Warum allgemeinmedizinische Forschung überlebenswichtig ist - GHA
Warum allgemeinmedizinische Forschung überlebenswichtig ist - GHA
Warum allgemeinmedizinische Forschung überlebenswichtig ist - GHA
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Hausarztmedizin der Zukunft:<br />
<strong>Warum</strong><br />
<strong>allgemeinmedizinische</strong> <strong>Forschung</strong><br />
<strong>überlebenswichtig</strong> <strong>ist</strong><br />
Michael M. Kochen<br />
Abt. Allgemeinmedizin, Universitätsmedizin Göttingen<br />
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin
Es <strong>ist</strong> nicht das Ziel der Wissenschaft,<br />
der unendlichen Weisheit eine Tür zu öffnen,<br />
sondern eine Grenze zu setzen<br />
dem unendlichen Irrtum<br />
Bertold Brecht<br />
W. Niebling, <strong>Forschung</strong>skurs 2001
Unter <strong>Forschung</strong> verstehen wir in der Medizin<br />
• jede im voraus geplante, systematisch-methodische<br />
Bearbeitung von gezielten Fragen bzw. Hypothesen<br />
• mit empirischen Mitteln<br />
• zur Erweiterung des Wissens<br />
…oder vereinfacht gesagt:<br />
<strong>Forschung</strong> = systemat. Suche nach neuen Erkenntnissen<br />
Heiner Raspe, DMW 2005
Allgemeinmedizinische <strong>Forschung</strong>:<br />
Die Zukunftssicherung unseres Faches<br />
Was erwartet Sie in den nächsten 30 Minuten?<br />
• Drei Beispiele aus nicht-hausärztlichen Bereichen illustrieren die<br />
Folgen fehlender wissenschaftlicher Belege für die Versorgung<br />
• Was <strong>ist</strong> <strong>allgemeinmedizinische</strong> <strong>Forschung</strong> und wer forscht wo?<br />
• „Denn sie wissen nicht, was sie tun“: Fünf Beispiele aus der Praxis<br />
• Risiken fehlender <strong>Forschung</strong>saktivität<br />
• Vier Schlussfolgerungen
AMD = Altersbedingte<br />
Makuladegeneration<br />
AMD<br />
Inzidenz ca. 10% (66-74 J)<br />
bis 30% (75-85 J)<br />
ca. 500.000 Personen in<br />
Deutschland
Dieter Goette, Novartis<br />
Therapiepreis pro<br />
Monat: 282 €<br />
"Lucentis und Avastin sind zwei<br />
völlig unterschiedliche Arzneimittel,<br />
die auch für unterschiedliche Indikationen<br />
zugelassen worden sind.<br />
Für Lucentis rechnen wir in<br />
Deutschland pro Jahr mit etwa<br />
20.000 Patienten, die unter einer<br />
AMD leiden.„<br />
Dr. Armin Scharrer,<br />
Präsident der Dt. Gesellschaft für Augenchirurgie<br />
„Auf der Grundlage einer sehr bekannten<br />
amerikanischen Prävalenzstudie<br />
müssen wir in Deutsch-land<br />
(2006) bei den 43- bis 86-Jährigen<br />
mit 431.000 Patienten pro Jahr mit<br />
einer feuchten Makuladegeneration<br />
mindestens an einem Auge rechnen"<br />
Therapiepreis pro<br />
Monat: 5,39 €
∅ Unterschied zwischen Bevacizumab und Ranibizumab<br />
(aber retrospektive Studien)
RCTs angemahnt (head-to-head Studien)
∅ Unterschied zwischen Bevacizumab und Ranibizumab<br />
(…aber nur vorläufige Daten)<br />
…der ersehnte RCT:
Theoretische Kalkulation der Therapiekosten für Lucentis®:<br />
431.000 x 1.532 € = 6,6 Mrd. €/Jahr<br />
AVK 1.532,00 €<br />
AVK 444,00 €
„Die Sensitivität und Spezifität der gewählten Screening-<br />
Strategie <strong>ist</strong> unter den heutigen Alltagsbedingungen die<br />
bestmögliche und hat sich bewährt“<br />
Glaukomprävalenz Deutschland:<br />
Ca. 2,5 – 6,2%, 50% der Betroffenen weiß Bescheid<br />
Erblindungsrate ~ 2,5%<br />
Es darf gelacht werden
chron. Offenwinkelglaukom kann nicht empfohlen werden“.<br />
• Cochrane-Review fand bis Januar 2009 keine RCTs mit min.<br />
Nachverfolgungszeit von 1 Jahr.<br />
• Schlussfolgerung: „Bevölkerungsbezogenes Screening auf<br />
• Randomisierte klinische Studien (RCTs)<br />
= alleiniges Evidenzkriterium von Screeningmaßnahmen.
Vorsichtige Kalkulation: 33 Mill. X 20,00 € = 660 Mill. €*<br />
Mind. 1 Unt./Jahr beim Augenarzt: 33 Mill. Bundesbürger<br />
* BGEK Ärztereport 2010
Beispiel 3:<br />
„Die Kraft der<br />
Hormone -<br />
lebenslang“<br />
eine geklärte<br />
<strong>Forschung</strong>sfrage
Was <strong>ist</strong> <strong>allgemeinmedizinische</strong> <strong>Forschung</strong>?<br />
• Allgemeinmedizinische <strong>Forschung</strong> = angewandte <strong>Forschung</strong><br />
zur Lösung von Problemen der Primärversorgung.<br />
• Sie bedient sich (im Gegensatz zu fast allen anderen<br />
"patienten-betreuenden" Disziplinen der Medizin) überwiegend<br />
der Methoden der empirischen Sozialforschung, Epidemiologie<br />
und Biometrie<br />
• Ebenso wie viele andere Fachgebiete der Medizin bearbeitet<br />
die Allgemeinmedizin zwar spezifische Probleme, verfügt aber<br />
über keine „eigenen“ Methoden.
Wo findet <strong>allgemeinmedizinische</strong> <strong>Forschung</strong> statt?<br />
Planung, Koordination und Auswertung wissenschaftlicher<br />
Projekte vorwiegend in der Universität<br />
Ideengeneration und Datenerhebung in der Allgemeinpraxis<br />
Universitätsabteilung<br />
für Allgemeinmedizin<br />
Zensur<br />
Göttinger <strong>Forschung</strong>sküche
<strong>Forschung</strong>saktive, <strong>allgemeinmedizinische</strong><br />
Institutionen (n=17)<br />
Greifswald
<strong>Forschung</strong>sfragen aus dem hausärztlichen Alltag:<br />
Reicht Paracetamol/NSAR für eine Streptokokken-Angina<br />
oder muss jeder Fall mit Antibiotika behandelt werden?<br />
…ungeklärt
<strong>Forschung</strong>sfragen aus dem hausärztlichen Alltag:<br />
Kann man eine Streptokokken-Angina gefahrlos<br />
mit Prednisolon behandeln?<br />
…ungeklärt
<strong>Forschung</strong>sfragen aus dem hausärztlichen Alltag:<br />
Müssen unkomplizierte HWIs immer mit Antibiotika behandelt<br />
werden oder reicht u.U. ein Antiphlog<strong>ist</strong>ikum?<br />
…möglicherweise, aber letzlich ungeklärt<br />
Hauptstudie bei DFG beantragt (Göttingen/Hannover)
<strong>Forschung</strong>sfragen aus dem hausärztlichen Alltag:<br />
Kann man langfr<strong>ist</strong>ig verordnetes L-Thyroxin bei euthyreoten<br />
Patienten problemlos absetzen?<br />
…Ungeklärt<br />
(RCT bei DFG beantragt [Marburg/Göttingen])
<strong>Forschung</strong>sfragen aus dem hausärztlichen Alltag:<br />
Hilft Massage bei unkomplizierten Kreuzschmerzen?<br />
…möglicherweise (zusammen mit körperlichen Übungen),<br />
aber letztlich ungeklärt.
Vier Schlussfolgerungen<br />
(1) Politik/Öffentlichkeit/unsere Patienten erwarten eine wissenschaftliche<br />
Grundlage für unseres Handeln. Nur so lassen sich<br />
Le<strong>ist</strong>ungen und Bezahlung rechtfertigen. Beliebiges Handeln<br />
„aus dem Bauch heraus“ wird künftig kaum mehr honoriert.<br />
(2) Wenn wir „unsere“ Fragen zur Betreuung und Behandlung<br />
nicht selbst durch <strong>Forschung</strong> beantworten, machen das<br />
andere. Dann wird uns auf Basis deren Ergebnisse vorgeschrieben<br />
werden, wie wir handeln müssen.<br />
(3) Mangelnde <strong>Forschung</strong> lässt uns im Dunkeln stochern, verschwendet<br />
Geld, schädigt unsere Patienten und zerstört langfr<strong>ist</strong>ig<br />
das Vertrauen unserer Patienten in unsere Kompetenz.<br />
(4) <strong>Forschung</strong> im eigenen Fach gibt daher auch jeder einzelnen<br />
Praxis eine Art von Zukunftsgarantie. Mitarbeit/Kooperation bei<br />
<strong>allgemeinmedizinische</strong>n <strong>Forschung</strong>sprojekten <strong>ist</strong> von elementarer<br />
Bedeutung – eine Art von Lebensversicherung.