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Genetische Effekte bei der Verminderung von Populationsgrößen

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Geoökologisches Oberseminar<br />

Sommersemester 2003<br />

Thema:<br />

Naturschutz II: <strong>Genetische</strong> <strong>Effekte</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Vermin<strong>der</strong>ung <strong>von</strong><br />

<strong>Populationsgrößen</strong><br />

Bear<strong>bei</strong>terin: Claudia Zimmermann (Matr.-Nr.: 40604)<br />

Datum: Freiberg, den 24.04.2003<br />

Glie<strong>der</strong>ung<br />

1. Einleitung<br />

2. Vermin<strong>der</strong>ung <strong>von</strong> <strong>Populationsgrößen</strong><br />

2.1. Habitatfragmentierung<br />

2.2. Populationsfragmentierung und Genfluss<br />

3. Verlust an genetischer Vielfalt in kleinen Populationen und die <strong>Effekte</strong><br />

3.1. <strong>Genetische</strong> Vielfalt<br />

3.2. <strong>Genetische</strong> Vielfalt und wechselnde Umweltbedingungen<br />

3.3. Inzucht und <strong>der</strong> Inzuchtkoeffizient<br />

3.4. Rückgang <strong>der</strong> Heterozygotie<br />

3.5. Die effektive Populationsgröße<br />

3.6. SLOSS – Modell<br />

3.7. Wirkung <strong>der</strong> Habitatfragmentierung auf die gefährdete Rothauben-<br />

Specht Population in den USA<br />

4. Migration unter den Populationsfragmenten<br />

4.1. Migration und Inzucht<br />

4.2. Migration und Entfernung zwischen den Fragmenten<br />

5. Zusammenfassung<br />

6. Literatur


Naturschutz II: <strong>Genetische</strong> <strong>Effekte</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Vermin<strong>der</strong>ung <strong>von</strong> <strong>Populationsgrößen</strong> 1<br />

1. Einleitung<br />

Viele gefährdete Arten haben kleine bzw. sich immer mehr verkleinernde Populationen. Sie neigen zu<br />

einem erhöhtem Aussterberisiko, da es in kleinen Populationen zu Verlusten an genetischer Vielfalt,<br />

zu Inzucht, verbunden mit einer Verringerung <strong>der</strong> reproduktiven Fitness, und zu einer Ansammlung<br />

schädlicher Mutationen kommen kann.<br />

Diese <strong>Effekte</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Vermin<strong>der</strong>ung <strong>von</strong> <strong>Populationsgrößen</strong> werden im Folgenden näher erläutert.<br />

2. Vermin<strong>der</strong>ung <strong>von</strong> <strong>Populationsgrößen</strong><br />

Der Mensch verringert die Größe und die Verteilung <strong>von</strong> wilden Populationen durch Beseitigung und<br />

Fragmentierung ihrer Habitate, durch übermäßige Ausbeutung und Verschmutzung, mit all ihren<br />

Auswirkungen auf die Umwelt, immer mehr. Von diesen Faktoren nehmen <strong>der</strong> Habitatverlust bzw. die<br />

Habitatfragmentierung momentan die bedeutendste Stellung ein. (nach FRANKHAM et al. 2002)<br />

2.1. Habitatfragmentierung<br />

Die Habitatfragmentierung <strong>bei</strong>nhaltet zwei Prozesse, einerseits die Verkleinerung <strong>von</strong><br />

Gesamthabitatflächen und an<strong>der</strong>erseits werden gleichzeitig einzelne isolierte Stücke (Patches) aus<br />

einer größeren zusammenhängenden Verteilung geschaffen. Ein Beispiel dafür stellt die<br />

Fragmentierung des Atlantic forest in São Paulo State, Brasilien in Abbildung 1 dar. Da<strong>bei</strong> bedeckte<br />

<strong>der</strong> einstige Waldbestand <strong>von</strong> 1500 ganze 82 % <strong>der</strong> Landesfläche, während im Jahr 2000 nur noch 3 %<br />

<strong>der</strong> Fläche bedeckt waren. Ab 1952 sind auch deutlich die zunehmende Habitatfragmentierung und die<br />

Isolation <strong>der</strong> einzelnen Patches zu erkennen. Habitatfragmentierung führt generell zur Verringerung<br />

<strong>der</strong> Populationsgröße <strong>der</strong> meisten Arten und verringerter Migration zwischen den Patches.<br />

Abb.1: Fragmentierung des Atlantic forest in São Paulo State, Brasilien (aus FRANKHAM et al. 2002)<br />

Claudia Zimmermann<br />

Oberseminar im Studiengang Geoökologie


Naturschutz II: <strong>Genetische</strong> <strong>Effekte</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Vermin<strong>der</strong>ung <strong>von</strong> <strong>Populationsgrößen</strong> 2<br />

Als primäre Ursache für den Verlust an Artenvielfalt wird <strong>der</strong> Mensch mit seinen Habitat und Struktur<br />

vernichtenden Aktivitäten, wie zum Beispiel die Umwandlung <strong>von</strong> Wald in Ackerland, Forstwirtschaft<br />

und Anstauen <strong>von</strong> Flüssen, gesehen. (nach FRANKHAM et al. 2002)<br />

2.2. Populationsfragmentierung und Genfluss<br />

Einhergehend mit <strong>der</strong> Habitatfragmentierung kommt es zur Populationsfragmentierung und <strong>der</strong><br />

Verringerung <strong>von</strong> <strong>Populationsgrößen</strong>. Inwiefern sich dies auf die genetische Vielfalt <strong>der</strong> Individuen<br />

<strong>der</strong> Populationen auswirkt hängt vom Genfluss zwischen den Fragmenten ab. Der Genfluss zwischen<br />

den Populationsfragmenten wird wie<strong>der</strong>um beeinflusst <strong>von</strong>:<br />

• <strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> Populationsfragmente<br />

• <strong>der</strong> Verteilung <strong>der</strong> <strong>Populationsgrößen</strong> in den einzelnen Fragmenten<br />

• <strong>der</strong> geografischen Verteilung bzw. den räumlichen Mustern <strong>der</strong> Populationen<br />

• <strong>der</strong> Distanz zwischen den Fragmenten<br />

• <strong>der</strong> Fähigkeit <strong>der</strong> Arten sich zu verteilen<br />

• den Migrationsraten zwischen den Fragmenten<br />

• <strong>der</strong> Beschaffenheit <strong>der</strong> Umgebung <strong>der</strong> Fragmente und <strong>der</strong>en Wirkung auf die Verteilung <strong>der</strong><br />

Arten<br />

• <strong>der</strong> Zeit seit <strong>der</strong> Fragmentierung.<br />

Durch Einschränkung <strong>von</strong> <strong>Populationsgrößen</strong> und verringerten Genfluss kommt es unvermeidbar zum<br />

Verlust an genetischer Vielfalt und zu Inzucht. (nach FRANKHAM et al. 2002)<br />

3. Verlust an genetischer Vielfalt in kleinen Populationen und die <strong>Effekte</strong><br />

3.1. <strong>Genetische</strong> Vielfalt<br />

Als genetische Diversität o<strong>der</strong> Vielfalt wird das Maß an genetischer Variation in Populationen o<strong>der</strong><br />

innerhalb <strong>von</strong> Arten, bezüglich Heterozygotie o<strong>der</strong> Allelvielfalt, bezeichnet. (nach FRANKHAM et al.<br />

2002)<br />

Von Heterozygotie eines Merkmals wird gesprochen, wenn verschiedene Allele (= Zustandsformen,<br />

z.B. braunes Haar (dominant) und keine Pigmentierung (rezessiv)) des gleichen Gens auf den<br />

homologen Chromosomen vorliegen. Es würde sich das dominante Allel in <strong>der</strong> Merkmalsausprägung<br />

durchsetzen und das Individuum hätte braunes Haar.<br />

Ein Individuum ist dagegen hinsichtlich seiner Erbanlagen homozygot (reinerbig), wenn <strong>der</strong><br />

genetische Informationsgehalt eines Gens auf den homologen Chromosomen gleich ist. Die<br />

Merkmalsausprägung <strong>bei</strong><strong>der</strong> Allele würde also in jedem Fall in Erscheinung treten, da <strong>bei</strong>de gleiche<br />

Informationen verschlüsseln. In diesem Fall können auch rezessive, sonst unterdrückte und meist<br />

schädigende Allele (z. B. keine Pigmentierung) ihr Merkmal ausprägen. (nach CAMPBELL 1998)<br />

3.2. <strong>Genetische</strong> Vielfalt und wechselnde Umweltbedingungen<br />

Natürliche Populationen werden ständig mit dem Wechsel <strong>von</strong> Umweltbedingungen konfrontiert. Um<br />

mit diesen Än<strong>der</strong>ungen umgehen zu können müssen sich Arten entwickeln o<strong>der</strong> sie sterben aus.<br />

<strong>Genetische</strong> Vielfalt ist die Grundlage aller Populationen auf Än<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Umwelt zu reagieren<br />

und sich anzupassen. Große Populationen besitzen ein hohes Potenzial an genetischer Vielfalt. Die an<br />

die neuen Bedingungen am besten angepassten besitzen Selektionsvorteile und kommen zur<br />

Fortpflanzung. In kleinen Populationen geht die genetische Vielfalt verloren und ihr Vermögen sich an<br />

neue Umweltbedingungen anzupassen ist deutlich geringer. So haben gefährdete Arten gemäß<br />

Definition kleine o<strong>der</strong> im Rückgang befindliche <strong>Populationsgrößen</strong> und es ist zu erwarten, dass diese<br />

Claudia Zimmermann<br />

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Naturschutz II: <strong>Genetische</strong> <strong>Effekte</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Vermin<strong>der</strong>ung <strong>von</strong> <strong>Populationsgrößen</strong> 3<br />

eine geringere genetische Diversität haben, als nicht gefährdete Arten. Als Beispiel dazu ist <strong>der</strong><br />

nordaustralische Haarnasen-Wombat aufzuführen (Abb. 2), <strong>der</strong> aufgrund <strong>von</strong> Lebensraumzerstörung<br />

durch Weidevieh und Dürrekatastrophen gefährdet ist (vgl. Microsoft® Encarta® Professional 2002.<br />

© 1993-2001 Microsoft Corporation.). Dieser hat durch seine kleine Populationsgröße <strong>von</strong> nur noch<br />

75 Tieren eine geringere genetische Vielfalt, verbunden mit einer geringeren Allelanzahl und höherer<br />

Homozygotie, als sein nicht gefährdeter, in größeren Zahlen existieren<strong>der</strong>, nächster Verwandter, <strong>der</strong><br />

südaustralische Haarnasen-Wombat. (nach FRANKHAM et al. 2002)<br />

Abb. 2: Vergleich <strong>der</strong> Heterozygotie und <strong>der</strong> Allelanzahl des gefährdeten nordaustralische<br />

Haarnasen-Wombat mit seinem nächsten Verwandten dem südaustralischen Haarnasen-Wombat (aus<br />

FRANKHAM et al. 2002)<br />

3.3. Inzucht und <strong>der</strong> Inzuchtkoeffizient<br />

Eine Vermin<strong>der</strong>ung <strong>von</strong> <strong>Populationsgrößen</strong> und ein verringerter Genfluss zieht unvermeidlich Inzucht<br />

nach sich. Als Inzucht wird die Paarung <strong>von</strong> Individuen bezeichnet, die durch Abstammung direkt<br />

verwandt sind, dies wären z.B. selbstbefruchtende Pflanzen, Paarungen zwischen Geschwistern o<strong>der</strong><br />

zwischen Elternteil und Nachkomme etc. Als Maß <strong>der</strong> Inzucht wird <strong>der</strong> Inzucht Koeffizient F<br />

verwendet. Der Inzucht Koeffizient eines Individuums ist die Wahrscheinlichkeit, dass es Allele eines<br />

Gens auf den homologen Chromosomen trägt, die identisch aufgrund <strong>von</strong> Abstammung bzw.<br />

Vererbung sind.<br />

Die Inzucht in sich zufällig paarenden Populationen <strong>der</strong> Größe N wächst mit einer Rate <strong>von</strong> 1/(2N) pro<br />

Generation. Dies wird im Folgenden an Abbildung 3 erläutert. Angenommen die erste Generation mit<br />

<strong>der</strong> Populationsgröße N ist nicht inzüchtig (F = 0), dann sind N Keimzellen vorhanden und es befinden<br />

sich insgesamt 2N Allele im Genpool. Die Wahrscheinlichkeit, dass <strong>bei</strong> zufälliger Paarung die zweite<br />

Keimzelle zur ersten Keimzelle identische Allele trägt ist 1/(2N), während die Wahrscheinlichkeit,<br />

dass kein identisches Allel vorliegt 1 - 1/(2N) ist. Der Inzucht Koeffizient <strong>der</strong> ersten Generation<br />

beträgt also 1/(2N).<br />

Die nachfolgenden Generationen können zwei identische Allele entwe<strong>der</strong> wie eben beschrieben o<strong>der</strong><br />

aber <strong>von</strong> bereits inzüchtigen Elternteilen erhalten. Letztendlich ergibt sich für F in späteren<br />

Generationen t folgende Gleichung:<br />

F t = 1 – [1 – 1 / (2N)] t (1)<br />

Claudia Zimmermann<br />

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Naturschutz II: <strong>Genetische</strong> <strong>Effekte</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Vermin<strong>der</strong>ung <strong>von</strong> <strong>Populationsgrößen</strong> 4<br />

Abb. 3: Wahrscheinlichkeiten<br />

zwei identische bzw.<br />

verschiedene Allele <strong>von</strong> einer<br />

nicht inzüchtigen Elterngeneration<br />

zu erhalten (aus<br />

FRANKHAM et al. 2002)<br />

Daraus wird noch einmal deutlich, dass Inzucht <strong>von</strong> <strong>der</strong> Populationsgröße abhängig ist und somit in<br />

kleinen Populationen schneller anwächst als in großen Populationen. Man kann auch <strong>von</strong> einer<br />

Anhäufung <strong>der</strong> Inzucht mit <strong>der</strong> Zeit sprechen. Dieser Zusammenhang wird auch in Abbildung 4<br />

verdeutlicht. Bei einer Populationsgröße <strong>von</strong> fünf Individuen ist schon nach 20 Generationen ein<br />

Inzucht Koeffizient <strong>von</strong> ca. 0,8 erreicht, während sich <strong>bei</strong> einer Populationsgröße <strong>von</strong> 500 Individuen<br />

<strong>der</strong> Inzucht Koeffizient nach 50 Generationen immer noch nahe im Berech um 0 bis 0,1 bewegt. (nach<br />

FRANKHAM et al. 2002)<br />

Abb. 4: Anstieg des Inzucht Koeffizienten<br />

F mit <strong>der</strong> Zeit in Abhängigkeit <strong>von</strong><br />

Generation und Populationsgröße (aus<br />

FRANKHAM et al. 2002)<br />

Eine praktische Konsequenz <strong>der</strong> Inzucht ist, dass die Reinerbigkeit <strong>der</strong> Individuen zunimmt. Sie<br />

erhöht das Risiko, schädliche (meist rezessive) Allele als homozygot in Erscheinung treten zu lassen.<br />

Somit wird die reproduktive Fitness verringert und die Gefahr des Aussterbens <strong>von</strong> Populationen<br />

nimmt zu. Dieser Effekt wird auch als Inzucht Depression bezeichnet. Die Folgen <strong>von</strong> Inzucht<br />

Depression wurden bereits <strong>von</strong> Charles Darwin im Jahre 1876 <strong>bei</strong> inzüchtigen Pflanzen beobachtet. So<br />

zeigten diese eine geringere Größe, wogen weniger, blühten später und produzierten weniger Samen<br />

als nicht inzüchtige Pflanzen. Inzucht führt also zu vermin<strong>der</strong>ter Leistung und Vitalität o<strong>der</strong> kann<br />

sogar letal wirken.<br />

Claudia Zimmermann<br />

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Naturschutz II: <strong>Genetische</strong> <strong>Effekte</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Vermin<strong>der</strong>ung <strong>von</strong> <strong>Populationsgrößen</strong> 5<br />

Es wurde angenommen, dass die Inzucht Depression unter stressigen Bedingungen bzw. in einer rauen<br />

Umwelt größer ist. Dies wurde auch <strong>bei</strong> einer Enzianart beobachtet. Abbildung 5 zeigt die relative<br />

Fitness <strong>von</strong> Feldpflanzen und Gewächshauspflanzen im Vergleich, einmal als selbstbefruchtende und<br />

somit inzüchtige Pflanzen und als Pflanzen die keine Inzucht betreiben. Bei <strong>der</strong> selbstbefruchtenden<br />

Enzianart kommt es zu einer 75 %igen Inzucht Depression auf dem Feld und die <strong>der</strong> Pflanzen im<br />

Gewächshaus hingegen nur 55 %igen ist. Es besteht <strong>bei</strong> selbstbefruchtenden Pflanzen, durch<br />

Vereinheitlichung des Erbgutes, die Gefahr anfälliger gegenüber äußeren Einflüssen, z.B.<br />

Schädlingsbefall, zu werden. Unter Umständen können so ganze Populationen vernichtet werden. Im<br />

Vergleich dazu sind die Werte <strong>der</strong> Inzucht Depression <strong>bei</strong> nicht inzüchtigen Pflanzen mit 1 % auf dem<br />

Feld und 5 % im Gewächshaus verschwindend gering und ihre relative Fitness liegt somit nahe <strong>der</strong><br />

100%. Weiterhin fällt auf, dass <strong>bei</strong> den nicht Inzüchtigen, die Feldpflanzen offensichtlich besser an<br />

gegebene Umweltbedingungen angepasst sind, als die Gewächshauspflanzen mit <strong>der</strong> niedrigeren<br />

relativen Fitness. (nach FRANKHAM et al. 2002)<br />

Abb. 5: Relative Fitness einer Enzianart <strong>bei</strong><br />

Selbstbefruchtung und <strong>bei</strong> keiner Inzucht unter<br />

Feldbedingungen (stressige Umgebung) o<strong>der</strong> im<br />

Gewächshaus (aus FRANKHAM et al. 2002)<br />

3.4. Rückgang <strong>der</strong> Heterozygotie<br />

Der Verlust <strong>von</strong> genetischer Vielfalt steht direkt im Zusammenhang mit dem Rückgang <strong>der</strong><br />

Heterozygotie. Diese wie<strong>der</strong>um ist abhängig <strong>von</strong> <strong>der</strong> Populationsgröße und <strong>der</strong> Generationszeit.<br />

Abbildung 6 verdeutlicht dies, wo<strong>bei</strong> als Heterozygotie das Verhältnis <strong>der</strong> Heterozygotie <strong>der</strong><br />

jeweiligen Generation (H t ) zur anfänglichen Heterozygotie <strong>der</strong> Population (H 0 ) dargestellt ist. Als<br />

Populationsgröße wurde die effektive Populationsgröße N e , auf die im Folgenden noch eingegangen<br />

wird, verwendet. Große Populationen mit <strong>der</strong> effektiven Populationsgröße <strong>von</strong> 500 Individuen<br />

verlieren nur 5 % ihrer Heterozygotie nach 50 Generationen, während kleine Populationen mit <strong>der</strong><br />

effektiven Populationsgröße <strong>von</strong> 25 Individuen immerhin 64 % ihrer Heterozygotie einbüßen.<br />

Weitere sich daraus schlussfolgernde Punkte sind diese:<br />

• Der Verlust an genetischer Vielfalt hängt eher <strong>von</strong> <strong>der</strong> effektiven Populationsgröße N e ab, als<br />

<strong>von</strong> <strong>der</strong> Gesamtindividuenzahl N.<br />

• Die Heterozygotie geht in kleinen Populationen mit größerer Rate verloren als in großen<br />

Populationen.<br />

• Der Verlust an Heterozygotie hängt <strong>von</strong> den Generationen ab, nicht <strong>von</strong> Jahren.<br />

• Die Hälfte <strong>der</strong> anfänglichen Heterozygotie geht nach 1,4 N e -Generationen verloren.<br />

• Umso kürzer die Generationszeit ist, desto schneller geht <strong>der</strong> Verlust an Heterozygotie voran.<br />

Claudia Zimmermann<br />

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Naturschutz II: <strong>Genetische</strong> <strong>Effekte</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Vermin<strong>der</strong>ung <strong>von</strong> <strong>Populationsgrößen</strong> 6<br />

• Wenn N e über die Zeit schwanken, dann ist <strong>der</strong> Verlust an genetischer Vielfalt am meisten<br />

durch die Minimumgröße beeinflusst. Somit wird die Population einer Art mit <strong>der</strong><br />

Generationszeit <strong>von</strong> einem Jahr ihre genetische Vielfalt schneller verlieren, als eine Art mit<br />

gleicher Populationsgröße, aber einer Generationszeit <strong>von</strong> 25 Jahren.<br />

Dies zeigt uns, dass eine vermin<strong>der</strong>te genetische Vielfalt generell <strong>bei</strong> kleinen Populationen sowie <strong>bei</strong><br />

gefährdeten Arten zu erwarten ist. (nach FRANKHAM et al. 2002)<br />

Abb. 6: Verringerung <strong>der</strong><br />

Heterozygotie über die Generationen<br />

in verschieden großen Populationen<br />

(aus FRANKHAM et al. 2002)<br />

3.5. Die effektive Populationsgröße<br />

Wie schon erwähnt ist es sinnvoll sich <strong>bei</strong> den Betrachtungen <strong>der</strong> Populationsgröße auf die effektive<br />

Populationsgröße N e zu beziehen. Die effektive Größe einer Population ist gewöhnlich kleiner, als die<br />

Anzahl <strong>der</strong> Individuen <strong>der</strong> Population. Generell wird ein N e /N–Verhältnis <strong>von</strong> 11 % angenommen.<br />

Häufig ist in wilden Populationen die Anzahl <strong>der</strong> gebärenden Weibchen nicht gleich <strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong><br />

Männchen. Ein Beispiel für ungleiche Geschlechter-Verhältnisse sind die Seelöwen. So bilden diese<br />

Säugetiere Harems. Da<strong>bei</strong> pflanzt sich ein Männchen mit mehren Weibchen fort, während an<strong>der</strong>e<br />

Männchen keinen Beitrag zur nächsten Generation <strong>bei</strong>steuern. Geschlechter-Verhältnisse werden<br />

durch Paarungssysteme, geschlechtsbestimmende Mechanismen (z.B. Inkubationstemperatur <strong>der</strong><br />

Krokodileier), kleine <strong>Populationsgrößen</strong> und menschliche Aktivitäten beeinflusst. (nach FRANKHAM et<br />

al. 2002)<br />

3.6. SLOSS – Modell<br />

Im SLOSS – Modell wird die genetische Entwicklung einer großen (Single Large) gegenüber<br />

mehrerer kleiner isolierter (Several Small) Populationen betrachtet. Alle Populationen haben die<br />

gleiche Anfangspopulation. Im Beispiel in Abbildung 7 sind vier Allele A 1 -A 4 in den<br />

Anfangspopulationen (1) vorhanden. Nach kurzer Zeit werden die vier kleinen Populationen (2) mit<br />

anfänglich vier Allelen durch Zufallfallsprozesse schnell homozygot, so dass dann ein Allel pro<br />

Population fixiert ist. Sie verlieren reproduktive Fitness durch Inzucht Depression. Der Verlust an<br />

genetischer Vielfalt hingegen verläuft in <strong>der</strong> großen Population (3) langsamer. Diese verliert Allel A 4 .<br />

Es stirbt noch keine Population aus. Da aber <strong>bei</strong> den vier kleinen Populationen, als Gesamtes (z.B. auf<br />

regionaler Ebene) gesehen, alle Allele erhalten geblieben sind, besitzen diese insgesamt eine höhere<br />

Allel-Vielfalt, als die große Population, die ein Allel verloren hat. Betrachtet man die Situation über<br />

lange Zeit, dann wird deutlich, dass die Aussterberate in den kleinen Populationsfragmenten, aufgrund<br />

<strong>von</strong> äußeren Einflüssen und genetischer Faktoren, größer ist. Durch das Aussterben <strong>von</strong> zwei <strong>der</strong><br />

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kleinen Populationen (4) besitzt nun die große Population (5) eine höhere genetische Vielfalt und<br />

reproduktive Fitness, als die kleinen Populationen zusammen. Gerade deshalb sollten diese<br />

Langzeiteffekte <strong>der</strong> Habitat- und Populationsfragmentierung in <strong>der</strong> Landschaftsplanung beachtet<br />

werden. (nach FRANKHAM et al. 2002)<br />

Abb. 7: SLOSS – Modell; die<br />

genetischen <strong>Effekte</strong> einer großen<br />

Population (SL) und mehrerer<br />

kleiner Populationen (SS) über die<br />

Zeit (aus FRANKHAM et al. 2002)<br />

3.7. Wirkung <strong>der</strong> Habitatfragmentierung auf die gefährdete Rothauben-Specht<br />

Population in den USA<br />

Der gefährdete Rothauben-Specht in den USA soll als Beispiel für die entstehenden genetischen<br />

Probleme aufgrund <strong>von</strong> Habitatfragmentierung dienen.<br />

Er kam einst häufig in den alten Kiefernwäl<strong>der</strong>n im Südosten <strong>der</strong> USA vor. Mittlerweile ist sein<br />

Vorkommen durch Habitatverlust soweit zurückgegangen, dass er seit 1970 auf <strong>der</strong> Roten Liste für<br />

gefährdete Arten steht. Jetzt lebt <strong>der</strong> Specht auf zerstreuten und teilweise isolierten Flächen unter<br />

denen sehr geringe Migration vorkommt (vgl. Abb. 8).<br />

Es wird erwartet, dass sich die Populationen und vor allem die kleinen Patches immer weiter<br />

<strong>von</strong>einan<strong>der</strong> differenzieren und an genetischer Vielfalt verlieren. Außerdem erleiden gerade die<br />

kleinen Populationen sehr schnell Inzucht Depression.<br />

Claudia Zimmermann<br />

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Naturschutz II: <strong>Genetische</strong> <strong>Effekte</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Vermin<strong>der</strong>ung <strong>von</strong> <strong>Populationsgrößen</strong> 8<br />

Abb. 8: Verteilung <strong>der</strong> Rothauben-Specht Populationen in den USA (aus FRANKHAM et al. 2002)<br />

Die kleinen Spechtpopulationen verzeichnen den größten Verlust an genetischer Vielfalt und zeigen<br />

die größte Verschiedenheit untereinan<strong>der</strong>, so dass in den einzelnen Populationen nur noch wenige,<br />

aber verschiedenene Allele vorherrschen. Diese Beziehung zwischen dem Verlust an Heterozygotie H<br />

und <strong>der</strong> Populationsgröße N ist auch in Abbildung 9 dargestellt. Kleine Populationen besitzen eine<br />

geringere Heterozygotie als große Populationen.<br />

Abb. 9: Beziehung zwischen dem<br />

Verlust an Heterozygotie H und <strong>der</strong><br />

Populationsgröße N <strong>der</strong> Rothauben-<br />

Specht Populationen (aus FRANKHAM<br />

et al. 2002)<br />

Die Verteilung und die Dichte <strong>der</strong> Spechte sind abhängig <strong>von</strong> den alten Wäl<strong>der</strong>n mit entsprechenden<br />

Nestlöchern. Zahlreiche Hurrikans zerstörten aber einen großen Teil <strong>der</strong> alten Kiefernwäl<strong>der</strong> und die<br />

<strong>Populationsgrößen</strong> gingen weit zurück. Heute findet deshalb ein verstärkter Habitatschutz und<br />

Verbesserung <strong>der</strong> Habitateignung durch Schaffung künstlicher Nesthöhlen statt. Außerdem werden<br />

Populationen in geeignete Habitate, wo Populationen schon ausgestorben sind, wie<strong>der</strong> eingeführt.<br />

(nach FRANKHAM et al. 2002)<br />

Claudia Zimmermann<br />

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4.2. Migration und Entfernung zwischen den Fragmenten<br />

Die Verteilungsraten <strong>von</strong> Migranten verringern sich typischerweise mit <strong>der</strong> Entfernung, wie in<br />

Abbildung 11 am Beispiel des Eichel-Spechtes gezeigt wird. Je weiter die Habitatpatches <strong>von</strong>einan<strong>der</strong><br />

entfernt sind, desto weniger Migranten werden sie empfangen.<br />

Dieser Effekt ist allerdings auch <strong>von</strong> <strong>der</strong> Natur <strong>der</strong> umgebenden Matrix und <strong>der</strong>en Effekt auf die<br />

Verteilungsrate abhängig.<br />

Generell zeigen entfernte Populationsfragmente einen verringerten Genfluss und ein höheres<br />

Aussterberisiko als näher <strong>bei</strong>einan<strong>der</strong> liegende Populationsfragmente.<br />

(nach FRANKHAM et al. 2002)<br />

Abb. 11: Verteilungsraten des Eichel-<br />

Spechtes in Abhängigkeit <strong>von</strong> <strong>der</strong> Entfernung<br />

<strong>der</strong> Fragmente (aus FRANKHAM et al. 2002)<br />

5. Zusammenfassung<br />

Die Natur ist immer mehr menschlichen Einflüssen ausgesetzt. Landschaften werden durch<br />

Baumaßnahmen und ähnliches zerteilt. Es kommt zur Habitat- und zur Populationsfragmentierung<br />

vieler Arten. Mit zunehmen<strong>der</strong> Fragmentierung wird die Populationsgröße innerhalb eines jeden<br />

Populationsfragments kleiner, was wie<strong>der</strong>um Auswirkung auf die genetische Vielfalt <strong>von</strong><br />

Populationen und <strong>der</strong>en Überlebensfähigkeit hat.<br />

Inzucht und <strong>der</strong> Verlust an genetischer Vielfalt sind unvermeidbar in kleinen meist isolierten<br />

Populationen und Populationen gefährdeter Arten. Es kommt zum Verlust <strong>der</strong> Heterozygotie und die<br />

kleinen Populationen differenzieren sich genetisch immer mehr <strong>von</strong>einan<strong>der</strong>. Die Produktion <strong>von</strong><br />

Nachkommen und das Überleben werden in kurzer Zeit vermin<strong>der</strong>t. Außerdem wird in den<br />

Populationen die Fähigkeit, sich än<strong>der</strong>nden Umweltbedingungen anzupassen, verringert. Ohne Zweifel<br />

haben Inzucht und Verlust an genetischer Vielfalt zum Aussterben <strong>von</strong> Arten <strong>bei</strong>getragen und machen<br />

einen Teil <strong>der</strong> Bedrohung gefährdeter Arten aus.<br />

Aufgrund <strong>der</strong> tief greifenden genetischen <strong>Effekte</strong> <strong>der</strong> Vermin<strong>der</strong>ung <strong>von</strong> <strong>Populationsgrößen</strong> sollte <strong>der</strong><br />

Habitatschutz, aber vor allem die Verhin<strong>der</strong>ung <strong>von</strong> Zerschneidung und Habitatfragmentierung in<br />

Naturschutzbelangen nicht vernachlässigt werden.<br />

6. Literatur<br />

• FRANKHAM, R.; BALLOU, J. D.; BRISCOE, D. A. (2002): Introduction to conservation genetics;<br />

University Press, Cambridge; 617 S.<br />

• CAMPBELL, N. A. (1998): Biologie; Spektrum Akademischer Verlag GmbH, Heidelberg,<br />

Oxford, Berlin; 1440 S.<br />

• Microsoft® Encarta® Professional 2002. © 1993-2001 Microsoft Corporation.<br />

Claudia Zimmermann<br />

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