14.11.2013 Aufrufe

Download - Gießener Allgemeine

Download - Gießener Allgemeine

Download - Gießener Allgemeine

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Sonderveröffentlichung<br />

3. November 2012<br />

67<br />

Der Mann mit der Tasche<br />

Polizeireporter zwischen Unfällen und Gericht: Unser »Kommissar« berichtet<br />

Es stinkt nach verbranntem Gummi,<br />

um zwei Uhrmorgens aufeiner Wiese<br />

nahe Rechtenbach. Ich habe das Gefühl,<br />

dass sich meine Augen mittlerweilebesser<br />

an dienächtlicheDunkelheit<br />

gewöhnt haben als mein<br />

Fotoapparat. Jedes Mal, wenn ich auf<br />

den Auslöser drücke, vergeht eine<br />

kleine Ewigkeit, bis das Foto tatsächlich<br />

geschossen wird. Nach einer Weile<br />

kommt mir dann der Flutlichtscheinwerfer<br />

der Feuerwehr zu Hilfe<br />

und erhellt die Szene: Ein Kleintransporter<br />

ist fast bis zur Unkenntlichkeit<br />

verbrannt. Zum Glück bestätigt die<br />

Kriminalpolizei bald, was andere Einsatzkräfte<br />

vor Ort schon vermutet haben<br />

–esbefand sich niemand mehr in<br />

diesem Fahrzeug. Es gibt es also keine<br />

Verletzten. Die Brandursache war vermutlich<br />

ein technischer Defekt. Der<br />

Fahrer hatteden Kleinlaster abgestellt,<br />

nachdem er den Motor nicht mehr<br />

starten konnte.<br />

Leider wird man als Polizeireporter<br />

aber auch oft zuUnfällen gerufen, die<br />

einen weniger glimpflichen Ausgang<br />

genommen haben. Immer wieder gibt<br />

es Verletzte, manchmal auch Tote. Wie<br />

geht man mit solchen Situationen um?<br />

Wieverhält mansichvor Ort, während<br />

man seine Arbeit für die Zeitung erledigt?<br />

Ich versuche, mich dann vollständig<br />

auf meine Tätigkeit zukonzentrieren.<br />

Mache Fotos von den unfallbeteiligten<br />

»Die Tätigkeit vor Ort<br />

verändert mich als<br />

Menschen unweigerlich«<br />

Fahrzeugen, Trümmerteilen, Krankenwagen<br />

und Rettungskräften sowie<br />

vonVerkehrsstauungen. Danach erfrage<br />

ich bei der Polizei und den anderen<br />

Einsatzkräften dienotwendigen Informationen<br />

zum Unfallhergang, zum<br />

Grad der Verletzungen der Betroffenensowie<br />

zurHöhedes Sachschadens<br />

und der Dauer von Straßensperrungen.<br />

Diese Automatismen schützen.<br />

Gedanken daran, welche verwandte<br />

oder befreundete Person indem Alter<br />

derVerunglückten istoderauchsoein<br />

Auto fährtwie das, dasgerade im Straßengraben<br />

liegt, lasse ichgar nichterst<br />

aufkommen. Tutman das, prägen sich<br />

die Bilder ein und man nimmt sie unweigerlich<br />

mit zurück ins Bett oder an<br />

den Schreibtisch. Das wäre auf Dauer<br />

zermürbend.<br />

Als Pressevertreter darf<br />

man sich imEinsatz nicht<br />

aufdringlich verhalten<br />

Trotzdem verändert einen diese Tätigkeit.<br />

Wenn ich etwa jetzt Menschen,<br />

die mir etwas bedeuten, eine gute<br />

Fahrtwünsche,sageich dies nichtbeiläufig,<br />

sondern hoffe es tatsächlich.<br />

Die Zusammenarbeit mit den Einsatzkräften<br />

vor Ort klappt hervorragend.<br />

Die eine oder den anderen hat man<br />

schon bei mehreren Unfällen gesehen<br />

–zumal es Streckenabschnitte gibt, an<br />

denen eseinfach häufiger zuKollisionen<br />

kommt als an anderen Stellen.<br />

Umgekehrt ist man mittlerweile selbst<br />

füreinige Mitarbeiter vonPolizei,Feuerwehr<br />

und Rettungsdienst zueinem<br />

bekannten Gesicht geworden. Ich bin<br />

etwa »der mit der Tasche«. –Gemeint<br />

ist damit mein alter Lederranzen, den<br />

ich immer mit mir herumtrage.<br />

Manchmal ist ermir vor Ort zwar ein<br />

wenighinderlich, aber da ichbei unserer<br />

Zeitung auch für die Prozessberichterstattung<br />

aus den <strong>Gießener</strong> Gerichten<br />

zuständig bin, kommt es vor,<br />

dass ichdirektaus demVerhandlungssaal<br />

zu einem Unfall gerufen werde.<br />

Ergo kommt der Ranzen –sprich »die<br />

Tasche« –inklusive sämtlicher Unterlagen,<br />

Schreibblöckeund Stifte einfach<br />

mit.<br />

Zu meiner Freude kann ichsagen,dass<br />

viele Einsatzkräfte ausgesprochen<br />

sorgfältig mit meinem ledernen Begleiter<br />

umgehen. Meist stelle ich den<br />

nämlich erst einmal am Straßenrand<br />

ab,umbeide Händefür denFotoapparat<br />

frei zuhaben. Kürzlich kam es allerdings<br />

vor, dass Feuerwehrleute infolge<br />

eines Unfalls die Fahrbahn mit<br />

ihrem Wasserschlauch von allerhand<br />

Schlamm befreien mussten. Kurzerhand<br />

wurde mein Ranzen gepackt<br />

und immer an die Stellen weitergetragen,<br />

an denen gerade kein Wasser<br />

floss. Ist das Gelände an einem Unfallort<br />

besonders unwegsam, wird mir<br />

auch manchmal angeboten, »die Tasche«<br />

direkt im Fußraum eines Einsatzfahrzeugs<br />

abzustellen.<br />

Besondersnettfandich es,als einPolizist<br />

mich nach Einbruch der Dunkelheit<br />

zu meinem Dienstwagen zurückgefahren<br />

hat, den ich zuvor etliche<br />

HundertMeter vorder Unfallstelle am<br />

Straßenrand hatte abstellen müssen.<br />

Seinerzeit waren zwei Pkw in der<br />

Nähe von Annerod zusammengestoßen<br />

undich hätteimDunkelnander B<br />

49 entlanglaufen müssen. Das wäre<br />

wahrscheinlich trotz Warnweste nicht<br />

ungefährlich gewesen.<br />

Das gute Miteinander setzt natürlich<br />

auch voraus, dass man sich als Pressevertreter<br />

nichtzuaufdringlichverhält.<br />

Originalzitat: »Na, dich sehe<br />

ich dann für heute<br />

hoffentlich nicht mehr!«<br />

Dass man Einsatzkräfte, die gerade<br />

mit Rettungsarbeiten befasst sind,<br />

nicht mit seinen Fragen belästigt, versteht<br />

sich von selbst. Aber auch diejenigen,<br />

die sich nicht unmittelbar um<br />

Verletzte kümmern, haben oft alle<br />

Hände voll zutun, etwa, weil sie die<br />

Unfallstelle absichern und den nachfolgenden<br />

Verkehr regeln müssen.<br />

Man muss also Geduld mitbringen<br />

und sich sukzessive zum Einsatzleiter<br />

durchfragen. Dann bekommt man alle<br />

Informationen, die man braucht.<br />

Wenn man sich dann mit der nie böse,<br />

aber durchaus ernstgemeinten Bemerkung<br />

»Dich sehe ich dann für heute<br />

hoffentlichnicht mehr!« noch vondem<br />

Kollegen der lokalen Konkurrenz verabschiedet<br />

hat, ist der Einsatz vorbei<br />

und esgeht zurück in die Redaktion –<br />

oder ins Bett. Steffen Hanak<br />

Nächtliche Anrufe<br />

Wenn nachts das Handy des Polizeireporters<br />

klingelt, ist keine Zeit, sich rumzudrehen und<br />

noch mal für fünf Minuten die Augen zuzumachen.<br />

Dann heißt es: Schnell indie Kleidung<br />

und abins Auto. Denn während Rettungskräfte<br />

zum Glück kurze Wege zur Einsatzstelle haben,<br />

hat der Polizeireporter unter Umständen über<br />

30 Kilometer vor sich –schließlich ist erfür den<br />

ganzen Landkreis Gießen zuständig.<br />

Das Wichtigste für die Berichterstattung über<br />

Unglücke –wie Brände oder Verkehrsunfälle –<br />

ist die Zusammenarbeit mit Polizei und Feuerwehr,<br />

nicht nur amEinsatzort. Denn nur so<br />

erfahren wir schnell, woetwas passiert ist. Da<br />

ist man dann auch für Anrufe der Leitstelle<br />

dankbar, die einen aus dem Tiefschlaf reißen.<br />

Vor allem, wenn nette Leute ander anderen<br />

Seite der Leitung sitzen, die merken, dass man<br />

gerade noch etwas schlaftrunken ist, und<br />

anbieten: »Wenn Sie nicht alles aufnehmen<br />

konnten, rufen Sie gleich noch mal an!«<br />

Ohne Öffentlichkeit<br />

»Die Sitzung ist nicht öffentlich.« Wenn dieser<br />

Satz im Gericht fällt, sind Angeklagte oft<br />

erleichtert, Reporter eher genervt. Denn »nicht<br />

öffentlich« bedeutet auch –und gerade –für<br />

sie: Außer dem Gericht, dem Staatsanwalt, dem<br />

Angeklagten und seinem Verteidiger, möglicherweise<br />

auch noch einem Nebenkläger, müssen<br />

alle den Verhandlungssaal verlassen. Prinzipiell<br />

gilt im Gerichtsverfahren der Öffentlichkeitsgrundsatz.<br />

Doch manchmal wird davon eine<br />

Ausnahme gemacht, etwa imJugendstrafverfahren<br />

oder wenn in der Sitzung intime Details der<br />

Beteiligten zur Sprache kommen. Meistens<br />

haben Journalisten dafür Verständnis, insbesondere<br />

wenn ein mutmaßliches Opfer einer<br />

Sexualtat befragt wird. Ärgerlich ist es für den<br />

Gerichtsreporter dann, wenn nicht öffentlich<br />

über einen Vorfall verhandelt wird, der großes<br />

Aufsehen erregt hat. Denn dann können sie ihre<br />

Leser nicht über die Hintergründe informieren.<br />

Wieso hat die 16­Jährige jemandem ein Messer<br />

in den Bauch gerammt? Welche Geschichten<br />

stecken dahinter? Auf diese Fragen müssen die<br />

Journalisten dann die Antwort schuldig bleiben.<br />

Übrigens läuft die Auswahl der Verhandlungen<br />

nicht über geheime Quellen: Einmal wöchentlich<br />

informiert die Staatsanwaltschaft die Presse<br />

über interessante Termine. Katrin Nahrgang<br />

Hat einen guten Draht zu den Einsatzkräften: Steffen Hanak unterwegs.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!