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62<br />

Zeitung heute und morgen<br />

Innenansichten journalistischer Arbeit<br />

Ein »ganz normaler« Tag im Leben eines…<br />

Redaktionskonferenz, Terminplanung, Recherchieren, Schreiben, Mitarbeiterorganisation und vieles mehr: Vier Kollegen erzählen<br />

Der typische Arbeitstag des Kreisredakteurs<br />

beginnt relativ spät. Andieser<br />

Stelle muss ich –Christoph Agel<br />

(agl) –den Begriff »typisch« aber sogleich<br />

relativieren, denn der Redakteursberuf<br />

hält jede Menge Abwechslung<br />

bereit. Okay, es gibt eine gewisse<br />

Routine: Zu Hause die Zeitung durchblättern.<br />

Musste der Spätdienst noch<br />

was ändern, weil es einen Unfall gab?<br />

Washaben dieanderen Ressorts veröffentlicht?<br />

Dann in der Redaktion die<br />

Mails und die Post checken –schauen,<br />

was die Konkurrenz und wie sie es<br />

»im Blatt« hat. Bis 9.45 Uhr sollte man<br />

dann up to date sein, fitfür die Tageskonferenz.<br />

Darin besprechen wir die<br />

heutige Ausgabe, planen die nächste,<br />

thematisieren auch mittel- und langfristige<br />

Dinge.Spätdienste müssen vergeben<br />

werden, Sonntagsdienste und<br />

freie Tage ebenso.<br />

Nach derKonferenzwirdrecherchiert.<br />

Wie ist der Stand an der Gesamtschulsporthalle<br />

inLinden? Wasmachen die<br />

Kirchensanierungen im Pohlheimer<br />

Süden? Was tut sich beim DSL inder<br />

Gemeinde Langgöns? Nur einige Beispiele<br />

dafür, dass ich immer Themen<br />

in petto haben möchte, die die Menschen<br />

interessieren und die jenseits<br />

des Terminjournalismus »heiß« sind.<br />

Tastatur, Bildschirm, Konzentration: Christoph Agel an einem typischen<br />

Arbeitsplatz in der Redaktion.<br />

Aber es gibt eben auch jede Menge Termine.<br />

Zuvielen fahre ich selbst hin,<br />

andere werden an freie Mitarbeiter<br />

vergeben. Das Spektrum reicht vom<br />

FerienspielangebotüberChorkonzerte<br />

bishin zurSitzung derStadtverordneten.<br />

Der Arbeitstag spielt sich also<br />

nicht nur am Schreibtisch, sondern<br />

auch »draußen« ab. Dabei entstehen<br />

Kontakte, man lernt Anprechpartner<br />

für weitere Themen kennen, Multiplikatoren<br />

inden Dörfern, Experten.<br />

Am Schreibtisch suche ich aus, was<br />

mein Aufmacher wird. Ich redigiere<br />

Texte von Mitarbeitern und Pressemitteilungen,<br />

wähle Fotos aus, pflege unser<br />

Online-Angebot. Ich vergebe Termine,<br />

lege Bildergalerien im »Netz«<br />

an, bleibe bei Geschichten am Ball,<br />

nehme Anrufe entgegen, aus denen<br />

sich neue Themen ergeben. Nicht jede<br />

Idee,jedeAnfrage wird eine Geschichte.<br />

Aber manchmal können wir einem<br />

Anrufer schon weiterhelfen, wenn die<br />

Zeitung mal nachhört.<br />

Wann der Tag endet, ist relativ offen.<br />

Da gibt es abendliche Sitzungen, mancheStory<br />

dauert auch mallänger. Aber<br />

eines ist klar: Langweilig wird’s nie…<br />

»Die Menschen erzählen mir<br />

oft sehr persönliche Dinge<br />

aus ihrem Leben«<br />

Termine über Termine –und<br />

dabei das Zeitmanagement<br />

nicht aus dem Auge verlieren<br />

Ofteinen sehr direkten Zugang zu unserenLesern<br />

habe auch ich, Alexander<br />

(age) Geck. ImKreis gewissermaßen<br />

als »Redakteur zbV« tätig, übernehme<br />

ich des Öfteren Alters- und Ehejubiläen.<br />

Dann erzählen mir die Menschen<br />

fast ihr ganzes Leben –oft sehr persönliche<br />

Dinge, die nicht alle ihren<br />

Niederschlag im Gedruckten finden.<br />

Aber sie offenbaren immer wieder,<br />

dass ein Vorurteil ganz gewiss nicht<br />

stimmt:Dassdie Oberhessenmürrisch<br />

sind. Ganz imGegenteil: Ihre Offenheit<br />

ist bemerkenswert, sodass esimmer<br />

eine Freude ist, zu solchen Anlässen<br />

»rauszufahren«. Es kann sogar<br />

vorkommen, dass im Laufe der Gespräche<br />

herauskommt, dass die Jubilare<br />

Verwandte oder Bekannte von mir<br />

kennen –die Welt ist jabekanntlich<br />

klein. Aber: Die Verantwortung dagegen<br />

ist groß –schließlich »kommen«<br />

viele Menschen nicht so oft indie Zeitung.<br />

Deshalb achte ich darauf, dass<br />

die Artikel den Leuten gerecht werden<br />

und lege besonders viel Wert auf<br />

Gründlichkeit.<br />

Mein Arbeitstag beginnt inder Regel<br />

mit der Konferenz der Lokalredaktion<br />

für die Stadt Gießen um 9.30 Uhr. Ich<br />

bin Oliver Schepp und als Fotograf<br />

unterwegs. Die zu diesem Zeitpunkt<br />

feststehenden Tagestermine für mich<br />

werden besprochen und anmich weitergegeben<br />

– in Form eines Terminplans.<br />

Dieser Plan enthält meist etwa<br />

zehn Termine, die die Produktion<br />

der Lokalseiten abdecken. Zusätzlich<br />

kommen noch Illustrationen für unsere<br />

diversen Sonderpublikationen hinzu,z.B.»streifzug«,»Seniorenjournal«,<br />

»SchülerAZ«. Auch Anzeigenmotive<br />

werden bei Bedarf fotografiert. Im<br />

Laufe eines normalen Arbeitstages<br />

kommen eine Fülle unterschiedlichster<br />

Motive und Situationen zusammen,<br />

die die ganze Palette menschlichen<br />

Handelns abdecken. Sokommt<br />

es vor, dass ich zunächst einen 100.<br />

Geburtstag im privaten Kreis des Jubilars<br />

fotografiereund kurzeZeitdarauf<br />

die Beisetzung der Körperspender des<br />

Klinikums. ImAnschluss wird ein Interview<br />

mit dem hessischen Ministerpräsidentenillustriert,danneileich<br />

zu<br />

einer Preisverleihung der Universität.<br />

Aber nurkurz, denn es stehtzeitgleich<br />

noch eine öffentliche Baustellenbegehung<br />

der wichtigsten Großbaustelle<br />

Gießens an. Dann ist Mittagspause.<br />

Immer flexibel zu halten. Inzwischen<br />

sind noch weitere Illustrationswünsche<br />

der Kollegen eingegangen, ich<br />

muss mein Zeitmanagement umstellen;<br />

machmaldrei- bisviermal am Tag!<br />

Nach derRastgeheich zu einerAustellungseröffnung<br />

ins RP, um fünfzehn<br />

Minuten später eine Unterschriftenübergabe<br />

andie Oberbürgermeisterin<br />

zu erreichen. Auf dem Weg zum Rathaus<br />

sehe ich durch Zufall, wie zwei<br />

Studenten mit ihren Schuhen inder<br />

Hand jonglieren. Ich mache also ein<br />

»Schmuckfoto« nebenbei.<br />

Am Nachmittag steht ein Zirkus auf<br />

dem Messeplatz. Zur Premiere brauche<br />

ich eine Fotoserie zur Illustration<br />

für die Printausgabe, vielleicht schaffe<br />

ich esauch noch, einige Filmsequenzen<br />

für unseren Web-Auftritt aufzunehmen.<br />

Mein Zeitbudget: etwa 30<br />

Minuten. Noch zwei Termine stehen<br />

an: Zuerst die Spendenübergabe. Ich<br />

sammle Informationen dazu und mache<br />

einige Aufnahmen. Als Letztes<br />

VonKleintierzüchtern und Fußballweltmeistern –<br />

Eine große Anzahl von freien Mitarbeitern unterstützt die Redakteure bei deren täglicher Arbeit –Werner Eifert ist seit 67(!) Jahren dabei –<br />

Bis heute arbeitet<br />

Werner Eifert mit<br />

seiner Schreibmaschine<br />

Die Jüngeren sammeln Berufserfahrung<br />

währenddes Studiums.Die Älteren<br />

bessern sich nach Feierabend das<br />

Gehalt oder auch die Rente auf. Und:<br />

Sie alle machen es den Redakteuren<br />

überhaupt erst möglich, den täglichen<br />

Ausnahmezustand zumeistern. Denn<br />

auch der beste Journalist kann nicht<br />

an mehreren Orten gleichzeitig sein.<br />

Über 1500 freieMitarbeiter sind in den<br />

Adressbüchern der Mittelhessischen<br />

Druck- und Verlagsgesellschaft gelistet,<br />

von denen aber nicht mehr alle aktiv<br />

recherchieren, interviewen, schreiben.<br />

Manche sind alte Hasen, andere<br />

erst seit einigen Monaten dabei.<br />

Am Anfang stehen oft kleinere Termine.<br />

Doch auch der sprichwörtliche Besuch<br />

beim Kleintierzüchterverein, der<br />

demVorurteilnachlangweiligwerden<br />

kann, hat seinen Charme, wie einige<br />

der »Freien« berichten. Später, vor allem<br />

anden Wochenenden, wenn auch<br />

die alteingesessenen Redakteure einmal<br />

ruhen müssen, übernehmen sie<br />

größere Termine: Mit der Bürgermeisterin<br />

hat man sich bald angefreundet,<br />

vor Gesprächen mit dem Ministerpräsidenten<br />

hat man immerhin keine<br />

Angst mehr. Nie in aller Gänze gewöhnen,soberichten<br />

einige,wirdman<br />

sich jedoch an die Polizeibereitschaft,<br />

welche regelmäßig voneiner Handvoll<br />

der»Freien«übernommenwird: Dann<br />

klingelt mitunter auch einmal mitten<br />

in der Nacht das Handy, und man<br />

muss raus zu einem Brand oder einem<br />

Unfall.<br />

Ob ganz frisch im Geschäft oder seit<br />

über einem halben Jahrhundert dabei:<br />

Keine der persönlichen Geschichten<br />

derfreienMitarbeiter gleichtder anderen.<br />

Einer von ihnen ist Werner Eifert. Seit<br />

67 Jahren ist erals freier Mitarbeiter<br />

für die Sport- und Lokalredaktion der<br />

»Wetterauer Zeitung« im Einsatz. Und<br />

»ich schreibe immer noch gerne«, sagt<br />

der 82-Jährige, der im Friedberger<br />

Stadtteil Dorheim lebt. Seine Heimat<br />

ist auch das Gebiet, über das er bis<br />

heute überwiegend berichtet –früher<br />

unter dem Kürzel (eif), heute unter<br />

(wei). Vorallem die Vereine hat Eifert<br />

dabei fest imBlick. Spielberichte waren<br />

es, die der passionierte Kicker in<br />

Werner Eifert ist ein alter Hase.<br />

seiner Jugend gleich nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg auf einer Adler-Schreibmaschine<br />

verfasste und zuFuß oder<br />

per Rad zur Redaktion brachte. Später<br />

schrieb erüber Politisches und Kulturelles.<br />

Ums Geld sei es ihm dabei nie gegangen,<br />

sagt der 82-Jährige, der hauptberuflich<br />

in der öffentlichen Verwaltung<br />

tätigwar.Bis heuteverfasstEifert–der<br />

dienstälteste »Freie« der »Wetterauer<br />

Zeitung« –seine Texte aufder Schreibmaschine.<br />

»Gabriele« heißt sie und<br />

steht zumeist auf einem Tisch inEiferts<br />

Garten. »Zwischen März und<br />

September schreibe ich draußen«, sagt<br />

der Dorheimer, der sich vor einigen<br />

Jahren kurzzeitig an einer elektronischen<br />

Schreibmaschine versuchte.<br />

Golden-Retriever-Rüde Lucky war das<br />

Verlängerungskabel, das zur nächsten<br />

Steckdose führte, allerdings schnuppe,<br />

und das sorgte für das Ende der<br />

Elektronik. Seither ist »Gabriele« wieder<br />

imEinsatz –mit einer kurzen Unterbrechung:<br />

2011 schien es, als wolle<br />

die kleine Reiseschreibmaschine nicht<br />

mehr. »Es war gar nicht soeinfach, jemanden<br />

zu finden, dersichmit derReparaturauskennt«,<br />

erinnert sich Eifert.<br />

Ein Mitarbeiter eines Bürotechnik-Unternehmens<br />

wusste, welche Schräubchen<br />

zu drehen sind, um»Gabriele«<br />

wieder zum Laufen zubringen.<br />

In puncto Fotos ist Eifert inzwischen<br />

auf die Digitalkamera umgestiegen,<br />

Enkelsohn Bastian sendet die Bilder<br />

per E-Mail an die Redaktion. Der<br />

82-Jährige erinnert sich noch an seinen<br />

Vom Ehrenamt über<br />

die freie Mitarbeit<br />

zur neuen Festanstellung<br />

ersten Einsatzfür die»Wetterauer Zeitung«.<br />

»Jugendfußball, FSV Dorheim«,<br />

weiß er. Auch die Höhepunkte seiner<br />

Berichterstattung sind ihm noch gut<br />

im Gedächtnis: 1994 beschreibt erseine<br />

Reise nach Amerika zur Fußball-<br />

Weltmeisterschaft, wo er das Finale<br />

zwischen Brasilien und Italien erlebt.<br />

Auch trifft der Fan der Frankfurter<br />

Eintracht auf einem Termin Anthony<br />

Yeboah. Ein anderes Mal schreibt der<br />

ehemalige Chef der Verkehrsbehörde<br />

des Altkreises Friedberg über die »Silberpfeile«<br />

von Mercedes Benz. Einsätze,<br />

andie er sich gerne erinnert: »Das<br />

warenEreignisse derbesonderenArt.«<br />

Die Geschichte von Siglinde Wagner<br />

zeigt, wieehrenamtlichesEngagement<br />

über eine freie Mitarbeit zu einer Festanstellung<br />

in einemganzanderen Metier<br />

führen kann. Seit fast zehn Jahren<br />

schreibtsie inzwischenals freieMitarbeiterin<br />

für die Kreisredaktion der<br />

»<strong>Gießener</strong> <strong>Allgemeine</strong>n Zeitung«. Der<br />

Busecker Raum ist ihr Revier. »Den

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