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Gesamtbericht Vietnam, Kambodscha, Laos

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SÜDOSTASIEN aktuell - 240 - Mai 2004<br />

Oskar Weggel<br />

<strong>Gesamtbericht</strong><br />

<strong>Vietnam</strong>, <strong>Kambodscha</strong>, <strong>Laos</strong><br />

Gliederung:<br />

1 <strong>Vietnam</strong><br />

1.1 Innenpolitik<br />

1.1.1 Halbzeit beim IX. ZK: Selbstzufriedenheit und Nachdenklichkeit<br />

1.1.1.1 Wirtschaftliche und soziale Bilanz<br />

1.1.1.2 Standen beim X. Parteitag auch neue ideologische Projekte<br />

ins Haus?<br />

1.1.1.3 Neuausrichtung der KPV: Nägel mit Köpfen?<br />

1.1.1.3.1 Die Radikalkur der Ausweiserneuerung<br />

1.1.1.3.2 Besonders viele Aufnahmen in die KPV, aber auch<br />

Aufsehen erregende Ausschlüsse<br />

1.1.2 Der Bauplatz für das neu zu errichtende Parlamentsgebäude<br />

erweist sich als archäologische Fundgrube<br />

1.1.3 Vogelgrippe gebannt?<br />

1.1.4 Südvietnams einstiger Ministerpräsident Nguyen Cao<br />

Ky besucht nach 30 Jahren Abwesenheit seine alte Heimat<br />

1.2 Wirtschaft<br />

1.2.1 Zwischenergebnis bei der Jahrhundertaufgabe der Umstrukturierung<br />

staatseigener Betriebe<br />

1.2.1.1 Kapitalisierung immer noch im Schneckentempo<br />

1.2.1.2 Die derzeitigen Eigentumsverhältnisse bei den SEB ...<br />

1.2.1.3 ... und die üblichen Gestaltungsvorstellungen: Effizienz<br />

und Wettbewerbsfähigkeit als neue Messlatten<br />

1.2.2 Auslandsvietnamesen und ihr Kapital<br />

1.3 Außenpolitik<br />

1.3.1 <strong>Vietnam</strong>s Außenpolitik im Jahr 2003<br />

1.3.2 Weitere Annäherung an Thailand: Politik der großen<br />

Gesten<br />

1.3.3 Idealpartner Singapur<br />

1.3.4 Symmetrisierungsversuche in der vietnamesischen<br />

Südasien-Politik<br />

1.3.4.1 Jahrzehntelange Sichtverengung auf Indien<br />

1.3.4.2 Gewünschte Erweiterung des Blickfelds<br />

1.3.5 <strong>Vietnam</strong> und die USA<br />

1.3.5.1 Der USA-Besuch des vietnamesischen Verteidigungsministers:<br />

„Verteidigungsdiplomatie“<br />

1.3.5.2 US-amerikanischer Flottenbesuch<br />

1.3.5.3 Im Außenhandel überholen die USA die VR China als<br />

<strong>Vietnam</strong>s Haupthandelspartner<br />

1.3.6 KPV-Chef Nong Duc Manh auf Deutschlandreise<br />

1.3.7 Die heikle Terrorismusfrage<br />

2 <strong>Kambodscha</strong><br />

2.1 Innenpolitik<br />

2.1.1 Elektronische Medien – ein Regierungsmonopol?<br />

2.1.2.1 Sieben Fernseh- und 19 Rundfunkanstalten<br />

2.1.2.1.1 Die Fernsehsender<br />

2.1.2.1.2 Die Rundfunkanstalten<br />

2.1.2.1.3 Die Presselandschaft<br />

2.1.2.2 Zensurmethoden<br />

2.1.3 Politischer Mord als Begleiterscheinung im kambodschanischen<br />

Alltag<br />

2.1.4 25 Jahre Rückblick auf das Zeitalter der Roten Khmer<br />

2.1.4.1 9. November oder 7. Januar?<br />

2.1.4.2 Und das Tribunal?<br />

2.1.4.3 Khieu Samphan bezieht Stellung zur Vergangenheit<br />

2.2 Wirtschaft<br />

2.2.1 Einbruch beim Tourismus<br />

2.3 Außenpolitik<br />

2.3.1 Fortbestehende Ambivalenz gegenüber Thailand<br />

3 <strong>Laos</strong><br />

3.1 Innenpolitik<br />

3.1.1 Die Armee, um die es so still geworden ist<br />

3.1.1.1 55. Geburtstag und Überlegungen zum Selbstverständnis<br />

3.1.1.2 Truppenstärke und Kostenfaktoren<br />

3.1.1.3 Gliederung, Führungsstruktur und Ausrüstung<br />

3.1.1.4 Paramilitärische Einheiten und bewaffnete Volkspolizei<br />

3.1.1.5 Aufgabenbereiche<br />

3.1.1.5.1 Die militärische Rolle der LVA<br />

3.1.1.5.2 Die wirtschaftliche Rolle der LVA<br />

3.1.1.5.3 Die politische Rolle der LVA<br />

3.1.2 Verwirrende Sicherheitslage im Jahr 2003 – ein Rückblick<br />

3.2 Wirtschaft<br />

3.2.1 Die Wirtschaftsentwicklung bleibt hinter dem Erwartungen<br />

zurück<br />

1<br />

VIETNAM<br />

1.1<br />

Innenpolitik<br />

1.1.1<br />

Halbzeit beim IX. ZK: Selbstzufriedenheit und<br />

Nachdenklichkeit<br />

1.1.1.1<br />

Wirtschaftliche und soziale Bilanz<br />

Der IX. Parteitag der KPV hatte im April 2001 stattgefunden,<br />

1 der Nachfolgekongress, also der X. Parteitag,<br />

ist für Herbst 2006 geplant. Das 9. Plenum des IX. ZK<br />

konnte bei seiner Tagung vom 5. bis 11. Januar 2004 also<br />

auf seine erste Halbzeit zurückblicken und Überlegungen<br />

zur Gestaltung der zweiten Hälfte anstellen. 2<br />

Im Großen und Ganzen herrschte Zufriedenheit mit<br />

dem Erreichten, vor allem mit dem wirtschaftlichen<br />

Wachstum, der zunehmenden Demokratisierung und der<br />

angeblich hohen Zustimmung der Bevölkerung zum KPV-<br />

Kurs, doch fielen in den Freudenbecher auch einige bittere<br />

Tropfen: Das Wachstumsziel sei nicht völlig erreicht worden<br />

(7,24% statt 7,5%), es fehle immer noch an Effizienz<br />

und Wettbewerbsfähigkeit, es werde nach wie vor zu wenig<br />

ausländisches Kapital angelockt, die sozialen Probleme<br />

(Arbeitslosigkeit, niedriger Lebensstandard, Armut,<br />

Schieflagen wie Drogen, Prostitution, AIDS-Ausbreitung)<br />

gäben nach wie vor zu Sorgen Anlass und nicht zuletzt sei<br />

die parteiinterne „Bereinigungs- und Rektifizierungskampagne“<br />

bisher ohne allzu großen Erfolg verlaufen. Die klassische<br />

Trias Korruption, Verschwendung und Bürokratismus<br />

bereite nach wie vor Kopfzerbrechen.<br />

Neben den beiden Hauptfragen (Rück- und Ausblick)<br />

diskutierte das 148-köpfige Gremium fundamentale Fragen<br />

zum weiteren Wirtschaftsaufbau und zur Ausrichtung<br />

der Partei. Auch die drei Perspektivpläne (Fünfjahresplan<br />

2001-2005, Zehnjahresplan 2001-2010 und die Aussichten<br />

1 Dazu SOAa, 4/2001, S.396-417.<br />

2 Näheres dazu ND, in BBC, 6.2.04.


SÜDOSTASIEN aktuell - 241 - Mai 2004<br />

bis 2020) kamen zur Sprache.<br />

In der zweiten Halbzeit müssten das wirtschaftliche<br />

Wachstum auf über 8% (in den Jahren 2004/05) angehoben,<br />

die Sozialpolitik (Erziehung, Ausbildung, Gesundheitswesen,<br />

Armutsbekämpfung) weiter verbessert und<br />

die Kampagne zur Parteiausrichtung konsequenter als bisher<br />

fortgesetzt werden.<br />

Im Wirtschaftsbereich seien vor allem die Staatsbetriebe<br />

schneller als bisher in Kapitalgesellschaften umzuwandeln,<br />

die Märkte (vor allem die Aktien-, Kredit-,<br />

Grundstücks-, Arbeits- und Wissenschaftsmärkte) konsequenter<br />

zu entwickeln und Maßnahmen zur Verbesserung<br />

der Effizienz und der Wettbewerbsfähigkeit weiterzubetreiben.<br />

1.1.1.2<br />

Standen beim X. Parteitag auch neue ideologische<br />

Projekte ins Haus?<br />

In der VR China hatte Jiang Zemin beim XI. Parteitag<br />

der KP Chinas i.J. 2002 bekanntlich seine „Theorie der<br />

drei Vertretungen“ durchdrücken können, die nichts weniger<br />

besagt, als dass die KPCh sich fortan nicht mehr<br />

nur als Vertreterin der Arbeiter- und Bauernklasse, sondern<br />

auch des Privatunternehmertums verstehen wolle.<br />

Sind beim X. Parteitag der KPV – einer Partei also,<br />

die ja erwiesenermaßen allzu gerne in die Fußstapfen der<br />

KPCh tritt – ähnliche Entwicklungen zu erwarten?<br />

Eine Annäherung an den chinesischen Diskussionsstand<br />

scheint sich zumindest im äußeren Erscheinungsbild<br />

anzubahnen: So fand z.B. Anfang Oktober 2003 in Beijing<br />

ein „Zwei-Parteien-Seminar“ zu Theoriefragen statt, an<br />

dem vietnamesische Spitzenpolitiker teilnahmen, u.a. das<br />

für Theoriefragen zuständige Politbüro-Mitglied Nguyen<br />

Phu Trong. Bei dieser Veranstaltung wurden Themen wie<br />

„Sozialismus und Marktwirtschaft“ diskutiert und Vorsätze<br />

für eine weitere Zusammenarbeit gefasst. Fragen der<br />

behandelten Art seien, hieß es, nicht nur für die beiden<br />

Parteien, sondern für die sozialistische Diskussion weltweit<br />

von Bedeutung und bedürften daher auch besonderer<br />

Publizität. 3<br />

In einem Interview deutete Generalsekretär Nong Duc<br />

Manh an, dass auch die KPV ihre „Theoriearbeit“ verstärken<br />

und Antworten auf einige immer drängender werdende<br />

Fragen finden wolle. 4 So seien der Theorieausschuss<br />

des ZK und eine Reihe von wissenschaftlichen Forschungsinstituten<br />

mittlerweile damit beauftragt worden, Gutachten<br />

zu folgenden Fragen zu erarbeiten: Wie ist eine an sozialistischen<br />

Prinzipien orientierte Marktwirtschaft aufzubauen?<br />

Wie lässt sich ein Rechtsstaat errichten, der dem<br />

Prinzip „State of the People, State for the People and by<br />

the People“ folgt? Wie können der Parteiaufbau und die<br />

Ausrichtungsarbeit unter den neuen Bedingungen besser<br />

vorangetrieben werden? Wie lassen sich bei den Staatsbetrieben<br />

Erneuerung und höhere Effizienz miteinander<br />

verbinden? Dürfen Parteimitglieder auch als Privatunternehmer<br />

tätig sein?<br />

Das zuletzt erwähnte Projekt weist bereits eindeutig<br />

in die Richtung der Vertretungstheorie, wie sie von der<br />

chinesischen KP vor nunmehr zwei Jahren verabschiedet<br />

3 Xinhua, in BBC, 9.10.03.<br />

4 Tap Chi Cong san, 15. Januar 2004, in BBC, 15.1.04.<br />

worden ist.<br />

Nach wie vor allerdings scheinen auch beim Generalsekretär<br />

noch viele Unklarheiten zu bestehen; vor allem<br />

wird dies dann deutlich, wenn er sich über Grundsatzfragen<br />

zu äußern hat und sich dann in verschiedenen Interviews<br />

selbst widerspricht.<br />

Im oben erwähnten Tap-Chi-Cong-san-Interview deutet<br />

er bspw. an, dass die „zentrale Aufgabe“ der KPV (Parteiaufbau<br />

und Parteiausrichtung) organisatorischer Art<br />

sei – er gibt hier mit anderen Worten eine als solche „korrekte“<br />

leninistische Antwort.<br />

In einem anderen Interview 5 bezeichnet er als Hauptanliegen<br />

der KPV-Arbeit dagegen eine korrekte Ausbildung<br />

des Parteipersonals: Die Arbeit am Personal sei<br />

die „Schlüsselaufgabe“ des Parteiaufbaus. Die Beurteilung<br />

der Arbeit von Parteizellen und -ausschüssen sei an<br />

zwei Hauptmaßstäben zu messen, nämlich an moralischen<br />

Standards und an fachlichem Können, wobei die moralischen<br />

Standards höher anzusetzen seien. Wo nämlich Korruption,<br />

Verschwendung und Bürokratismus (wiederum<br />

diese drei Grundübel) ins Spiel kämen, gerate die Steuerungsfähigkeit<br />

der KPV insgesamt ins Zwielicht.<br />

Theoretisch lassen sich als Hauptkriterien für die Beurteilung<br />

eines Parteiausschusses zwei Maßstäbe anlegen,<br />

nämlich Organisation und Politik oder aber Kadermoral.<br />

Das Erstere wäre die leninistische, das Letztere die konfuzianische<br />

Methode. Manh scheint sich für keine dieser<br />

Optionen eindeutig entscheiden zu können, doch schlägt<br />

bei ihm – allen Lippenbekenntnissen zum Trotz – am Ende<br />

doch immer wieder die konfuzianische Sicht der Dinge<br />

stärker zu Buche: Danach müssen Parteimitglieder in<br />

erster Linie „gute Vorbilder“ für die breite Bevölkerung<br />

sein. 6 Auch die Aufforderung, „negative Erscheinungen“<br />

wie Individualismus, Materialismus oder die Verlockung<br />

zu „friedlicher Evolution“ in einem fort zu kritisieren, ständig<br />

um ein volksfreundliches Parteibild bemüht zu sein<br />

und sich eines achtbaren Lebenswandels zu befleißigen,<br />

stammen eher aus der konfuzianischen Tradition. 7<br />

1.1.1.3<br />

Neuausrichtung der KPV: Nägel mit Köpfen?<br />

1.1.1.3.1<br />

Die Radikalkur der Ausweiserneuerung<br />

Angesichts der Hartnäckigkeit, mit der sich die drei<br />

Übel Korruption, Verschwendung und Bürokratismus<br />

im Kaderverhalten eingenistet haben, beschloss das<br />

ZK – wieder einmal – bei seinem Januar-Plenum, dem<br />

Dauerübel einen Kampf auf Leben und Tod anzusagen.<br />

Wichtiger Meilenstein dabei war ein vom KPV-<br />

Sekretariat im Oktober 2003 gefasster Beschluss, die alten<br />

KPV-Mitgliedsausweise durch neue zu ersetzen und – als<br />

Voraussetzung dafür – eine gründliche Überprüfung der<br />

Parteizellen und vor allem der einzelnen Parteimitglieder<br />

vorzunehmen.<br />

Bezeichnenderweise griff das Sekretariat hierbei auf<br />

eine Richtlinie des IV. ZK vom 26. November 1979 zurück,<br />

der die Disziplinierung mit Hilfe der Neuausgabe<br />

von Mitgliederausweisen bereits zu einem wichtigen He-<br />

5 RH, in BBC, 25.3.04.<br />

6 RH,inBBC,2.2.04.<br />

7 Vgl. dazu das erwähnte Tap-Chi-Cong-san-Interview.


SÜDOSTASIEN aktuell - 242 - Mai 2004<br />

bel der Parteidisziplinierung erhoben hatte. Rückblickend<br />

auf 24 Jahre Erfahrung wolle man die Radikalkur der<br />

Ausweiserneuerung noch einmal zur Wirkung kommen<br />

lassen und den Gesamtprozess diesmal in fünf Phasen<br />

durchführen, die mit dem 114. Geburtstag Ho Chi Minhs<br />

am 19. Mai 2004 beginnen und mit dem 115. Geburtstag<br />

enden sollen. Jedes einzelne Mitglied müsse in dieser<br />

Zeit auf seine fachliche und charakterliche Eignung untersucht<br />

werden. Mitglieder, die Verstöße gegen die Parteidisziplin<br />

begangen hätten, sollten bis zu sechs Monate<br />

Zeit haben, tätige Reue zu üben. Wer sich auch dann<br />

noch als ungeeignet erweise, dürfe keinen neuen Mitgliedsausweis<br />

erhalten. Zuständig für diese Entscheidung seien<br />

die einzelnen Parteiausschüsse. Die Ergebnisse der Entscheidung<br />

müssten dem ZK-Sekretariat (durch die ZK-<br />

Organisationsabteilung) mitgeteilt werden. 8<br />

Hauptmaßstab für die Beurteilung eines Parteimitglieds<br />

sei die Verinnerlichung des „Ho-Chi-Minh-Denkens“<br />

sowie das praktische Verhalten im Zusammenhang mit<br />

der Durchführung der Beschlüsse des IX. Parteitags von<br />

2001. 9<br />

1.1.1.3.2<br />

Besonders viele Aufnahmen in die KPV, aber auch<br />

Aufsehen erregende Ausschlüsse<br />

Bereits im August 2003 hatte auch die Regierung auf Veranlassung<br />

von Ministerpräsident Phan Van Khai beschlossen,<br />

fachlich unqualifizierte und charakterlich ungeeignete<br />

Beamte zu entlassen und mit dieser Aufgabe das „Zentrale<br />

Steuerungskomitee für die Verwaltungsreform“ zu beauftragen.<br />

10 Eine zweite große Maßnahme zur Auffrischung<br />

des Parteiapparats war damals die demonstrative Neuaufnahme<br />

vorbildhafter Persönlichkeiten in die KPV bei<br />

gleichzeitiger Entlassung höherer Kader, die sich an der<br />

Parteidisziplin versündigt hatten:<br />

– Besonders hervorgehoben wurde die Aufnahme von<br />

rund 20.000 Arbeitern und von rund 17.000 Soldaten<br />

im Laufe des Jahres 2003. Die Arbeiter hätten sich vor<br />

allem bei nationalen Arbeitswettbewerben auf disziplinierte<br />

und kreative Weise hervorgetan 11 und auch<br />

die in die KPV neu aufgenommenen Militärvertreter<br />

hätten modellhaftes Verhalten an den Tag gelegt. Bei<br />

den Offizieren und Soldaten sei die höchste Zahl von<br />

Neuaufnahmen seit 1990 erreicht worden. 12<br />

– Es kam aber auch zu spektakulären Ausschlüssen aus<br />

der KPV. So wurden beim 9. Plenum des IX. ZK<br />

bspw. nicht weniger als vier ZK-Mitglieder diszipliniert,<br />

nämlich (1) der Minister für Landwirtschaft und<br />

ländliche Entwicklung, Le Huy Ngo, der nach Meinung<br />

des ZK dafür verantwortlich ist, dass in einer<br />

der ihm unterstellten Organisationen hohe Geldbeträge<br />

veruntreut wurden, wofür im Dezember 2003 der<br />

Direktor der betreffenden Organisation bereits zum<br />

Tode verurteilt wurde. (2) Der Minister für Minderheitenangelegenheiten,<br />

Ksor Phuoc, wurde dafür verantwortlich<br />

gemacht, dass er die massiven Demonstrationen<br />

der Minderheiten im Februar 2001 nicht recht-<br />

8 KPV-Website, Hanoi, in BBC, 27.10.03.<br />

9 VNA, in BBC, 14.1.04.<br />

10 RH, in BBC, 19.8.03.<br />

11 VNA, in BBC, 8.1.04.<br />

12 RH,inBBC,2.2.04.<br />

zeitig in den Griff bekommen habe. (3) Der Vorsitzende<br />

des Volkskomitees der südlichen Provinz Ba Ria-<br />

Vung Tao, Nguyen Tuan Minh, gilt als dafür verantwortlich,<br />

dass er dem schwunghaften Schmuggel von<br />

Autos in seiner Provinz nicht rechtzeitig einen Riegel<br />

hat vorschieben können, und (4) Nguyen Trong<br />

Kimh, der Parteichef der zentral gelegenen Provinz<br />

Quang Tri, trägt nach Meinung des ZK die Schuld<br />

dafür, dass die Fraktionskämpfe in den Führungsreihen<br />

seiner Provinz das Normalmaß weit überschritten<br />

hätten. 13<br />

Zwei Monate nach der ZK-Sitzung stürzte noch ein<br />

weiterer Spitzenkader, nämlich der stellvertretende<br />

Vorsitzende des Komitees für Sport und Körperkultur,<br />

und zwar aufgrund eines – gerade im vietnamesischen<br />

Kontext besonders verwerflichen – Vorwurfs<br />

des Kindesmissbrauchs. Luong Quoc Dong wurde beschuldigt,<br />

er habe sich ein 13-jähriges Mädchen gegen<br />

Bezahlung zuführen lassen, um es sexuell zu missbrauchen.<br />

14<br />

Bei Meldungen dieser Art müssen der KPV in der Tat<br />

manchmal Zweifel an ihrer bisherigen Kaderpolitik kommen.<br />

1.1.2<br />

Der Bauplatz für das neu zu errichtende Parlamentsgebäude<br />

erweist sich als archäologische<br />

Fundgrube<br />

Umgeben von Regierungs- und ZK-Gebäuden liegt am<br />

Hanoier Ba-Dinh-Platz – und zwar direkt gegenüber<br />

dem Ho-Chi-Minh-Mausoleum – jenes vier Hektar große<br />

Grundstück, auf dem das neue Gebäude der Nationalversammlung<br />

errichtet werden soll.<br />

Der Auftrag für den Bau war am 13. August 2003<br />

vom vietnamesischen Staatspräsidenten erteilt worden,<br />

und zwar nach Plänen des Hamburger Architekturbüros<br />

gmp. 15 Bereits kurze Zeit danach hatten die Aushebearbeiten<br />

begonnen, die, weil es sich um ein historisch wichtiges<br />

Areal handelt, unter der Aufsicht von Archäologen<br />

erfolgte. Was bei der Arbeit der rund 1.400 eingesetzten<br />

Kräfte binnen kürzester Zeit ans Tageslicht kam, begann<br />

allgemeines Staunen zu erregen: Ausgegraben wurden u.a.<br />

Teile einer chinesischen Zitadelle und eines Brunnens aus<br />

der Tang-Zeit (618-907), also jener Periode, in der die über<br />

tausendjährige chinesische Direktherrschaft (111 v.Chr.-<br />

938 n.Chr.) zu Ende ging, ferner Abschnitte einer alten<br />

Stadtmauer aus der Ly-Dynastie (1009-1225) von 1037<br />

sowie Drachen- und Königsköpfe und Reste eines Drainagesystems<br />

aus der Tran-Dynastie (1225-1400). Darüber<br />

hinaus fanden die Arbeiter Spuren aus der Ho-Dynastie<br />

(1400-1407), aus der Zeit der Ming-Invasion (1407-1428)<br />

und nicht zuletzt Reste von 13 Gebäuden aus der Späten<br />

Le-Dynastie (1428-1524).<br />

Die Freude über die Funde war gepaart mit Ratlosigkeit.<br />

Was tun? Noch vor wenigen Jahren wären die „alten<br />

Spuren“ kurzerhand beseitigt worden. Im Zeichen der nationalen<br />

Rückbesinnung („vieltausendjähriges <strong>Vietnam</strong>“)<br />

und des Aufblühens der Tourismusindustrie hat sich die<br />

13 XNA, 14.1.04.<br />

14 XNA, 2. und 9.3.04.<br />

15 Nähere Einzelheiten dazu in SOAa, 5/2003, S.436f.


SÜDOSTASIEN aktuell - 243 - Mai 2004<br />

Einstellung jedoch grundlegend gewandelt: Zeigten die<br />

Funde nicht deutlich, wie sehr sich <strong>Vietnam</strong> – bei aller<br />

Anlehnung an das chinesische Vorbild – im Laufe der Zeit<br />

vom einstigen Vorbild habe lösen und eine eigene Identität<br />

annehmen können?<br />

Überdies hatten sich die vietnamesischen Ideologen<br />

noch vor wenigen Jahren fast ausschließlich für Perioden<br />

des anti-chinesischen Abwehrkampfes interessiert (und –<br />

ganz in diesem Sinne – sogar ihre Museen nach Angriffsund<br />

Abwehrperioden neu ausgerichtet). Mittlerweile aber<br />

tritt das Interesse an kulturgeschichtlichen Aspekten immer<br />

stärker in den Vordergrund.<br />

Kein Wunder, dass sich in den höheren Führungsetagen<br />

schon bald eine lebhafte Debatte über das weitere<br />

Vorgehen entfaltete. Drei Vorschläge stehen mittlerweile<br />

ins Haus:<br />

1. Die Bauarbeiten werden nach Plan fortgesetzt. Das<br />

NV-Gebäude habe bis zum Beginn des APEC-Forums<br />

(im Jahre 2006) fertig zu sein.<br />

2. Die Bauarbeiten werden nur dort zugelassen, wo keine<br />

Fundstätten liegen. Die historische Substanz müsse<br />

im Ganzen erhalten bleiben und der Platz in ein Freilichtmuseum<br />

umgewandelt werden. Das Gebäude der<br />

Nationalversammlung könne, wenn dafür noch genügend<br />

Raum bleibe, allenfalls um die Fundstätte herum<br />

gebaut werden. Diese Meinung vertreten das Kulturministerium<br />

und der Generalsekretär der vietnamesischen<br />

Geschichtsvereinigung, Professor Duong Trung<br />

Quoc.<br />

3. Die Bauarbeiten werden gestoppt. Das Gelände solle<br />

vielmehr zum Teil in ein Museum umgewandelt und<br />

der Rest in einen Park umgewidmet werden, der „bei<br />

Gelegenheit von der nächsten Generation auszugraben“<br />

sei.<br />

Den Befürwortern der letztgenannten Lösung wäre es am<br />

liebsten, wenn die UNESCO das Ganze zum „Weltkulturerbe“<br />

erklärte. Allerdings herrscht hierbei auch viel Hilflosigkeit,<br />

da man die Bedeutung der Grabungsfunde nur<br />

schlecht einschätzen kann und da man vor allem keine<br />

Erfahrungen in der Konservierung empfindlicher Relikte<br />

unter schwierigen subtropischen Klimabedingungen hat.<br />

Für eine Erhaltung des historischen Bestands haben<br />

sich inzwischen altgediente hochrangige Funktionäre vom<br />

Range des früheren Ministerpräsidenten Vo Van Kiet, des<br />

früheren KPV-Generalsekretärs Do Muoi und des „Helden<br />

von Dien Bien Phu“, Vo Nguyen Giap, stark gemacht.<br />

Wenn es nach ihren Wünschen ginge, sollte das<br />

NV-Gebäude an einer anderen Stelle errichtet werden. Sie<br />

glauben, dabei ganz im Sinne des Gründungsvaters des<br />

modernen <strong>Vietnam</strong>, Ho Chi Minhs, zu handeln.<br />

1.1.3<br />

Vogelgrippe gebannt?<br />

Wie bereits geschildert 16 gehört(e) <strong>Vietnam</strong> zu jenen zehn<br />

asiatischen Ländern, die seit Januar 2004 von der Vogelgrippe<br />

erfasst worden waren. Am 30. Januar war ein<br />

nationales Steuerungskomitee zur Bekämpfung der Vogelgrippe<br />

eingerichtet und damit ein systematisches Vorgehen<br />

gegen die neuartige Seuche eingeleitet worden. Mitte<br />

16 Dazu SOAa, 2/2004, S.136f.<br />

Februar hatte sich die höchste Alarmstufe eingestellt: 41<br />

der 64 Provinzen und Städte waren bis dahin von der<br />

Seuche erfasst und rund fünf Dutzend Ansteckungsverdächtige<br />

unter nähere ärztliche Beobachtung genommen<br />

worden. Darüber hinaus hatte es bereits 14 Tote gegeben.<br />

17 Bis Anfang März waren der Seuche 38 Millionen<br />

Stück Geflügel, darunter rund 50% Hühner, 30% Enten<br />

und Gänse sowie 20% Wachteln und andere Vögel zum<br />

Opfer gefallen oder aber gekeult worden – ein erheblicher<br />

Schaden für die Volkswirtschaft, die noch Ende 2003 über<br />

eine Geflügelpopulation von 254 Millionen Stück verfügt<br />

hatte. 18<br />

Schon Mitte März allerdings gab es ein Aufatmen: Die<br />

Veterinärbehörden konnten damals feststellen, dass seit<br />

längerer Zeit keine neuen Ausbreitungsphänomene mehr<br />

zu beobachten seien, 19 weshalb Ende März die unmittelbare<br />

Gefahr für weitgehend beendet erklärt wurde. Die<br />

Behörden führten das schnelle Abflauen der Gefahr auf die<br />

Vielzahl entschlossener Gegenmaßnahmen, d.h. auf rechtzeitige<br />

Aufklärung, Versorgung der gefährdeten Bevölkerung<br />

mit dem Gegenmittel Tamiflu und auf die Keulung<br />

gefährdeter Bestände zurück. 20<br />

Auch internationale Organisationen hatten unter Anleitung<br />

der WHO, FAO und nicht zuletzt auch der EU-<br />

Kommission tatkräftig Mithilfe geleistet und überdies das<br />

Versprechen abgegeben, bei der Wiederherstellung der<br />

Geflügelpopulation drei Jahre lang Hilfe zu leisten. 21<br />

Vorübergehend hatte es den Anschein, als würde das<br />

Übel der Vogelgrippe auch noch durch die Maul- und<br />

Klauenseuche (MKS) verschärft, nachdem im Februar in<br />

zwei zentralvietnamesischen Provinzen, nämlich in Quang<br />

Nam und in Phu Yen, rund 1.000 Kühe und etwa 200<br />

Schweine von dieser Krankheit befallen worden waren. 22<br />

Nachdem die Veterinärbehörden aber auch hier schnell<br />

zugegriffen hatten, blieb es bei dem Marginalschaden.<br />

Darüber hinaus konnte man feststellen, dass auch keine<br />

Querverbindung zwischen Vogelgrippe und MKS bestand.<br />

Zwar hatte ein vietnamesischer Veterinär auf vorläufige<br />

Tests verwiesen, denen zufolge drei oder vier Schweine<br />

positiv auf den Vogelvirus getestet worden seien, doch<br />

konnte die FAO diese Aussage aufgrund eigener Untersuchungen<br />

widerlegen. Allerdings gelten Schweine als ideale<br />

Wirte für eine Ansiedlung von Viren, weshalb den vietnamesischen<br />

Behörden empfohlen wurde, weiterhin auf der<br />

Hut zu bleiben. 23<br />

Alles in allem dürfte <strong>Vietnam</strong> im Jahre 2004 durch<br />

Einwirkungen der Vogelgrippe etwa 1% seines BIP verloren<br />

haben. 24<br />

Das Schlimmste war der Bevölkerung aber immerhin<br />

erspart geblieben, nämlich die Übertragung des H5N1-<br />

Virus von Mensch zu Mensch. Die Übertragung war also<br />

auf die Stufen 1 und 2 (von Geflügel zu Geflügel und von<br />

Tier auf Mensch) beschränkt geblieben, wobei die Hauptbetroffenen<br />

vor allem Kinder waren.<br />

17 XNA, 3.3.04.<br />

18 XNA, 2.3.04.<br />

19 VNA, in BBC, 11.3.04.<br />

20 XNA, 23.2.04.<br />

21 RH,inBBC,3.3.04.<br />

22 XNA, 10. und 25.2.04.<br />

23 NZZ, 7. und 8.2.04.<br />

24 XNA, 17.2.04.


SÜDOSTASIEN aktuell - 244 - Mai 2004<br />

Was dem einen Landwirtschaftszweig, nämlich der Geflügelzucht,<br />

geschadet hatte, kam einem anderen Bereich,<br />

nämlich der Fischindustrie, zugute, da weite Teile der Bevölkerung<br />

aus hygienischen Vorbehalten beim Kauf von<br />

Lebensmitteln auf Fischprodukte umstiegen. 25<br />

1.1.4<br />

Südvietnams einstiger Ministerpräsident Nguyen<br />

Cao Ky besucht nach 30 Jahren Abwesenheit seine<br />

alte Heimat<br />

In den 21 Jahren ihrer Existenz (1954-1975) hatte die Republik<br />

(Süd-)<strong>Vietnam</strong> fünf Minister-/Staatspräsidenten,<br />

nämlich Ngo Dinh Diem (1954-1963), General Duong<br />

Van Minh (1963/64), General Nguyen Khanh (1964/65),<br />

„Luft-Marschall“ Nguyen Cao Ky (1965-1967) und – nach<br />

Änderung des Grundgesetzes im Jahre 1967, durch die<br />

die eigentliche politische Gewalt auf den Staatspräsidenten<br />

überging – zwei Staatspräsidenten, nämlich General<br />

Nguyen Van Thieu (1967-1975) und – erneut – „Big Minh“<br />

(Duong Van Minh), diesmal als „Neun-Tages-Präsident“,<br />

der, kurz vor dem Ende Südvietnams, das Präsidentenamt<br />

eigentlich nur noch als eine Art Konkursverwalter, d.h. zu<br />

dem Zweck übernommen hatte, um die Kapitulation des<br />

Südens vor dem Norden zu vollziehen.<br />

Ky war also der dritte unter diesen fünf führenden<br />

Politikern Südvietnams gewesen und hatte überdies, von<br />

1967 bis 1971, das Amt des Vize-Staatspräsidenten wahrgenommen.<br />

Geboren 1930 im nordvietnamesischen Son Tay (rund<br />

40 km von Hanoi entfernt), hatte er nach dem Abschluss<br />

der höheren Schule und nach einer Pilotenausbildung in<br />

Frankreich die Militärkarriere eingeschlagen und sich 1954<br />

in den Dienst Südvietnams gestellt, wobei er, unter Ministerpräsident<br />

Ngo Dinh Diem, zum Oberst der Luftwaffe<br />

avancierte.<br />

Nach der Ermordung Diems und dem Aufstieg General<br />

Duong Van Minhs zum Führer der neuen Militärregierung<br />

Südvietnams (1963/64) schloss sich Ky den „Jungtürken“<br />

an, d.h. einer Gruppe junger Offiziere, die noch von Ministerpräsident<br />

Diem gefördert worden waren und die jetzt<br />

unter der Leitung Nguyen Khanhs dazu übergingen, Minh<br />

im Januar 1964 zu stürzen. Zu den Jungtürken gehörte,<br />

neben Ky, auch der spätere Staatspräsident Nguyen Van<br />

Thieu. Mit US-amerikanischer Hilfe wurde Ky noch im<br />

gleichen Jahr Ministerpräsident und blieb dies bis 1967.<br />

Kys Bild ist den meisten damaligen Zeitgenossen unvergesslich<br />

geblieben: Mit seiner elegant getragenen Uniform,<br />

seinem Schnurbärtchen, seinem lila Halstuch und seinem<br />

lockeren Lebenswandel (Spielen, Trinken, Drogenhandel<br />

(nach Vietminh-Behauptung), drei Ehefrauen, sechs Kinder)<br />

bot er der bunten Presse viele Jahre hindurch nie<br />

enden wollenden Stoff.<br />

Der „Playboy-Premier“ musste sich überdies häufig<br />

Vergleiche mit dem altersweisen „Onkel“ Ho Chi Minh<br />

gefallen lassen und hat dabei fast immer den Kürzeren<br />

gezogen.<br />

Als Nguyen Van Thieu 1967 zum Staatspräsidenten<br />

gewählt wurde und damit eine Position erklomm, die im<br />

Gefolge der Novellierung des Grundgesetzes politisch bedeutsamer<br />

geworden war als das Ministerpräsidentenamt,<br />

25 AWSJ, 5.2.04.<br />

agierte Ky vier Jahre lang, nämlich von 1967 bis 1971, als<br />

stellvertretender Staatspräsident, zog sich dann aber aus<br />

der Politik zurück.<br />

Während des Ho-Chi-Minh-Feldzugs im Jahr 1975 forderte<br />

er, dass Saigon zum „Stalingrad“ der angreifenden<br />

Nordvietnamesen ausgebaut und im Straßenkampf verteidigt<br />

werden sollte. Als ihn mit diesen Plänen niemand<br />

mehr ernst nehmen wollte, floh er im April 1975 vor den<br />

heranmarschierenden nordvietnamesischen Truppen per<br />

Hubschrauber aufs Südchinesische Meer und landete dort<br />

auf einem US-amerikanischen Flugzeugträger, um sich anschließend<br />

nach Südkalifornien abzusetzen und dort eine<br />

neue Karriere als Geschäftsmann und als Verfasser zahlreicher<br />

Bücher über <strong>Vietnam</strong> zu beginnen.<br />

Noch vor wenigen Jahren wäre keine vietnamesische<br />

Regierung auf den Gedanken gekommen, Ky zurück ins<br />

Land reisen zu lassen, doch hat mittlerweile die Bush-<br />

Regierung den Hanoier Politikern empfohlen, im Interesse<br />

einer Besserung der amerikanisch-vietnamesischen Beziehungen<br />

eine Visite Kys in Betracht zu ziehen. Daraufhin<br />

hatte sich der jetzige Außenminister Nguyen Pho Binh<br />

im Frühjahr 2003 mit Ky in San Francisco ins Benehmen<br />

gesetzt. Seitdem befand sich Ky mit der vietnamesischen<br />

Regierung im Gespräch und hat ihr u.a. zwei Ratschläge<br />

erteilt, nämlich zum einen den Kampf gegen die Korruption<br />

zu verstärken und zum anderen darauf zu achten, dass<br />

die Lücke zwischen Reich und Arm nicht noch größer werde.<br />

26 Die Hanoier Regierung hatte sich mittlerweile dazu bereit<br />

erklärt, dem einstigen Premier ein Visum zu erteilen,<br />

das dieser schließlich anlässlich des Tet-Neujahrsfests<br />

(vom 21. bis 27. Januar 2004) wahrnahm, indem der, 29<br />

Jahre nach seiner überstürzten Flucht, in seine Heimat zurückkehrte<br />

und dabei nicht nur Ho-Chi-Minh-Stadt, sondern<br />

auch Son Tay und Hanoi besuchte.<br />

Die Reise wurde ihm von den meisten Auslandsvietnamesen<br />

in den USA verübelt. Wie könne Ky, der einstige<br />

Erzfeind des Kommunismus, heutzutage all seine Grundsätze<br />

von früher über Bord werfen und ein Land besuchen,<br />

das immer noch die Menschenrechte verletze?<br />

Ky widersprach diesen Kritikern und postulierte, dass<br />

die Zeit der Versöhnung gekommen sei. Wenn man jetzt<br />

nicht die Hand ausstrecke, gebe es überhaupt keine Reparaturmöglichkeiten<br />

mehr. Außerdem gelte es, <strong>Vietnam</strong><br />

näher an die USA heranzuführen, um so eine Gegenbalance<br />

zum allzu gefährlichen China zu gewinnen.<br />

Außerdem verstehe er sich als einer jener drei Millionen<br />

Auslandsvietnamesen, die jährlich bis zu US$ 2 Mrd.<br />

zurück in ihre Heimat überwiesen und dadurch dem Land<br />

dazu verhelfen wollten, möglichst schnell wieder auf die<br />

Beine zu kommen. 27<br />

In Ho-Chi-Minh-Stadt, dem früheren Saigon, wurde<br />

der so viele Jahrzehnte lang abwesende General mit offenen<br />

Armen willkommen geheißen, vor allem von seinen<br />

früheren Mitkämpfern und Bodyguards.<br />

Ky erklärte, eines Tages vielleicht wieder ganz nach<br />

<strong>Vietnam</strong> zurückkehren zu wollen, um seinem Vaterland<br />

dienen zu können.<br />

Seine beiden einstigen politischen Hauptkonkurrenten,<br />

26 So IHT, 24.1.04.<br />

27 SCMP, 15.1.04.


SÜDOSTASIEN aktuell - 245 - Mai 2004<br />

Duong Van Minh und Nguyen Van Thieu, haben bereits<br />

– im August bzw. September 2001 – das Zeitliche gesegnet.<br />

28<br />

1.2<br />

Wirtschaft<br />

1.2.1<br />

Zwischenergebnis bei der Jahrhundertaufgabe<br />

der Umstrukturierung staatseigener Betriebe<br />

1.2.1.1<br />

Kapitalisierung immer noch im Schneckentempo<br />

Mit zu den Hauptinteressen bei der Entwicklung der<br />

vietnamesischen Volkswirtschaft gehören – auch nach<br />

eigenem Eingeständnis – mangelnde Effizienz und<br />

Wettbewerbsfähigkeit vieler Unternehmen, vor allem<br />

der staatseigenen Betriebe (SEB), in der DDR VEB<br />

(volkseigene Betriebe) genannt. Obwohl hier ein hohes<br />

Umwandlungstempo vonnöten wäre, kommt es gerade<br />

bei ihnen immer wieder zu Verschleppungen. Betriebswirtschaftlich<br />

gesehen setzten die großen Umwandlungen<br />

erstaunlicherweise erst 1991 ein, obwohl die politischen<br />

Reformbeschlüsse dafür bereits 1986 gefasst worden waren.<br />

Seitdem hat es sechs mehr oder minder erfolgreiche<br />

Anläufe zur Beschleunigung der SEB-Kapitalisierung<br />

gegeben, nämlich (1) das Gesetz über Privatunternehmen<br />

vom 15. April 1991, (2) den Plan der Regierung vom<br />

1.1.2001 über die beschleunigte Umwandlung von SEB<br />

bis 2005, 29 (3) den Erlass eines Betriebs- und eines Konkursgesetzes<br />

von 1999 bzw. 1993, (4) die Gründung der<br />

ersten Börse im Juli 2000, (5) die Verabschiedung eines<br />

Gesetzes über die Förderung inländischer Investitionen<br />

und (6) den Beschluss des 5. Plenums des IX. ZK über<br />

die weitere Umstrukturierung von SEB vom September<br />

2001. 30<br />

Die Entwicklung im Einzelnen:<br />

– Noch 1991 hatte es 12.300 SEB 31 gegeben, manchmal<br />

war auch von 13.300 32 die Rede gewesen.<br />

– Bis Mitte 2000 war dieser Bestand auf 5.280 SEB (mit<br />

1,68 Millionen Arbeitern und Angestellten) zurückgegangen,<br />

von denen allerdings auch jetzt lediglich 40%<br />

profitabel arbeiteten, während 20% nach wie vor rote<br />

Zahlen schrieben. 33<br />

– Am 1.1.2001, als die Regierung ihren Umstrukturierungsplan<br />

(mit der Perspektive bis 2005) bekannt gab,<br />

lag die Zahl der SEB bei rund 4.600. Nach dem neuen<br />

Plan sollten von diesem Bestand bis 2005 insgesamt<br />

2.622 weitere Unternehmen umstrukturiert werden.<br />

Davon seien 1.319 zu kapitalisieren, 562 zu verkaufen<br />

oder zu verpachten, 251 zusammenzulegen, 368 aufzulösen<br />

oder für bankrott zu erklären und 27 in den<br />

staatlichen Verwaltungsapparat einzugliedern. (Was<br />

mit den restlichen 95 SEB geschehen soll, wurde nicht<br />

näher erläutert.) Insgesamt sollten die Staatsbetriebe<br />

28 Näheres zu ihren Biographien in SOAa, 6/2001, S.543ff.<br />

29 Ebenda.<br />

30 Dazu in Einzelnen SOAa, 6/2002, S.554.<br />

31 Dazu vgl. VER, Nr.9/109 (2003), S.8.<br />

32 Dazu SOAa, 6/2002, S.554 m.N.<br />

33 Dazu SOAa, 6/2001, S.549.<br />

bis Ende 2003 auf rund 3.000, bis 2005 aber auf rund<br />

2.000 abgeschmolzen werden.<br />

Die dann noch fortbestehenden SEB seien, wie unten noch<br />

näher auszuführen ist, neu zu gruppieren.<br />

1.2.1.2<br />

Die derzeitigen Eigentumsverhältnisse bei den<br />

SEB ...<br />

Ende 2002 gab es bei den SEB folgende drei Kategorien<br />

von Eigentümern:<br />

– Haupteigentümer von jeweils mehreren Dutzend von<br />

Betrieben waren vor allem die Ministerien für Handel,<br />

für Bauwesen, für Industrie, für Transport und für<br />

Landwirtschaft. 34<br />

– Hinzu kamen Provinzen und Städte; so besaß die<br />

Stadt Hanoi Mitte 2002 44 SEB, die bis 2005 allerdings<br />

auf 18 reduziert werden sollen. 35<br />

– Eine weitere Eigentümergruppe bildeten die mittlerweile<br />

errichteten staatlichen Konzerne, deren Zahl sich<br />

Ende 2002 auf 86 belief, von denen wiederum lediglich<br />

18 zur „Konzern 91“-Kategorie gehörten (Näheres<br />

dazu unten), während 68 für eine spätere Kapitalisierung<br />

disponibel bleiben sollten. 36 Hauptbeispiele des<br />

Typs „Konzern 91“ waren hierbei die Korporationen<br />

für das Eisenbahnwesen, für den Seetransport, für die<br />

Zivilluftfahrt und für den Chemiebereich. Jeder dieser<br />

Konzerne besaß nach wie vor Dutzende von SEB.<br />

Von den rund 990 SEB, die zwischen Januar 2001 und<br />

September 2002 umstrukturiert worden waren, hatten 167<br />

verschiedenen Ministerien, 751 den Provinzen und Städtensowie72einigenderuntennochzuerläuterndenKonzernen<br />

gehört. 37<br />

Neben den 86 Konzernen, von denen allein 60 dem<br />

Industrie-, Bau- und Kommunikationsbereich und der<br />

Rest dem landwirtschaftlichen sowie dem Tertiärbereich<br />

angehörten (und die alle ihre eigenen Tochterbetriebe besaßen),<br />

gab es Ende 2002 noch 3.600 „unabhängige“ SEB,<br />

die entweder den Ministerien oder aber den Provinzen und<br />

Städten unterstanden.<br />

1.2.1.3<br />

... und die üblichen Gestaltungsvorstellungen: Effizienz<br />

und Wettbewerbsfähigkeit als neue Messlatten<br />

Die neuen Richtlinien laufen auf Entwicklungen hinaus,<br />

die für viele Kader nach wie vor überaus gewöhnungsbedürftig<br />

sind: Nach den Vorstellungen des oben erwähnten<br />

Parteibeschlusses vom September 2001 sollen für die<br />

Organisation von SEB künftig nicht mehr Eigentums-,<br />

sondern ausschließlich Effizienzüberlegungen maßgebend<br />

sein. Früher war Volkseigentum die dem Sozialismus gemäße<br />

Form von Verfügungsmacht, während kollektives<br />

Eigentum eher zweitklassiger Art, privates Eigentum an<br />

Produktionsmitteln aber a priori unzulässig war. Heutzutage<br />

aber sind alle Betriebe grundsätzlich in nichtstaatliche<br />

Unternehmen umzuwandeln, sei es nun in Personalgesellschaften<br />

oder aber in Kapitalgesellschaften vom AG-<br />

34 Dazu VER, Nr.9/109 (2003), S.6.<br />

35 XNA, 14.8.02.<br />

36 Dazu VER, Nr.9/109 (2003), S.3-6.<br />

37 Ebenda, S.8.


SÜDOSTASIEN aktuell - 246 - Mai 2004<br />

oder GmbH-Zuschnitt. Die wenigen nach der großen Umwandlungswelle<br />

noch verbliebenen SEB seien in Konzernen<br />

zusammenzufassen oder nach dem Schema „Mutterkompanien<br />

und Tochterbetriebe“ umzubauen: Der Papierkonzern<br />

bspw. habe seine Tochterbetriebe dann möglichst<br />

um die Holz liefernden Forstgebiete herum aufzubauen,<br />

der Textil- und Bekleidungskonzern seine Spinnereifilialen<br />

in Gebiete mit Baumwollkulturen zu verlegen. Der „Konzern<br />

91“ schließlich solle als Musterbetrieb für all jene Unternehmen<br />

dienen, die zu 100% in staatlichem Eigentum<br />

verbleiben. 38<br />

100%iges Eigentum in diesem Sinne ist – gemäß der<br />

Parteiresolution vom September 2001 – nur noch ausnahmsweise<br />

beizubehalten, z.B. bei der Herstellung von<br />

Rüstungsgütern, bei der Eisenbahn, im Elektrizitätsbereich,<br />

im Getreidegroßhandel, bei „wichtigen Chemikalien“,<br />

im Lufttransport, im internationalen Frachtgeschäft,<br />

im Versicherungswesen und bei „wichtigen Telekommunikationsdiensten“.<br />

39 Nur die strategisch allerwichtigsten<br />

Bereiche sollten also zur „Konzern 91“-Kategorie gehören.<br />

Der Umwandlungsprozess, wie er mittlerweile theoretisch<br />

so schön ausformuliert worden ist, kommt in der bisherigen<br />

Praxis allerdings nur im Schneckentempo voran.<br />

Zwischen 1992 und 1998 bspw. wurden gerade einmal 120<br />

Betriebe in diesem Sinne kapitalisiert, 1999 waren es 220<br />

SEB (ursprünglich geplant: 450) und i.J. 2000 171 (statt<br />

geplanter 337). In der Periode 2001-2003 wurden 1.766<br />

SEB umstrukturiert, davon – erstaunlicherweise erstmals<br />

– 905 kapitalisiert. 40<br />

Warum nur, fragen sich ausländische Beobachter, geht<br />

es mit der Kapitalisierung so schleppend voran, obwohl<br />

kapitalisierte Betriebe doch erfahrungsgemäß wesentlich<br />

bessere Ergebnisse erzielen? Die Gründe dafür liegen erstens<br />

bei den SEB-Managern, die Angst vor dem Verlust<br />

ihrer Privilegien und überhaupt vor unüberschaubaren<br />

Neuerungen haben. Zweitens gibt es aber auch Schwierigkeiten<br />

mit der Umsetzung jener drei Startauflagen, die<br />

jeder Kapitalisierung vorauszugehen haben, nämlich der<br />

Abtragung fauler Schulden, der fairen Bewertung des Betriebsvermögens<br />

und der Ausgabe von Wertpapieren: Wie<br />

aber soll man aus den Schulden herauskommen, und wie<br />

sollen Betriebsvermögensverhältnisse von Kadern bewertet<br />

werden, die häufig nicht einen betriebswirtschaftlichen,<br />

sondern einen politischen Werdegang hinter sich haben<br />

und die deshalb mit Kalkulationen nicht selten auf<br />

Kriegsfuß stehen?<br />

Darüber hinaus sind Abwehrreaktionen gegen neue<br />

Managementformen allgegenwärtig: Künftig sollen die<br />

Spitzenmanager ja nicht mehr, wie bisher, durch das jeweilige<br />

Ministerium „amtlich“ bestellt, sondern als Quereinsteiger<br />

aufgrund wirtschaftlicher Fähigkeiten – und<br />

über koordinative Anstellungsverträge – herangezogen<br />

werden. 41<br />

Obwohl also zahlreiche bisherige SEB durch eine Kapitalisierung<br />

schnell vom roten in den schwarzen Zahlenbereich<br />

kommen könnten (so zumindest nach den Erfahrungen<br />

bereits umstrukturierter Betriebe), bleiben die Bedenkenträger<br />

in der Überzahl, weil sie glauben, persönlich<br />

38 Dazu SOAa, 6/2001, S.550f.<br />

39 Im Einzelnen dazu SOAa, 6/2002, S.554f.<br />

40 XNA, 9.3.04.<br />

41 VER, Nr.9/109 (2003), S.7-10.<br />

mehr zu verlieren, als ihre Betriebe sachlich gewinnen können.<br />

Ungeachtet all dieser Widerstände will die Regierung<br />

bei ihrem harten Kurs bleiben: Am 28. Januar 2003 hatte<br />

der Ministerpräsident bspw. angeordnet, dass allein das<br />

Industrieministerium bis Ende 2004 nicht weniger als 70<br />

seiner Unternehmen – und bis Ende 2005 83 weitere –<br />

kapitalisieren müsse.<br />

Auch eine Reihe von Konzernen hatte bis Ende 2003<br />

Tochterbetriebe für die Kapitalisierung freigeben müssen,<br />

so der Chemiekonzern bspw. zwölf Unternehmen, der Baukonzern<br />

acht, der Textil-/Bekleidungskonzern sieben, der<br />

Mineralienkonzern fünf und der Stahlkonzern sechs. 42 Die<br />

Umwandlungsziele waren zwar auch damit nur teilweise<br />

erfüllt worden; umso stärker aber muss nach Meinung des<br />

Ministerpräsidenten der Druck auf Konzerne und andere<br />

Eigentümer bleiben.<br />

1.2.2<br />

Auslandsvietnamesen und ihr Kapital<br />

Die etwa 2,7 Millionen <strong>Vietnam</strong>esen, die in über 90 Staaten<br />

der Welt verstreut leben (davon 80% in hoch entwickelten<br />

Ländern), haben 2003 ihre Überweisungen abermals<br />

um 20% gegenüber dem Vorjahr gesteigert, und zwar<br />

auf eine Summe von diesmal US$ 2,6 Mrd. 43 2001 waren<br />

es US$ 1,75 Mrd., 2002 US$ 2,4 Mrd. und 2003 US$ 2,5<br />

Mrd. gewesen. 44<br />

Bis Ende 2003 haben sie Investitionen in 74 Projekte<br />

mit einem Gesamtwert von US$ 540 Mio. eingebracht.<br />

Daneben sind sie noch an rund 1.200 kleineren Unternehmenseinheiten<br />

mit einem Gesamtwert von VND 2,2<br />

Billionen beteiligt.<br />

Fast alle oben erwähnten Projekte sind im Tourismus<br />

und im Servicebereich angesiedelt, so das Mitte 2004 in<br />

Hanoi entstehende Handelszentrum. Vor allem aber sind<br />

es zahlreiche Hotels, darunter das Fünf-Sterne-Haus „Vinpearl<br />

Ressort“ auf einer Insel vor der im südlichen Zentralvietnam<br />

gelegenen Provinz Khanh Hoa, in die das Viet-<br />

Khieu-Kapital fließt.<br />

Auslandsvietnamesen haben auch eine Reihe von Technologien<br />

ins Land gebracht, seien es nun Verfahren zur<br />

Herstellung einer Vier-Farben-Tinte für PC-Drucker oder<br />

für die Verarbeitung von Shrimps.<br />

Nicht zuletzt haben sie Stipendien für vietnamesische<br />

Studenten gestiftet und betreiben, gemeinsam mit dem<br />

UNDP, das „Transfer of Knowledge through Expatriate<br />

Nationals“- (TOKTEN-) Projekt.<br />

Im Jahre 2003 sind rund 300.000 Viet Khieu zu einem<br />

Heimatbesuch gekommen, 80.000 weniger als noch 2002 –<br />

eine Folge von SARS. 45<br />

1.3<br />

Außenpolitik<br />

1.3.1<br />

<strong>Vietnam</strong>s Außenpolitik im Jahre 2003<br />

Wie das vietnamesische Außenministerium am 1. Januar<br />

2004 zu verstehen gab, habe die SRV im abgelaufenen<br />

42 VNA, in BBC, 7.2.04.<br />

43 VNA, in BBC, 24.12.03.<br />

44 SOAa, 5/2003, S.443.<br />

45 Ebenda.


SÜDOSTASIEN aktuell - 247 - Mai 2004<br />

Jahr versucht, ihr politisches Umfeld weiter zu stabilisieren.<br />

Vor allem habe man sich in Hanoi bemüht, die „langfristige<br />

Kooperation“ mit wichtigen Partnern noch nachdrücklicher<br />

als bisher zu betreiben, um auf diese Weise vor<br />

allem dem Wachstum und dem gemeinsamen wirtschaftlichen<br />

Vorankommen zu dienen. 46 Diese Politik solle 2004<br />

verstärkt fortgesetzt werden. Als eines von mehreren Beispielen<br />

wurde dafür das nachfolgend näher zu beschreibende<br />

neue Verhältnis zu Thailand hervorgehoben.<br />

<strong>Vietnam</strong> legt neuerdings Wert darauf zu betonen, dass<br />

seine Außenpolitik nicht nur Staaten als Partner betrachte,<br />

sondern auch die meisten der in <strong>Vietnam</strong> aktiven<br />

NGOs. Seit nunmehr über einem Jahrzehnt hätten<br />

514 Nichtregierungsorganisationen aus 26 Ländern rund<br />

16.000 Projekte in <strong>Vietnam</strong> durchgeführt und zu diesem<br />

Zweck rund US$ 700 Mio. aufgebracht. In den „vergangenen<br />

Jahren“ seien der SRV von NGO-Seite pro Jahr Projekte<br />

von im Durchschnitt US$ 80 Mio. zugeführt worden.<br />

Um diese Arbeit ins rechte Licht zu stellen, hatte Mitte<br />

November 2003 eine dreitägige „<strong>Vietnam</strong>-NGO Cooperation<br />

Conference“ in Hanoi stattgefunden. 47<br />

1.3.2<br />

Weitere Annäherung an Thailand: Politik der<br />

großen Gesten<br />

Seit nunmehr fast 30 Jahren (Aufnahme diplomatischer<br />

Beziehungen im Jahre 1976) versuchen die beiden (nur<br />

durch die Korridore <strong>Laos</strong> und <strong>Kambodscha</strong> voneinander<br />

getrennten) Nachbarn einander näher zu kommen, nachdem<br />

sie vorher – d.h. in den Zeiten des Kalten Kriegs und<br />

vor allem der beiden <strong>Vietnam</strong>-Kriege – auf verschiedenen<br />

Seiten gestanden hatten.<br />

Das Blatt hat sich aber erst Mitte der neunziger Jahre<br />

zu wenden begonnen, nachdem <strong>Vietnam</strong> 1995 ASEAN-<br />

Mitglied geworden war und beide Staaten nun plötzlich<br />

in einem gemeinsamen Boot saßen. Hinzu kamen im Laufe<br />

der Jahre noch zwei weitere bindungsvertiefende Erfahrungen,<br />

nämlich die gemeinsame Furcht vor dem immer<br />

mächtiger werdenden China und nicht zuletzt der<br />

<strong>Kambodscha</strong>-Schock, den Bangkok im Gefolge des antithailändischen<br />

Pogroms vom 29. Januar 2003 erlitten hatte<br />

– eine Erfahrung übrigens, das auch den <strong>Vietnam</strong>esen<br />

nicht ganz unbekannt ist. 48 Vor allem das letztgenannte<br />

Ereignis hat bei der thailändischen Führung den festen<br />

Entschluss ausgelöst, nun endlich Nägel mit Köpfen zu<br />

machen und die bereits seit der Jahrhundertwende bestehenden<br />

Möglichkeiten verstärkter Zusammenarbeit entschlossener<br />

zu nutzen, sei es nun in den Bereichen Außenhandel<br />

und Investitionen, Ost-West-Korridor, Kooperation<br />

bei den Exporten (durch Abmachungen zwischen<br />

den beiden als größten Reis-Exporteuren der Welt) sowie<br />

in Fragen der Sicherheit oder sei es durch Kooperation<br />

im Rahmen des Boao-Forums, dessen Zweck es ist, einer<br />

neuen Asienfinanzkrise vorzubeugen. 49<br />

Da Thailand spektaluläre Gesten liebt (noch vor wenigen<br />

Jahren hatte es die Schlagwort trächtige Devise<br />

von der „Umwandlung des Kampfplatzes Südostasien in<br />

einen großen Marktplatz“ ausgegeben), hat es auch dies-<br />

46 XNA, 2.1.04.<br />

47 VNA, in BBC, 19.11.03.<br />

48 Dazu SOAa, 2/2003, S.153ff.<br />

49 Zu diesen fünf Optionen vgl. SOAa, 4/2001, S.376ff.<br />

mal eine eindrucksvolle Kulisse aufgezogen, um seine neue<br />

Entschlossenheit ins rechte Licht zu rücken, nämlich die<br />

Abhaltung gemeinsamer Kabinettssitzungen, die am 20.<br />

und 21. Februar 2004 nacheinander zuerst im vietnamesischen<br />

Danang und, am folgenden Tag, im thailändischen<br />

Nakhon Phanom stattfanden und an denen nicht nur die<br />

beiden Ministerpräsidenten, sondern nicht weniger als 47<br />

Kabinettsmitglieder aus beiden Ländern teilnahmen.<br />

Thailand brachte bei dieser Gelegenheit seine wirtschaftliche<br />

Bedeutung für <strong>Vietnam</strong> in Erinnerung: Nach<br />

dem Stand von 2004 nehme Thailand unter den 64 Investitionspartnern<br />

<strong>Vietnam</strong>s den neunten Platz (mit 118<br />

Projekten und US$ 1,41 Mrd.) ein. Außerdem sei der beiderseitige<br />

Außenhandel von US$ 352 Mio. i.J. 1994 auf<br />

US$ 1,55 Mrd. i.J. 2003 angestiegen. 50<br />

Bei den beiden Kabinettssitzungen versuchten die Beteiligten,<br />

möglichst sämtliche Fragen im beiderseitigen<br />

Verhältnis anzusprechen und bildeten zu diesem Zweck<br />

drei Gruppen für die Bereiche Sicherheit, Wirtschaft und<br />

Kulturelles, wobei die feste Absicht bestand, die Gemeinsamkeiten<br />

möglichst zu betonen, die Differenzen aber zu<br />

minimieren, d.h. sich im typischen ASEAN-Geist zu verhalten.<br />

Im Verlauf der zwei Sitzungen wurden zehn Abkommen<br />

unterzeichnet – ein großes Zeremoniell, das, fein<br />

säuberlich auf jeweils fünf aufgeteilt, am ersten und am<br />

zweiten Tag „abgefeiert“ wurde.<br />

In Danang waren dies (1) die Gemeinsame Erklärung<br />

über das Rahmenwerk der vietnamesisch-thailändischen<br />

Zusammenarbeit in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts,<br />

(2) ein Protokoll zur Befreiung des diplomatischen<br />

Personals von Visa- und Passpflichten, (3) ein Memorandum<br />

über die technische Zusammenarbeit, (4) ein Memorandum<br />

über Ausbildungsfragen und (5) ein Abkommen<br />

über die Zusammenarbeit zwischen den Gesundheitsministerien<br />

beider Länder.<br />

In Nakhon Phanom kamen folgende Dokumente an die<br />

Reihe: (1) ein Abkommen über die Bekämpfung grenzüberschreitender<br />

Verbrechen, (2) ein Rahmenabkommen<br />

über wirtschaftliche Zusammenarbeit, (3) eine Gemeinsame<br />

Erklärung über Erleichterungen beim Straßentransport,<br />

(4) ein Memorandum über Zusammenarbeit in Hygienefragen<br />

und (5) ein Abkommen über die Durchführung<br />

wissenschaftlicher und technischer Kooperationsmaßnahmen<br />

zwischen den zuständigen Ministerien beider<br />

Länder. 51<br />

Am zweiten Tag fanden auch bedeutungsschwere Zeremonien<br />

anlässlich der Eröffnung eines thailändischvietnamesischen<br />

„Freundschaftsdorfs“ in Ban Nachok (in<br />

der Provinz Nakhon Phanom) statt, wo Ho Chi Minh von<br />

1923 bis 1931 lebte. 52<br />

Als weitere Geste gab die thailändische Regierung das<br />

Versprechen ab, 1.000 <strong>Vietnam</strong>esen, die in Thailand leben,<br />

die thailändische Staatsbürgerschaft zu verleihen. 53<br />

Am Rande der beiden Konferenzen wurde auch bekannt<br />

gegeben, dass das gemeinsame Abkommen über die<br />

Zusammenarbeit im Reissektor, das i.J. 2000 unterschrieben<br />

worden war, das dann aber nicht so recht funktioniert<br />

50 XNA, 27.2.04.<br />

51 RH, in BBC, 23.2.04.<br />

52 N, in BBC, 22.2.04.<br />

53 Ebenda.


SÜDOSTASIEN aktuell - 248 - Mai 2004<br />

hatte, nun mit umso größerer Entschlossenheit in die Tat<br />

umgesetzt werden solle. 54<br />

Ob auch über die Auslieferung von vietnamesischen<br />

Widerstandskämpfern verhandelt wurde, die im Jahre<br />

2001 Bomben vor der vietnamesischen Botschaft in Bangkok<br />

platziert hatten, 55 wurde nicht erwähnt. Ein Thema<br />

wie dieses fällt allerdings auch nicht unter die Gemeinsamkeiten,<br />

wie sie bei den Kabinettssitzungen behandelt<br />

werden sollten.<br />

1.3.3<br />

Idealpartner Singapur<br />

Seit der „Türöffnung“ <strong>Vietnam</strong>s, die im Jahre 1986 beschlossen<br />

wurde, haben sich die Beziehungen der SRV zu<br />

Singapur in geradezu idealer Weise entwickelt, und zwar<br />

lange noch vor dem Beitritt <strong>Vietnam</strong>s zur ASEAN (1996).<br />

Vor allem das Jahr 1992 war äußerst fruchtbar gewesen –<br />

mit Besuchen des damaligen Ministerpräsidenten Vo Van<br />

Kiet in der Inselrepublik und umgekehrt des ehemaligen<br />

Ministerpräsidenten Lee Kuan Yew in der SRV. 56 So beeindruckt<br />

waren die <strong>Vietnam</strong>esen von Lee Kuan Yew, dass<br />

sie ihn baten, sich der SRV als Berater zur Verfügung zu<br />

stellen.<br />

Von nicht geringer Symbolik war auch der Auftrag an<br />

eine Singapurer Firma, das ehemalige Hanoier Gefängnis,<br />

das bei den gefangenen GIs als „Hanoi Hilton“ bekannt<br />

gewesen war, in ein Luxushotel umzuwandeln. 57<br />

Bereits 1993 gab es unter den damaligen ASEAN-<br />

Ländern ein geflügeltes Wort, demzufolge „the road to <strong>Vietnam</strong><br />

may pass through Singapore“. Der Stadtstaat war<br />

für <strong>Vietnam</strong> auch deshalb so interessant, weil er, nachdem<br />

er jahrelang zu den schärfsten Kritikern der vietnamesischen<br />

<strong>Kambodscha</strong>-Politik gehört hatte, in den neunziger<br />

Jahren eine Wende um 180 Grad vollzogen und eine<br />

Plattform bereit gestellt hatte, auf der die „Großen“<br />

ihre Südostasien-bezogenen Sicherheitsprobleme diskutieren<br />

konnten. Singapur, das am engagiertesten am Projekt<br />

„Towards One South-East Asia“ gearbeitet hatte, gehörte<br />

auch zu jenen Ländern, die den ASEAN-Beitritt der SRV<br />

von Anfang an systematisch unterstützten. Auch wirtschaftlich<br />

war Singapur schon früh in <strong>Vietnam</strong> engagiert,<br />

vor allem in den Segmenten Kommunikation, Tourismus,<br />

Textilverarbeitung, Möbelherstellung und Getränke. 58<br />

Mittlerweile, d.h. seit 1998, ist Singapur zum Hauptinvestor<br />

in <strong>Vietnam</strong> aufgerückt und unterhält dort nach gegenwärtigem<br />

Stand nahezu 300 Projekte mit einem Gesamtwert<br />

von US$ 7,8 Mrd. Im Jahre 2003 belief sich der<br />

bilaterale Handel überdies auf rund US$ 6 Mrd. – fast<br />

eine Verdoppelung gegenüber 1996. 59<br />

Kein Wunder, dass – parallel zur Wirtschaft – auch<br />

das politische Interesse aneinander wuchs. Um die Beziehungen<br />

hier noch weiter zu intensivieren, hatte Ministerpräsident<br />

Goh Chok Tong im März 2003 die SRV besucht<br />

– eine Visite, die inzwischen von Ministerpräsident Phan<br />

Van Khai erwidert wurde (8.-10.3.2004) . Bei diesem Treffen<br />

kam es zum Abschluss einer Vereinbarung, die trotz<br />

54 Ebenda.<br />

55 Dazu RH, in BBC, 27.6.01.<br />

56 SOAa, 1/1992, S.61 und 4/1992, S.361f.<br />

57 Dazu SOAa, 6/1992, S.553.<br />

58 Dazu SOAa, 1/1994, S.51.<br />

59 ST, 10.3.04.<br />

ihres gravitätischen Titels beste Realisierungschancen besitzt,<br />

nämlich zur „Joint <strong>Vietnam</strong>-Singapore Declaration<br />

on Comprehensive Cooperation Framework in the 21st<br />

Century“, unterzeichnet am 8. März. 60<br />

<strong>Vietnam</strong> möchte, wie Phan Van Khai versicherte, von<br />

der wahrhaft imposanten Infrastruktur des kleinen Stadtstaates<br />

profitieren: Immerhin unterhält Singapur Verbindungen<br />

zu 200 internationalen Flughäfen sowie zu<br />

600 Seehäfen und besitzt überdies ein weit verzweigtes<br />

Finanz-, Telekommunikations- und Transportnetz. 61<br />

1.3.4<br />

Symmetrisierungsversuche in der vietnamesischen<br />

Südasien-Politik<br />

1.3.4.1<br />

Jahrzehntelange Sichtverengung auf Indien<br />

Während <strong>Vietnam</strong> seit Jahren enge Beziehungen zu<br />

Indien unterhält, ja von diesem Land bereits seit dem<br />

<strong>Vietnam</strong>-Krieg unterstützt wurde, blieben die sechs<br />

anderen Länder Südasiens, d.h. Pakistan, Bangladesch,<br />

Sri Lanka, Nepal, Bhutan und die Malediven, weitgehend<br />

im Schatten Delhis, zumindest aus der Sicht der Hanoier<br />

Außenpolitik.<br />

Dies soll sich jetzt ändern. In jüngster Zeit unternimmt<br />

<strong>Vietnam</strong> (als exportorientiertes Land und als neues Mitglied<br />

der ASEAN) nämlich energische Schritte, um seine<br />

Südasien-Politik aufzuwerten und sie gleichzeitig verstärkt<br />

zu multilateralisieren.<br />

Allerdings ist es nach wie vor Indien, das mit weitem<br />

Abstand in der Gunst der SRV und ihrer Bewohner<br />

steht: Man ist sich bewusst, dass Indien schon seit<br />

Beginn der christlichen Zeitrechnung kulturellen Einfluss<br />

auf <strong>Vietnam</strong> ausgeübt hat, und zwar vor allem bei der<br />

Einführung des Buddhismus sowie bei der Herausbildung<br />

der Dai-Viet-Kultur im 12. und 13. Jahrhundert. Aber<br />

auch in neuerer Zeit gibt es fast nur Positives zu berichten:<br />

Ho Chi Minh und Jawaharlal Nehru bspw. haben sich<br />

bereits 1928 bei einem Treffen der Anti-Imperialistischen<br />

Liga in Brüssel erstmals die Hände gereicht und galten<br />

seither als Freunde, die vor allem in den fünfziger Jahren<br />

häufig zusammentrafen.<br />

Zu diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Staaten<br />

war es allerdings erst im Januar 1972 gekommen –<br />

bezeichnenderweise zu einem Zeitpunkt, als der Nixon-<br />

Besuch in Beijing unmittelbar bevorstand und als sich<br />

<strong>Vietnam</strong> von seinem bisherigen Partner, der VR China,<br />

aufs schlimmste verraten fühlte. Ohne Furcht vor den US-<br />

Amerikanern, die mit ihren Truppen zu dieser Zeit noch<br />

tief im Morast <strong>Vietnam</strong>s steckten, sprang Indien in die<br />

damals entstandene Lücke und gewährte den Nordvietnamesen<br />

sowohl moralische Unterstützung als auch wirtschaftliche<br />

Hilfe.<br />

Während sich China und die USA zu dieser Zeit bereits<br />

eng mit dem im Vorfeld Chinas liegenden Pakistan<br />

verbündet hatten, setzte Indien also auf ein Kontrastprogramm,<br />

indem es dem anderen Vorfeldstaat, <strong>Vietnam</strong>, unter<br />

die Arme zu greifen begann. Vor allem Indira und<br />

Rajiv Gandhi betrieben diese zugleich anti-amerikanische<br />

60 VNA, in BBC, 9.3.04.<br />

61 VNA, in BBC, 11.3.04.


SÜDOSTASIEN aktuell - 249 - Mai 2004<br />

als auch anti-chinesische Politik mit geradliniger Konsequenz,<br />

und zwar nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich,<br />

indem sie bspw. ein Reis-Forschungsinstitut in<br />

<strong>Vietnam</strong> errichteten (mit großem Erfolg, wie die späteren<br />

Anbauerfolge zeigten) und indem sie die Zusammenarbeit<br />

auf dem Eisenbahnsektor, in der Leichtindustrie sowie bei<br />

der Ölsuche und im Bereich der friedlichen Nutzung der<br />

Kernenergie systematisch ausbauten. Aus der Sicht <strong>Vietnam</strong>s<br />

zeigte Indien hier ein geradezu vorbildhaftes Süd-<br />

Süd-Verhalten. 62<br />

Die Dichte der Beziehungen blieb auch über die<br />

Jahrtausendwende hinweg erhalten. Im November 2000<br />

wurde bspw. auf Anregung Indiens die Mekong-Ganga-<br />

Cooperation (MGC) ins Leben gerufen, eine Gruppierung<br />

von sechs Ländern (<strong>Vietnam</strong>, Indien, <strong>Kambodscha</strong>, <strong>Laos</strong>,<br />

Thailand und Myanmar), die sich – der erklärten Absicht<br />

nach – formell zwar vor allem auf ihre gemeinsamen<br />

kulturellen Wurzeln zurückbesinnen sollte, 63 die aber von<br />

Anfang an politisch ausgerichtet war, da sie auf dem gemeinsamen<br />

Misstrauen gegenüber der VR China beruhte.<br />

Anfang Mai 2003 besuchte KPV-Generalsekretär Nong<br />

Duc Manh die Republik Indien und unterzeichnete dort<br />

einen Vertrag über eine umfassende Zusammenarbeit zwischen<br />

beiden Ländern, durch den die seit Jahrzehnten betriebene<br />

Süd-Süd-Kooperation in die weite Zukunft fortgeschrieben<br />

werden sollte. 64 In jeder Hinsicht sollten die<br />

Beziehungen so eng sein, dass nicht einmal ein Blatt dazwischen<br />

passte.<br />

Auch wird seit einigen Jahren der Bau einer Eisenbahnlinie<br />

zwischen Indien und Hanoi diskutiert. 65<br />

Und doch gibt es zwischen beiden Seiten einen dunklen<br />

Punkt, der den <strong>Vietnam</strong>esen Kopfzerbrechen bereitet,<br />

nämlich den gewaltigen Handelsüberschuss Indiens im bilateralen<br />

Austausch. Die Handelsbeziehungen zwischen<br />

beiden Seiten lassen sich in zwei große Phasen einteilen:<br />

Von 1972 bis 1991 bewegte sich der Handelsaustausch auf<br />

niedrigstem Niveau, da beide Seiten zu dieser Zeit ideologisch<br />

noch tief in sozialistischen und autozentristischen<br />

Vorstellungen steckten.<br />

Seit den Reformbeschlüssen <strong>Vietnam</strong>s von 1986 und<br />

Indiens von 1991 jedoch hat sich das Blatt hier grundlegend<br />

gewendet. War der nun einsetzende bilaterale Handel<br />

bis 1995 noch weitgehend ausgeglichen, so begannen<br />

die Exporte Indiens nach <strong>Vietnam</strong> von 1995 an diejenigen<br />

<strong>Vietnam</strong>s nach Indien bei weitem zu überflügeln und<br />

hatten im Zeitraum 2000/2001 ein Verhältnis von 20:1<br />

erreicht (indische Exporte nach <strong>Vietnam</strong>: US$ 220 Mio.,<br />

vietnamesische Exporte nach Indien: US$ 11,5 Mio.). Ein<br />

Handelsbilanzminus von US$ 209,5 Mio. – dies ist für das<br />

wirtschaftsschwache <strong>Vietnam</strong> ein nur schwer zu verdauender<br />

Brocken. 66 Es waren vor allem ölhaltige Pflanzen<br />

und pharmazeutische Produkte, aber auch Chemikalien<br />

für die Landwirtschaft, Plastikwaren und Maschinen, die<br />

den Weg von Indien nach <strong>Vietnam</strong> fanden, während die<br />

SRV-Wirtschaft nicht so recht wusste, welche Produkte sie<br />

im Gegenzug liefern sollte. Überdies wurden beide Länder<br />

mit zwei Warengruppen schon bald zu Konkurrenten auf<br />

62 Ausführlich dazu SOAa, 3/1987, S.258-261.<br />

63 Dazu SOAa, 6/2001, S.558.<br />

64 Press Trust of India, in BBC, 1.5.03; RH, in BBC, 3.4.03.<br />

65 XNA, 24.9.03.<br />

66 Dazu im Einzelnen VER, Nr.3/91 (2002), S.9-12.<br />

dem Weltmarkt, nämlich mit Reis und mit Kaffee.<br />

Nicht zuletzt aus diesem Grunde beginnt sich <strong>Vietnam</strong><br />

verstärkt für die Nachbarländer Indiens zu interessieren,<br />

um dort vielleicht einen Ausgleich zu finden.<br />

1.3.4.2<br />

Gewünschte Erweiterung des Blickfelds<br />

Mit Sri Lanka kam es im Oktober 2003 zum ersten Kooperationstreffen,<br />

das bisher allerdings ohne wesentliche<br />

Folgen und vor allem ohne nennenswerte Exportaufträge<br />

blieb. 67<br />

Vom 22. bis 26. März 2004 unternahm nun Staatspräsident<br />

Tran Duc Luong eine Zwei-Länder-Reise nach<br />

Südasien, die ihn für drei Tage (22.-24.3.) nach Bangladesch<br />

und für weitere drei Tage nach Pakistan führte und<br />

bei der es zu zahlreichen politischen Bekundungen sowie<br />

vor allem zur Unterzeichnung einer Reihe von wirtschaftsbezogenen<br />

Abkommen kam: Mit Bangladesch wurde ein<br />

Abkommen über die Vermeidung von Doppelbesteuerung<br />

und über landwirtschaftliche Zusammenarbeit sowie ein<br />

Protokoll über kulturellen Austausch unterzeichnet. 68 Vor<br />

allem aber war Luong zusammen mit 42 Unternehmern<br />

angereist und hatte schon damit eindeutige Absichten bekundet.<br />

Da der Handel zwischen <strong>Vietnam</strong> und Bangladesch<br />

im Jahre 2003 bei gerade einmal US$ 18 Mio. lag,<br />

ist hier noch vieles ausbaufähig.<br />

In Pakistan vereinbarten beide Seiten die Errichtung<br />

eines „<strong>Vietnam</strong>esisch-Pakistanischen Geschäftsrates“ und<br />

unterzeichneten Abkommen über die Vermeidung von<br />

Doppelbesteuerung, über eine Zusammenarbeit zwischen<br />

den beiden Staatsbanken und ein Memorandum über Kooperation<br />

zwischen den beiden Handelskammern. Darüber<br />

hinaus kam es zur Unterzeichnung eines Abkommens über<br />

die Zusammenarbeit zwischen den beiden Außenministerien<br />

und zu einem Rahmenabkommen über Wissenschaft<br />

und Technologie.<br />

Beide Seiten einigten sich auch darauf, künftig gemeinsam<br />

stärker gegen internationale Verbrechen, Terrorismus,<br />

Schmuggel und Waffenhandel zu kooperieren. 69<br />

Eine engere Zusammenarbeit zwischen der ASEAN und<br />

der South Asian Regional Cooperation (SARC), des Weiteren<br />

bei den Asia-Europe Meetings (ASEM) sowie im<br />

ASEAN Regional Forum (ARF) und nicht zuletzt im Gulf<br />

Cooperation Council (GCC) wird angestrebt. 70<br />

1.3.5<br />

<strong>Vietnam</strong> und die USA<br />

Abgesehen von den drei Dauerbrennern „Catfish-Row“,<br />

Human Rights Reports und Agent-Orange-Entschädigungen<br />

71 standen die bilateralen Beziehungen zwischen <strong>Vietnam</strong><br />

und den USA während der vergangenen Monate<br />

im Zeichen dreier Ereignisse, nämlich des Besuchs des vietnamesischen<br />

Verteidungsministers, der Visite der US-<br />

Fregatte „Vandegrift“ im Hafen von Saigon und des steilen<br />

Anstiegs des bilateralen Handelsvolumens.<br />

67 Dazu RH, in BBC, 27.1.03.<br />

68 XNA, 24.3.04.<br />

69 VNA, in BBC, 27.3.04.<br />

70 News Website, Islamabad, in BBC, 25.3.04.<br />

71 Dazu Näheres in SOAa, 5/2003, S.448f.


SÜDOSTASIEN aktuell - 250 - Mai 2004<br />

1.3.5.1<br />

Der USA-Besuch des vietnamesischen Verteidigungsministers:<br />

„Verteidigungsdiplomatie“<br />

Vom 11. bis 14. November 2003 kam Pham Van Tra, der<br />

vietnamesische Verteidungsminister, zu einem allseits als<br />

historisch angesehenen Besuch in die USA und führte<br />

dort Gespräche mit Verteidigungsminister Rumsfeld, mit<br />

der Sicherheitsberaterin Rice, mit Außenminister Powell<br />

und mit einer Reihe von Abgeordneten, allerdings nicht<br />

mit Präsident Bush.<br />

Offiziell war Tras Erscheinen die Antwort auf den Besuch<br />

des früheren Verteidigungsministers William Cohen<br />

im März 2000, 72 vielleicht aber auch auf die Visite Präsident<br />

Clintons, der im November 2000, d.h. kurz vor Ende<br />

seiner Amtszeit, noch in die SRV gereist war. 73<br />

Der Besuch Tras war der erste eines vietnamesischen<br />

Verteidigungsministers seit dem Ende des Zweiten<br />

Indochina-Kriegs (1973 bzw. 1975), der mit drei Millionen<br />

vietnamesischen und 58.000 US-amerikanischen Toten zu<br />

Buche schlägt. 74 . Die Visite hatte allerdings nicht nur<br />

symbolischen Charakter, sondern diente auch der Besprechung<br />

weltpolitischer Fragen, angefangen vom gemeinsamen<br />

Anti-Terrorismus sowie dem in vielen Teilen Asiens<br />

verbreiteten Unbehagen gegenüber der wachsenden<br />

Macht Chinas als auch der Erörterung bilateraler Themen,<br />

die sich mit den Stichworten „Missing in Action“-<br />

Opfern, Agent Orange und Minenräumung, aber auch<br />

noch mit weiteren Begriffen umreißen lassen. 75<br />

Was dagegen nicht zur Diskussion gestanden zu haben<br />

scheint, waren amerikanische Interessen an einer – zumindest<br />

zeitweiligen – Rückkehr in den von den USA vor nun<br />

fast 50 Jahren ausgebauten Marinehafen von Cam Ranh.<br />

Auch Waffenlieferungen oder die Erörterung gemeinsamer<br />

militärischer Strategien scheinen nicht auf der Themenliste<br />

gestanden zu haben.<br />

– Die MIA-Frage (also die Suche nach den vermissten<br />

amerikanischen Soldaten aus dem Zweiten Indochina-<br />

Krieg) beschäftigt seit Jahren beide Seiten. Bei dem<br />

erst kürzlich stattgefundenen 89. Übergabetreffen –<br />

gerechnet von 1973 ab – haben die <strong>Vietnam</strong>esen die<br />

sterblichen Überreste von weiteren fünf amerikanischen<br />

Gefallenen übergeben und damit die Gesamtzahl<br />

auf 805 erhöht. Seit 1988 hat es übrigens die<br />

ersten gemeinsamen Suchaktionen nach MIA-Opfern<br />

gegeben, also bereits viele Jahre vor der Aufnahme<br />

offizieller diplomatischer Beziehungen im Jahre 1995.<br />

Das MIA-Thema wurde nicht nur bei den Gesprächen<br />

mit Rumsfeld angeschnitten, sondern spielte vielmehr<br />

auch im Defense Department’s TOW/MIA Office eine<br />

ausschlaggebende Rolle. 76<br />

– Das Agent-Orange-Thema ist in den vergangenen<br />

Jahren vor allem von vietnamesischer Seite immer<br />

stärker ins Gespräch gebracht worden, und zwar zusammen<br />

mit der Forderung, die Amerikaner mögen<br />

nun endlich die von dem Entlaubungsmittel betroffenen<br />

Opfer entschädigen. Immerhin hat der Krieg<br />

rund 40.000 Personen mit chemikalischen Vergiftun-<br />

72 Dazu SOAa, 3/2000, S.215.<br />

73 Dazu SOAa, 1/2001, S.71-80.<br />

74 Zu den Zahlen im Einzelnen vgl. SOAa, 3/1995, S.191f.<br />

75 Dazu SOAa, 3/2003, S.242f. und 4/2001, S.373ff.<br />

76 VNA, in BBC, 13.11.03.<br />

gen zurückgelassen. 77 Anfang Februar 2004 wurde<br />

bekannt, dass die „<strong>Vietnam</strong>esische Vereinigung der<br />

Agent-Orange-Opfer“ im Namen dreier Betroffener<br />

am 30. Januar 2004 vor dem US Federal Court in<br />

Brooklyn, NY, eine Klage eingereicht habe, die sich<br />

gegen zehn Firmen richtet, die an der Herstellung des<br />

Giftes beteiligt waren, darunter Dow Chemical und<br />

Monsanto.<br />

Die Opfer haben in den vom Gift übersprühten Arealen<br />

gelebt und leiden unter den Folgen des im Agent<br />

Orange enthaltenen Dioxins, u.a. an Karzinomen.<br />

Da Hanoi bisher, aus welchen Gründen auch immer,<br />

darauf verzichtet hat, formal Schadensersatzansprüche<br />

zu erheben, bleibt den Betroffenen keine andere<br />

Möglichkeit, als die Sache nun endlich selbst in die<br />

Hand zu nehmen.<br />

Zwischen 1962 und 1971 sind rund 21 Millionen Gallonen<br />

von Entlaubungsmitteln, zumeist von Typ „Agent<br />

Orange“, durch US-Flugzeuge über zentralvietnamesischen<br />

und ostlaotischen Waldgebieten versprüht worden.<br />

Krebs, Diabetes und Fötenmissbildungen waren<br />

die Hauptfolgen. Die US-Regierung pflegt auf solche<br />

Anschuldigungen zu erwidern, dass es keine eindeutigen<br />

wissenschaftlichen Beweise eines Zusammenhangs<br />

zwischen den Entlaubungsmitteln und den behaupteten<br />

Erkrankungen gebe. Immerhin aber war es i.J.<br />

2002 zur ersten gemeinsamen wissenschaftlichen Konferenz<br />

über Agent Orange und seine Auswirkungen gekommen.<br />

Dabei wurde festgestellt, dass sich in vielen<br />

Nahrungsmitteln aus Zentralvietnam auch Jahrzehnte<br />

nach den Sprühaktionen immer noch hohe Dioxinmengen<br />

finden ließen. 78 Die vietnamesische Seite geht<br />

davon aus, dass durch Agent Orange rund zwei Millionen<br />

<strong>Vietnam</strong>esen betroffen worden seien, darunter<br />

über eine Million Kinder. 79<br />

– Ein drittes Thema betrifft die Minenräumung. Immer<br />

noch finden sich ja in den abgelegeneren Gegenden in<br />

Zentralvietnam Mengen von nicht explodierter Munition<br />

(UXO), die das Ackern und Pflügen sowie die<br />

Waldarbeit in vielen Gegenden <strong>Vietnam</strong>s noch heute<br />

zu einem lebensgefährlichen Risiko werden lassen, vor<br />

allem in Regionen entlang des früheren Ho-Chi-Minh-<br />

Pfads. 80<br />

Die Amerikaner sehen sich aufgefordert, nicht nur<br />

Film- und sonstiges Informationsmaterial über die<br />

Bombenabwurfstellen zur Verfügung zu stellen, sondern<br />

überdies auch aktiv bei der Minenräumung Hilfe<br />

zu leisten, bei einer Arbeit also, die von zahlreichen<br />

ausländischen – jedoch fast nie US-amerikanischen –<br />

Gruppen geleistet wird.<br />

Im Anschluss an die USA-Visite reiste Tra nach Brasilien<br />

und Belgien weiter. 81<br />

1.3.5.2<br />

US-amerikanischer Flottenbesuch<br />

Erstmals seit dem Ende des <strong>Vietnam</strong>-Kriegs vor fast 30<br />

77 Dazu SOAa, 2/1998, S.108; vgl. ferner SOAa, 5/2003, S.446.<br />

78 AWSJ, 4.2.04.<br />

79 XNA, 5.11.03.<br />

80 Dazu ausführlich SOAa, 1/2003, S.43f., 1/2001, S.35 und<br />

2/2000, S.137.<br />

VNA, in BBC, 11.11.03.


SÜDOSTASIEN aktuell - 251 - Mai 2004<br />

Jahren legte ein Schiff der US-amerikanischen Marine, die<br />

„USS Vandegrift“ wieder in <strong>Vietnam</strong> an, und zwar im<br />

Hafen von Ho-Chi-Minh-Stadt, dem früheren Saigon, das<br />

während des Kriegs Hauptstadt des mit den USA verbündeten<br />

Südvietnam gewesen war. Beim Einlaufen hisste das<br />

Schiff sowohl die US-amerikanische als auch die vietnamesische<br />

Flagge.<br />

Der als historisch bewertete viertägige Besuch (19.-<br />

22.11.2003) markierte eine neue Phase in den bilateralen<br />

Beziehungen der einstigen Kriegsgegner. Den bereits<br />

bestehenden politischen und wirtschaftlichen Kontakten<br />

folgte jetzt auch eine militärische Annäherung, die langfristig<br />

zu einem regen informellen Militäraustausch führen<br />

dürfte. Die ersten Kontakte militärischer Art waren, wie<br />

bereits erwähnt, von William Cohen und von Pham Van<br />

Tra angebahnt worden. Zwischen der USA-Visite Tras<br />

und dem US-Flottenbesuch in <strong>Vietnam</strong> lag gerade einmal<br />

eine Woche. 82<br />

Die Besatzung der 138 m langen Fregatte bestand aus<br />

186 Matrosen und 15 Marineoffizieren. Das Schiff ist u.a.<br />

mit Hubschraubern und Lenkraketen ausgerüstet.<br />

Hanoi und Washington denken bei Besuchen dieser<br />

Art, denen wohl auch weitere folgen dürften, offensichtlich<br />

vor allem an die chinesische Gefahr, ohne jedoch darüber<br />

auch nur ein einziges Wort zu verlieren.<br />

Die Mannschaft benahm sich überaus artig, legte<br />

einen Kranz am Ho-Chi-Minh-Denkmal nieder, besuchte<br />

das Kommando der 7. Militärregion, traf mit Vertretern<br />

des Stadtkomitees von Ho-Chi-Minh-Stadt sowie mit<br />

dem Oberkommando der Marine zusammen, besuchte das<br />

„Waisenhaus des 15. Mai“ sowie die vor den Toren Saigons<br />

gelegenen Cu-Chi-Tunnelanlagen, die während des Zweiten<br />

Indochina-Kriegs als Hauptunterschlupf des Vietcong<br />

gedient hatten, bewegte sich übrigens auch auf der Tanzdiele<br />

und beteiligte sich außerdem an der Grundsteinlegung<br />

zweier Schulen in Ho-Chi-Minh-Stadt. 83 Von der<br />

Bevölkerung wurden die Besucher freundlich willkommen<br />

geheißen, und zwar offensichtlich vor allem in ihrer Rolle<br />

als Glücks- und Geldbringer. 84<br />

Ein Vierteljahr nach dem Flottenbesuch kam dann<br />

auch noch Admiral Thomas Fargo, der Kommandant des<br />

US-Pacific Command, zu einem Besuch nach <strong>Vietnam</strong><br />

(8.-11.2.04), um, wie er es nannte, die „vietnamesischamerikanische<br />

Verteidigungsbeziehung weiter zu verfestigen“.<br />

85<br />

1.3.5.3<br />

Im Außenhandel überholen die USA die VR China<br />

als <strong>Vietnam</strong>s Haupthandelspartner<br />

Der bilaterale Umsatz zwischen <strong>Vietnam</strong> und den USA<br />

hat in jüngster Zeit laufend zugenommen, und zwar von<br />

US$ 1,5 Mrd. i.J. 2001 auf US$ 3 Mrd. i.J. 2002 und<br />

schließlich auf US$ 4,8 Mrd. i.J. 2003 (= +76%). Der<br />

Handelsüberschuss <strong>Vietnam</strong>s zeigt ebenfalls einen steilen<br />

Anstieg, von US$ 650 Mio. i.J. 2001 auf US$ 1,96 Mrd.<br />

i.J. 2002 und auf rund US$ 3 Mrd. i.J. 2003. 86<br />

82 XNA, 14.11.03.<br />

83 XNA, 19. und 22.11.03.<br />

84 XNA, 22.11.03.<br />

85 XNA, 8.2.04.<br />

86 RH, in BBC, 25.11.03; XNA, 24.11.03; Hochrechnung des Autors.<br />

<strong>Vietnam</strong> verdankt diesen Erfolg hauptsächlich zwei<br />

Umständen, nämlich erstens seiner Leistungsfähigkeit in<br />

den Bereichen Kleidung und Textilien, Aquakultur, Schuhe,<br />

Computerzubehör, Plastikwaren und Möbel, zum anderen<br />

aber vor allem dem am 13. Juli 2000 unterzeichneten<br />

Normal-Trade-Relations- (NTR-) Vertrag, jenem Bilateral<br />

Trade Agreement (BTA) also, an dem die beiden<br />

Parteien sechs Jahre lang laboriert hatten und das von<br />

den <strong>Vietnam</strong>esen längere Zeit mit Misstrauen betrachtet<br />

worden war. Inzwischen ist aber deutlich geworden,<br />

dass das BTA drei Hauptvorteile nach sich zieht, nämlich<br />

eine weitere Renormalisierung des Verhältnisses zum<br />

einstigen Kriegsgegner, einen unkomplizierten (und nicht<br />

mehr mit Zöllen von bis zu 40% belasteten) Zugang der<br />

vietnamesischen Wirtschaft zum US-Markt und, drittens,<br />

die Chance, spätestens bis 2006 in die WTO aufgenommenzuwerden.<br />

87 Allerdings hat es mittlerweile eine Reihe<br />

von Störungen gegeben, nämlich den Streit um den Import<br />

von Welsfisch und die Verhängung von Quoten gegen<br />

vietnamesische Textilimporte, doch sind dies eher Nebensächlichkeiten,<br />

die im Hauptstrom untergehen.<br />

Weniger erfolgreich ist <strong>Vietnam</strong> bei der Anwerbung<br />

US-amerikanischer Investitionen. Immer noch lassen die<br />

USA anderen den Vortritt, u.a. den drei Spitzenreitern<br />

Singapur, Taiwan und Japan. Selbst nehmen sie gerade<br />

einmal den 11. Platz ein und zeigen damit eine Zurückhaltung,<br />

die auf wachsende vietnamesische Kritik stößt.<br />

Angesichts der steigenden Außenwirtschaftsbeziehungen<br />

haben die <strong>Vietnam</strong> Airlines beschlossen, ab 2005 wöchentlich<br />

sieben Direktflüge von Hanoi in die USA anzubieten.<br />

Bisher müssen die meisten amerikanischen Reisenden<br />

den Umweg über Taibei wählen. Im Jahr 2002 kamen<br />

280.000 Besucher aus den USA nach <strong>Vietnam</strong>, darunter<br />

75% Überseevietnamesen. 88<br />

1.3.6<br />

KPV-Chef Nong Duc Manh auf Deutschlandreise<br />

Nach dem Deutschlandbesuch von Ministerpräsident<br />

Phan Van Khai im Oktober 2002 und dem Gegenbesuch<br />

Bundeskanzler Schröders im Mai 2003 89 ist mittlerweile,<br />

im März 2004, der Generalsekretär der KPV, Nong<br />

Duc Manh, nach Deutschland gekommen, um in Berlin<br />

am 5. Deutsch-<strong>Vietnam</strong>esischen Dialogforum der Wirtschaft<br />

teilzunehmen und um sich mit Repräsentanten aus<br />

Politik und Wirtschaft ins Benehmen zu setzen.<br />

Manh wollte damit u.a. der Tatsache Rechnung tragen,<br />

dass Deutschland seit Aufnahme der diplomatischen<br />

Beziehungen am 23. September 1975 zum wichtigsten<br />

Handelspartner <strong>Vietnam</strong>s in der EU geworden ist und<br />

rund 30% des vietnamesischen-EU-Handels auf sich vereinigt.<br />

Im Jahr 2003 lag das beiderseitige Handelsvolumen<br />

bei US$ 1,3 Mrd. – mit einem Exportanteil <strong>Vietnam</strong>s<br />

von rund US$ 700 Mio. Zwischen beiden Seiten ist<br />

es außerdem zur Unterzeichnung einer Reihe von Abkommen,<br />

z.B. über Investitionsschutz, über Vermeidung von<br />

Doppelbesteuerung sowie über See- und Lufttransport,<br />

gekommen. Überdies besteht weitgehende Übereinstimmung<br />

in internationalen Fragen, sei es nun hinsichtlich<br />

des Anti-Terrorismus, der Irak-Frage, der Stärkung des<br />

87 Näheres dazu SOAa, 1/2002, S.53f.<br />

88 XNA, 11.12.03.<br />

89 Näheres dazu SOAa, 4/2003, S.348f.


SÜDOSTASIEN aktuell - 252 - Mai 2004<br />

UNO-Beitrags und der Entstehung einer multipolaren (also<br />

keineswegs unilateralen) Weltordnung. Außerdem befürwortet<br />

Deutschland den möglichst schnellen Beitritt<br />

<strong>Vietnam</strong>s zur WTO sowie eine Ausdehnung der Beziehungen<br />

zur EU, während <strong>Vietnam</strong> umgekehrt für die Aufwertung<br />

Deutschlands zum Ständigen Mitglied des Weltsicherheitsrats<br />

plädiert.<br />

Negative Schlagzeilen gerieten angesichts dieses positiven<br />

Bestands fast in Vergessenheit, sei es nun das Verhalten<br />

<strong>Vietnam</strong>s in Menschenrechtsfragen oder sei es auf der<br />

anderen Seite die immer noch überaus bescheidene Beteiligung<br />

Deutschlands an Investitionen in <strong>Vietnam</strong>. Bis<br />

zum Manh-Besuch unterhielt die deutsche Wirtschaft in<br />

<strong>Vietnam</strong> gerade einmal 41 Projekte mit einer Gesamtsumme<br />

von US$ 360 Mio. Damit konnte sich der europäische<br />

Haupthandelspartner nicht einmal im Entferntesten mit<br />

den Hauptinvestoren Singapur, Taiwan und Japan messen<br />

– ein Tatbestand, der von vietnamesischer Seite durch die<br />

Bemerkung unterstrichen wurde, dass Deutschland „weit<br />

unter seinen Möglichkeiten“ bleibe. 90<br />

Auch Deutschlands ODA-Beitrag ist bescheiden geblieben<br />

und betrug in den Jahren zwischen 1990 und 2003<br />

gerade einmal US$ 513 Mio. Hier gibt es aus vietnamesischer<br />

Sicht also noch viel zu tun.<br />

Während seines viertägigen Aufenthalts wurde Manh<br />

von Bundespräsident Rau, von Kanzler Schröder und von<br />

der Vizepräsidentin des Bundestags, Susanne Kastner,<br />

empfangen. 91<br />

Neben den Regierungs- spielten aber auch die Parteibeziehungen<br />

eine erhebliche Rolle, nämlich zwischen KPV<br />

und SPD. In diesem Zusammenhang wurde Manh vom<br />

SPD-Vorsitzenden Müntefering und von der Generalsekretärin<br />

der Friedrich-Ebert-Stiftung, Anke Fuchs, empfangen.<br />

92<br />

Am 3. März nahm er, zusammen mit anderen SRV-<br />

Repräsentanten, u.a. mit Handelsminister Vu Khoan, am<br />

5. Deutsch-vietnamesischen Wirtschaftsforum in Berlin<br />

teil. Im Verlauf des Treffens kam es zur Unterzeichnung<br />

eines Umschuldungsabkommens, wobei die zur Debatte<br />

stehenden EUR 4 Mio. für Verschönerungsarbeiten in der<br />

Umgebung des neu zu erstellenden Nationalen Konferenzzentrums<br />

in My Dinh (Hanoi) verwendet werden sollten. 93<br />

1.3.7<br />

Die heikle Terrorismusfrage<br />

<strong>Vietnam</strong>s grundlegende Einstellung zum Terrorismus ist<br />

eindeutig und liegt ganz auf der Linie der konfuzianischen<br />

Stabilitätsversessenheit: Der Terrorismus wird deshalb<br />

aus innerster Überzeugung abgelehnt.<br />

Im praktischen Erklärungsverhalten tauchen gleichwohl<br />

Widersprüche auf. Da sind einerseits eindeutige Stellungsnahmen<br />

gegen den Terrorismus: „Mit extremer Empörung“<br />

wurde z.B. der Bombenanschlag auf drei Vorortzüge<br />

in Madrid am 11. März 2004 verurteilt. 94<br />

Mit offenen Armen wurde auch Libyen wegen seiner<br />

Rückkehr in die anti-terroristische Gemeinschaft willkommen<br />

geheißen. Fast zur gleichen Zeit – im März 2004<br />

90 RH,inBBC,3.3.04.<br />

91 VNA, in BBC, 3.3.04.<br />

92 Ebenda.<br />

93 Ebenda.<br />

94 VNA, in BBC, 12.3.04.<br />

– reiste eine vietnamesische Wirtschaftsdelegation dorthin.<br />

95<br />

Andererseits scheint die „Empörung“ aber auch<br />

durch opportunistische Erwägungen gedämpft zu werden:<br />

Weitaus weniger energisch als im Fall Madrid fiel nämlich<br />

z.B. die Verdammung des Mordanschlags auf Scheich Achmad<br />

Yasin durch einen israelischen Raketenhubschrauber<br />

vom 23. März 2004 aus, 96 galt es hier doch, auf die guten<br />

Beziehungen Hanois zu Israel Rücksicht zu nehmen.<br />

Was schließlich die Vorgänge im Irak anbelangt, so<br />

kämpfen – ebenso wie im israelisch-palästinensischen Fall<br />

– erneut zwei Seelen in der Brust der Hanoier Außenpolitiker:<br />

Auf der einen Seite gehört der Irak mit zu den<br />

ältesten nahöstlichen Wirtschaftspartnern <strong>Vietnam</strong>s, auf<br />

der anderen Seite ist zu vermeiden, den neuen Haupthandelspartner<br />

USA nicht durch allzu scharfe Proteste vor<br />

den Kopf zu stoßen; gleichzeitig ist aber auch der Tatsache<br />

Rechnung zu tragen, dass auch von irakischer Seite<br />

zahlreiche terroristische Aktionen ausgehen. Entsprechend<br />

mäandrisch fällt die Stellungnahme <strong>Vietnam</strong>s zu<br />

den Vorgängen im Irak aus.<br />

2<br />

KAMBODSCHA<br />

2.1<br />

Innenpolitik<br />

2.1.1<br />

Der Stillstand bei der Regierungsbildung dauert<br />

an<br />

Seit den Wahlen vom 27. Juli 2003, also seit nunmehr<br />

fast neun Monaten, scheint sich in <strong>Kambodscha</strong> auf<br />

Regierungs- und Parlamentsebene kaum noch etwas zu<br />

bewegen. Eine Regierungsbildung scheitert daran, dass<br />

die bei den Wahlen siegreiche KVP zwar 73 der insgesamt<br />

123 NV-Sitze hat erringen können, dass ihr aber genau<br />

neun Sitze zu jener Zweidrittel-Mehrheit fehlen, die für<br />

die Aufstellung einer neuen Regierung erforderlich wären.<br />

Die beiden anderen in Frage kommenden Parteien, nämlich<br />

die FUNCINPEC (26 Sitze) und die SRP (24) aber<br />

haben sich gegen eine Zusammenarbeit mit der KVP ausgesprochen,<br />

solange deren Führungsmitglied, Hun Sen,<br />

das Ministerpräsidentenamt anstrebt; zu diesem Zweck<br />

haben sie sich sogar zu einer „Allianz der Demokraten“<br />

zusammengeschlossen.<br />

Nach dem gegenwärtigen Stand sind – zumindest<br />

theoretisch – vier Optionen denkbar, nämlich eine Drei-<br />

Parteien-Regierung, eine Zwei-Parteien-Regierung (mit<br />

KVP und FUNCINPEC), eine „Zweieinhalb“-Regierung<br />

(mit KVP und einer FUNCINPEC, die aus ihrem Kabinettspostenanteil<br />

das eine oder andere Ressort an die SRP<br />

weiterverteilt) oder aber Neuwahlen.<br />

Die letztere Option wird mittlerweile von König Sihanouk<br />

favorisiert, 97 hat aber aus zwei Gründen keine Aussichten,<br />

weil sie erstens von der KVP, die sich ja als überlegene<br />

Siegerin vom 27. Juli sieht, abgelehnt wird und weil<br />

darüber hinaus die Geldmittel für die Abhaltung einer er-<br />

95 RH, in BBC, 15. und 24.3.04.<br />

96 RH, in BBC, 23.3.04.<br />

97 Dazu Kingdom of Cambodia, Website, in BBC, 12.1.04.


SÜDOSTASIEN aktuell - 253 - Mai 2004<br />

neuten Wahl schlicht fehlen. Angesichts solcher finanzieller<br />

Engpässe hatte sich der König ja bereits gezwungen<br />

gesehen, die Funktionsdauer des Senats ohne Bestätigung<br />

durch den Wähler um ein weiteres Jahr zu verlängern,<br />

weil, wie es ausdrücklich hieß, für die Senatswahlen kein<br />

Geld mehr aufzutreiben sei. 98<br />

Aber auch die anderen drei Optionen haben im Augenblick<br />

wenig Verwirklichungschancen, nachdem zwei Konsultationen<br />

mit Hun Sen gescheitert sind, nämlich am 5.<br />

November 2003 (Vereinbarung einer Dreierkoalition, die<br />

aber schon kurze Zeit später wieder abgelehnt wurde) 99<br />

und ein neuerliches Treffen am 15. März 2004, an dem<br />

nur Hun Sen und Norodom Ranariddh beteiligt und bei<br />

dem Modalitäten einer „Zweieinhalb“-Regierung besprochen<br />

worden waren.<br />

Da die „Allianz der Demokraten“ einzig und allein zu<br />

dem Zweck gegründet worden ist, eine weitere Amtszeit<br />

des Ministerpräsidenten Hun Sen zu verhindern, sind Einigungschancen<br />

– trotz solcher Kontaktaufnahmen – erneut<br />

in weite Ferne gerückt.<br />

Je mehr Zeit allerdings vergeht, umso enger wird es für<br />

Phnom Penh: Zum einen nämlich können keine neuen Gesetze<br />

verabschiedet werden, zum anderen aber sieht sich<br />

das Königreich aufgefordert, seine Mitgliedschaft bei der<br />

WTO zu ratifizieren. Angesichts des der WTO wohlbekannten<br />

Stillstands in <strong>Kambodscha</strong> gab die Organisation<br />

am 11. Februar 2004 bekannt, dass sie den Schlusstermin<br />

für die Ratifizierungserklärung vom 31. März auf den<br />

30. September 2004 verschieben wolle. Die Ratifizierung<br />

ist eine fundamental entscheidende Voraussetzung für die<br />

Mitgliedschaft <strong>Kambodscha</strong>s in der Welthandelsorganisation.<br />

Der Beitrittsantrag, den <strong>Kambodscha</strong> gestellt hatte,<br />

war im September 2003 von der WTO in Cancun angenommen<br />

worden, und zwar unter der Bedingung, dass<br />

der Beitritt bis spätestens 31. März 2004 ratifiziert werde.<br />

Nach WTO-Regeln wird die WTO-Mitgliedschaft 30<br />

Tage nach der Ratifizierung gültig. 100<br />

Alles bleibt also weiter in Wartestellung – und damit<br />

höchst ungewiss.<br />

Immerhin haben sich KVP und FUNCINPEC Anfang<br />

Februar darauf geeinigt, sich über ihre Medien nicht mehr<br />

gegenseitig zu verleumden. Allerdings besteht hier beträchtliche<br />

Ungleichheit, weil die FUNCINPEC (und die<br />

SRP) gerade einmal vier Radiostationen kontrollieren, die<br />

KVP aber den gesamten Rest. 101 Ob sich beide Seiten<br />

überdies an die Abmachung vom 11. Februar halten, mag<br />

ebenfalls zweifelhaft sein, zumal die zwischenzeitlich bekannt<br />

gewordenen politischen Morde 102 eine neue Stimmungslage<br />

geschaffen haben.<br />

2.1.2<br />

Elektronische Medien – ein Regierungsmonopol?<br />

2.1.2.1<br />

Sieben Fernseh- und 19 Rundfunkstationen<br />

Die Fernseh- und Rundfunklandschaft <strong>Kambodscha</strong>s<br />

scheint auf den ersten Blick breit angelegt und ist doch<br />

98 TV Phnom Penh, in BBC, 12.11.04.<br />

99 Dazu SOAa, 2/2004, S.147.<br />

100 XNA, 12.2.04.<br />

101 XNA, 11.2.04; Näheres dazu unten unter 2.1.2.1.<br />

102 Dazu unten unter 2.1.3.<br />

wiederum überaus schmal, da sie – technisch gesehen –<br />

mit ihren Ausstrahlungen nicht besonders weit reicht und<br />

da sie – aus politischer Perspektive – überaus einseitig,<br />

nämlich allzu regierungsfromm, ist.<br />

Nach Mitteilungen des Informationsministeriums gab<br />

es Ende 2003 sieben Fernseh- und 19 Radiostationen. Dies<br />

ist für ein Land mit nicht einmal 13 Millionen Einwohnern<br />

prima facie ein üppig ausgestatteter Apparat. 103<br />

2.1.2.1.1<br />

Die Fernsehsender<br />

Die meisten Sender besitzen jedoch, wie bereits erwähnt,<br />

nur eine geringe Reichweite, gelangen also häufig nicht<br />

weit über den Stadtrand von Phnom Penh hinaus, wo allerdings<br />

die einflussreichsten Bevölkerungsschichten <strong>Kambodscha</strong>s<br />

leben und wo auch die meisten Empfangsgeräte<br />

vorhanden sind. Noch 1993 hatten überdies lediglich 22%<br />

der Haushalte (meist städtischer Provenienz) ein Fernsehgerät<br />

und 31% ein Radiogerät besessen; bereits Mitte 2003<br />

allerdings waren 82% der urbanen und 46% der ländlichen<br />

Haushalte mit einem Fernsehgerät sowie 80% der urbanen<br />

und 46% der ländlichen Haushalte mit einem Radio<br />

ausgerüstet. In diesen zehn Jahren hatten die Reichweiten<br />

zugenommen und war überdies der Radio-, vor allem aber<br />

der Fernsehkonsum sprunghaft angestiegen.<br />

Damit kommt es zu einem zweiten Engpass, nämlich<br />

der Dominanz von regierungsfreundlicher Berichterstattung.<br />

Weil nur 6% der Bevölkerung nach Ermittlungen<br />

des Informationsministeriums Zeitung lesen, hat sich<br />

das Fernsehen, gefolgt vom Radio, im Handumdrehen zu<br />

der in <strong>Kambodscha</strong> mit Abstand wichtigsten medialen<br />

Informationsquelle entwickelt. 104 Während <strong>Kambodscha</strong>s<br />

Printmedien, allen Reibungen und Einflussnahmen zum<br />

Trotz, verhältnismäßig unabhängig arbeiten können (und<br />

hierbei auch eine Rückdeckung durch Verfassung und<br />

Pressegesetz erhalten), unterstehen Fernsehen und Radio<br />

der fast ausschließlichen Kontrolle des Ministeriums für<br />

Information. Bezeichnenderweise gibt es für diese neuen –<br />

elektronischen – Medien auch keine eigene Gesetzgebung,<br />

wie sie für die Druckmedien vorhanden ist.<br />

Mit Hilfe des Informationsministeriums wiederum ist<br />

die Regierung in der Lage, politische Konkurrenten kurz<br />

zu halten. Dazu gibt es drei Hauptmittel: (1) Erwerb<br />

von Eigentum an privaten Sendestationen bei gleichzeitig<br />

strenger Lizensierung konkurrierender Sender, (2) strenge<br />

Überwachung des Personals bei staatlichen Anstalten und<br />

(3) Ausschaltung von bereits bestehenden Konkurrenzunternehmen<br />

durch Verfügungen des Informationsministeriums,<br />

das sich zu diesem Zweck einleuchtend klingender<br />

Argumente zu bedienen pflegt.<br />

Was zunächst die erste Option anbelangt, wo befinden<br />

sich zumindest sechs der sieben TV-Anstalten des<br />

Landes im Eigentum von KVP-Mitgliedern oder KVP-<br />

Anhängern. Zwei Fernsehstationen stehen sogar ganz im<br />

Eigentum der KVP, ja sogar einzelner Mitglieder. Das<br />

Bayon TV bspw. gehört zu 100% dem stellvertretenden<br />

Vorsitzenden der KVP und Ministerpräsidenten Hun Sen.<br />

Apsara TV gehört ebenfalls einem ranghohen Mitglied des<br />

ZK der KVP. Zwei weitere Privatsender (CTN und CTV<br />

103 Phnom Penh Post, 7.-20.11.03.<br />

104 FAZ, 26.7.03.


SÜDOSTASIEN aktuell - 254 - Mai 2004<br />

9) stehen jeweils zur Hälfte im Eigentum Hun Sens und eines<br />

prominenten KVP-Anhängers. TV 3 gehört zur Hälfte<br />

der Stadt Phnom Penh, dessen Bürgermeister wiederum<br />

KVP-Mitglied ist, und TV 5 dem Verteidungsministerium.<br />

Der Kanal CTV 9 war einst ein Sender gewesen, der<br />

von der KVP nicht allein kontrolliert wurde, sondern auf<br />

den auch die FUNCINPEC Einfluss hatte. Im Zuge des<br />

Staatsstreichs Hun Sens vom Juli 1997 jedoch waren die<br />

Verbindungen der Anstalt zur FUNCINPEC zerschnitten<br />

worden.<br />

Das Staatsfernsehen TVK schließlich wird von Personal<br />

geleitet, das ebenfalls KVP-nah und dessen Direktor<br />

überdies KVP-Mitglied ist. Außerdem hat es ohnehin den<br />

Anweisungen des Informationsministeriums Folge zu leisten.<br />

Im März 2003 ist allerdings ein achter TV-Kanal eröffnet<br />

worden – CTN (Cambodian Television Network),<br />

der – als Gemeinschaftsunternehmen der schwedischen<br />

Modern Time Group und der kambodschanischen Royal<br />

Group of Companies – auf den ersten Blick selbständig<br />

ist und der seine Sendungen zunächst ebenfalls nur innerhalb<br />

eines Radius von 60 km rund um die Hauptstadt<br />

ausstrahlt, also ungefähr zwei Millionen Zuschauer<br />

erreicht. 105 Möglicherweise hat die KVP auch auf diesen<br />

Sender längst Einfluss zu nehmen versucht.<br />

Die zweite Option besteht darin, angestellten Journalisten<br />

staatlicher und parteigebundener Medienanstalten<br />

enge Fesseln anzulegen. Selbst Sendungen des staatlichen<br />

Fernsehens werden bisweilen nicht intern, sondern in aller<br />

Öffentlichkeit gemaßregelt, so z.B. am 4. April 2000 durch<br />

Hun Sen, der dem TVK mit Repressionen drohte, falls sich<br />

die dort vor der Kamera agierenden Personen nicht dezenter<br />

verhielten. Vor allem verstoße das Auftreten „junger<br />

Sängerinnen mit äußerst kurzen Röcken“ gegen die traditionellen<br />

kambodschanischen Sitten. 106<br />

Die dritte Option, nämlich der Lizenzentzug, ist im<br />

Zusammenhang mit den Rundfunkanstalten, wo er sein<br />

praktisches Bewährungsfeld hat, näher zu erläutern.<br />

2.1.2.1.2<br />

Die Rundfunkanstalten<br />

Bei den 19 Rundfunkanstalten sind die Rechte zwar weniger<br />

einseitig verteilt als beim Fernsehen, doch gehören die<br />

regierungsunabhängigen oder -kritischen Anstalten auch<br />

hier zu den raren Ausnahmen.<br />

Es gibt allenfalls drei Sender, die der FUNCINPEC<br />

nahestehen, und eine Station, die von der SRP kontrolliert<br />

wird.<br />

Die FUNCINPEC steuert den Sender Ta Prom, der<br />

über mehrere Frequenzen funkt und der daher unter seinen<br />

eher technischen Bezeichnungen „Radio FM 90 MHz“,<br />

„Radio 107 MHz“ und neuerdings „FM 90,5 MHz“ bekannt<br />

geworden ist. Die beiden erstgenannten Institutionen<br />

scheinen inzwischen so unterhöhlt zu sein, dass sie<br />

den Interessen der FUNCINPEC-Parteipolitik nicht länger<br />

dienen konnten. Aus diesem Grund hatte sich die Partei<br />

genötigt gesehen, den neuen „Radio FM 90,5 MHz“<br />

zu eröffnen und mit seiner Hilfe zu versuchten, während<br />

105 SOAa, 3/2003, S.248f.<br />

106 Vgl. dazu SOAa, 4/2000, S.308f.<br />

des Wahlkampfs 2003 etwas von jenem Gewicht zurückzugewinnen,<br />

das nach dem Kommunalwahlkampf von 2002<br />

verloren gegangen war.<br />

Viele Beobachter zeigten sich darüber erstaunt, dass<br />

die FUNCINPEC für den neuen Sender überhaupt eine<br />

Erlaubnis bekommen konnte, lehnte die Regierung (in diesem<br />

Fall das Informationsministerium) doch sonst jeden<br />

Antrag auf eine neue Sendestation, die nicht vollkommen<br />

der KVP-Kontrolle unterliegt, mit den fadenscheinigsten<br />

Begründungen ab. Im Falle des neuen FUNCINPEC-<br />

Senders aber habe sie sich merkwürdig großzügig gezeigt.<br />

Habe die KVP mit ihrer „Liberalität“ etwa ein Zeichen setzen<br />

und die FUNCINPEC erneut – wie schon im Vorfeld<br />

des Wahlkampfs – auf ihre Seite herüberziehen wollen? 107<br />

Jedenfalls ging der neue FUNCINPEC-Sender am 25.<br />

Januar 2003 unter der Bezeichnung „Radio Ta Prom“ auf<br />

Sendung und ließ die Hörer sogleich wissen, dass die Station<br />

Nachrichtenprogramme bringen wolle, die sich u.a. auf<br />

RFA- (Radio-Free-Asia-) und VOA- (Voice-of-America-)<br />

Quellen stützten. 108<br />

Hier war ein Thema angesprochen worden, das im<br />

Einklang mit dem Sendeauftrag der einzigen SRP-<br />

Radiostation, nämlich „Radio Beehive 105 FM“, stand.<br />

„Radio Beehive“ („Radio Bienenkorb“) war bereits<br />

1998 durch das Informationsministerium geschlossen, allerdings<br />

drei Monate später wieder lizensiert worden, ohne<br />

dass sich sein Herr und Meister, Sam Rainsy, durch versteckte<br />

Botschaften dieser Art allerdings den Mund hätte<br />

verbieten lassen. Beehive brachte nämlich nach wie vor<br />

ausführliche Berichte über Regierungskorruption und zu<br />

Arbeiterunruhen, schlug also Themen an, die von den regierungsoffiziellen<br />

Medien wohlweislich verschwiegen wurden.<br />

Mehr noch: Seit September 2002 hatte Beehive Sendeinhalte<br />

von RFA sowie von VOA übernommen und sei<br />

damit, wie es von Regierungsseite schon bald anklagend<br />

hieß, zum Sprachrohr der US-Propaganda geworden. Dieser<br />

Kontext dürfe allerdings nicht weiter verwundern, da<br />

sich Sam Rainsy ohnehin als Hätschelkind der Amerikaner<br />

erwiesen habe.<br />

Kaum hatte Radio Beehive mit der Ausstrahlung von<br />

RFA- und VOA-Nachrichten begonnen, flatterte ihm erneut<br />

eine Verbotsanordnung des Informationsministeriums<br />

ins Haus. Informationsminister Khieu Kannarith<br />

wies darauf hin, dass die Rundfunkstation mit ihren Sendungen<br />

gegen das Gesetz verstoße. Wenn sich der Sender<br />

weiterhin ordnungswidrig verhalte, würden ernsthafte<br />

Maßnahmen gegen ihn erwogen. 109<br />

Als es im Januar 2003 zu den anti-thailändischen Pogromen<br />

kam, hatte das Informationsministerium schnell<br />

den eigentlichen Schuldigen gefunden. Hauptinitiator für<br />

die Aufheizung der damaligen Stimmung sei Radio Beehive<br />

mit seinen Falschberichten gewesen. Vor allem Chefredakteur<br />

Mam Sonando wurde beschuldigt, einer bekannten<br />

thailändischen Sängerin ungeprüft jene Worte in<br />

den Mund gelegt zu haben, die die Empörung bei den<br />

kambodschanischen Demonstranten auf den Siedepunkt<br />

gebracht hatten, dass nämlich Angkor den Thais gehöre.<br />

110<br />

107 Phnom Penh Samleng Yoveakchon, in FBIS/EAS, 13.1.03.<br />

108 BBC, 21.1.03.<br />

109 AFP, in FBIS/EAS, 24.10.02.<br />

110 Dazu SOAa, 2/2003, S153ff.


SÜDOSTASIEN aktuell - 255 - Mai 2004<br />

Dass Antipathien gegen Thailand schon vorher in der<br />

Bevölkerung verbreitet und dass an dieser Atmosphäre<br />

auch die KVP-kontrollierten Medien nicht ganz unschuldig<br />

waren, blieb von Seiten des Informationsministeriums<br />

unerwähnt.<br />

Jedenfalls gab es jetzt einen triftigen Grund, um auf<br />

den Sender Druck auszuüben.<br />

Der Chefredakteur wurde inhaftiert und – auf Betreiben<br />

der Journalistengewerkschaft, vor allem aber vermutlichauchderUS-Botschaft–nachzweiWochenwieder<br />

auf freien Fuß gesetzt. 111<br />

Einzelaktionen, die jetzt noch folgten, wurden von<br />

US-amerikanischer Seite aufmerksam registriert und auch<br />

noch beim Besuch Colin Powells im Juni 2003 kritisch<br />

zur Sprache gebracht. 112 Radio Beehive ist zwar auf Sendung<br />

geblieben, steht aber nach wie vor unter scharfer<br />

Überwachung und muss sich hüten, Unvorsichtigkeiten zu<br />

begehen, die erneut den Vorwand zu weiterem Durchgreifen<br />

gegen die Anstalt liefern könnten. Die durch die USA<br />

erzwungene regierungsamtliche Toleranz ist also sehr begrenzt.<br />

Selbst im Rundfunkbereich kommt der Opposition also<br />

höchstens eine Statistenrolle zu. Journalisten, die es<br />

z.B. während des Wahlkampfs 2003 wagten, die Toleranzgrenze<br />

zu überschreiten und Fragezeichen hinter die offiziell<br />

hoch gepriesene KVP-Politik zu setzen, lebten gefährlich<br />

und hatten ihre Zivilcourage manchmal, wie der<br />

FUNCINPEC-Journalist Chou Chetharith (am 18. Oktober<br />

2003), sogar mit dem Leben zu bezahlen.<br />

Gerade im Vorfeld von Wahlkämpfen pflegt die Repression<br />

ja besonders zuzunehmen, und zwar nicht nur im Jahre<br />

2003, sondern bereits 1997/98. Besonders schmerzlich<br />

hatte dies damals die „Stimme der Khmer-Jugend“, eine<br />

regierungskritische Zeitung, erfahren müssen, indem sie<br />

nämlich innerhalb kurzer Zeit gleich drei Chefredakteure<br />

verlor: Der erste resignierte im Gefolge dauernder Todesdrohungen,<br />

der zweite wurde neben dem Wat Phnom,<br />

d.h. mitten im Herzen der Stadt, erschossen und der dritte<br />

wegen angeblicher Verleumdungen verurteilt. Aber auch<br />

der vierte Chefredakteur sah sich schon bald nach seiner<br />

Amtsübernahme zahlreichen Todesdrohungen ausgesetzt.<br />

113 Waren damals noch eher Pressevertreter ins Visier<br />

geraten, so sind es heute die Repräsentanten von<br />

Rundfunk und Fernsehen, die besonders Acht zu geben.<br />

Während der oppositionelle Rundfunk auf diese Weise<br />

immer wieder zur Räson gebracht wird, bleibt die KVP<br />

eifrig am Ball und versucht, auch in diesem Bereich ihre<br />

Macht Stück für Stück zu erweitern. Dies wurde in letzter<br />

Zeit durch zwei Ereignisse deutlich:<br />

– Im August 2003 bspw. kaufte Ministerpräsident Hun<br />

Sen die Station „88 FM“ für US$ 40.000 kurzerhand<br />

auf und ließ sie dann am 11. November 2003 wieder<br />

auf Sendung gehen. 88 FM hatte früher dem<br />

Chef der Buddhistischen Liberaldemokratischen Partei<br />

(BLDP), Ieng Mouly, gehört, der die Station 1994<br />

aufgebaut hatte, ohne allerdings Einfluss auf die Hörer<br />

zu gewinnen: Bereits bei den Wahlen von 1998 war<br />

111 Zum Protest gegen die Verhaftung s. Human Rights Watch<br />

Press Release, New York, 11.2.03, in BBC, 11.2.03.<br />

112 FT, 20.6.03.<br />

113 AWSJ, 18./19.4.97.<br />

die BLDP sang- und klanglos untergegangen, hatte<br />

sich dann in zwei Teile gespalten und schließlich das<br />

politische Rennen aufgegeben.<br />

88 FM steht mittlerweile unter Leitung von Kham<br />

Phuon, dem persönlichen Dolmetscher Hun Sens, dem<br />

auch bereits die Sender TV 3 und 103 FM gehören. 114<br />

– Im Januar 2003, also bereits im Vorfeld der Juli-<br />

Wahlen, war in der nordöstlichen Preah Vihear eine<br />

neue Radiostation auf Sendung gegangen, die vier dortige<br />

Provinzen, nämlich Ratanakiri, Mondulkiri, Kratie<br />

und Stung Treng mit Nachrichten versorgen sollte.<br />

Diese vier abgelegenen Provinzen waren bis dahin lediglich<br />

von <strong>Vietnam</strong> aus medial versorgt worden.<br />

Als Initiator der neuen Filiale gab sich nach anfänglichem<br />

Rätselraten „FM Radio Phnom Penh Stadt“<br />

zu erkennen, und es war dann auch kein Geringerer<br />

als KVP-Mitglied Chea Sophara, der Gouverneur von<br />

Phnom Penh, der am 31. Dezember 2002 den Start<br />

der neuen Sendestation bekannt gab. 115<br />

2.1.2.1.3<br />

Die Presselandschaft<br />

Jahrelang hatte die Hun-Sen-Regierung ihren Kampf auch<br />

mit den gegnerischen Druckmedien geführt und dabei nur<br />

selten Toleranz walten lassen. 116 Doch ist hier mittlerweile<br />

eher Ruhe an der Front eingetreten. Diese „liberaler“<br />

gewordene Haltung gegenüber den Printmedien hängt<br />

vor allem damit zusammen, dass nur etwa 35% der Bevölkerung<br />

(über 15 Jahre) Lese- und Schreibfähigkeit besitzen<br />

und dass von diesem Personenkreis wiederum nur<br />

ein Bruchteil zu den Zeitungslesern gehört. Umso strikter<br />

wendet sich die Aufmerksamkeit der KVP, die ja vor<br />

allem die breite Bevölkerung gewinnen will, den Audiound<br />

Video-Medien zu. Welche überragende Bedeutung<br />

den elektronischen Medien zukommt, wurde zuletzt wieder<br />

im Zusammenhang mit den dritten Nationalwahlen<br />

deutlich, in deren Vorfeld die KVP ihre ganze Medienmacht<br />

ausspielen konnte. Die Forderung der konkurrierenden<br />

Parteien nach gleicher medialer Behandlung blieb<br />

nahezu ungehört. 117 Zumindest im Fernsehen waren die<br />

beiden Konkurrenzparteien FUNCINPEC und SRP für<br />

die Öffentlichkeit kaum präsent.<br />

2.1.2.2<br />

Zensurmethoden<br />

Wie kritische Medien samt ihren Mitarbeitern in Schach<br />

gehalten werden, ist oben – anhand der drei Hauptmittel<br />

(unter 2.1.2.1.1) – bereits erläutert worden. Daneben gibt<br />

es noch zusätzliche Repressalien.<br />

Ein beliebtes Mittel des Informationsministeriums,<br />

kritische Journalisten zum Schweigen zu bringen, besteht<br />

z.B. auch darin, dass man ihnen vorwirft, sie hätten die<br />

Personen, über die sie berichteten, erpresst. Beamte und<br />

Politiker, die „Lösegeld“ zahlten, blieben in der Regel von<br />

Angriffen verschont; wer nicht zahle, gerate dagegen sofort<br />

unter Feuer. Auf diese Weise würden Beamte und Politiker<br />

zu regelrechten Geiseln der schreibenden Zunft. 118<br />

114 Phnom Penh Post, 7.-20.11.03.<br />

115 RK,inBBC,3.1.03.<br />

116 Vgl. z.B. SOAa, 2/1998, S.126f. und 4/2000, S.308.<br />

117 Agence Kampuchea Presse, in BBC, 13.1.03.<br />

118 RK, in FBIS/EAS, 16.2.01.


SÜDOSTASIEN aktuell - 256 - Mai 2004<br />

Korruption dürfe nicht allein den Beamten angelastet werden,<br />

sondern auch Journalisten, unter denen zahlreiche<br />

korrupte Elemente seien, die ihre Angriffe und Beleidigungen<br />

je nach Kassenlage dosierten.<br />

Häufig wird gegnerischen Journalisten auch vorgeworfen,<br />

sie verbreiteten Nachrichten, die ungenügend recherchiert<br />

seien und sie bedienten sich vor allem einer zügellosen<br />

Rhetorik. Auch ausländische Korrespondenten, die<br />

des <strong>Kambodscha</strong>nischen gar nicht mächtig sind, übernehmen<br />

solche Vorwürfe.<br />

Offensichtlich ist es jedoch empfehlenswert, kritisch<br />

mit solchen Vorwürfen umzugehen, da sie dem Informationsministerium<br />

nicht selten als Vorwand für geharnischtes<br />

Vorgehen gegen Oppositionelle dienen. Außerdem ist zu<br />

bedenken, dass den in die Enge getriebenen Kritikern oft<br />

gar nicht anderes übrig bleibt, als zugespitzt zu formulieren,<br />

um überhaupt Gehör zu finden.<br />

Regierungskritische Journalisten sind weitgehend sich<br />

selbst überlassen und finden nur bei wenigen Stellen etwas<br />

Rückhalt:<br />

– Da ist erstens eine gewisse Absicherung durch Menschenrechtsorganisationen,<br />

die dafür sorgen, dass allzu<br />

krasse Verstöße gegen die Medienfreiheit international<br />

publik werden und die damit die Gefahr heraufbeschwören,<br />

dass internationale Geldgeber ihre Hilfsmittel<br />

streichen oder zumindest vermindern könnten.<br />

– Einen zweiten Rückhalt bildet der Cambodian Journalists<br />

Club (CJC), der – als eine Art Journalistengewerkschaft<br />

– bei vermeintlichen Verstößen des Informationsministeriums<br />

Proteste zu erheben pflegt. 119<br />

Die Chance allerdings, gehört zu werden, ist verhältnismäßig<br />

gering, weshalb es durchaus vorkommen<br />

kann, dass das Informationsministerium an einem einzigen<br />

Tag, wie z.B. dem 7. Juni 2002, auf einen Schlag<br />

54 Publikationen verbietet, darunter 29 Zeitungen,<br />

sieben Nachrichtenbulletins und 18 Magazine. 120<br />

– Eine dritte Absicherung, nämlich durch den Foreign<br />

Correspondents Club (FCC), findet dagegen nicht<br />

oder zumindest nur am Rande statt, auch wenn die<br />

Bezeichnung dieser Institution auf den ersten Blick<br />

mehr zu versprechen scheint. Das Gebäude des FCC<br />

ist im Herzen von Phnom Penh angesiedelt – am<br />

Tonle-Sap-Fluss mit Blick auf das Nationalmuseum.<br />

Der seit 1992 bestehende Club ist eher eine Nachrichtenbörse,<br />

wo hauptsächlich Ausländer mit Mitgliedsausweis<br />

verkehren und wo der Alkohol reichlich<br />

fließt. 121 Durch den Club können Meldungen über Medienverstöße<br />

zwar lanciert und in die Welt hinausgetragen<br />

werden, doch findet man in ihm keinen Verbündeten,<br />

der sich für die Rechte der kambodschanischen<br />

Kollegen direkt – und qua officio – einsetzte.<br />

2.1.3<br />

Politischer Mord als Begleiterscheinung im kambodschanischen<br />

Alltag<br />

Am 22. Januar 2004 wurde der 40-jährige Gewerkschaftsführer<br />

Chea Vichea in Phnom Penh auf offener Straße aus<br />

119 RK, in FBIS/EAS, 7.8.02.<br />

120 Aufgezählt in TV Kampuchea, in BBC, 11.6.02.<br />

121 SCMP, 21.5.00.<br />

kürzester Distanz erschossen, als er vor einem Zeitungskiosk<br />

gerade die Tagespresse durchging. Der Mörder sprang<br />

sogleich nach der Tat auf ein von einem anderen Jugendlichen<br />

fahrbereit gehaltenes Motorrad und verschwand unerkannt<br />

im Straßengewühl. Chea Vichea war der Vorsitzende<br />

der <strong>Kambodscha</strong>nischen Freien Gewerkschaftsunion<br />

und hatte seit Jahren eng mit der Oppositionspartei<br />

Sam Rainsys zusammengearbeitet. 122<br />

Dieser Mord war der letzte in einer ganzen Kette von<br />

ähnlichen Vorfällen, die durchweg Gegner der KVP betroffen<br />

hatte, nämlich Anhänger der SRP oder der FUN-<br />

CINPEC:<br />

– Gerade einmal eine Woche vorher, am 16. Januar, waren<br />

zwei weitere SRP-Aktivisten, der 39-jährige Chhin<br />

La und der 46-jährige Keo Chan, in ihrer Wohnung in<br />

Banteay Mean Chey von vier Angreifern erschossen<br />

worden, als sie gerade Nachrichten im Radio hörten.<br />

– Erst drei Monate vorher waren kurz hintereinander<br />

drei FUNCINPEC-Mitglieder – bezeichnenderweise<br />

wieder einmal von Motorrad-Tätern – niedergeschossen<br />

worden, nämlich die 24-jährige Touch Sreynich,<br />

die mittlerweile gelähmt in einem Krankenhaus in<br />

Bangkok liegt, des Weiteren ein Phnom Penher Richter,<br />

der für die FUNCINPEC beratend tätig gewesen<br />

war, und der 40-jährige Meach Youen, der für die<br />

FUNCINPEC bei den Lokalwahlen von 2002 kandidiert<br />

hatte. 123<br />

– Wenige Tage vor diesen drei Anschlägen auf die<br />

FUNCINPEC-Sympathisanten war ein SRP-Aktivist<br />

ermordet worden, und zwar am 13. Oktober im Dorf<br />

Andong Dai (Provinz Kompong Cham), rund 80 km<br />

östlich von Phnom Penh. Diesmal hatte der Angreifer<br />

eine Granate in das Haus des Opfers geworfen und<br />

dann sogleich das Weite gesucht.<br />

Im Zusammenhang mit der Ermordung Chea Vicheas<br />

konnten Anfang März zwar zwei verdächtige Männer im<br />

Alter von 23 und 36 Jahren festgenommen werden, von denen<br />

angeblich einer sogar eine Mitbeteiligung – und zwar<br />

gegen eine Entlohnung von US$ 1.500 – zugegeben habe,<br />

doch wurden die beiden dann vom Gericht sogleich wieder<br />

freigelassen – mit der Begründung, man habe ihnen<br />

die Tat nicht nachweisen können. 124<br />

Der Mord an Chea Vichea hat die Textilindustrie<br />

<strong>Kambodscha</strong>s erneut in ein düsteres Licht gerückt: Die<br />

Industrie beschäftigt in ihren rund 200 meist ausländischen<br />

Betrieben etwa 210.000 Arbeiter und vor allem Arbeiterinnen,<br />

die unter „Sweatshop“-Bedingungen beschäftigt<br />

sind, weshalb die Gewerkschaften nicht müde werden,<br />

Protest zu erheben. Einige der Firmen wie Nike, Adidas<br />

oder Gap sehen sich seit einiger Zeit gezwungen, darüber<br />

nachzudenken, ob sie im Interesse ihres guten Rufes<br />

nicht überhaupt aus <strong>Kambodscha</strong> abziehen sollten. Gäben<br />

sie solchen Impulsen nach, verlöre die Industrie <strong>Kambodscha</strong>s<br />

ihr wichtigstes Zugpferd: Immerhin bestreitet die<br />

Textilindustrie zz. 36% des BIP. Dies wäre nicht gerade<br />

im Interesse <strong>Kambodscha</strong>s und ganz gewiss nicht seiner<br />

Regierung.<br />

122 AWSJ, 21.1.04.<br />

123 SCMP, 27.1.04.<br />

124 AWSJ, 22.3.04.


SÜDOSTASIEN aktuell - 257 - Mai 2004<br />

Allen oben erwähnten Opfern war gemeinsam, dass<br />

sie sich vorher engagiert gegen Hun Sen und seine Politik<br />

gewandt hatten. Kein Wunder, dass Sam Rainsy bei<br />

mehreren Gelegenheiten den Verdacht auf Hun Sen lenkte,<br />

zumal er vor wenigen Jahren selbst nur knapp einem<br />

Mordanschlag entgangen war, und zwar bei einer<br />

Anti-Korruptions-Veranstaltung außerhalb der Nationalversammlung<br />

im März 1997. Dabei waren 16 Personen<br />

ums Leben gekommen und mehr als 100 verletzt worden.<br />

125<br />

Auf die Hinweise der SRP, dass in den „letzten Jahren<br />

Dutzende von SRP-Aktivisten getötet“ worden seien, dass<br />

merkwürdigerweise aber kein einziger der Mörder habe<br />

überführt werden können, 126 erwiderte ein Sprecher der<br />

Polizei, die ja als allgemein Hun-Sen-loyal gilt, dass keine<br />

politischen Motive hätten ausfindig gemacht werden können;<br />

vermutlich sei es immer nur um private Zwistigkeiten<br />

und um persönliche Racheakte gegangen. 127<br />

Ausnahmsweise kam es Ende Oktober 2003 dann doch<br />

einmal zur Identifizierung und zur Aburteilung zweier Täter,<br />

die am 18. Februar 2003 einen der wichtigsten Berater<br />

des FUNCINPEC-Vorsitzenden Norodom Ranariddh, Om<br />

Radsady, ermordet hatten. Das Stadtgericht von Phnom<br />

Penh verurteilte einen 26-jährigen und einen 29-jährigen<br />

Täter wegen „Mord, Raub und illegalem Waffenbesitz“ zu<br />

20 Jahren Freiheitsstrafe.<br />

Wer die Hintermänner und Auftraggeber für den Mord<br />

waren, blieb allerdings auch diesmal ungeklärt.<br />

Gleichzeitig kündigte die Regierung ein verschärftes<br />

Vorgehen gegen illegalen Waffenbesitz an. 128<br />

Versprechungen dieser Art pflegen jedoch in aller Regel<br />

ungehört zu verhallen. Offensichtlich glaubt jedermann,<br />

ihren wahren Aussagegehalt zu kennen und auch zu wissen,<br />

dass alles in gewohnter Weise weitergeht. Die Abläufe<br />

sind bekannt: Man denke an den 18. Oktober 2003, als ein<br />

der FUNCINPEC nahe stehender 37-jähriger Journalist,<br />

Chou Chetharith, auf offener Straße vor dem Gebäude des<br />

der FUNCINPEC nahe stehenden Radiosenders Ta Prom<br />

erschossen wurde (und zwar vom Soziussitz eines vorbeifahrenden<br />

Mopeds aus). 129 Der Ermordete war bekannt<br />

für seine kritische Berichterstattung und erst einen Tag<br />

vor seiner Tötung von Hun Sen persönlich in der englischsprachigen<br />

Cambodian Times kritisiert worden.<br />

Die Ermordung geschah drei Tage vor einem zwischen<br />

den drei Parteien anberaumten Koalitionsgespräch, das<br />

von der FUNCINPEC sofort nach Bekanntwerden des<br />

Vorfalls abgesagt wurde.<br />

Auch diesmal blieben die Hintermänner unbekannt:<br />

Offensichtlich sollte die Tat als Warnung an „vorlaute“<br />

Journalisten dienen, die es wagen, die Regierung und ihre<br />

Politik unter Beschuss zu nehmen. 130<br />

Man denke auch an den schon drei Tage später erfolgten<br />

– oben bereits erwähnten – Zwischenfall, als vier<br />

– bisher ebenfalls unentdeckt gebliebene – Schützen der<br />

24-jährigen Sängerin Touch Sreynich zweimal ins Gesicht<br />

125 SOAa, 6/1997, S.499ff.<br />

126 SCMP, 27.1.04.<br />

127 AWSJ, 14.10.03.<br />

128 XNA, 27.10.03.<br />

129 XNA, 18.10.03.<br />

130 Committee to Protect Journalists, Press Release, New York,<br />

20.10.03, in BBC, 20.10.03.<br />

geschossen und gleichzeitig ihre 62-jährige Mutter getötet<br />

hatten. Sreynich stand, wie allgemein bekannt, der FUN-<br />

CINPEC nahe, hatte mehrere Male für sie Werbeveranstaltungen<br />

durchgeführt und war im Übrigen populär wegen<br />

ihres Einsatzes für klassische Khmer-Musik sowie für<br />

moderne Popsongs. 131<br />

Hun Sen, auf den FUNCINPEC-Sprecher ihren Verdacht<br />

lenkten, zeigte sich in der Öffentlichkeit von dem<br />

Vorgang betroffen und gab – wieder einmal – an Polizei<br />

und Militär den Befehl aus, in Zukunft für mehr Sicherheit<br />

im Land zu sorgen. 132<br />

Nicht unerwähnt in diesem Zusammenhang soll noch<br />

die Tatsache bleiben, dass im Vorfeld des Urnengangs vom<br />

27. Juli 2003 nicht weniger als 31 politische Morde verübt<br />

wurden, von denen durchweg KVP-Gegner betroffen waren.<br />

133<br />

2.1.4<br />

25 Jahre Rückblick auf das Zeitalter der Roten<br />

Khmer<br />

2.1.4.1<br />

9. November oder 7. Januar?<br />

Die Royalisten (FUNCINPEC-Anhänger), die jahrelang<br />

an der Seite der Khmer Rouge gegen das von <strong>Vietnam</strong> bis<br />

1989 beherrschte Phnom Penh und gegen die damalige<br />

Volksrepublik Kampuchea gekämpft hatten, favorisieren<br />

seit der Neugründung des Königreichs im Jahre 1993 den<br />

9. November als Nationalfeiertag – zur Erinnerung an den<br />

9. November 1953, als sich <strong>Kambodscha</strong> unter Führung<br />

Sihanouks von der französischen Kolonialherrschaft<br />

lossagte und sich als eigener Staat etablierte. 134<br />

Die Anhänger der KVP andererseits, die sich spätestens<br />

1978 auf die Seite <strong>Vietnam</strong>s geschlagen hatten und<br />

dann, im Gefolge der vietnamesischen Truppen, am 7. Januar<br />

1979 in Phnom Penh einmarschiert waren, sehen im<br />

7. Januar den Inbegriff des neu befreiten <strong>Kambodscha</strong> und<br />

haben dieses Datum deshalb vor allem im Jahr 2004 zum<br />

Anlass genommen, sich und ihre Politik anlässlich des 25.<br />

Jahrestags des Siegs über die Roten Khmer zu feiern.<br />

Aus der Jubiläumsrede, die vom KVP-Vorsitzenden<br />

und Senatspräsidenten Chea Sim gehalten wurde, sei wenigstens<br />

ein Absatz in Gänze zitiert: „Wir alle erinnern uns<br />

daran, dass das Regime des Demokratischen Kampuchea<br />

(DK) drei Jahre, acht Monate und 20 Tage angedauert<br />

und dass damals die schrecklichste Genozid-Politik betrieben<br />

wurde, die in einer massiven und unsagbaren Zerstörung<br />

endete. Pol Pots Angkar (’Organisation’) verwandelte<br />

ganz <strong>Kambodscha</strong> in ein einziges ’killing field’, voll von<br />

Blut und von den Tränen Unschuldiger. Die Nation wurde<br />

total zerstört, die Gesellschaft von einer schrecklichen<br />

Diktatur überzogen und die Bevölkerung von Unwahrheit<br />

sowie von Rechtlosigkeit erdrückt. Das Leben unter der<br />

Regierung Pol Pots war eine einzige Tortur, war Horror<br />

und Hoffnungslosigkeit. Es kann kein Zweifel daran bestehen,<br />

dass unser Heimatland jeden Boden unter den Füßen<br />

verloren hätte, wäre nicht in allerletzter Stunde doch noch<br />

Rettung gekommen.“<br />

131 XNA, 22.10.03.<br />

132 XNA, 23.10.03.<br />

133 Dazu SOAa, 5/2003, S.449.<br />

134 Dazu SOAa, 1/2004, S.41ff.


SÜDOSTASIEN aktuell - 258 - Mai 2004<br />

Anschließend kommt Chea Sim auf die Befreiungstat<br />

der vietnamesischen Verbündeten und auf die Eigenleistung<br />

des kambodschanischen Volkes zu sprechen, dessen<br />

Vorkämpfer damals noch unter dem Namen „<strong>Kambodscha</strong>nische<br />

Front zur nationalen Rettung und Solidarität“<br />

auftraten, einer Vereinigung, die heute den Namen<br />

„<strong>Kambodscha</strong>nische Volkspartei“ (KVP) führt. Damals sei<br />

ein neues Kapitel aufgeschlagen worden. 14 Jahre lang<br />

habe sich der neue Staat „Volksrepublik Kampuchea“ genannt<br />

und habe dann seinen Namen in „Staat <strong>Kambodscha</strong>“<br />

geändert, um schließlich – nach dem Pariser Friedensvertrag<br />

von 1991 – wieder zum „Königreich <strong>Kambodscha</strong>“<br />

zu werden, und zwar im Anschluss an die ersten<br />

allgemeinen Wahlen von 1993.<br />

Bei allen Unvollkommenheiten habe sich der neue<br />

Staat doch überaus erfolgreich entwickelt und zwischen<br />

1999 und 2001 ein jährliches BIP-Wachstum von 7% erreichen<br />

können, das in den nachfolgenden Jahren 2002 und<br />

2003 allerdings – im Gefolge von Dürren, Überschwemmungen<br />

und SARS – wieder auf 5% zurückgefallen sei.<br />

Für den Zeitraum von 2004 bis 2006 strebe man allerdings<br />

eine erneute Steigerung auf 6-7% an.<br />

Nach diesen eher grundlegenden historischen Bemerkungen<br />

kam Chea Sim sogleich auf den gegenwärtigen<br />

Stillstand bei der Bildung des neuen Parlaments zu sprechen<br />

und pries den „Geist des 5. November“ 135 als Ausgangspunkt<br />

für eine Dreierkoalition mit Hun Sen als Ministerpräsidenten.<br />

136<br />

Bereits vor den Feierlichkeiten hatte es eine Reihe von<br />

Abgeordneten gegeben, die gegen das Zeremoniell protestierten,<br />

weil mit ihm zugleich auch die Invasion der <strong>Vietnam</strong>esen<br />

und eine vieljährige Okkupation (bis 1989) gutgeheißen<br />

werde. 137 Chea Sim nannte die Leute, die hier<br />

aktiv wurden, schlicht „verrückt“. 138<br />

2.1.4.2<br />

Und das Tribunal?<br />

Obwohl seit dem Ende des Demokratischen Kampuchea<br />

nun schon 25 Jahre vergangen sind, ist noch keiner der damaligen<br />

Repräsentanten wegen des Völkermords (an rund<br />

1,7 Millionen Menschen) vor Gericht zitiert worden.<br />

Am 17. März 2003 war es allerdings – in einem zweiten<br />

Anlauf – zwischen der UNO und der kambodschanischen<br />

Regierung zu einem Abkommen über die Modalitäten<br />

des nun endlich abzuhaltenden Khmer-Rouge-<br />

Tribunals gekommen. Dieses Abkommen war dann fast<br />

zwei Monate später, nämlich am 13. Mai 2003, von der<br />

UN-Generalversammlung angenommen worden. Was nun<br />

noch fehlte, war der entscheidende dritte Schritt, nämlich<br />

die Ratifizierung des Abkommens durch die Nationalversammlung<br />

in Phnom Penh. Diese aber ist seit den Wahlen<br />

vom 27. Juli 2003 paralysiert und kann diesen Ratifizierungsschritt<br />

nicht vornehmen. 139<br />

WegendiesesHemmnisseshattebereitsAnfangFebruar<br />

ein Sonderbeschluss über die Verlängerung der Haft für<br />

die beiden Hauptangeklagten des künftigen Prozesses gefasst<br />

werden müssen. Hierbei handelt es sich um den „Ein-<br />

135 Dazu ebenda.<br />

136 Agence Kampuchea Presse, in BBC, 8.1.04.<br />

137 AWSJ, 7.1.04.<br />

138 TV Phnom Penh, in BBC, 7.1.04.<br />

139 Zu den Vorgängen im Einzelnen vgl. SOAa, 4/2003, S.351f.<br />

beinigen Schlächter“ Ta Mok und den ehemaligen „S-21“-<br />

(Tuol-Sleng-) Gefängnisdirektor Kaing Kek Iev, genannt<br />

Duch. Beide wurden unabhängig voneinander gefangen<br />

genommen und befinden sich seitdem in einem Militärgefängnis.<br />

Die Vorbereitungen für den Prozess sind so gut wie<br />

abgeschlossen. U.a. wurden inzwischen zehn Schädel besonders<br />

untersucht, an deren Frakturen und Verformungen<br />

man mit Sicherheit auf die Todesart schließen kann,<br />

sei es, dass sich an ihnen eindeutig Macheten-Schläge ins<br />

Gesicht und Schüsse in den Kopf oder sonstige Verstümmelungen<br />

genau identifizieren lassen. Man hat auch feststellen<br />

können, dass einigen Gefangenen die Fußsehnen<br />

durchschnitten worden waren, um sie an einer Flucht zu<br />

hindern. 140<br />

Bereits im Dezember 2003 hatte UNO-Generalsekretär<br />

Annan die kambodschanische Regierung aufgefordert,<br />

dass Tribunal nicht länger hinauszuzögern, sondern die<br />

Angelegenheit mit Priorität zu behandeln. 141 Eine Reihe<br />

von Staaten, darunter Japan 142 und Australien, boten<br />

in diesem Zusammenhang juristische und finanzielle<br />

Hilfe an. Auch die UNO stellte finanzielle Unterstützung<br />

in Aussicht, ohne allerdings ganz auf die US$-40-Mio.-<br />

Forderung der Phnom Penher Regierung einzugehen. 143<br />

2.1.4.3<br />

Khieu Samphan bezieht Stellung zur Vergangenheit<br />

Khieu Samphan, der zur Zeit des DK (1975-1978) offiziell<br />

Staatschef gewesen war, räumte im Dezember 2003<br />

erstmals ein, dass sein Regime sich des Völkermords schuldig<br />

gemacht habe. Nachdem er einen Film über das „S-<br />

21“-Gefängnis (Tuol Sleng) gesehen hatte, habe ihn tiefe<br />

Betroffenheit befallen. Er selbst habe von alldem nichts<br />

gewusst und auch niemals selbst Tötungen angeordnet.<br />

Gleichwohl wolle er sich vor einem Tribunal der UNO<br />

der Verantwortung stellen, sagte der 72-Jährige. 144<br />

Nach dieser Selbstoffenbarung sah sich auch der andere,<br />

ebenfalls in Pailin lebende einstige Spitzenführer,<br />

Nuon Chea („Bruder Nr. 2“), gezwungen, zu den Ereignissen<br />

von einst Stellung zu nehmen. „Ich gebe zu, dass<br />

damals Fehler gemacht worden sind. Aber ich habe nur<br />

gehandelt, um mein Land zu befreien. Ich wollte, dass<br />

es den Leuten gut geht“, sagte er in einem AP-Interview<br />

in Pailin. 145 Im Übrigen leugne er, dass unter dem damaligen<br />

Regime über eine Million Menschen ums Leben<br />

gekommen sei. Seine Interviewpartner beobachteten, dass<br />

der 77-Jährige, der Brillengläser der Marke „Gucci“, ein<br />

schwarzes Hemd, kurze Hosen und ein blau-weißes Tuch<br />

nationalen Machart (krama) trug, keinerlei Reue zeigte,<br />

von einem Schuldeingeständnis ganz zu schweigen. Es seien<br />

viele Menschen ums Leben gekommen, doch habe es<br />

für ihren Tod die verschiedensten Ursachen gegeben. Von<br />

Genozid könne ganz gewiss keine Rede sein.<br />

Nuon Chea war, ebenso wie Pol Pot, aus einer wohlhabenden<br />

sino-kambodschanischen Familie hervorgegangen<br />

140 AWSJ, 19.2.04.<br />

141 AWSJ, 9.12.03.<br />

142 Kyodo, in BBC, 10.2.03.<br />

143 AWSJ, 11.11.03.<br />

144 AWSJ, 30.12.03.<br />

145 AWSJ, 18.1.04.


SÜDOSTASIEN aktuell - 259 - Mai 2004<br />

und in Thailand ausgebildet worden. Schon während der<br />

fünfziger Jahre hatten sich beide über die künftige Revolution<br />

in <strong>Kambodscha</strong> Gedanken gemacht, und Nuon<br />

Chea war schließlich zum „Bruder Nr. 2“ – in der Rangfolge<br />

gleich hinter Pol Pot – aufgestiegen. Dass er von den<br />

zahllosen Morden nichts gewusst haben soll, ist schier unvorstellbar.<br />

Am 5. März 2004 kam auf dem kambodschanischen<br />

Buchmarkt ein 192-seitiger Bericht Khieu Samphans heraus,<br />

der den Titel „Die neuere Geschichte <strong>Kambodscha</strong>s<br />

und meine Einstellung dazu“ trägt und in dem die Ereignisse<br />

von 1960 bis ins Jahr 2004 aus der Sicht des<br />

Autors geschildert werden. Es handelt sich hier um<br />

den ersten Bericht, den eines der sieben Khmer-Rouge-<br />

Spitzenmitglieder verfasste. Der 73-jährige Samphan war<br />

nicht nur zwischen 1976 und 1979 Staatspräsident, sondern<br />

darüber hinaus, im Dezember 1979, auch zum Ministerpräsidenten<br />

aufgestiegen, in einer Zeit also, die vom<br />

vietnamesischen Blitzfeldzug gegen das DK bestimmt war<br />

und an dessen Ende von der einstigen DK-Staatsmacht<br />

nur noch eine Kampffront im Westen <strong>Kambodscha</strong>s übrig<br />

blieb, die allerdings noch jahrelang durch Guerilla-<br />

Aktionen sowie durch die Verlegung von Anti-Personen-<br />

Minen Angst und Schrecken zu verbreiten wusste.<br />

Dass ein Politiker in zwei Spitzenpositionen, wie sie<br />

Samphan sukzessive bekleidet hatte, von all den Ungeheuerlichkeiten,<br />

wie sie vor allem zwischen 1976 und 1978<br />

an der Tagesordnung gewesen waren, nichts gewusst haben<br />

soll, dürfte, ebenso wie im Falle Cheas, wohl kaum<br />

ein Gericht für glaubhaft halten.<br />

Eine makabre Nebenfolge all der vielen Berichte, die<br />

über die Ereignisse vor 25 Jahren veröffentlicht wurden,<br />

war eine Neubelebung des nationalen Filmwesens, das<br />

vor allem durch zahllose „Blutbad-Movies“ charakterisiert<br />

wird: Noch in den sechziger Jahren war der kambodschanische<br />

Film in ganz Asien vorbildhaft gewesen, dann aber<br />

von den Roten Khmer mit Stumpf und Stiel ausgerottet<br />

worden. Nach über zwei Jahrzehnten Stillstand hat sich<br />

fast alles verändert, nicht zuletzt das Sujet: Nicht mehr<br />

Liebesfilme oder Ritterspiele stehen auf dem Programm<br />

der neu eröffneten Kinos, sondern Horror- und „Blutbad“-<br />

Stories. 146 Psychologen rätseln, ob es sich hier um eine<br />

Sonderform der Vergangenheitsbewältigung handelt.<br />

2.2<br />

Wirtschaft<br />

2.2.1<br />

Einbruch beim Tourismus<br />

Die Zahl der Touristen ist i.J. 2003 um gleich 11% gegenüber<br />

dem Vorjahr zurückgegangen. Das „Visit-Cambodia-<br />

Year 2003“ ist mit anderen Worten zu einem Schlag ins<br />

Wasser geworden.<br />

Noch 2002 hatten 786.524 Touristen das Land besucht,<br />

2003 dagegen waren es lediglich 701.014.<br />

Gründe für den Rückgang waren die noch zu Beginn<br />

des Jahres akute SARS-Gefahr, des Weiteren der Irak-<br />

Krieg, die anti-thailändischen Unruhen vom Januar 2003,<br />

die Unsicherheiten im Zusammenhang mit den Wahlen<br />

vom 27. Juli und gestiegene Kosten der Rundreisetouren.<br />

147<br />

146 FT, 15.2.04.<br />

147 XNA, 14.1. und 6.2.04.<br />

Vor allem die Zahl der Besucher aus Nahost und Afrika<br />

fiel um gleich 85%, die der Europäer und Amerikaner um<br />

16%. Andererseits kamen aus den ASEAN-Ländern um<br />

40% mehr Besucher als noch im Vorjahr.<br />

Die Einnahmen aus dem Tourismus-Sektor beliefen<br />

sich auf rund US$ 300 Mio. und bescherten der kambodschanischen<br />

Volkswirtschaft damit den zweithöchsten<br />

Beitrag – hinter dem Sektor Nr. 1, der Textilindustrie,<br />

die 2003 mit US$ 1,5 Mrd. zu Buche schlug. 148 Noch im<br />

Vorjahr hatte der Tourismus-Sektor die Summe von US$<br />

560 Mio. verzeichnen können. 149<br />

2.3<br />

Außenpolitik<br />

2.3.1<br />

Fortbestehende Ambivalenz gegenüber Thailand<br />

Die Beziehungen <strong>Kambodscha</strong>s zu Thailand nehmen sich<br />

ein Jahr nach den anti-thailändischen Pogromen vom Januar<br />

2003 immer noch etwas zwiespältig aus, obwohl sich<br />

beide Seiten alle Mühe geben, möglichst nur das Gemeinsame<br />

zu betonen und die Schattenseiten soweit wie möglich<br />

im Verborgenen zu halten.<br />

Ganz auf dieser Linie ist es in den vergangenen Monaten<br />

zu zahlreichen wechselseitigen Zugeständnissen gekommen.<br />

Da sind zunächst Abkommen der vielfältigsten<br />

Art, die sich im gemeinsamen ASEAN- und im Mekong-<br />

Gemeinschaftsrahmen bewegen, darüber hinaus aber auch<br />

vierseitige, dreiseitige und zweiseitige Abmachungen:<br />

– Anfang August und Ende Oktober bspw. fanden gemeinsame<br />

Treffen der vier Außenminister von <strong>Kambodscha</strong>,<br />

<strong>Laos</strong>, Myanmar und Thailand in Bangkok<br />

statt, bei denen Rahmenrichtlinien für eine vierseitige<br />

wirtschaftliche Zusammenarbeit abgesprochen<br />

wurden. Im Rahmen dieser „Economic Cooperations<br />

Strategy“ (ECS) 150 will Thailand die Zahl der Importgüter,<br />

die zu ermäßigten Tarifen aus den drei Nachbarländern<br />

eingeführt werden, in nächster Zeit verfünffachen.<br />

Ferner sollen die Importquoten für Güter<br />

aus diesen Ländern erhöht, die wechselseitigen privaten<br />

Investitionen vermehrt und überdies die infrastrukturellen<br />

Verbindungen zwischen den vier Nachbarstaaten<br />

verdichtet werden. 151<br />

– Daneben gibt es neue trilaterale Abmachungen zwischen<br />

<strong>Kambodscha</strong>, <strong>Laos</strong> und Thailand im Tourismus-<br />

Bereich. Das hier von Thailand vorgeschlagene „Emerald<br />

Triangle Project“ soll im Laufe von zwölf Jahren<br />

umgesetzt und damit die Gesamtregion zu einem einheitlichen<br />

Tourismusgebiet ausgebaut werden. 152<br />

– Was schließlich die bilateralen thailändisch-kambodschanischen<br />

Abmachungen anbelangt, so sind beide<br />

Seiten am 11. November 2003 darin überein gekommen,<br />

drei weitere internationale Grenzübergangspunkte<br />

zwischen beiden Staaten zu eröffnen, darüber<br />

hinaus im Energiebereich stärker zusammenzuarbeiten<br />

und nicht zuletzt eine gemeinsame Wirtschafts-<br />

148 XNA, 6.2.04.<br />

149 XNA, 2.1.04.<br />

150 XNA, 27.10.03.<br />

151 XNA, 28.10.03.<br />

152 XNA, 3.8.03.


SÜDOSTASIEN aktuell - 260 - Mai 2004<br />

sonderzone in der kambodschanischen Provinz Koh<br />

Kong zu errichten. 153<br />

Die rund 280 km südwestlich von Phnom Penh gelegene<br />

Gebirgsprovinz Koh Kong eignet sich nicht<br />

nur für die Anlage eines hydroelektrischen Gemeinschaftsprojekts,<br />

sondern – wegen ihrer nachbarschaftlichen<br />

Lage zu Thailand – auch zu einer gemeinsamen<br />

Wirtschaftsentwicklungszone. 154 Das E-Werk soll auf<br />

400 MW ausgelegt, von einem chinesisch-thailändisch-<br />

US-amerikanischen Joint Venture gebaut und später<br />

mit der Aufgabe betraut werden, Elektrizität sowohl<br />

an die kambodschanische Électricité du Cambodge<br />

(EDC) als auch an die thailändische Electricity Generating<br />

Authority of Thailand (EGAT) zu liefern.<br />

Anfang November kamen beide Seiten auch darin<br />

überein, dass in der Gegend von Pailin ein Grenzübergang<br />

geöffnet werden sollte. Pailin, rund 370<br />

km nordwestlich von Phnom Penh, liegt direkt an<br />

der thailändischen Grenze und war lange Zeit eine<br />

Guerilla-Festung der Roten Khmer. Mittlerweile hat<br />

sich diese kriegerische Hochburg in ein Paradies für<br />

Kasino-Besucher und für Edelsteinhändler verwandelt.<br />

155 Pailin ist nicht nur ein Mittelpunkt des Handels,<br />

sondern auch des Edelstein-Schmuggels, weshalb<br />

es beiderseits der Grenzen auch immer wieder zu Verhaftungen<br />

kommt. In Zukunft soll auch hier – im Handel<br />

und bei der Strafverfolgung – mehr Kooperation<br />

stattfinden. 156<br />

Ein weiteres Renormalisierungszugeständnis war die<br />

Verurteilung einiger Personen, die beschuldigt wurden,<br />

in <strong>Kambodscha</strong> Straftaten begangen zu haben.<br />

157<br />

In diesem Zusammenhang wurde am 29. November<br />

vom thailändischen Appellationsgericht auch das Urteil<br />

eines Gerichts unterer Instanz bestätigt, demzufolge<br />

Sok Yuen, ein führendes Mitglied der kambodschanischen<br />

Opposition, an <strong>Kambodscha</strong> ausgeliefert<br />

werden solle. Sok Yuen hatte nach Überzeugung des<br />

Gerichts am 2. September 1998 versucht, Hun Sen zu<br />

ermorden. Zu diesem Zweck hatte er vier Raketen auf<br />

den Autokorso Hun Sens in Siem Reap abgefeuert, die<br />

allerdings ihr Ziel verfehlt und stattdessen ein Kind<br />

getötet hatten. 158<br />

Ein ermutigendes Signal für die Renormalisierung war<br />

schließlich auch die Wiedereröffnung der am 29. Januar<br />

2003 von kambodschanischen Demonstranten niedergebrannten<br />

thailändischen Botschaft am 9. Februar<br />

2004. 159 Das Botschaftsgebäude war mit Mitteln<br />

in Höhe von US$ 5,9 Mio. wieder aufgebaut worden,<br />

die der kambodschanische Staat schon bald nach dem<br />

Vorfall als Schadensersatz überwiesen hatte.<br />

Einige der betroffenen thailändischen Firmen sind allerdings<br />

bis auf den heutigen Tag noch nicht vollständig<br />

entschädigt worden.<br />

153 Außenministerium Phnom Penh, in BBC, 12.11.03.<br />

154 XNA, 21.11.03.<br />

155 XNA, 12.11.03.<br />

156 XNA, 8.12.03.<br />

157 Dazu SOAa, 6/2003, S.546f.<br />

158 XNA, 29.11.03.<br />

159 Zum anti-thailändischen Pogrom vgl. SOAa, 2/2003, S.153-156<br />

und 4/2003, S.359.<br />

Diesen positiven Entwicklungen stehen jedoch nach wie<br />

vor auch dunkle Punkten gegenüber.<br />

Da sind einmal die fortdauernden „Clean-Up“-Operationen<br />

der thailändischen Behörden, in deren Umsetzung<br />

immer wieder auch illegale <strong>Kambodscha</strong>ner repatriiert<br />

werden. 160 Darüber hinaus wurden am 15. März 2004 236<br />

<strong>Kambodscha</strong>ner, die versucht hatten, illegal auf thailändisches<br />

Territorium zu gelangen, wieder zurückgeschickt,<br />

d.h. bei der Grenzstadt Aranya Prathet den kambodschanischen<br />

Behörden überstellt. 161<br />

Im Rahmen ihrer „Säuberungskampagne“ hat Thailand<br />

bis Mitte März rund 9.500 illegale Immigranten abgeschoben,<br />

darunter 4.200 <strong>Kambodscha</strong>ner, 3.740 Birmanen<br />

und rund 1.500 Laoten.<br />

Nicht zuletzt aber ist es Ende Dezember 2003 zu einem<br />

weiteren Zwischenfall gekommen, der nicht wenige<br />

kambodschanische Nationalisten erneut bis zur Weißglut<br />

gereizt hat: Anfang Januar 2004 nämlich hatte<br />

der thailändische Rechtsprofessor Prassit Ekabot nach<br />

Zeitungsmeldungen gefordert, dass der im thailändischkambodschanischen<br />

Grenzbereich gelegene und seit Jahrzehnten<br />

umstrittene Preah-Vihear-Tempelkomplex als eine<br />

Art Entschädigungsleistung für das von <strong>Kambodscha</strong>nern<br />

am 29. Januar 2003 in Phnom Penh begangene Unrecht<br />

definitiv in die Souveränität Thailands übergehen<br />

müsse. Diese Meldung fachte auf der Stelle neue Emotionen<br />

an und veranlasste das offizielle Thailand, beim<br />

kambodschanischen Informationsministerium mit der Bitte<br />

einzukommen, auf die Presse mäßigend einzuwirken.<br />

Es handele sich hier ausschließlich um eine private Meinung,<br />

hinter der weder die thailändische Regierung noch<br />

das thailändische Volk stehe. 162<br />

Beide Seiten haben es in der Tat nicht leicht miteinander.<br />

3<br />

LAOS<br />

3.1<br />

Innenpolitik<br />

3.1.1<br />

Die Armee, um die es so still geworden ist<br />

3.1.1.1<br />

55. Geburtstag und Überlegungen zum Selbstverständnis<br />

Am 20. Januar 2004 feierte die LVA (Laotische Volksarmee)<br />

ihren 55. Gründungstag.<br />

Theoretisch hätten viele andere Tage für diesen Anlass<br />

ausgewählt werden können. Für die politische Praxis<br />

einigte man sich auf den 20.1.1949, womit gleich zwei<br />

Selbstverständniselementen der LRVP Rechnung getragen<br />

wurde, nämlich einerseits der Gründungstat des früheren<br />

KP-Vorsitzenden Kaysone Phomvihan, andererseits<br />

aber der Mithilfe <strong>Vietnam</strong>s. Der offizielle Hergang, wie er<br />

im Vorfeld des 20. Januar jedes Jahr rezitiert zu werden<br />

pflegt, lautet demnach: „Die laotische revolutionäre Volks-<br />

160 Dazu SOAa, 6/2003, S.547.<br />

161 XNA, 15.3.04.<br />

162 AWSJ, 2.1.04.


SÜDOSTASIEN aktuell - 261 - Mai 2004<br />

armee, die ursprünglich unter der Bezeichnung Khong<br />

Latsavong (benannt nach einem laotischen Nationalhelden)<br />

bekannt geworden ist, wurde am 20. Januar 1949 im<br />

Distrikt Xieng Kho, Provinz Houaphan, der abgelegenen<br />

nördlichen Festung der Revolution, gegründet. Die Einheit<br />

bestand ursprünglich aus lediglich 25 Soldaten, zu<br />

denen auch der verstorbene Präsident und Nationalheld<br />

Kaysone Phomvihan gehörte.“ 163<br />

Diese Truppe, die sich aus „allen ethnischen Gruppen<br />

des laotischen Volkes“ zusammensetzte, habe später zahllose<br />

Schlachten siegreich bestanden, bis ihre Nachfolger<br />

i.J. 1975 das ganze Land befreien konnten. Die Armee sei<br />

die Hauptkraft „beim Abstreifen jener kolonialen Fesseln“<br />

gewesen, die dem laotischen Volk von Franzosen und Amerikanern<br />

angelegt wurden, und sie habe mit dieser Befreiungstat<br />

eine Schlüsselrolle bei der Errichtung der LDVR<br />

gespielt. 164<br />

Trotz unzureichender und veralteter Bewaffnung habe<br />

die Armee „wieder und wieder ausländische Aggressionen<br />

abwehren“ und damit einen entscheidenden Beitrag<br />

zu innerem Frieden und politischer Stabilität sowie<br />

zur „Aufrechterhaltung der Errungenschaften der Revolution“<br />

leisten können. Für diese Verdienste habe sie bisher<br />

dreimal den höchsten Orden der LDVR, die Issara-<br />

Freiheitsmedaille, erhalten, und zwar 1979, 1988 und<br />

1994. 59 Soldaten seien außerdem zu „Nationalen Helden“<br />

ernannt worden – ebenso übrigens wie 14 Batallione und<br />

49 Kompanien.<br />

Diese Tradition der Vorbildlichkeit werde aufrechterhalten:<br />

Auch im Vorfeld des 55. Gründungstags habe die<br />

Armee, wie schon früher, in verschiedenen Ministerien, vor<br />

allem im Verteidigungs-, im Bildungs-, im Transport-, im<br />

Arbeits- und im Informations- sowie im Kulturministerium<br />

Vorlesungen veranstaltet. 165<br />

Im Laufe der Jahre hat die Armee mehrere Male ihren<br />

Namen geändert: Ursprünglich hieß sie, wie erwähnt,<br />

Khong Latsavong, 1965 wurde sie in „Befreiungsarmee des<br />

laotischen Volkes“ umgetauft, und seit 1976 heißt sie „Laotische<br />

Volksarmee“ (LVA). 166<br />

3.1.1.2<br />

Truppenstärke und Kostenfaktoren<br />

Die Armeestärke ist seit Dezember 1975, also seit der<br />

Machtergreifung stark verändert worden: Damals bestand<br />

sie aus rund 60.000 Mann, darunter 35.000 Pathet-Lao-<br />

Soldaten, und aus Überläufern der Armee des damals gerade<br />

untergegangenen Königreichs. 1976 wurde sie nach<br />

nordvietnamesischen Prinzipien neu geordnet und umfasste<br />

nun nur noch 42.500 Mann, die in 65 Infanterie-<br />

Bataillone gegliedert und auf insgesamt vier Militärregionen<br />

verteilt wurden.<br />

1979 halfen diese Verbände den rund 50.000 vietnamesischen<br />

Soldaten bei der Niederschlagung militärischer<br />

Widerstandseinheiten des früheren Regimes.<br />

In den frühen achtziger Jahren wurden die LVA-<br />

Einheiten mit sowjetischer Hilfe neu ausgerüstet und erhielten<br />

jetzt auch eine Luftwaffe, die sich im Wesentlichen<br />

aus MIG-Jagdflugzeugen zusammensetzte. Allerdings en-<br />

163 VT, 17.-20.1.03.<br />

164 Ebenda.<br />

165 Ebenda.<br />

166 S.a. SOAa, 2/1996, S.146f. und 1/1997, S.56f.<br />

dete die Unterstützung von vietnamesischer und sowjetischer<br />

Seite bereits Ende der achtziger Jahre, nachdem<br />

es in <strong>Vietnam</strong> zu Reformen und in Osteuropa zur großen<br />

Krise der dortigen sozialistischen Länder gekommen war.<br />

Die vietnamesischen Truppen waren 1988 im Wesentlichen<br />

abgezogen. Was weiter Bestand hatte, war lediglich<br />

das beiderseitige Freundschaftsabkommen vom Juli 1977,<br />

in dem sich die SRV eine Rückkehr ihrer Verbände nach<br />

<strong>Laos</strong> vorbehalten hatte.<br />

Mitte der neunziger Jahre belief sich die Truppenstärke<br />

der LVA auf rund 33.000 Soldaten, die nach wie vor in<br />

vier Militärregionen aufgeteilt waren.<br />

Die Militärregion 1 hat ihr Hauptquartier in Luang<br />

Prabang, die Militärzone 2 in Muong Phonsavan (in der<br />

Provinz Xieng Khouang auf der Ebene der Tonkrüge),<br />

die Militärregion 3 in Xeno (Provinz Savannakhet) und<br />

die Militärregion 4 in Pakse (Provinz Champassak).<br />

Dieser Zustand ist bis heute im Wesentlichen erhalten<br />

geblieben. 167<br />

Die Aufwendungen für das Militär können – mangels<br />

selbst eines Minimums an Daten – nur geschätzt werden.<br />

Der CIA 168 geht von Gesamtausgaben in Höhe von 4,2%<br />

des BIP des Jahres 1996 aus und unterstellt für das Jahr<br />

1998 US$ 55 Mio. (Vergleich: Thailand US$ 1,8 Mrd., VR<br />

China US$ 45 Mrd., BR Deutschland US$ 38 Mrd., USA<br />

US$ 276 Mrd.). Pro Kopf würden demnach rund US$ 10<br />

ausgegeben.<br />

3.1.1.3<br />

Gliederung, Führungsstruktur und Ausrüstung<br />

Bei der LVA handelt es sich um eine Wehrpflichtarmee<br />

mit 18-monatigem Dienst. Sie besteht, wie erwähnt,<br />

aus 33.000 Mann, ist in vier Militärregionen aufgegliedert<br />

und umfasst fünf Infanterie-Divisionen, sieben<br />

unabhängige Infanterie-Regimenter, fünf Artillerie-<br />

Bataillone, drei Pionier-Regimenter, 65 unabhängige<br />

Infanterie-Kompanien und einige Artillerie-Einheiten.<br />

Die fünf Infanterie-Divisionen, also die Kernelemente,<br />

sind an den strategisch besonders wichtigen Standorten<br />

stationiert, nämlich die 1. Division in der Region Vientiane,<br />

die 2. Division entlang der thailändischen Grenze, die<br />

3. Division entlang der Grenze zur VR China sowie die 4.<br />

und die 5. Division in Südlaos.<br />

Neben den regulären Einheiten unter zentralem Kommando<br />

gibt es regionale Einheiten und Milizen in Dörfern<br />

sowie in Stadtdistrikten.<br />

An der Spitze der Armee, deren Führung insgesamt<br />

vom Politbüro aus gesteuert wird, stehen ein Generalstab<br />

und eine Allgemeine Politische Abteilung, die vor allem<br />

für den ideologischen Gleichschritt verantwortlich ist. 169<br />

Der Führungsnachwuchs wird in einer Militärakademie<br />

ausgebildet, die – über das ganze Land verteilt – eine<br />

Reihe von Außenstellen unterhält. 170<br />

Zu den Schwachstellen der LVA gehören nach wie<br />

vor drei Defizite, nämlich die unzureichende Koordination<br />

zwischen den Regionaleinheiten und dem Generalstab,<br />

ferner Mängel bei der Ausbildung sowie der Ausrüstung<br />

167 Weitere grundlegende Ausführungen zur LVA in SOAa, 6/1983,<br />

S.527-554.<br />

168 The World Fact Book 2002, www.cia.gov.<br />

169 Dazu VT, 21.-23.10.03.<br />

170 Ebenda.


SÜDOSTASIEN aktuell - 262 - Mai 2004<br />

und nicht zuletzt mangelnde ideologische Schulung. 171<br />

Eine weitere Schwäche, nämlich das Gegeneinander<br />

von Politoffizieren und Militärkommandanten in der jeweiligen<br />

Einheit, ist durch die Einführung des „Ein-Mann-<br />

Kommandosystems“ i.J. 1992 teilweise korrigiert worden.<br />

172<br />

Die Ausrüstung der Verbände ist, eigenem Eingeständnis<br />

zufolge, nach wie vor dürftig und besteht aus rund 30<br />

Kampfpanzern sowjetischer T-Typen, 25 leichten Tanks<br />

und rund fünf Dutzend gepanzerten Transportfahrzeugen.<br />

Zur LVA gehören seit 1975 auch Marine- und<br />

Luftwaffen-Einheiten. Die Marine spielt in einem Land<br />

wie <strong>Laos</strong>, das vom Meer abgeschlossen ist, naturgemäß<br />

nur eine untergeordnete Rolle und hat mit ihren 16 Booten<br />

vor allem Patrouillen auf dem Mekong – mit ständigem<br />

Blick auf Thailand – durchzuführen. 173<br />

Die Luftwaffe besteht aus etwa 3.500 Mann und verfügt<br />

über ein Jagdflug-Regiment mit rund zwei Dutzend<br />

MIG21-Flugzeugen, mit einem Dutzend Transportflugzeugen<br />

und mit mehreren Helikoptern.<br />

3.1.1.4<br />

Paramilitärische Einheiten und bewaffnete Volkspolizei<br />

Im paramilitärischen Bereich stehen auf dem Lande rund<br />

100.000 Milizionäre sowie Selbstverteidigungskräfte in<br />

den Industriebetrieben zur Verfügung.<br />

Da Gefahren heutzutage weniger von außen als vielmehr<br />

von innen kommen, nimmt die Zusammenarbeit des<br />

Militärs mit der Polizei laufend zu 174 – mit der Folge, dass<br />

z.B. die Sicherheitskräfte, die in besonders kritischen Situationen<br />

eingesetzt werden, eine Art fließendes Kontinuum<br />

zwischen Militär und Polizei bilden.<br />

Militärisch ausgerüstet und offensichtlich der Führung<br />

des Armee-Kommandos unterstellt, versuchen die<br />

so genannten Sicherheitseinheiten seit 1975, „Schulter an<br />

Schulter mit der LVA und der Bevölkerung“ für politische<br />

Stabilität im Lande zu sorgen. Seit den frühesten Anfängen<br />

der LDVR hatten Mitglieder der Sicherheitskräfte<br />

Führungsposten in Gemeindeverwaltungen, Gemeindemilizen<br />

und in lokalen Parteisekretariaten übernommen<br />

und auch in den Provinzverwaltungen stets Leitfunktionen<br />

bekleidet, vor allem wenn es darum ging, den Kampf<br />

gegen Schwerkriminalität aufzunehmen, z.B. im Korruptionsfall<br />

der Lao-Ölgesellschaft, aber auch bei der Untersuchung<br />

der Betrügereien in der Außenhandelsbank, in<br />

deren Verlauf US$ 12 Mio. versickert waren, und nicht zuletzt<br />

beim US$-2-Mio.-Raub am Wattay-Flughafen sowie<br />

bei der Entwendung von Buddhafiguren aus dem Nationalmuseum<br />

durch thailändische Diebe. Auch das Drogenlaboratorium<br />

im Distrikt Ton Pheong sei durch Sicherheitskräfte<br />

ausgehoben worden.<br />

48% der KP-Zellen innerhalb der Sicherheitskräfte<br />

sind bisher als vorbildlich ausgezeichnet worden. In der<br />

Gesellschaft genössen die laotischen Sicherheitskräfte, wie<br />

es heißt, allerhöchstes Ansehen und unterhielten mittlerweile<br />

auch eigene Bürogebäude, elf Ausbildungszentren,<br />

171 Ausführlich dazu, SOAa, 4/1994, S.322f.<br />

172 Dazu SOAa, 1/1992, S.74.<br />

173 Zur Bewachung der Grenzen zu Thailand und Myanmar vgl.<br />

SOAa, 4/1990, S.338-340.<br />

174 Vgl. u.a. SOAa, 2/1996, S.146f.<br />

Warenhäuser und eigene Wohnquartiere. Auch innerhalb<br />

der ASEAN hätten sich die Kräfte wegen ihres engagierten<br />

Kampfes gegen die Drogenkriminalität Ansehen erworben.<br />

175<br />

Überhaupt scheint sich die LVA heutzutage überwiegend<br />

als Wächterin innerer Stabilität, als Kämpferin<br />

gegen Dissidententum und als Grenzpatrouille entlang<br />

„zweifelhafter Gebiete“ (an der thailändischen Grenze) zu<br />

sehen.<br />

Sogar gegen den Drogenschmuggel wird die Armee eingesetzt,<br />

doch gibt es andererseits auch Gerüchte, denen<br />

zufolge die Armee mit zu den Hauptgewinnern des illegalen<br />

Drogenhandels gehört. 176<br />

Nicht zuletzt aber bleibt die Armee ein innenpolitisches<br />

Instrument, das benutzen zu können jede politische<br />

Fraktion in <strong>Laos</strong> bemüht sein muss, vor allem wenn es um<br />

den Kampf gegen Regimegegner geht.<br />

3.1.1.5<br />

Aufgabenbereiche<br />

Was die Aufgaben der LVA anbelangt, so sind sie militärischer,<br />

wirtschaftlicher und politischer Art.<br />

3.1.1.5.1<br />

Die militärische Rolle der LVA<br />

Es waren vor allem die Anforderungen im „geheimen<br />

Krieg“ (1992-1973), die zum eigentlichen Bewährungsfeld<br />

der LVA geworden sind. 1962 war in Genf zwischen 14<br />

Nationen (darunter auch Nordvietnam und die USA) die<br />

„Erklärung über die Neutralität von <strong>Laos</strong>“ unterzeichnet<br />

worden, doch weder <strong>Vietnam</strong> noch die USA hatten sich an<br />

diese Abmachungen gehalten; vielmehr waren rund 10.000<br />

nordvietnamesische Soldaten in <strong>Laos</strong> verblieben, weshalb<br />

auch die USA nicht davor zurückschreckten, ihren laotischen<br />

Verbündeten, nämlich das damalige Königreich,<br />

militärisch weiter aufzurüsten und seine Truppen im täglichen<br />

Kampf zu unterstützen. Die USA traten hierbei<br />

nicht offiziell auf, sondern bedienten sich der CIA, deren<br />

Hauptquartier im thailändischen Udon Thani stationiert<br />

war, von wo aus rund 30.000 bis 35.000 irreguläre Kämpfer,<br />

darunter hauptsächlich Hmong-Guerillas, sowie eine<br />

immer größer werdende Luftwaffe (darunter Einheiten der<br />

Air America) dirigiert wurden. Die Irregulären, die unter<br />

Leitung des zum General ernannten Hmong-Führers Vang<br />

Pao standen, kämpften Seite an Seite mit der königlichen<br />

Armee, vor allem im Abschnitt der 2. Militärregion, und<br />

retteten nebenbei zahlreiche bei Lufteinsätzen abgeschossene<br />

amerikanische Piloten.<br />

Was die Luftangriffe der Air America und anderer<br />

Krypto-Einheiten anbelangt, so setzten sie vor allem im<br />

Oktober 1964 ein, als Pathet-Lao- und nordvietnamesische<br />

Truppen die königlichen Verbände aus der Ebene der<br />

Tonkrüge verdrängt hatten und der vietnamesische Nachschub<br />

immer mehr über Teile dieser Ebene (den Westausläufern<br />

des Ho-Chi-Minh-Pfads also) zu verlaufen begann.<br />

Auch in Südlaos wurden die US-Lufteinsätze verstärkt,<br />

nachdem Pathet-Lao- und nordvietnamesische Truppen<br />

dorthin ebenfalls Teile des Ho-Chi-Minh-Pfads verlegt<br />

hatten.<br />

175 VT, 29.9.-2.10.00.<br />

176 World Desk Reference – <strong>Laos</strong>, in www.dk.com.


SÜDOSTASIEN aktuell - 263 - Mai 2004<br />

Trotz aller Gegenmaßnahmen der königlichen Armee<br />

sowie der Vang-Pao-Einheiten und trotz massiver Luftunterstützung<br />

durch die Air America bestanden die Pathet-<br />

Lao-Einheiten ihre Feuertaufe und waren nach sechs Jahren<br />

Krieg, d.h. bis 1970, bereits auf 48.000 Mann angewachsen.<br />

Ihre neu gewonnene Stärke zeigte sich vor allem<br />

bei den Kämpfen um das in Südlaos gelegene Bolovens-<br />

Plateau, die von Dezember 1971 bis April 1972 dauerten<br />

und an denen neben Pathet-Lao-Einheiten auch noch<br />

20 nordvietnamesische Bataillone teilnahmen. Bei diesen<br />

Kämpfen gelang es den Verbänden, die Hauptbasis<br />

Vang Paos und seiner irregulären Hmong-Einheiten auf<br />

dem Bolovens-Plateau zu erobern und anschließend sogar<br />

Thakhek (am Mekong) und Vientiane einzukreisen.<br />

Mit dem am 22.2.1973 abgeschlossenen Waffenstillstandsvertrag<br />

hatte der Pathet Lao einen großen Sieg errungen,<br />

insofern nämlich die USA nun ihren Luftkrieg einstellen<br />

mussten und die königlichen Truppen gleichzeitig<br />

von Gegenoffensiven abgehalten wurden. Diese Atempause<br />

gab den Pathet-Lao-Einheiten Gelegenheit, sich neu<br />

aufzustellen und sich mit Hilfe <strong>Vietnam</strong>s neu aufzurüsten.<br />

Schon kurze Zeit später wurde auch zwischen den laotischen<br />

Gegnern eine neue Koalitionsregierung (es war die<br />

dritte ihrer Art) vereinbart.<br />

An dieser Stelle begann die militärische Aufgabe in<br />

eine politische überzugehen.<br />

Im Vorfeld der 3. Koalitionsregierung war Prinz Souphanou<br />

Vong (in seiner Eigenschaft als Präsident der Neo<br />

Lao Hak Sat, d.h. der „Laotischen Patriotischen Front“)<br />

am 3. April 1974 in Vientiane angekommen und hatte<br />

am 5. April die Führung des „Nationalpolitischen Kabinetts<br />

der Koalitionsregierung“ übernommen sowie am 25.<br />

April 1974 die „18 Prinzipien“ verkündet, die das politische<br />

Programm für den Übergang – und letztlich auch<br />

für die Machtergreifung des Pathet Lao – bilden sollten.<br />

Vor allem die Pathet-Lao-Truppen, die kurz vorher in die<br />

zwei neutralisierten Städte Vientiane und Luang Prabang<br />

entsandt worden waren, sorgten dafür, dass diese 18 Prinzipien<br />

stets im Sinne der Revolutionäre interpretiert wurden.<br />

177<br />

Die entscheidende Auseinandersetzung ließ allerdings<br />

immer noch auf sich warten und erfolgte erst im Jahr<br />

1975. Damals gab Kaysone Phomvihan (unter seinem Geheimnamen<br />

Vieng Xay) am 15. Mai 1975 den Befehl aus,<br />

„drei strategische Schläge“ durchzuführen und dadurch<br />

<strong>Laos</strong> endgültig zu „befreien“. Danach sollten (1) die alte<br />

Verwaltung abgeschafft und durch neue Institutionen ersetzt,<br />

sollten (2) die königlichen Truppen entwaffnet und<br />

neue „Volksstreitkräfte“ aufgestellt und sollte (3) die nationale<br />

Koalitionsregierung durch einen neuen „Staatsmechanismus“,<br />

nämlich eine „Volksregierung“ ausgetauscht<br />

werden, durch ein Gebilde also, wie es nach dem Sieg in<br />

Form der heutigen LDVR Wirklichkeit wurde. 178<br />

Bereits am 31. Mai 1975 waren die zum Frontenwechsel<br />

bereiten Soldaten der königlichen Armee aus 45 verschiedenen<br />

Kasernen erfasst und in Pathet-Lao-Einheiten<br />

umgruppiert worden. Nach ähnlichem Schema schwenkten<br />

am 28. August 1975 die Verwaltungen von 15 Provinzen,<br />

vier großen Städten (Vientiane, Luang Prabang, Savan-<br />

177 VT, 24.-27.10.03.<br />

178 VT, 11.-13.11.03.<br />

nakhet und Pakse) sowie von 67 Distrikten staatsstreichartig<br />

auf die Pathet-Lao-Seite über. Das Militär- und Polizeisystem<br />

wurde daraufhin abgeschafft und sämtliche Einrichtungen<br />

sowie Fahrzeuge „der Kontrolle patriotischer<br />

Truppen“ unterstellt. 179 Höhere Beamte und Minister des<br />

alten Regimes hatten sich in „Seminaren“ in den „befreiten<br />

Zonen“ einzufinden, um sich dort einer Umschulung<br />

zu unterziehen. 180 Bereits Ende Juli 1975 waren außerdem<br />

sämtliche bis dahin noch unter königlichem Oberbefehl<br />

verbliebenen militärischen Einheiten zur Kapitulation<br />

gezwungen worden.<br />

Am 23. August 1975 fand in Vientiane – stets unter<br />

Mitwirkung der LVA – eine große „Siegesparade des Volkes“<br />

statt, die heute noch als ein „Meilenstein auf dem<br />

Weg zum endgültigen Sieg“ verstanden wird. Wenige Tage<br />

später, am 4. September 1975, wurden 31 Repräsentanten<br />

des alten Regimes von einem Volksgerichtshof verurteilt.<br />

Am 18. September 1975 begann eine Propagandakampagne,<br />

deren Aufgabe es sein sollte, die Bevölkerung des<br />

Königreichs von der Notwendigkeit des Siegs der Pathet-<br />

Lao-Streitkräfte zu überzeugen, und im Dezember 1975<br />

erfolgte dann die endgültige Machtübernahme, indem die<br />

bis dahin 600 Jahre alte Monarchie abgeschafft und durch<br />

einen neuen Staat, die LDVR, ersetzt wurde.<br />

Auch nach Gründung der LDVR hatte die LVA noch<br />

zahlreiche Aufgaben zu erledigen: Da waren erstens i.J.<br />

1984 die militärischen Auseinandersetzungen mit Thailand<br />

um drei am Mekong gelegene Grenzdörfer 181 und<br />

um drei Grenzhügel im Jahre 1988. 182 Zweitens gab es<br />

zahlreiche Auseinandersetzungen mit „reaktionären Truppen“,<br />

d.h. vor allem königstreu gebliebene Einheiten der<br />

alten Armee. 1977 kam es in diesem Zusammenhang bspw.<br />

zu Kämpfen um die Mekong-Insel Sing Sou (nordöstlich<br />

von Vientiane), die nach mehrtägigen Kämpfen von LVA-<br />

Einheiten zurückerobert wurde. 183<br />

Kämpfe dieser Art flammten aber selbst im Jahr 2000<br />

noch auf, und zwar wieder einmal in der Provinz Xieng<br />

Khouang, also auf der Ebene der Tonkrüge. Die militärischen<br />

Auseinandersetzungen mit einer Reihe von Hmong-<br />

Einheiten entwickelten sich dabei mit solcher Intensität,<br />

dass vietnamesische Einheiten zu Hilfe kommen mussten<br />

und damit eine Tradition fortsetzten, die vor allem in den<br />

siebziger Jahren an der Tagesordnung gewesen war, nämlich<br />

die gemeinsam betriebene Ausschaltung von Widerstandsnestern,<br />

die durch kontinuierlichen Waffenzufluss<br />

von außen damals immer wieder neu belebt worden waren.<br />

184<br />

Wie diese Entwicklung zeigt, kommt der Feind heute<br />

immer seltener von außen, dafür aber umso häufiger<br />

von innen. Kein Wunder, dass Hand in Hand damit die<br />

Berichterstattung immer kleinlauter – und geheimniskrämerischer<br />

– zu werden beginnt.<br />

179 Ebenda.<br />

180 Zu Umerziehungslagern vgl. SOAa, 1/1992, S.76 und zur Freilassung<br />

ehemaliger royalistischer Offiziere und Beamten aus Umerziehungslagern<br />

der LVA vgl. SOAa, 1/1992, S.75f.<br />

181 Dazu SOAa, 5/1984, S.426.<br />

182 Dazu SOAa, 1/1988, S.57ff. sowie 2/1988, S.140f.<br />

183 VT, 2.-4.12.03.<br />

184 Central-Europe, in www.iyp.org/archives, Meldungen vom<br />

3.6.00.


SÜDOSTASIEN aktuell - 264 - Mai 2004<br />

3.1.1.5.3<br />

Die wirtschaftliche Rolle der LVA<br />

Aber auch wirtschaftlich nimmt die LVA eine nach wie<br />

vor bedeutsame Rolle ein: Vor dem landwirtschaftlichen<br />

Hintergrund, dem die meisten Soldaten entstammen, ist<br />

es kein Wunder, dass die Streitkräfte immer schon auf<br />

landwirtschaftliche Selbst- oder zumindest Teilselbstversorgung<br />

eingestellt waren und dass sie auch heute noch<br />

Felder bebauen und Viehzucht betreiben. 185 Aus dem<br />

landwirtschaftlichen Humus wuchsen nach und nach auch<br />

immer größere industrielle und infrastrukturelle Projekte<br />

hervor, für die sich die Armee schon deshalb zuständig<br />

fühlte, weil sie als einzige Kraft im Lande imstande ist,<br />

auch die nötigen Produktions- und Verbindungsmittel<br />

(Lkw etc.) zur Verfügung zu stellen.<br />

Mittlerweile hat sie sich als Grundstücksentwicklerin,<br />

als Hotelbetreiberin und als Initiatorin für ein Großkühlhaus<br />

in Szene gesetzt, auch wenn sie dabei stets unter dem<br />

Siegel der Geheimhaltung vorzugehen versuchte. 186<br />

Außerdem ist sie längst zur Pionierin bei den Vorbereitungsarbeiten<br />

für das größte Bauprojekt der laotischen<br />

Geschichte, nämlich für den Staudamm Nam Theun II,<br />

geworden. 187<br />

Darüber hinaus steht sie als das eigentliche unternehmerische<br />

Element hinter der Mountaineer’s Areas Develpoment<br />

Corporation (MADC), die als solche nicht nur mit<br />

Staudamm-Projekten im Gebirgsgelände, sondern auch<br />

mit Forstmaßnahmen zu tun hat, angefangen von der<br />

Erschließung touristischer Areale bis hin zum Abholzen<br />

und zum Abtransport eingeschlagener Stämme, für die<br />

zumeist militärische Transportkapazitäten zur Verfügung<br />

stehen. Neben der MADC soll es noch mehrere ähnliche<br />

militärisch betriebene Entwicklungsgesellschaften geben.<br />

Sie alle entstanden in einer Zeit, als sich – Mitte der achtziger<br />

Jahre – die vietnamesischen und die sowjetischen<br />

Helfer nacheinander zurückzogen und das Militär überlegen<br />

musste, wie es sich fortan möglichst Gewinn bringend<br />

auf eigene Füße stellen könnte. Im Zuge solcher Überlegungen<br />

wurde damals nicht nur die Anzahl der Soldaten<br />

reduziert, sondern gleichzeitig unternehmerisches Denken<br />

entfaltet, zumal in diesen Jahren Reformbeschlüsse ergingen,<br />

denen zufolge die bisherige Planwirtschaft durch<br />

marktwirtschaftliche Elemente abgelöst werden sollte. 188<br />

Rohstofferschließung, Import von Autos und vor allem<br />

das Gewinn bringende Einschlagen wertvoller Hölzer entwickelten<br />

sich von da an zu neuen Betätigungsfeldern der<br />

LVA, die in einigen dieser Bereiche schließlich sogar eine<br />

Art Monopolstellung erlangen konnte.<br />

Da es vielfach, trotz der zur Verfügung stehenden militärischen<br />

Geräte, immer noch an technischen Kenntnissen<br />

fehlte, ging die MADC im Laufe der Jahre zahlreiche<br />

Joint Ventures mit Firmen aus Taiwan, Hongkong, Japan,<br />

China, Russland, <strong>Vietnam</strong> und den USA ein.<br />

Nur in Ausnahmefällen – und meist auch nur dann,<br />

wenn es darum geht, multilaterale Geldgeber zu beruhigen<br />

– tritt das Militär an die Öffentlichkeit und versucht,<br />

seine Forstpolitik zu rechtfertigen und ins rechte<br />

Licht zu rücken: Die MADC fälle nicht nur Bäume, son-<br />

185 Dazu VT, 17.-20.1.03.<br />

186 Dazu SOAa, 1/1997, S.57.<br />

187 Einzelheiten dazu ebenda.<br />

188 Zur MADC vgl. auch bereits SOAa, 1/1992, S.75.<br />

dern sorge auch für Neuanpflanzungen. In Zukunft würden<br />

überhaupt nur noch neue Bäume einschlagen. Was<br />

durch Abholzungen in der Nam-Theun-II-Gegend verloren<br />

gehe, werde an anderer Stelle kompensiert. Vorwürfen<br />

des IMF, dass nur Teile der Erlöse aus der Holzwirtschaft<br />

in die Staatskasse flössen, pflegt die MADC mit Abwiegelungsversuchen<br />

zu begegnen. 189<br />

3.1.1.5.3<br />

Die politische Rolle der LVA<br />

Da die Armee das beständigste Element und – genau genommen<br />

– auch die Hebamme der 1975 entstandenen LD-<br />

VR ist, braucht es nicht zu verwundern, dass politische<br />

und militärische Spitzenpositionen ursprünglich fast ganz<br />

miteinander verquickt waren und dass sie es zum Teil auch<br />

heute noch sind.<br />

Beim VI. Parteitag vom März 1996 bspw. waren nicht<br />

weniger als sechs Militärvertreter ins neunköpfige Politbüro<br />

gewählt worden, und zwar in der Reihenfolge 2, 3,<br />

4, 6, 8 und 9.<br />

Beim VII. Parteitag vom März 2001 bekleideten acht<br />

der insgesamt elf Politbüro-Mitglieder militärische Ränge<br />

oder hatten sie zumindest jahrzehntelang eingenommen.<br />

Allenfalls die Mitglieder 4, 9 und 11 lassen sich als Zivilisten<br />

bezeichnen.<br />

Die Führung des Landes liegt mit anderen Worten immer<br />

noch fest in den Händen der alten Bürgerkriegsgeneralität.<br />

190<br />

Dass die Armee unter diesen Umständen zu den<br />

Hauptträgern des politischen Prozesses in <strong>Laos</strong> gehört,<br />

bedarf nach alldem keiner weiteren Begründung.<br />

In der Tat vermag das Militär auf die übrige Gesellschaft<br />

beträchtlichen Druck auszuüben. Dies geht nicht<br />

zuletzt daraus hervor, dass die vormilitärische Ausbildung<br />

in sämtlichen Schulen nach wie vor zwingend ist. Ein Student<br />

betont dies mit folgenden Worten: „Jede Sekundarschule<br />

unterrichtet Militärkunde. Wenn wir da nicht mitmachen<br />

und (einschlägige Prüfungen) bestehen, erhalten<br />

wir kein Abschlusszeugnis... Wir wissen, wie man mit dem<br />

Gewehr umgeht und wie sich Soldaten (im Gelände) zu<br />

bewegen haben.“ 191 Ein anderer stellt sogar die Forderung<br />

auf, dass „jeder Jugendliche, der 18 Jahre alt wird,<br />

eine Zeitlang militärisch ausgebildet werden sollte“. 192<br />

Obwohl die Bevölkerung bereit ist, der LVA den Lorbeer<br />

der „Befreiung vom Kolonialismus“ zu überlassen,<br />

scheint das Militär insgesamt nicht in besonders hohem<br />

Ansehen zu stehen. Ein Offizier beklagt sich darüber, dass<br />

„die meisten Jugendlichen nicht der Armee oder der Polizei<br />

beitreten wollen“. 193 Oft hängt diese Aversion damit<br />

zusammen, dass man als Mitglied der LVA in die abgelegensten<br />

Gegenden geschickt wird und dies womöglich<br />

über viele Jahre. Ein 35-jähriger Arzt weist darauf hin,<br />

dass er eine Militärschule besucht habe und anschließend<br />

dem Krankenhaus Nr. 103 zugewiesen worden sei – weit<br />

weg von den Städten am Mekong. Viele Jugendliche wollten<br />

aus diesem Grund nicht Soldaten werden, müssten<br />

189 Bericht der NRO „One World“ in www.oneworld.org/ips2/Dezember<br />

1998/05.<br />

190 Ausführlich dazu SOAa, 3/2001, S.305f.<br />

191 VT, 17.-20.1.03.<br />

192 Ebenda.<br />

193 Ebenda.


SÜDOSTASIEN aktuell - 265 - Mai 2004<br />

aber verstehen, dass um die Pflicht, dem Vaterland als<br />

Soldat zu dienen, eigentlich kein Weg herumführe. 194<br />

3.1.2<br />

Verwirrende Sicherheitslage im Jahr 2003 – ein<br />

Rückblick<br />

I.J. 2003 ist es zu insgesamt vier Anschlägen gekommen,<br />

die als solche bekannt geworden sind. Möglicherweise handelt<br />

es sich bei ihnen aber nur um die Spitze des Eisbergs,<br />

da die Regierung bekanntlich dazu neigt, unangenehme<br />

Ereignisse lieber totzuschweigen, als sie coram publico kritisch<br />

zu verarbeiten.<br />

Am 6. Februar 2003 kam es 150 km nördlich von Vientiane<br />

zum Überfall auf einen Bus, in dessen Gefolge 13<br />

Tote und 49 Verletzte zu beklagen waren. 195 Terrorismus<br />

oder Raubmord? Diese Frage ist bis heute unbeantwortet<br />

geblieben.<br />

Am gleichen Tag ereignete sich in der zentrallaotischen<br />

Provinz Savannakhet (rund 500 km südlich von Vientiane)<br />

eine Bombenexplosion auf einem Markt, bei der allerdings<br />

niemand zu Schaden kam. 196<br />

Angeblich hatte es bereits zwei Tage früher, nämlich<br />

am 4.2., direkt neben dem Patouxai-Siegesmonument,<br />

d.h. dem „Arc de Triomphe“ von Vientiane, zwei Explosionen<br />

gegeben. Dabei soll es sich allerdings, wie das Außenministerium<br />

beschwichtigend mitteilte, lediglich um ein<br />

Feuerwerk gehandelt haben. 197<br />

Am 5. August kam es auf dem Morgenmarkt in Vientiane<br />

um die Mittagszeit zur Explosion einer in einem<br />

Abfallbehälter versteckten Bombe, bei der insgesamt zehn<br />

Personen, die auf ihren Bus warteten, zum Teil schwer verletzt<br />

wurden. 198 Die Stadtverwaltung lenkte den Verdacht<br />

auf Gruppenstreitigkeiten und vermutete Racheaktionen<br />

hinter der Tat – eine etwas willkürliche Spekulation!<br />

Am 1. November wurde die Hauptstadt erneut durch<br />

eine Explosion heimgesucht, bei der es allerdings keine<br />

Verletzten gab. Als Auslöserin meldete sich die „Freie Demokratische<br />

Volksregierung von <strong>Laos</strong>“, eine Oppositionsgruppe;<br />

es werde noch weitere Anschläge dieser Art geben,<br />

wenn die Demokratie in <strong>Laos</strong> nicht bald verwirklicht<br />

werde, hieß es in einem Fax, das am gleichen Tag im Bangkoker<br />

Büro des „Radio Free Asia“ (Lao Service) eintraf. 199<br />

Bereits in den Vorjahren, nämlich 2000, 2001 und 2002,<br />

war es zu ähnlichen Anschlägen gekommen. 200<br />

Die laotische Regierung konnte sich diesmal damit<br />

trösten, dass sich die Intensität der Anschläge i.J. 2003 bei<br />

weitem nicht mit derjenigen von 2000 vergleichen lässt, als<br />

Märkte und Restaurants, ja sogar Flughäfen heimgesucht<br />

wurden und als wesentlich mehr Verwundete zu beklagen<br />

gewesen waren. Damals hatten die Vorgänge auch weitaus<br />

konkretere Hinweise auf eine politische Krise geliefert. 201<br />

In der FAZ 202 hatte es bspw. geheißen: „Im Abstand von<br />

mehreren Wochen explodierten mindestens sechs Bomben<br />

in Vientiane. Auf dem neuen Flughafen, einem moder-<br />

194 Ebenda.<br />

195 Dazu SOAa, 3/2003, S.252f.<br />

196 N, 6.2.03, in BBC, 7.2.03.<br />

197 Ebenda.<br />

198 VT, 5.-7.8.03.<br />

199 FBIS/EAS, 4.11.03.<br />

200 SOAa, 3/2003, S.252.<br />

201 Dazu bspw. NfA, 16.8.00, FAZ, 5.12.00.<br />

202 FAZ, 5.12.00.<br />

nen Prachtbau, der nicht recht zu seiner armen Umgebung<br />

passen will, und in anderen Städten wurden weitere<br />

Sprengsätze gefunden. ... Niemand konnte sich daran<br />

erinnern, wann die kommunistische Führung seit der<br />

Machtübernahme im Jahre 1975 zum letzten Mal so offen<br />

herausgefordert worden war. Kündigte sich da das Ende<br />

eines der letzten Großversuche im real existierenden<br />

Sozialismus an? ... Die Regierung selbst tat erst einmal,<br />

was alle kommunistischen Staatsführungen in solchen Fällen<br />

zu tun pflegen, und versuchte, die Ergebnisse geheim<br />

zu halten; als das nicht gelang, machte sie ausländische<br />

Exilgruppen verantwortlich. In <strong>Laos</strong> werden in solchen<br />

Fällen immer erst einmal die Royalisten beschuldigt, die<br />

vor allem im Nachbarland Thailand und in Frankreich<br />

sitzen. ... Ausländischer Verbindungen beschuldigt werden<br />

von der Regierung üblicherweise auch die Hmong, ein<br />

widerspenstiges Völkchen, das in den nördlichen Bergen<br />

an der Grenze zu <strong>Vietnam</strong> lebt ... und schon während<br />

des <strong>Vietnam</strong>-Kriegs mit den Amerikanern zusammengearbeitet<br />

hat. Heute kämpfen sie gegen den hemmungslosen<br />

Teakholz-Abbau, der vom Militär organisiert wird<br />

und ihren Lebensraum zerstört. ... Die Bombenattentate<br />

könnten aber durchaus auch Ausdruck einer allgemeinen<br />

Unzufriedenheit von Teilen der Bevölkerung mit der politischen<br />

und wirtschaftlichen Lage sein. ... Für das Regime<br />

könnte diese allgemeine Unzufriedenheit eine größerer<br />

Herausforderung sein, als alle Hmong und Royalisten<br />

zusammengenommen.“<br />

Spekulationen solcher Art, die damals auch in anderen<br />

Presseorganen auftauchten, erschienen zwar etwas willkürlich<br />

zusammengetragen, reichten aber aus, um die laotischen<br />

Behörden nervös zu machen und sie zu empörten<br />

Abwiegelungen zu veranlassen.<br />

Bereits im Juli 203 war damals bspw. auf der Titelseite<br />

der Vientiane Times ein Leitartikel erschienen, der den<br />

Titel trug: „<strong>Laos</strong> has no internal political disputs“ – wie<br />

könne da von Dissidententum oder gar von Revolution die<br />

Rede sein? Absurd sei es auch, von politischer Krise zu<br />

sprechen, habe <strong>Laos</strong> doch in den vergangenen Jahren so<br />

viele „positive Veränderungen“ erfahren, dass eher Optimismus<br />

angesagt sei. 204 In der Tat hätten die Explosionen<br />

bei der Bevölkerung keine Nervosität ausgelöst und seien<br />

überdies von westlichen Massenmedien „in bösartiger Absicht“<br />

übertrieben interpretiert worden.<br />

Im Jahr 2003 werden ähnliche Gegenargumente hervorgebracht;<br />

vor allem werden die Ursachen immer wieder<br />

als unpolitisch hingestellt.<br />

Gleichwohl erscheint es keineswegs übertrieben, wenn<br />

man aus Personalumstellungen an der Spitze der Regierung<br />

Rückschlüsse auf heimliche Sicherheitskalküle zieht:<br />

Bei der 4. Sitzung der gegenwärtigen Nationalversammlung,<br />

die vom 20. bis 21. Oktober 2003 dauerte, war<br />

z.B. Bouasone Bouphavanh zum stellvertretenden Ministerpräsidenten<br />

ernannt worden. Damit gab es von jetzt<br />

an vier Stellvertreter des Regierungschefs, die jeweils für<br />

bestimmte Aufgabenbereiche besonders zuständig sind,<br />

nämlich Asang Laoli (zuständig für die Fragen ethnischer<br />

Minderheiten, vor allem der Hmong), Thongloun Sisoulith<br />

(Wirtschaft und Wirtschaftsplanung), Somsavath Lengsa-<br />

203 VT, 28.-31.7.00.<br />

204 So ein weiterer Leitartikel in VT, 13.-15.6.00.


SÜDOSTASIEN aktuell - 266 - Mai 2004<br />

vad (Außenpolitik) sowie – eben – Bouasone Bouphavanh,<br />

der für Sicherheitsfragen zuständig sein sollte und mit seinen<br />

etwa 55 Jahren sowie seiner Zugehörigkeit zum Politbüro<br />

(seit März 2001) von ausländischen Beobachtern<br />

bereits als „aufsteigender Stern“ bezeichnet wird, zumal er<br />

seit März 2001 auch das Allgemeine Büro der LRVP leitet.<br />

Ausgebildet in der Sowjetunion, gilt er seit Jahren als<br />

enger Vertrauter von Staats- und Parteichef Khamtay. 205<br />

Übereinstimmend mit der neuen Sicherheitspolitik<br />

hatte das Außenministerium bereits im August 2003 mit<br />

Nachdruck den Beitritt der LDVR zu fünf internationalen<br />

Anti-Terrorismus-Konventionen befürwortet. 206<br />

Alles in allem sind die Bombenanschläge, wie sie sich<br />

2003 ereignet haben, für das Regime zwar nicht gefährlich,<br />

wohl aber ärgerlich, da sie bei den ausländischen Geldgebern<br />

immer wieder Zweifel an der Demokratisierung und<br />

an der Stabilität aufkommen lassen.<br />

3.2<br />

Wirtschaft<br />

3.2.1<br />

Die Wirtschaftsentwicklung bleibt hinter den Erwartungen<br />

zurück<br />

Das Haushaltsjahr dauert in <strong>Laos</strong> vom 1. Oktober bis zum<br />

30. September. Eigentlich wäre es also zumindest im Oktober<br />

2003 an der Zeit gewesen, dass die Regierung statistische<br />

Angaben geliefert hätte, zumal die V. Nationalversammlung<br />

vom 20. bis 21. Oktober 2003 ihre 4. Tagung<br />

abhielt.<br />

Konkrete Zahlenangaben blieben allerdings aus und<br />

wurden im Übrigen auch nach der Jahreswende 2003/2004<br />

nicht herausgegeben.<br />

Stattdessen erschien bei der NV-Oktobersitzung die<br />

nüchterne Meldung, dass die Planziele für den Zeitraum<br />

2002/2003 nicht hätten eingehalten werden können. Verfehlt<br />

worden seien ferner die Haushaltseinnahmen und<br />

auch die öffentlichen Investitionen seien hinter den Zielen<br />

zurückgeblieben. 207<br />

Von den Anfang 2002 verkündeten Parametern hätten<br />

bis zum Ende des Haushaltsjahrs 2002/2003 eigentlich<br />

zumindest drei Grundwerte eingehalten werden müssen,<br />

nämlich ein jährliches BIP-Wachstum von 7-7,5%, eine Inflationsrate<br />

von unter 10% und ein Haushaltsdefizit von<br />

unter 5% des BIP. Da das Verhältnis zwischen den drei<br />

Wirtschaftssektoren bis 2005 auf 47%:26%:27% hochgerechnet<br />

wurde, hätte es auch zu stärkeren Verschiebungen<br />

zwischen Landwirtschaft und Industrie sowie zwischen Industrie<br />

und Dienstleistungssektor kommen müssen. 208<br />

Das „Hofberichterstattungsblatt“ Vientiane Times<br />

hält es jedoch offensichtlich nicht für nötig, hier genaueres<br />

Zahlenmaterial auszuweisen.<br />

So bleibt dem außenstehenden Beobachter nichts anderes<br />

übrig, als eigene Schätzungen anzustellen und Zahlenreihen<br />

fortzuschreiben, wie sie sich seit der Jahrtausendwende<br />

abzeichnen.<br />

Danach scheint unter allen Zielen von 2002 lediglich die<br />

Inflationsquote eingehalten worden zu sein und weiterhin<br />

205 N, 3.10.03, in BBC, 3.10.03 und VT, 24.-27.10.03.<br />

206 VT, 15.-18.8.03.<br />

207 VT, 24.-27.10.03.<br />

208 Näheres dazu SOAa, 3/2002, S.250f.<br />

unter 10% zu liegen. Im Übrigen aber dürfte es gerechtfertigt<br />

sein, leichte Rückentwicklungen oder aber Stillstandsphänomene<br />

zu unterstellen: Das BIP bspw. dürfte, wie<br />

schon 2002, bei höchstens 6% liegen, die Inflationsrate bei<br />

8-9%, die Investitionen (gemessen am BIP) bei 21-22%,<br />

die Verschuldung zwischen 9% und 11% des BIP und das<br />

Handelsbilanzdefizit zwischen 7% und 8% des BIP. 209<br />

Angesichts des vermutlich schon zu Jahresbeginn 2003<br />

sich andeutenden ungünstigen Verlaufs darf es – im Rückblick<br />

– auch nicht verwundern, dass damals sowohl der<br />

Finanzminister als auch der Vorsitzende der Staatsbank<br />

ausgewechselt wurden. 210<br />

Nun ist ein Wachstum von immerhin rund 6% ganz<br />

gewiss keine Kleinigkeit. Doch musste die laotische Führung<br />

auch i.J. 2003 erneut zwei Einsichten beherzigen,<br />

nämlich dass die goldenen Jahre des Aufbruchs (1986ff.)<br />

spätestens seit der Asienfinanzkrise von 1997 der Vergangenheit<br />

angehören und dass sich, zweitens, allzu optimistische<br />

Prognosen (nämlich bspw. von Wachstumshöhen,<br />

wie sie denjenigen Chinas und <strong>Vietnam</strong>s gleichkommen)<br />

im Falle der LDVR nur schwer durchhalten lassen. Sowohl<br />

von den objektiven Wirtschaftsvoraussetzungen als<br />

auchvondenweichenFaktorendeswirtschaftlichenWertesystems<br />

her dürfte <strong>Laos</strong> mit den beiden konfuzianischen<br />

Vorbildern auf die Dauer kaum gleichziehen können.<br />

Nach einer fast elfjährigen Wachstumsperiode, die von<br />

der Einführung des „Neuen Ökonomischen Mechanismus“<br />

im Jahre 1986 bis zum Beginn der Asienfinanzkrise von<br />

1997 andauerte, hatte <strong>Laos</strong> im Durchschnitt p.a. fast 7%<br />

Zuwachs erzielen und gleichzeitig wichtige Reformvorstellungen<br />

umsetzen können, wie die Aufhebung der Preiskontrollen,<br />

die Privatisierung der meisten früheren Staatsunternehmen,<br />

die Einrichtung von Geschäftsbanken und<br />

die Zulassung ausländischer Investitionen. Während dieser<br />

Jahre konnte sich auch der Kip stabilisieren, blieb die<br />

Inflation in Grenzen und kam es, wie gesagt, zu einem<br />

kräftigen Wirtschaftswachstum. Zwischen Mitte 1997 und<br />

Mitte 1999 jedoch verlor der Kip plötzlich 80-90% seines<br />

Werts, und gleichzeitig ging die Wachstumsrate auf rund<br />

4% im Jahre 1998 zurück.<br />

Im Zeitraum zwischen 1996 und 1998 waren zu allem<br />

Überfluss auch noch die ausländischen Investitionen wieder<br />

stark zurückgegangen, wofür – von ausländischer Seite<br />

– allerdings nicht nur die verschlechterte wirtschaftliche<br />

Situation der LDVR, sondern auch zunehmender Bürokratismus<br />

verantwortlich gemacht wurde.<br />

Erst mit der wirtschaftlichen Wiederbelebung der Region<br />

Südostasien und dem Beitritt der LDVR zur ASEAN<br />

begann sich die laotische Wirtschaft wieder langsam zu erholen<br />

und wuchs 2000 um 5,9%, 2001 um 5,7% sowie 2002<br />

um 5,8%. 211<br />

Zum Teil konnte die Wiederbelebung auch mit wachsenden<br />

Umsätzen im Hydroenergiebereich sowie im Tourismus<br />

alimentiert werden.<br />

209 Vgl. auch ADB, Asian Development Outlook (ADO) 2003, Economic<br />

Trends and Prospects in Developing Asia, S.77.<br />

210 Dazu SOAa, 4/2003, S.359f.<br />

211 Ebenda.

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