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Fragmente einer SkandinavienreISe<br />

Mansikka<br />

(finnisch für Erdbeeren)<br />

Stockholm I Ein Flug zurück in<br />

die Vergangenheit? Zu unserem Erstaunen<br />

wartet Stockholm in gewissen Strassen und in<br />

einigen Schaufenstern mit DDR-Groove auf.<br />

Doch die Stimmung am Himmel ist weit, hell<br />

und klar, nachdem in Kloten der Juliregen unser<br />

Gepäck tränkte. So schlagen wir uns ohne<br />

Pijama unter die nordische Decke.<br />

Schifffahrt Auf dem mächtigen<br />

Schiff gleiten wir erhaben durch die Schärenwelt<br />

Stockholms, über Walkman von Sibelius’<br />

Klängen begleitet. Vorbei an Toteninseln, auf<br />

deren kahlem Geäst Hunderte von Kormoranen<br />

ihren Fang verdauen. Und dann hinaus in<br />

den Bottnischen Meerbusen, der uns weit und<br />

Text und Bilder: Roland Boss<br />

sanftmütig aufnimmt. Bis Åland spielt der<br />

Wind Schach mit den Plastikstühlen auf Deck.<br />

Spätabends, nach halb elf, berührt die Sonne<br />

endlich die Wipfel der nächsten Schäreninsel,<br />

während Seevögel kreischend im rosamilchigen<br />

Licht die Stille stören.<br />

Rot und rot Auf Åland ist vieles<br />

in selbstgenügsamem und ins dunkle ziehende<br />

Rot, wir nennen es das Ålandrot, gehalten.<br />

Überhaupt scheint Rot die Lieblingsfarbe dieser<br />

Kleininselbewohner zu sein. Aber mann<br />

und frau bleiben nicht stur dabei: Auf einem<br />

knallroten Dreigangfahrrad umrunden wir<br />

auf basaltrotschimmernden Asphaltstrassen<br />

in einer 75-Kilometer-Tour das Lumparnmeer.<br />

Vorbei an schmucken, meist sattroten<br />

Häusern und Serien von vielerlei roten, vielgestaltigen<br />

Briefkästen. Auch in der sommerlichen<br />

Abgeschiedenheit des Mökki – einer<br />

finnischen Ferienhütte – haben alle ihren<br />

Draht zur weiten Welt, und so ist denn der<br />

Gang zum Kasten jeden Tag höchste Pflicht.<br />

Da schleicht uns ein betörender Duft frischer<br />

Walderdbeeren, die im grünen Gras am Strassenrand<br />

aufblitzen, in die Nase. Wild leuchtende<br />

Feuerlilien brennen sich in den Augen<br />

fest. Abends, auf dem Solhemer Schiffssteg,<br />

will die glutrote Sonne nicht untergehen.<br />

Hüttenzauber in grüner Abgeschiedenheit.<br />

Strassenschluchtenschlendern in Stockholm.<br />

74 GLOBETROTTER-MAGAZIN sommer 2012


SKANDINAVIEN<br />

Während ein Schwumm durch den kleinen<br />

Fjord mit seinen kaltwarmen Wasserschichtungen<br />

die Muskeln lockert, schleicht ein<br />

stämmiger weisser Kater wie ein kleiner Eisbär<br />

um die Gestade des blutroten Stegs.<br />

Tierisch Überfahrt von Åland nach<br />

Turku zwischen einer Vielzahl der vierzehntausend<br />

Schären des Archipels hindurch. Wie<br />

die Superferry in Turku anlegt, begrüssen uns<br />

ein hoppelnder Hase – dem Bestseller Paasilinnas<br />

entwichen? – sowie ein Froschmann,<br />

der sich anschickt, in die algenreiche Ostsee<br />

zu steigen, um die Schiffsschraube zu untersuchen.<br />

Wie in Mariehamn auf Åland sind<br />

auch in Turku die Hafenbusse kostenlos.<br />

Abends feine Verköstigung im Teini, der In-<br />

Bude Turkus, bei schummrigem Licht. Aber<br />

wir erkennen: Die angerichteten Teller sind<br />

prachtvoll präsentiert.<br />

Helsinki als Hochburg des Klassizismus.<br />

Nordisch: Wasser, Inseln, Wälder, Weite, Wolkenflocken.<br />

Helsinki Helsinki und überhaupt<br />

Finnland als Ort der Erdbeeren – MANSIK-<br />

KA – par excellence. Mehrere Sorten der einheimischen<br />

Früchte stehen zur Auswahl. Die<br />

blanke Verführung in Sattrot, Sinnbild eines<br />

kurzen und intensiven Sommers, pure Lust<br />

am Leben. Im Café Engel am «Senatintori»<br />

stellt uns die Kellnerin ungefragt zwei Gläser<br />

Wasser auf den Tisch und fragt uns Verdutzte:<br />

«Somethin’ else?». – Schickt all die Miesepetrigen<br />

zu ihr in den Benimmkurs!<br />

Kunst Eine Stadt, ein Land, reich an<br />

Skulpturen und Architekturen. Das Olympiastadion<br />

Helsinkis mit seinem markanten<br />

Turm, den der Langstreckenläufer Nurmi<br />

gleichsam als Stafettenstab in der Hand zu<br />

halten scheint. Die Finnlandiahalle Alvar<br />

Altos – wo in den 70er-Jahren die historisch<br />

bedeutsame KSZE-Konferenz über die Bühne<br />

ging –, deren weisse Formgebung mit den<br />

Schippernd in Finnland.<br />

Wolken Puzzle spielt. Der ausgelüftete Kleiderschrank<br />

über der Strasse beim «Taidemuseo».<br />

Meistermaler Gallen Kallelas «Aino<br />

Mythos» im Atheneum: das junge Mädchen<br />

als Lebensquell, der dem weissbärtigen Alten<br />

entschwindet. Die «Temppeliaukion kirkko»,<br />

in den Felsen gehauen, mit einem freischwebenden<br />

Dachkäppchen aus 26 Kilometer<br />

Kupferdraht. Und Esa Lauremas wundersame<br />

Lichtbrechungen im kalten Höhlenlabyrinth<br />

des Kunstmuseums Retretti beim Moränendamm<br />

von Punkaharju.<br />

Ratsumies Der Opernbesuch des<br />

«Reitersmann» in Savonlinna. Auf der hehren<br />

im Wasser stehenden Trutzburg Olavinlinna<br />

wähnen wir uns unter lauter Waldschraten.<br />

Das Werk Aris Sallinens erzählt vom Freiheitskampf<br />

und dem Ringen um einen Waldstaat<br />

– Finnland –, vom täglichen Kampf des<br />

gemeinen Volkes mit korrupten Autokraten.<br />

Nach dem tiefen Blick in die finnische Volksseele<br />

kehren wir im Spunten ein, wo alles, ausser<br />

den Preisen, reichlich mittelalterlich anmutet:<br />

Gebäude, Möbel, Kleider, Portionen,<br />

Wartezeiten, Würste… Um Mitternacht<br />

zeichnet ein intensiver Glutstreifen<br />

den Nordhorizont über<br />

den dunklen stillen Wassern Savonlinnas<br />

– ein magischer Augenblick.<br />

Slow food In Kuopios<br />

Café Burts erhalten wir ein vorzügliches<br />

Frühstück mit Blinis –<br />

Russland ist ganz nahe – und<br />

Schnecken mit Lavendelsamen.<br />

Und der Designerschuppen gleich<br />

nebenan bringt meine Begleitung<br />

aus dem Häuschen. Auf dem<br />

Kauppatori-Platz verkauft uns<br />

eine finnische Mamma die hiesige<br />

Lokalspezialität, den Kalakukko, ein in Brot<br />

eingebackener Fisch. Nach einer wunderbar<br />

entspannenden Zugfahrt sieben Stunden lang<br />

gen Norden erreichen wir in Rovaniemi den<br />

Polarkreis, das Tor Lapplands. Wo auch das<br />

allerletzte McDonald's steht, starten wir im<br />

«Ravintola Gaissia» zum gastronomischen<br />

Höhenflug. Das lappische Buffet kredenzt uns<br />

Weissfisch und Stichling, Cranberries und<br />

Pfifferling sowie Rencarpaccio und Renschinken,<br />

später eine Morchelsuppe mit mehr Morcheln<br />

denn Suppe. Zum Schluss gibts Hilla.<br />

Halleluja – Moltebeeren mit Eis.<br />

LäppISch Im tiefen Lappland in<br />

Luosto finden sich dreifarbige Amethyste. Deren<br />

Farben erinnern an das Purpur bischöflicher<br />

Gewänder. Auf den unendlichen Strassen<br />

immer wieder Rentiere. Das – wohlverstanden<br />

unter schwerer Geweiheslast – staksige<br />

Trippeln der Rentiere über den Strassenasphalt<br />

scheint gelangweilt, lustlos und beliebig.<br />

Die schiere Häufigkeit von Ereignissen dieser<br />

Art lässt uns vermuten, dass Rentiere Strassen<br />

eventuell mehr mögen als den Waldboden.<br />

75


Wald Er steht breit und bedrohlich.<br />

Die Stämme wenig hoch und dünn, der Wald<br />

wirkt licht und still. Bisweilen stechen dunkle<br />

sibirische Fichten wie Pfeile mit schwerfallenden<br />

Ästen als angelegte Flügel aus dem nahen<br />

Horizont weit über alle Wipfel. Wie Grabdenkmäler<br />

harren sie dem Wintersturm.<br />

Denn der Sommer ist Ausnahmezustand hier.<br />

Dann, wenn die Mücken angreifen. – Ein<br />

Glückspilz, wer nicht pinkeln muss.<br />

Inari, im Samimuseum Wo wir<br />

lernen, dass Vögel im Winter in Schneehöhlen<br />

hausen. Dass Bären im Herbst Nadeln<br />

fressen, damit sich ihr Darmausgang verschliesst.<br />

Dass die Küstenseeschwalbe in der<br />

Die Natur macht Spektakel.<br />

Eismeer Nach einer<br />

sachte abfallenden Fahrt vom<br />

Plateau erreichen wir nach<br />

20 Kilometern das Ende des<br />

Fjords. Und tauchen unsere<br />

Hände in das kalte Wasser des<br />

Eismeeres. Nach so viel Land<br />

und Wald jetzt plötzlich wieder<br />

Meer. Die Sanftmütigkeit der<br />

Farben von Wasser, Hügelzügen<br />

und Himmel überrascht. Dazwischen<br />

als rote und gelbe<br />

Tupfer kleine Häuser aller Art.<br />

Tromsö Stadt im hohen<br />

Norden Norwegens, fast<br />

2000 Kilometer von Oslo entfernt.<br />

Eine alte, gelbfarbene Luftseilbahn führt<br />

auf den Fjellheisen, den Hausberg Tromsös,<br />

doch wir nehmen den Weg unter die Füsse.<br />

Nach einer halben Stunde schon erreichen wir<br />

die Waldgrenze. Schneeflecken liegen neben<br />

Hausbergaussicht: brückenverbundenes Tromsö.<br />

Antarktis, das Odinshühnchen am Persischen<br />

Golf überwintert. Dass Licht den Hormonhaushalt<br />

der Tiere steuert und so die Embryonalentwicklung<br />

derer Ungeborenen im Winter<br />

verzögert. Dass Sami ihren Rentieren die<br />

Ohren mit dem Messer markieren. Und dass<br />

Lemminge alle paar Jahre Massenauftreten<br />

feiern – Reproduktionszeit nur drei Wochen –<br />

und dann in Millionenscharen wandern, oft<br />

bis zur Erschöpfung in den Tod.<br />

Inari, der Samizyklus Im Juli<br />

ist Hochsommer, die Mücken fliegen. Im August<br />

sind die Tage merklich kürzer, Beeren<br />

und Pilze sind reif. Im September verfärbt<br />

sich alles rostrot, braun und gelb, die Zeit der<br />

Ruska. Im Oktober schneit es ein. Im November<br />

schneit es zu, die Brunft der Rentiere. Im<br />

Dezember kommt die Sonne nicht mehr – Polarnacht.<br />

Im Januar werden die jungen Bären<br />

in der Schneehöhle geboren. Im Februar sind<br />

die Tage merklich länger. Im März spüren die<br />

Wölfe den Frühling. Im April setzt Tauwetter<br />

ein. Im Mai schmilzt der grosse Schnee. Im<br />

Juni grünt und wächst die Natur, die Nacht<br />

bleibt aus – Mitternachtssonne.<br />

kIlpisjärvi und Peera Im<br />

äussersten Nordwesten Finnlands, am Ende<br />

eines veritablen Landschlauches und gleich<br />

neben der nördlichsten Ortschaft Schwedens,<br />

da liegt Kilpisjärvi. Und ein grosser See, in<br />

dem sich der in einer grosszügigen Geste erst<br />

steil und dann immer sanfter ansteigende,<br />

dann plötzlich tief abfallende Saana spiegelt,<br />

einer der heiligen Berge der Sami. Was doch<br />

diese Finnen für Wandertreppenbauer sind,<br />

denn eine führt in einem Stück den halben<br />

Berg hoch auf den Gipfel. Wir logieren in<br />

«Peera Remote Site», einem Wanderzentrum,<br />

wo keiner auch nur einen Brocken Englisch<br />

spricht. Das Essen aber ist polyglott und<br />

schmeckt riesig. Traumhafte Lichtstimmungen<br />

über dem nahen See, morgens Nebelschleier<br />

über den nassen Wollgräsern, abends<br />

verzaubert ein kräftiger Regenbogen die<br />

Landschaft. Hinterm Haus ein fast aussichtsloser<br />

Kampf mit den Mücken, es ist feucht<br />

und warm. Dafür gelingt die Auflösung eines<br />

Rätsels, das ich seit Südamerika mit mir herumtrage:<br />

der «tü… tü…tü…-Vogel» – sehr<br />

kurz und monoton in langen Abständen gesungen<br />

– heisst Goldregenpfeifer.<br />

Kein Norwegen ohne Fjorde.<br />

kräftig grünem Gras wie bei uns weisse Eier<br />

im Osternest. Uns zu Füssen liegt eine Märchenlandschaft<br />

und inmitten das gleichnamige<br />

Eiland mit dem Stadtkern von Tromsö, das<br />

von zwei hochgeschwungenen Brücken und<br />

einem Fluplatz verkehrsgespiesen wird. Innert<br />

drei Minuten landen Flugzeuge von<br />

«Norvegian», «Braatens» und «Skandinavian».<br />

Hinter einem Fjord hochauftürmende Gipfel<br />

und von Gletschern rundgeschliffene Flanken<br />

und Täler. Im nördlichsten botanischen Garten<br />

der Welt (Breitengrad 69,5) wachsen unter<br />

anderem die Burmanische Schlüsselblume,<br />

das Himalaya-Edelweiss und der blaublühende<br />

Tibetmohn.<br />

HImmelbeeren Hilla, die gelborangen<br />

Tupfer im Wald, auf Deutsch Moltebeeren,<br />

heissen auf schwedisch Hjortron. Und<br />

auf Englisch, weils so schön ist: Cloudberries.<br />

76


SKANDINAVIEN<br />

Seelenberuhigende Abendmagie in Finnlands äusserstem Nordwesten.<br />

Haben viele Finnen deshalb ein Trampolin im<br />

Garten, um damit in den Himmel zu springen,<br />

so wie die Cloudberries in den Mund?<br />

Schwedische BegrüSSung <br />

Bei Pello überschreiten wir die Grenze von<br />

Finnland nach Schweden – grau in grau. Es<br />

regnet. Die Uhr geht eine Stunde zurück. In<br />

einem schäbigen Wettlokal einer Supermarktkette<br />

schlagen wir uns anschlussbedingt die<br />

gewonnene verlorene Stunde um die Ohren.<br />

In Pajala kommen wir uns wie Ungläubige vor,<br />

denn von «Populärmusik aus Vittula» haben<br />

wir bis dahin noch nie gehört. In Gällivare<br />

werden wir mit einem magischen Abend entschädigt.<br />

Die langen Schatten walzen uns zu<br />

strassenplatten Strichmännchen, derweil uns<br />

die Mücken förmlich auffressen. Das «Vandrerhjem»<br />

enttäuscht – einmal mehr. Doch der<br />

Bahnhof mit seiner «Typ Modellbau-Spur-H-<br />

Ausstrahlung» entzückt. Eisenerzzüge, gezogen<br />

von zwei sechsachsigen Lokomotiven,<br />

verraten uns die grosse Bedeutung der lokalen<br />

Bodenschätze.<br />

Stuga am See Am Stora Blåsjön<br />

leisten wir uns eine Stuga – eine schwedische<br />

Hütte – und damit Ruhe. Sie heisst Uggla. Es<br />

hat Platz für acht, doch wir bleiben zu zweit.<br />

Das vermietende Restaurant hat nur von 12<br />

bis 18 Uhr geöffnet, so betreiben wir unser eigenes.<br />

Fisch gibts keinen frischen. Im Angelcamp<br />

finden wir allerdings einen «froisen røding»<br />

– gefrorene Lachsforelle – von «i går» –<br />

gestern. Wir füllen ihn mit Lauchgemüse und<br />

Crème fraîche, würzen mit Knoblauchsalz,<br />

Curry und Pfeffer und betten ihn in einer offenen<br />

Alufolie im Ofen. «Madonnasantamia…<br />

anything else?» – «Nej tak!»<br />

Schweden bekennen gerne Flagge.<br />

Zu Fuss erkundet sichs ohnehin besser.<br />

Stockholm II Im «Hermans» vegetieren<br />

– denn es gibt kein Fleisch – wir uns<br />

fröhlich, und auch die Sicht ist extra, nur das<br />

Wetter nicht. Nachdem meine Begleitung bereits<br />

abgereist ist, verbringe ich den letzten<br />

Tag bei Freunden: Angela und Lollo. Mit deren<br />

Tochter Claudia unterwegs. Wir verständigen<br />

uns halb italienisch, halb englisch. So<br />

schlagen wir uns durch die Stadt. Gemeinsam<br />

ergänzen wir fürs Foto die Flussskulptur – nur<br />

Hand und Kopf – mit Claudias Fuss. Dann<br />

tanzt sie Trampolin, was ihr aber nicht so<br />

glückt. Das richtige Tanzen interessiert sie<br />

mehr. Im Tanzmuseum werden wir fündig.<br />

Aufforderung zum Abschied.<br />

Epilog Abschied von Skandinavien,<br />

12 Uhr mittags. Flug LX 1249 wird mich nach<br />

Zürich bringen. In den Hallen von Stockholm<br />

Arlanda die ersten Brocken Schweizerdeutsch.<br />

Warten vor dem Gate. Mein Blick fällt auf meinen<br />

Boarding Pass: Sitz 14E – weder Fenster<br />

noch Gang, Unbehagen regt sich. Wir werden<br />

in den Flieger geschleust. Was für eine Hitze!<br />

Das mit dem Rollkragenpulli – es sei ja kalt in<br />

der Schweiz – war keine gute Idee. Zum Glück<br />

habe ich ein Shirt im Handgepäck dabei, also<br />

ist Kleiderwechsel angesagt. Ich verschwinde<br />

im Gangway des Flugzeughecks. «Wir schauen<br />

nicht!», rufen mir die Flugbegleiterinnen<br />

nach. Während des sekundenschnellen Kleiderwechsels<br />

schmunzle ich über den Flirthumor.<br />

Erleichtert und geduldig – die Maschine<br />

ist ziemlich voll – kämpfe ich mich durch einpuffende<br />

Passagiere bis Reihe 14 rechts, Sitze<br />

DEF, nach vorn. Eine schlanke Frau nimmt<br />

am Fenster Platz, zwischen Jeans und dirndlartigem<br />

Oberteil fällt mir ihr Tattoo am tiefen<br />

Rücken auf. Ich setze mich neben sie, klaube<br />

mein Notizbuch hervor und lege dieses auf<br />

meinen rechten Schenkel. Ich möchte endlich<br />

meine Reiseaufzeichnungen weiterführen.<br />

Links von mir sitzt eine unauffällige Schweizerin,<br />

die Schulungsunterlagen aus dem Bankbereich<br />

studiert. Ja, es geht nach Hause. Ich<br />

schreibe ein paar Gedanken ins Buch, die<br />

Konzentration fällt schwer. Fühle mich gefangen<br />

und elektrisiert zugleich. Die körperliche<br />

Präsenz der Frau am Fenster strahlt bis zu mir.<br />

Mein Kopf gleitet etwas nach rechts, um gleich<br />

wieder mit einem Anflug von Schwindelgefühl<br />

zurückzufahren. Unter ihrer knappen<br />

weissen Bluse wogt aufgestauter<br />

Sommerwind. Eine Baltin oder Russin<br />

auf dem Weg in die Schweiz? Zwei, dreimal<br />

suchen sich unsere Augen, doch die<br />

Distanz ist zu nahe, um zu verweilen.<br />

Endlich rollt die Maschine, ich finde meinen<br />

Faden wieder und skizziere stichwortartig<br />

Ferienerlebnisse aufs Papier.<br />

Wie die Triebwerke aufheulen, geht alles<br />

sehr schnell: Mit ihrer rechten Hand stibitzt<br />

mir die Blonde flugs den Kugelschreiber<br />

und packt gleichzeitig meine so<br />

befreite rechte Hand mit ihrer linken –<br />

und drückt sie fest: «I need this!» Lange<br />

Sekunden vergehen, bis ich mich gefasst habe.<br />

Frau mit Flugangst? Schaue mich herzklopfend<br />

um, doch keiner schaut. Mir ist heiss.<br />

Nachdem die Maschine abgehoben hat, lässt<br />

der Druck in meiner Hand allmählich nach.<br />

Ob sie das wohl immer so macht? Wir kommen<br />

ins Gespräch. Sie spricht makellos englisch,<br />

ist soeben aus Australien zurück, wo sie<br />

sechs Jahre für eine Kosmetikfirma gearbeitet<br />

hat. Heute geht ihr Flug nach München weiter<br />

und dann nach Innsbruck, wo sie vier Tage bei<br />

einem Freund in den Alpen verbringen möchte,<br />

bevor sie am kommenden Montag in Stockholm<br />

ihre neue Stelle antritt. «My name is<br />

Anna, I’m swedish», sagt sie und fokussiert mit<br />

ihren blauen Augen die meinen. Fügt an, ich<br />

würde eine grosse Ruhe ausstrahlen und sie<br />

würde sich wohl fühlen neben mir in der Luft.<br />

Kurz vor der Landung in Zürich verifiziert sie<br />

ihren Anschlussflug auf einem gefalteten<br />

Print-out. Wir drücken unsere Schultern gegeneinander,<br />

stärker, je näher die Maschine<br />

dem Boden zu schwebt. Landung – Welcome<br />

to Zürich. Ich packe Notizbuch und die unge<strong>lesen</strong>e<br />

Lektüre – «Der heisse Norden», erotische<br />

Geschichten skandinavischer Autorinnen<br />

– ins Handgepäck. Gemeinsam verlassen<br />

wir die Maschine. «You have a card?», fragt sie,<br />

wie sich unsere Wege trennen. Ich verneine<br />

und drücke ihr ein Bärner Müntschi auf die<br />

Wange. Immerhin, aber eigentlich plante ich<br />

drei. «Bye Anna, it was exciting to meet you.»<br />

Am Hauptbahnhof angelangt, kaufe ich mir<br />

im Marinello eine Schachtel Erdbeeren.<br />

euroboss@sunrise.ch<br />

© <strong>Globetrotter</strong> Club, Bern<br />

sommer 2012 GLOBETROTTER-MAGAZIN 77


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