15.11.2013 Aufrufe

DISZIPLINIERUNG VON LEHRERN IST KEINE LÖ- SUNG ... - GEW

DISZIPLINIERUNG VON LEHRERN IST KEINE LÖ- SUNG ... - GEW

DISZIPLINIERUNG VON LEHRERN IST KEINE LÖ- SUNG ... - GEW

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>DISZIPLINIERUNG</strong> <strong>VON</strong> <strong>LEHRERN</strong> <strong>IST</strong> <strong>KEINE</strong> <strong>LÖ</strong>-<br />

<strong>SUNG</strong> <strong>VON</strong> <strong>GEW</strong>ALT<br />

Betriebsgruppe Wilhelm-Kaisen-Schule<br />

Wie an jedem anderen SekI Zentrum gibt es auch an der Wilhelm-Kaisen-Schule Schüler,<br />

die schwierig und einige wenige, die überhaupt nicht zu beschulen sind. Diese Schüler<br />

zeichnen sich durch häufiges Schwänzen, Verweigerungshaltung, übermäßigen Drogenkonsum,<br />

Gewalttätigkeit und Straftaten aus.<br />

Am 20.November erschien der zu dieser Gruppe gehörende Serdar A. mit zwei Freunden,<br />

die beide nicht mehr auf die Wilhelm-Kaisen-Schule gehen, in der zweiten großen Pause,<br />

um mit einem Schüler „etwas zu klären“. Im Rahmen der „Klärung“ verlagerte sich das<br />

Geschehen außerhalb des Schulgeländes, Serdar A. zog ein Messer, stach auf seinen<br />

Kontrahenten ein und verletzte ihn nicht unerheblich. Durch das beherzte Eingreifen von<br />

Schülern unserer Schule konnte der Täter entwaffnet werden und dem Kontaktpolizisten,<br />

der an diesem Tag an unserer Schule war, übergeben werden.<br />

Serdar A. kam für eine Nacht in Untersuchungshaft, sein Kontrahent für die gleiche Zeit<br />

ins Krankenhaus. Beide wurden am nächsten entlassen. Der eine, weil er einen festen<br />

Wohnsitz hat, der andere, weil sich die Verletzung als nicht so schwerwiegend herausstellte.<br />

Am nächsten Tag, dem 21. November erschien ein Artikel im Weser-Kurier, in dem der<br />

Name der Schule genannt und über den Vorfall berichtet wurde. Einen Tag später legte<br />

der Weser Kurier noch einmal nach und berichtete unter der Überschrift „Schüler doch<br />

nicht so schwer verletzt“: „Nach Angaben der Bildungsbehörde hat die Schule bislang<br />

noch keine Maßnahmen beschlossen. Auch seien der Schulpsychologe und das Zentrum<br />

für schüler-bezogene Beratung noch nicht hinzugezogen worden.“ (WK, 21.11., S. 10)<br />

Da dieses überhaupt nicht den Tatsachen entsprach, verfasste die <strong>GEW</strong>-Betriebsgruppe<br />

eine zweiseitige Erklärung, in der der Vorfall von allen Seiten beleuchtet wurde, unter anderem<br />

wurde auf die sofortige Reaktion der Schule hingewiesen, die Arbeit der Schule mit<br />

schwierigen Schülern dargelegt, die mehrfache Meldung an die vorgesetzte Behörde über<br />

diesen Schülern aufgezeigt und die offensichtliche Fehlinformation der Bildungsbehörde<br />

an die Zeitung klargestellt. Schaden, der der Schule durch diese Berichterstattung zugefügt<br />

wurde (Im Februar melden Eltern ihre Kinder in Schulen an.), sollte so vermindert<br />

werden.<br />

Als Reaktion auf diese Erklärung kam es nicht zu einer Auseinandersetzung um das offensichtliche<br />

Versagen der Behörde in diesem Fall und um die Konzeptionslosigkeit im<br />

Umgang mit pädagogisch nicht erreichbaren Schülern im Allgemeinen, sondern der für die<br />

Presseerklärung verantwortliche Werner Bojert bekam eine Einladung zu einem Dienstgespräch,<br />

um „insbesondere Ihren Umgang mit den Medien“ zu besprechen. In einem Vorbereitungspapier<br />

der Behörde heißt es u.a.: „Die Kontaktaufnahme mit der Presse wegen<br />

angeblicher Missstände ist grundsätzlich nicht zulässig. Lediglich als ultima ratio, wenn alle<br />

anderen geeigneten Mittel nicht mehr greifen, kann der Beschäftigte dieses Mittel wählen.<br />

Eine solche Ausnahmesituation sehe ich hier nicht.“<br />

Gleichzeitig geriet die Schulleitung schwer unter Druck: Lückenlos mussten Dokumentationen<br />

über den Schüler vorgelegt werden, ein Krisengespräch in der Behörde jagte das


nächste und obwohl die Schulleiterinnen ein Verbot hatten, über sämtliche in der Behörde<br />

getroffenen Vereinbarungen zu sprechen, waren etliche Kollegen der Meinung, dass es<br />

um die Köpfe der Schulleitung ging.<br />

Auf Initiative des Schülerbeirats wurde eine eindrucksvolle Demonstration durchgeführt, an<br />

der mehr als 500 Schülerinnen und Schüler der Wilhelm-Kaisen-Schule teilnahmen. Sie<br />

stellten sich eindeutig hinter ihre Schule und machten schon vor dem morgendlichen Unterricht<br />

der Neustadt klar, dass sie ihren Schulalltag friedlich, gemeinsam und trotz aller<br />

Konflikte gewaltfrei verbringen.<br />

Die Eltern standen von Anfang an hinter der Schule. Zwei Tage nach dem Vorfall fand eine<br />

Elternbeiratssitzung unter Beteiligung der Schulbehörde statt. Die Eltern legten der Behörde<br />

verschiedene Fragen vor:.- “Warum wurde der betreffende Schüler (Täter der Messerstecherei)<br />

zu dem Zeitpunkt noch an der Wilhelm-Kaisen-Schule beschult, obwohl er<br />

seit einem längeren Zeitraum als unbeschulbar gilt? Wie sieht die künftige Verfahrensweise<br />

innerhalb Ihrer Behörde aus, um in solchen bzw. ähnlich gelagerten Fällen schneller<br />

zum Ergebnis zu kommen und sich Überprüfungen nicht monatelang erstrecken?“) – und<br />

forderten die Behörde auf, weil eine direkte Beantwortung nicht möglich schien, diese Fragen<br />

innerhalb einer Woche zu beantworten. Als dieses nicht geschah, wandten sich die Eltern<br />

direkt an die Senatorin. Dieses Gespräch hat mittlerweile stattgefunden. Darin wurde<br />

deutlich, dass es in der Kommunikation zwischen der Senatorin und ihrer Behörde in diesem<br />

Fall nicht wirklich geklappt hat.<br />

Inzwischen schlug der Fall sowohl in der Presse als auch auf Schulleiterebene als auch<br />

bei der <strong>GEW</strong> und den betroffenen Kollegen hohe Wellen. Es ging um die Frage, wem im<br />

Falle Serdar A. Fehler nachzuweisen wären und was eine <strong>GEW</strong>-Betriebsgruppe im Rahmen<br />

einer solchen Diskussion darf und nicht darf. Während ein Teil der Behörde offensichtlich<br />

für harte Maßnahmen gegen die Schule plädierte und damit statt inhaltlicher Auseinandersetzung<br />

eine formale Disziplinierung bevorzugte, sagte die Senatorin gegenüber<br />

dem Personalrat zu, dass es zu keinen Disziplinierungen kommen würde. So wurde aus<br />

dem Dienstgespräch des Kollegen Bojert ein dienstliches Gespräch, der Druck auf die<br />

Schulleitung wurde gemindert und der Wilhelm-Kaisen-Schule ein Gespräch mit der Senatorin<br />

Anfang Januar zugesagt.<br />

Die wütende Aufregung und Hektik der ersten Tage hat in der Schule inzwischen einer<br />

eher sachlichen und konstruktiven Gesprächsatmosphäre Platz gemacht: Welche Schlussfolgerungen<br />

sind aus dem bedauerlichen Vorfall zu ziehen.<br />

1. Die Kompetenz im Umgang mit schwierigen Schülern liegt in den Schulen. Die Schulbehörde<br />

muss diese Kompetenz anerkennen und stützen. Erst wenn Maßnahmen nicht<br />

mehr greifen, wird die vorgesetzte Behörde einbezogen. Da nutzt es niemandem, wenn<br />

den Lehrern mit Misstrauen und dem Vorwurf der Inkompetenz begegnet wird.<br />

2. Es muss festgestellt und eingestanden werden, dass es Schüler und Schülerinnen gibt,<br />

die wir trotz Sozialpädagogen in den SekI-Zentren, trotz Fortbildung der Lehrer und trotz<br />

intensiver Arbeit nicht erreichen können. Diese Schüler haben sich wegen mangelnder Erziehung<br />

u. a. so weit von den Normen und Werten, die wir vermitteln sollen, entfernt, dass<br />

sie unbeschulbar sind. Sie bringen durch ihre Aggressivität, ihre Kriminalität und ihre Ablehnungshaltung<br />

jede Schule in Bedrängnis.<br />

3. Die Aufhebung der Schulbezirke und die politisch gewollte Konkurrenz zwischen den<br />

Schulen hat dazu geführt, dass Probleme lieber verschwiegen werden statt sie zu benen-


nen. Diese Probleme müssen von den Schulen eingestanden werden, damit nicht nach<br />

der Devise gehandelt wird: Was interessieren mich die Probleme anderer Schulen, solange<br />

es an meiner Schule ruhig ist. Eine gute Möglichkeit hierzu wäre die Schulleiterdienstbesprechung<br />

am Dienstag vor den Weihnachtsferien gewesen. Hier sollte dieses Thema<br />

diskutiert werden, leider wurde diese Besprechung seitens der Behörde abgesetzt.<br />

4. Prävention ist leider nicht messbar, aber man kann mit Sicherheit davon ausgehen,<br />

dass sie die preiswertere Variante ist. Für die oben beschriebenen Schüler muss es daher<br />

pädagogische Angebote geben, in denen es möglicherweise einen Mix aus Arbeits- und<br />

Unterrichtsangeboten mit intensiver pädagogischer Betreuung gibt, z. B. kleine Gruppen<br />

mit einem Lehrer, einem Sozialpädagogen und einem Handwerker bei psychologischer<br />

Begleitung. Solche kleinen Einheiten haben vielleicht noch eine Chance, Schüler zu erreichen,<br />

die wir im normalen Schulgeschehen nicht mehr auffangen können. Ein solches Projekt<br />

kann allerdings keinesfalls aus den bestehenden Betreuungsprojekten heraus finanziert<br />

werden. Die Sozialpädagogen an den SekI-Zentren arbeiten derzeit präventiv und ihre<br />

Konzepte sind und dürfen nicht auf Einzelfallbetreuung ausgerichtet sein.<br />

5. Ein solches Angebot sollte eng vernetzt im jeweiligen Stadtteil arbeiten; denn was nutzt<br />

es, wenn Jugendfreizeitheim, Kontaktpolizist, Jugendamt und andere Institutionen vereinzelt<br />

an den gleichen schwierigen Jugendlichen vor sich hin arbeiten, statt sich bei immer<br />

schlechter werdenden Ressourcen gemeinsam um verhaltensauffällige Schüler zu kümmern.<br />

Die Organisation eines solchen Prozesses und nicht die Disziplinierung einzelner Lehrer<br />

sollte Aufgabe von Schulbehörde sein.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!