einem magischen Abend entschädigt.<br />
Die langen Schatten walzen uns zu<br />
strassenplatten Strichmännchen, derweil uns<br />
die Mücken förmlich auffressen. Das «Vandrerhjem»<br />
enttäuscht – einmal mehr. Doch der<br />
Bahnhof mit seiner «Typ Modellbau-Spur-H-<br />
Ausstrahlung» entzückt. Eisenerzzüge, gezogen<br />
von zwei sechsachsigen Lokomotiven,<br />
verraten uns die grosse Bedeutung der lokalen<br />
Bodenschätze.<br />
Stuga am See Am Stora Blåsjön<br />
leisten wir uns eine Stuga – eine schwedische<br />
Hütte – und damit Ruhe. Sie heisst Uggla. Es<br />
hat Platz für acht, doch wir bleiben zu zweit.<br />
Das vermietende Restaurant hat nur von 12<br />
bis 18 Uhr geöffnet, so betreiben wir unser eigenes.<br />
Fisch gibts keinen frischen. Im Angelcamp<br />
finden wir allerdings einen «froisen røding»<br />
– gefrorene Lachsforelle – von «i går» –<br />
gestern. Wir füllen ihn mit Lauchgemüse und<br />
Crème fraîche, würzen mit Knoblauchsalz,<br />
Curry und Pfeffer und betten ihn in einer offenen<br />
Alufolie im Ofen. «Madonnasantamia…<br />
anything else?» – «Nej tak!»<br />
Schweden bekennen gerne Flagge.<br />
Zu Fuss erkundet sichs ohnehin besser.<br />
Stockholm II Im «Hermans» vegetieren<br />
– denn es gibt kein Fleisch – wir uns<br />
fröhlich, und auch die Sicht ist extra, nur das<br />
Wetter nicht. Nachdem meine Begleitung bereits<br />
abgereist ist, verbringe ich den letzten<br />
Tag bei Freunden: Angela und Lollo. Mit deren<br />
Tochter Claudia unterwegs. Wir verständigen<br />
uns halb italienisch, halb englisch. So<br />
schlagen wir uns durch die Stadt. Gemeinsam<br />
ergänzen wir fürs Foto die Flussskulptur – nur<br />
Hand und Kopf – mit Claudias Fuss. Dann<br />
tanzt sie Trampolin, was ihr aber nicht so<br />
glückt. Das richtige Tanzen interessiert sie<br />
mehr. Im Tanzmuseum werden wir fündig.<br />
Aufforderung zum Abschied.<br />
Epilog Abschied von Skandinavien,<br />
12 Uhr mittags. Flug LX 1249 wird mich nach<br />
Zürich bringen. In den Hallen von Stockholm<br />
Arlanda die ersten Brocken Schweizerdeutsch.<br />
Warten vor dem Gate. Mein Blick fällt auf meinen<br />
Boarding Pass: Sitz 14E – weder Fenster<br />
noch Gang, Unbehagen regt sich. Wir werden<br />
in den Flieger geschleust. Was für eine Hitze!<br />
Das mit dem Rollkragenpulli – es sei ja kalt in<br />
der Schweiz – war keine gute Idee. Zum Glück<br />
habe ich ein Shirt im Handgepäck dabei, also<br />
ist Kleiderwechsel angesagt. Ich verschwinde<br />
im Gangway des Flugzeughecks. «Wir schauen<br />
nicht!», rufen mir die Flugbegleiterinnen<br />
nach. Während des sekundenschnellen Kleiderwechsels<br />
schmunzle ich über den Flirthumor.<br />
Erleichtert und geduldig – die Maschine<br />
ist ziemlich voll – kämpfe ich mich durch einpuffende<br />
Passagiere bis Reihe 14 rechts, Sitze<br />
DEF, nach vorn. Eine schlanke Frau nimmt<br />
am Fenster Platz, zwischen Jeans und dirndlartigem<br />
Oberteil fällt mir ihr Tattoo am tiefen<br />
Rücken auf. Ich setze mich neben sie, klaube<br />
mein Notizbuch hervor und lege dieses auf<br />
meinen rechten Schenkel. Ich möchte endlich<br />
meine Reiseaufzeichnungen weiterführen.<br />
Links von mir sitzt eine unauffällige Schweizerin,<br />
die Schulungsunterlagen aus dem Bankbereich<br />
studiert. Ja, es geht nach Hause. Ich<br />
schreibe ein paar Gedanken ins Buch, die<br />
Konzentration fällt schwer. Fühle mich gefangen<br />
und elektrisiert zugleich. Die körperliche<br />
Präsenz der Frau am Fenster strahlt bis zu mir.<br />
Mein Kopf gleitet etwas nach rechts, um gleich<br />
wieder mit einem Anflug von Schwindelgefühl<br />
zurückzufahren. Unter ihrer knappen<br />
weissen Bluse wogt aufgestauter<br />
Sommerwind. Eine Baltin oder Russin<br />
auf dem Weg in die Schweiz? Zwei, dreimal<br />
suchen sich unsere Augen, doch die<br />
Distanz ist zu nahe, um zu verweilen.<br />
Endlich rollt die Maschine, ich finde meinen<br />
Faden wieder und skizziere stichwortartig<br />
Ferienerlebnisse aufs Papier.<br />
Wie die Triebwerke aufheulen, geht alles<br />
sehr schnell: Mit ihrer rechten Hand stibitzt<br />
mir die Blonde flugs den Kugelschreiber<br />
und packt gleichzeitig meine so<br />
befreite rechte Hand mit ihrer linken –<br />
und drückt sie fest: «I need this!» Lange<br />
Sekunden vergehen, bis ich mich gefasst habe.<br />
Frau mit Flugangst? Schaue mich herzklopfend<br />
um, doch keiner schaut. Mir ist heiss.<br />
Nachdem die Maschine abgehoben hat, lässt<br />
der Druck in meiner Hand allmählich nach.<br />
Ob sie das wohl immer so macht? Wir kommen<br />
ins Gespräch. Sie spricht makellos englisch,<br />
ist soeben aus Australien zurück, wo sie<br />
sechs Jahre für eine Kosmetikfirma gearbeitet<br />
hat. Heute geht ihr Flug nach München weiter<br />
und dann nach Innsbruck, wo sie vier Tage bei<br />
einem Freund in den Alpen verbringen möchte,<br />
bevor sie am kommenden Montag in Stockholm<br />
ihre neue Stelle antritt. «My name is<br />
Anna, I’m swedish», sagt sie und fokussiert mit<br />
ihren blauen Augen die meinen. Fügt an, ich<br />
würde eine grosse Ruhe ausstrahlen und sie<br />
würde sich wohl fühlen neben mir in der Luft.<br />
Kurz vor der Landung in Zürich verifiziert sie<br />
ihren Anschlussflug auf einem gefalteten<br />
Print-out. Wir drücken unsere Schultern gegeneinander,<br />
stärker, je näher die Maschine<br />
dem Boden zu schwebt. Landung – Welcome<br />
to Zürich. Ich packe Notizbuch und die unge<strong>lesen</strong>e<br />
Lektüre – «Der heisse Norden», erotische<br />
Geschichten skandinavischer Autorinnen<br />
– ins Handgepäck. Gemeinsam verlassen<br />
wir die Maschine. «You have a card?», fragt sie,<br />
wie sich unsere Wege trennen. Ich verneine<br />
und drücke ihr ein Bärner Müntschi auf die<br />
Wange. Immerhin, aber eigentlich plante ich<br />
drei. «Bye Anna, it was exciting to meet you.»<br />
Am Hauptbahnhof angelangt, kaufe ich mir<br />
im Marinello eine Schachtel Erdbeeren.<br />
euroboss@sunrise.ch<br />
© <strong>Globetrotter</strong> Club, Bern<br />
sommer 2012 GLOBETROTTER-MAGAZIN 77
Weitere exklusive<br />
Reise reportagen <strong>lesen</strong>?<br />
Für 30 Franken pro Kalenderjahr liegt das <strong>Globetrotter</strong>-Magazin alle 3 Monate im Briefkasten. Mit spannenden Reisegeschichten,<br />
Interviews, Essays, News, Tipps, Infos und einer Vielzahl von Privatannoncen (z.B. Reisepartnersuche,<br />
Auslandjobs etc.). Dazu gibts gratis die <strong>Globetrotter</strong>-Card mit attraktiven Rabatten aus der Welt des Reisens.<br />
Inklusive <strong>Globetrotter</strong>-Card<br />
<strong>Globetrotter</strong>-Card 2012<br />
★ Jahres-Abo <strong>Globetrotter</strong>-Magazin ★ Gratis-Privatannoncen<br />
★ Büchergutschein CHF 25.– einlösbar bei Reisebuchung bei <strong>Globetrotter</strong><br />
★ 10%-Rabattgutschein für Reiseausrüstung bei TRANSA (1 Einkauf)<br />
★ CHF 50.– Rabatt auf Camper/Motorhome-Buchungen bei <strong>Globetrotter</strong><br />
★ Ermässigter Eintritt bei explora-Diavorträgen/Live-Reportagen<br />
★ CHF 100.– Rabatt auf Gruppenreisen (ab CHF 2500.–/Person)<br />
der <strong>Globetrotter</strong> Tours AG und der bike adventure tours AG<br />
(nicht kumulierbar/nicht übertragbar/bei der Buchung anzugeben)<br />
Transa-Gutschein 2012<br />
1 x 10% Rabatt<br />
einlösbar bis<br />
31.12.12<br />
02-1380 <strong>Globetrotter</strong>-Card_12.indd 1 07.09.11 15:54<br />
Informieren und Abo abschliessen:<br />
www.globetrottermagazin.ch