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Steinige Schicksalswege der Deutschen Kolonial ... - Golf Dornseif

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<strong>Steinige</strong> <strong>Schicksalswege</strong> <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> <strong>Kolonial</strong>-Pfadfin<strong>der</strong><br />

Von <strong>Golf</strong> <strong>Dornseif</strong><br />

Die bis 1933 in Deutschland aktiven Jugendverbände mit kolonialer Ausrichtung bilden<br />

ein verwirrendes Mosaik voller Spaltungen und Zweckbündnisse auf dem Hintergrund <strong>der</strong><br />

Weimarer Republik. Im folgenden Beitrag soll versucht werden, eine historische Aufarbeitung<br />

zu präsentieren im Rahmen des Möglichen.<br />

Mit dem Begriff „<strong>Kolonial</strong>-Pfadfin<strong>der</strong>“ bezeichnet man drei unterschiedliche Pfadfin<strong>der</strong>-Organisationen<br />

zwischen 1926 und 1933, verbunden durch gemeinsame Wurzeln. Die im Ersten Weltkrieg verloren<br />

gegangenen reichsdeutschen Schutzgebiete bzw. Kolonien sollten auf friedliche Weise zurückgewonnen<br />

werden, unterstützt durch tatkräftige För<strong>der</strong>ung qualifizierter Auswan<strong>der</strong>er. Um 1933 gab<br />

es ungefähr 5.000 Mitglie<strong>der</strong> von Pfadfin<strong>der</strong>-Bünden mit kolonialer Orientierung in Deutschland.<br />

Nach 1919 setzte sich die nach wie vor existierende Deutsche <strong>Kolonial</strong>gesellschaft dafür ein, jugendliche<br />

<strong>Kolonial</strong>begeisterung neu zu entfachen. Als <strong>der</strong> sogenannte Kurmarkgau Deutscher Pfadfin<strong>der</strong><br />

im Jahr 1925 nirgendwo rechten Anschluss fand, suchte er Kontakte bei <strong>der</strong> Jugendgruppe <strong>der</strong><br />

<strong>Deutschen</strong> <strong>Kolonial</strong>gesellschaft und wurde dort an den <strong>Deutschen</strong> <strong>Kolonial</strong>verein weiter empfohlen.<br />

Man gründete daraufhin gemeinsam am 5. August 1926 den <strong>Kolonial</strong>bund Deutscher Pfadfin<strong>der</strong><br />

(KBDP).<br />

Aus dem Inhalt<br />

Jugendbewegung auf schwachen Beinen<br />

Verbot <strong>der</strong> Hitler Jugend in SWA<br />

Allzeit bereit – wie lange noch?<br />

BOY SCOUT und PFADFINDER verwurzelt 
<br />

Der Deutsche <strong>Kolonial</strong>verein setzte kurzerhand August Döring als Bundesführer ein, was allerdings<br />

schon 1927 zu Reibereien zwischen ihm und einzelnen Gruppierungen des KBDP führte. Sie wollten<br />

einen Schulterschluss mit <strong>der</strong> Bündischen Jugend festigen und an<strong>der</strong>en Traditionen folgen. Den<br />

Vorkriegsstil des <strong>Deutschen</strong> Pfadfin<strong>der</strong>-Bundes lehnte man als überholt ab. Es konnte nicht ausbleiben,<br />

dass am 4. März 1928 die Stunde <strong>der</strong> Trennung schlug: Der KBDP operierte fortan zweigleisig<br />

als „Bund Deutscher <strong>Kolonial</strong>-Pfadfin<strong>der</strong>“ (BDKP), geführt von Ernst Klingelhage, und als<br />

„<strong>Kolonial</strong>bund Deutscher Pfadfin<strong>der</strong>“ mit August Döring an <strong>der</strong> Spitze.<br />

Beide Organisationen beteiligten sich 1928 an <strong>der</strong> Gründung des „Auslandsamtes <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong><br />

Pfadfin<strong>der</strong>bünde“, aus dem 1929 wie<strong>der</strong>um <strong>der</strong> „Deutsche Pfadfin<strong>der</strong>-Verband“ hervorging. Die <strong>Deutschen</strong><br />

hatten den Ehrgeiz, möglichst bald aufgenommen zu werden von <strong>der</strong> „World Organization of<br />

the Scout Movement“.<br />

Nachdem Erhard Pörschmann Anfang 1931 die Leitung des KBDP an sich gezogen hatte, fanden die<br />

rivalisierenden beiden Bünde wie<strong>der</strong> Gefallen aneinan<strong>der</strong> und beschlossen am 13. Dezember des<br />

gleichen Jahres zu fusionieren. Ernst Klingelhage rückte in die Position des Bundesführers seines neu<br />

entstandenen „<strong>Deutschen</strong> <strong>Kolonial</strong>-Pfadfin<strong>der</strong>bundes“ (DKPB) mit Pörschmann als Stellvertreter.<br />

Im folgenden Jahr propagierte <strong>der</strong> DKPB vor allem den freiwilligen Arbeitsdienst, für den einzelne<br />

Gruppen bereits in den Vorjahren die Werbetrommel gerührt hatten. Während des Bundeslagers zu<br />

Pfingsten 1932 bekräftigte man die Fusion mit <strong>der</strong> Wahl von Werner Rohr zum Bundesführer.


Im März 1933 überlegte <strong>der</strong> DKPB vorübergehend seinen Anschluss beim Großdeutschen Bund, um<br />

mit dieser Notlösung dem Zwang zum Übertritt in die Hitler-Jugend auszuweichen, ließ die Idee aber<br />

später fallen. Stattdessen stellte sich <strong>der</strong> Bund unter die Schirmherrschaft Franz von Epps, <strong>der</strong> als<br />

nationalsozialistischer Reichsstatthalter in Bayern die Existenz des DKPB sichern sollte. Der<br />

Schachzug blieb erfolglos. Während des zweiten und zugleich letzten Bundeslagers wurde <strong>der</strong> DKPB<br />

am 1. August 1933 mit einem Fe<strong>der</strong>strich in die Hitler-Jugend gepresst. Einziger Kompromiss:<br />

Größere Gruppen durften bis 1935 von Fall zu Fall halb selbständige „<strong>Kolonial</strong>e Scharen“ innerhalb<br />

<strong>der</strong> HJ bilden.<br />

<strong>Kolonial</strong>-Pfadfin<strong>der</strong>gruppen gab es im damaligen Reichsgebiet mit Schwerpunkten in Brandenburg, im<br />

Rheinland sowie in Sachsen, Jenseits <strong>der</strong> Grenzen zählte man mehr o<strong>der</strong> min<strong>der</strong> kurzlebige<br />

Zusammenschlüsse ähnlicher Art in Österreich, im brasilianischen Bundesstat Rio Grande do Sul, in<br />

Chile und in Südwestafrika. Im gegenwärtigen Namibia gibt es noch heute einen kleinen deutschen<br />

Pfadfin<strong>der</strong>bund, Sitz Windhuk und Swakopmund.<br />

Mitte oben: Abzeichen <strong>der</strong> <strong>Kolonial</strong>scharen innerhalb <strong>der</strong> Hitler-Jugend ab 1933. – Unten<br />

rechts: Abzeichen des Bundes Deutscher <strong>Kolonial</strong>-Jugend 1931 bis 1933. – Unten links:<br />

Abzeichen des <strong>Kolonial</strong>bundes Deutscher Pfadfin<strong>der</strong> 1926 bis 1933.


Jugendbewegung auf schwachen Beinen<br />

Nach dem Verlust <strong>der</strong> Schutzgebiete betrachtete die <strong>Kolonial</strong>gesellschaft es zunächst als eine <strong>der</strong><br />

wichtigsten Aufgaben, den kolonialen Gedanken innerhalb <strong>der</strong> deutschen Bevölkerung wach zu<br />

halten. Am 25. Juni 1920 richtete DKG-Präsident Seitz eine Eingabe an die Regierungen <strong>der</strong><br />

damaligen deutschen Bundesstaaten. Er for<strong>der</strong>te sie darin auf, mit entsprechenden Verfügungen die<br />

Schulleitungen ihrer Län<strong>der</strong> dazu anzuhalten, den <strong>Kolonial</strong>gedanken in <strong>der</strong> Schuljugend zu wecken.<br />

Das Schreiben gab unter an<strong>der</strong>em zu bedenken: „Wenn <strong>der</strong> koloniale Gedanke nicht in die Jugend<br />

eingepflanzt wird, so ist mit Bestimmtheit anzunehmen, dass er allmählich verschwindet. Es ist die<br />

Aufgabe <strong>der</strong> Schule, den Schülern die Wichtigkeit eines überseeischen Besitzes und unserer Interessen<br />

für die Zukunft Deutschlands zum Verständnis zu bringen!“<br />

Eine ähnliche Eingabe „zwecks Einführung kolonialer Vorlesungen an sämtlichen Hochschulen“ war<br />

bereits am 4. Juni 1920 an die Kultusministerien <strong>der</strong> deutschen Bundesstaaten gerichtet worden. Seit<br />

1925 setzte sich an <strong>der</strong> Berliner Universität ein „Akademischer <strong>Kolonial</strong>bund“ für die För<strong>der</strong>ung des<br />

kolonialen Gedankens ein.<br />

Um 1920 dämmerte es den Spitzenfunktionären <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> <strong>Kolonial</strong>gesellschaft allmählich, dass<br />

ihr Mitglie<strong>der</strong>schwund bedrohliche Ausmaße annahm. Überalterung machte sich allenthalben bemerkbar,<br />

und Nachwuchs konnte niemand aus dem Hut zaubern. Immer noch war die DKG-Führung davon<br />

überzeugt, die Zugkraft künftiger neuer Schutzgebiete reiche aus, um die junge Generation zu begeistern,<br />

wild romantisch untermauert...<br />

Leo Waibel formulierte das in einem DKZ-Artikel 1920 folgen<strong>der</strong>maßen: „Wer stillt unsere Sehnsucht<br />

nach fernen Zonen? Wer leitet unsere überschäumende Kraft in gute Bahnen? So rufen uns heute<br />

Hun<strong>der</strong>ttausende deutscher Knaben zu, und ihre noch schwachen Stimmen werden zu einem brausenden<br />

Sturm anschwellen, sobald das Knabenheer erst herangewachsen ist! Ob sich die Gründung<br />

von Jugendvereinen innerhalb <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> <strong>Kolonial</strong>gesellschaft empfiehlt, muss man abwarten, Ich<br />

meine jedoch, dass man die Jugend nicht erst organisieren muss, um in ihr die koloniale Idee zu<br />

wecken“.<br />

Ernüchternd war die Jugend- und Schulwerbung, geradezu nie<strong>der</strong>schmetternd in vielen Fällen, 1920<br />

berichtete Major Winkler, Angehöriger <strong>der</strong> DKZ-Werbekommission, über seine Bemühungen um die<br />

Gunst von Schülern und Lehrern:<br />

„Ich hatte an 400 Direktoren höherer Lehranstalten und Rektoren an<strong>der</strong>er Schulen geschrieben, dass<br />

ich Lichtbil<strong>der</strong> vorführen wollte, dass Referenten zur Verfügung stehen usw. Auf jene 400 Anfragen<br />

folgten 10 Antworten mit fünf Absagen! Es gelang mir, wenigstens zwei Vorträge mit Erziehern zu<br />

vereinbaren. Beim dritten geplanten Veranstaltungstermin erschien lediglich <strong>der</strong> Direktor einer benachbarten<br />

Schule mit <strong>der</strong> Nachricht, dass die Schüler zur Zeit streikten. Sie seien nur dann bereit,<br />

sich Vorträge zu <strong>Kolonial</strong>themen anzuhören, wenn dies während <strong>der</strong> üblichen Unterrichtsstunden angeboten<br />

werde...“


1930 war sich <strong>der</strong> Verfasser eines Artikels im Organ „Mitteilungen <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> <strong>Kolonial</strong>gesellschaft“<br />

nicht mehr sicher, ob die im Aufbau begriffene koloniale Jugendbewegung eine „stetige Verjüngungsquelle<br />

<strong>der</strong> alten kolonialen Verbände“ werden könne o<strong>der</strong> eher zur Abspaltung neige.<br />

Kein geringerer als Konrad Adenauer, seit 1931 Vizepräsident <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> <strong>Kolonial</strong>gesellschaft,<br />

vertrat das Prinzip <strong>der</strong> Überparteilichkeit „im Sinn einer echten und versöhnenden Integration <strong>der</strong><br />

durch die Parteienkämpfe zerrütteten Jugend während <strong>der</strong> späten Weimarer Republik“.<br />

Originaltext Adenauer: „Was wir heute erleben an extremistischen Lebensäußerungen unserer Jugend,<br />

die in ihren radikalisierenden Tendenzen alle Werte individueller Gesittung und staatlicher Ordnung<br />

bedrohen, das ist alles im wesentlichen irgendein ungestümer Betätigungsdrang und ein Geltungsbedürfnis,<br />

das nur deshalb plan- und ziellos umher irrt, weil diesen jungen Leuten wirkliche und<br />

würdige und ihrer Fantasie genügende Möglichkeiten fehlen“. (Juli 1931)<br />

1927 wurde erstmals im Jahresbericht die Vielseitigkeit kolonialer Jugendgruppen betont: „Ertüchtigung<br />

des Körpers durch Schwimmen und Bogenschießen, dazu Handfertigkeiten tüchtiger<br />

<strong>Kolonial</strong>pioniere, Wan<strong>der</strong>n und Gelände-Orientierung“. 1926 reiste eine <strong>Kolonial</strong>e Wan<strong>der</strong>ausstellung<br />

durch die Provinzen. Im gleichen Jahr fand die erste Tagung <strong>der</strong> kolonialen Jugendgruppen zu Pfingsten<br />

in Bernburg an <strong>der</strong> Saale statt. Anfang 1927 existierten 122 Jugendgruppen mit 8500 Mitglie<strong>der</strong>n.<br />

Die sogenannten Korag-Vereine, <strong>der</strong>en Jugendgruppen sich nicht <strong>der</strong> DKG angeschlossen hatten,<br />

bildeten eigene Jugendausschüsse, arbeiteten aber eng mit <strong>der</strong> DKG zusammen.<br />

1931 wurde <strong>der</strong> Jugendausschuss durch das Jugendamt <strong>der</strong> DKG ergänzt, das die koloniale Jugend<br />

in einem „Bund Deutscher <strong>Kolonial</strong>jugend“ neu zu organisieren hatte. Nun zählte die <strong>Kolonial</strong>jugend<br />

vier Gruppen:<br />

Lesegemeinschaften: <strong>Kolonial</strong> interessierte Schüler sammelten sich zur gemeinsamen Lektüre <strong>der</strong><br />

Jugendzeitschrift JAMBO.<br />

Essen fassen im BDKJ – Zeltlager vor 1933


Schulgruppen: Ein Lehrer engagierte sich als Vertrauensmann.<br />

Jugendgruppen: Sie waren formal selbständig, aber in Orten mit DKG-Abteilungen diesen untergeordnet.<br />

Es gab noch eine 1930 gegründete Jungkoloniale Reichsarbeitsgemeinschaft, die Führerkurse<br />

anbot.<br />

<strong>Kolonial</strong>pfadfin<strong>der</strong>: (bereits erwähnt)<br />

Für den bescheidenen Erfolg bei <strong>der</strong> Jugend- und Schulwerbung machte die DKG unter an<strong>der</strong>em die<br />

Politik verantwortlich, etwa den Schulerlass des preußischen Kultusministers Grimme von 1931, <strong>der</strong><br />

die Behandlung <strong>der</strong> kolonialen Problematik zwar gestattete, aber untersagte, mittelbar o<strong>der</strong> unmittelbar<br />

„<strong>Kolonial</strong>-Propaganda zu betreiben“.<br />

Auch <strong>der</strong> Akademische <strong>Kolonial</strong>bund resignierte im Juni 1932 in einer Veröffentlichung: „Lei<strong>der</strong> haben<br />

sich breite akademische Kreise offenbar endgültig damit abgefunden, dass wir unsere Kolonien<br />

verloren haben. Ein nicht zu verkennen<strong>der</strong> wichtiger Faktor in dieser Entwicklung ist die erschreckende<br />

Unkenntnis <strong>der</strong> akademischen Jugend in kolonialen Fragen“.<br />

Landesfahne <strong>der</strong> Pfadfin<strong>der</strong> in Namibia<br />

‚Die Deutsche <strong>Kolonial</strong>gesellschaft blieb für den größten Teil <strong>der</strong> Jugend eine Art „Honoratiorenverein“<br />

verkalkter Altherren...<br />

1933 meldete die Deutsche <strong>Kolonial</strong>-Zeitung als Organ <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> <strong>Kolonial</strong>gesellschaft offiziell:<br />

„Der auf <strong>der</strong> <strong>Kolonial</strong>tagung in Frankfurt am Main eingerichtete Reichskolonialbund, <strong>der</strong> an Stelle <strong>der</strong><br />

früheren <strong>Kolonial</strong>en Reichsarbeitsgemeinschaft die kolonialen Verbände unter <strong>der</strong> Führung des<br />

Präsidenten <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> <strong>Kolonial</strong>gesellschaft vereinigt, hat sich seine endgültige Verfassung<br />

gegeben. Sie besagt unter an<strong>der</strong>em, dass <strong>Kolonial</strong>verbände und Unternehmen, welche die gleichen<br />

Fachgebiete bearbeiten wie die im Reichskolonialbund zusammengeschlossenen Verbände, dem<br />

Bund nicht angehören dürfen, son<strong>der</strong>n angehalten werden sollen, sich mit den in Betracht<br />

kommenden Verbänden zu verschmelzen. Damit ist für alle Zukunft die Einheit und Geschlossenheit<br />

<strong>der</strong> kolonialen Bewegung gesichert und die G r ü n d u n g v o n n e u e n S p l i t t e r o r g a n i s a-<br />

t i o n e n u n t e r b u n d e n.“


Verbot <strong>der</strong> Hitler-Jugend in Südwestafrika<br />

Während in Deutschland sämtliche Organisationen <strong>der</strong> <strong>Kolonial</strong>-Jugend 1933 von <strong>der</strong> Hitler-Jugend<br />

(HJ) quasi „aufgesogen“ wurden, bemühte sich die NSDAP-Auslandsabteilung im südafrikanischen<br />

Mandatsgebiet Südwestafrika um die Gunst <strong>der</strong> deutschstämmigen Bevölkerung, vor allem aber um<br />

eine „Gehirnwäsche“ <strong>der</strong> dortigen Pfadfin<strong>der</strong>-Gruppierungen mit dem Ziel die Südwester Jugendlichen<br />

(durchweg national-konservativer Gesinnung aus dem Elternhaus) so schnell wie möglich in Hitler-<br />

Jungen mit Braunhemden zu verwandeln.<br />

Erich Lossnitzer, ehemaliger Oberleutnant <strong>der</strong> Schutztruppe, tauchte überraschend als auserwählter<br />

Partei-Funktionär in Windhuk auf. In <strong>der</strong> Ausgabe vom Juni 1934 veröffentlichte die Pfadfin<strong>der</strong>-Zeitschrift<br />

DER TROMMLER unter an<strong>der</strong>em folgende Neuigkeit:<br />

„Der neue Landesjugendführer für Südwestafrika hat am 3. Juni 1934 seinen Wohnsitz in Windhuk genommen.<br />

Sein Büro findet man im alten Pfarrhaus, Postanschrift Postfach 24, Telefon 663. Er<br />

beabsichtigt bis Mitte Juli von Windhuk aus die Führung <strong>der</strong> deutschen Jugend zu übernehmen und<br />

wird seinen Reiseplan durch ganz Südwestafrika am Tag <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> Jugend mit den Unterführern<br />

besprechen. Also vorwärts mit allen Jungen und Mädchen <strong>der</strong> Hitler-Jugend zum großen Jugendtreffen<br />

und Eurem Führer entgegen!“ – Heil Hitler! Gez. E. Lossnitzer.<br />

Wer war dieser zweifelhafte Revolutionär? Karl Erich von Lossnitzer, geboren am 4. August 1886 in<br />

Riesa (Sachsen) als Sohn des Majors von Lossnitzer. Erich trat 1913 in die Schutztruppe ein und<br />

kämpfte während des Ersten Weltkriegs in DSWA als Offizier bis zur Gefangennahme 1915. Nach<br />

Kriegsende fand Lossnitzer eine Beschäftigung in <strong>der</strong> deutschen Botschaft zu London und schloss<br />

sich bald <strong>der</strong> NSDAP an mit neuartigen Aufstiegsmöglichkeiten.<br />

(Anmerkung: DER TROMMLER war seinerzeit keine unabhängige Publikation für Pfadfin<strong>der</strong>(innen) in<br />

Südwestafrika, son<strong>der</strong>n ein Public Relations Organ <strong>der</strong> NSDAP-Auslandsorganisation zur kostenlosen<br />

Verbreitung im Mandatsgebiet SWA).<br />

Erich
 Lossnitzer,
 ehemaliger
 Oberleutnant
 <strong>der</strong>
 Schutztruppe,
 wandelte
 sich
 zum
 Funktionär
 <strong>der</strong>
<br />

NSDAP‐Auslandsabteilung
und
versuchte
die
südwestafrikanischen
Pfadfin<strong>der</strong>
um
1934
in
die
Hitler‐<br />

Jugend
zu
überführen,
was
aber
missglückte.
Er
wurde
prompt
ausgewiesen.


Auf großer Fahrt mit kleinen Hin<strong>der</strong>nissen...


Das für Juli 1934 in Windhuk vorgesehene GROSSE PFADFINDERTREFFEN endete mit einem<br />

Skandal: Eine kleine Schar nationalsozialistisch infiltrierter Pfadfin<strong>der</strong> marschierte demonstrativ mit<br />

Lossnitzer durch die Straßen, während die Mehrheit <strong>der</strong> unbeeindruckten nationalkonservativen Jungen<br />

und Mädchen sich abseits hielt und einen getrennten Umzug inszenierte. Lossnitzer ließ Hakenkreuz-Fahnen<br />

flattern zum Entsetzen aller Buren-Beamten...<br />

Dieses Schauspiel konnten sich die südafrikanischen Polizeibehörden nicht bieten lassen: D. G.<br />

Conradie, Administrator <strong>der</strong> Union of South Africa für Südwestafrika, ordnete wenige Tage nach <strong>der</strong><br />

Nazi-Demo die sofortige Ausweisung Lossnitzers an „wegen Bedrohung <strong>der</strong> Staatssicherheit“, gestützt<br />

auf eine am 9. Februar 1934 im Amtsblatt veröffentlichte Verordnung (Criminal Law Amendment<br />

Ordinance No. 13). Ihr zufolge konnten „ausländische politische Vereinigungen unverzüglich untersagt<br />

werden bei einer Bedrohung <strong>der</strong> Staatssicherheit“.<br />

Über Nacht war also Lossnitzer zum Staatsfeind erklärt worden mit allen Konsequenzen. Jene<br />

Ordinance N. 13 wandte sich in ihrer Einleitung „gegen rassistische Propaganda und ähnliche<br />

Aktivitäten subversiver und den Landesfrieden stören<strong>der</strong> Natur“. Das bedeutet praktisch „Verbot<br />

hetzerischer (ausländischer) Druckschriften, <strong>der</strong> Uniformierung, bestimmter Abzeichen, Fahnen usw.“<br />

Leibesvisitationen weiblicher Verdächtiger durften nur von den südafrikanischen Polizistinnen vorgenommen<br />

werden „zur Wahrung <strong>der</strong> Sittlichkeit“. Gemeint waren in diesem Zusammenhang vor<br />

allem deutsche Pfadfin<strong>der</strong>innen und/o<strong>der</strong> <strong>der</strong>en Führerinnen.<br />

Das Verbot <strong>der</strong> Hitler-Jugend bekräftigte ein zweiter südafrikanischer hoher Beamter, F.P. Courtney<br />

Clarke, Secretary for South West Africa, in Form einer „Government Notice“ wegen öffentlicher<br />

Ruhestörung im Mandatsgebiet <strong>der</strong> Union. Man konnte alles in zwei Sprachen genau nachlesen:<br />

Afrikaans und Englisch (nicht aber in Deutsch).<br />

Allmählich beruhigten sich die Wogen <strong>der</strong> politischen Erregung, und im Mai 1935 entschloss man sich<br />

zu einer Neugründung <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> Pfadfin<strong>der</strong> von SWA auf korrekt demokratischer Basis und<br />

„vollkommen entnazifiziert“. 1938 kam die Zeitschrift DER PFADFINDER monatlich heraus bis zum<br />

Ausbruch des Zweiten Weltkriegs.<br />

In <strong>der</strong> ersten Ausgabe hieß es unter an<strong>der</strong>em: „Wir verdanken diese Neugründung nicht zuletzt dem<br />

Entgegenkommen und <strong>der</strong> Einsicht unserer Regierung im Mandatsgebiet Südwestafrika, die uns<br />

Vertrauen entgegen bringt dank unserer freundschaftlichen Beziehungen zu den Boy Scouts of South<br />

Africa und den Voortrekkers (Buren Scouts). Unsere Jugendbewegung betreibt keine Politik! Wir sind<br />

jetzt südafrikanische Untertanen, aber deutsch geboren und werden Deutsche bleiben!“<br />

Beim Gauturnfest Lü<strong>der</strong>itzbucht 1939 provozierten diese Fanfarenbläser aus den Reihen <strong>der</strong><br />

Pfadfin<strong>der</strong> die Polizei <strong>der</strong> Mandatsbehörden (trotz Verbot seit 1934) mit <strong>der</strong> Siegrune des <strong>Deutschen</strong><br />

Jungvolks (Altersgruppe 10 bis 14) in Deutschland. Es passierte nichts...


Es glückte nach und nach, die burische Obrigkeit in Windhuk milde zu stimmen und zum 21. Mai 1935<br />

die „<strong>Deutschen</strong> Pfadfin<strong>der</strong> von Südwestafrika“ ins Leben zu rufen. Die deutsche Bezeichnung BUND<br />

blieb untersagt, doch das Motiv PFADFINDER WEISSDORN fand wohlwollend Gnade. Einerseits<br />

blieb das Hakenkreuz logischerweise geächtet, an<strong>der</strong>erseits durfte die historische Reichskriegsflagge<br />

<strong>der</strong> Kaiserzeit als Bestandteil <strong>der</strong> Pfadfin<strong>der</strong>flagge (mit Weißdorn) unbeanstandet überall gezeigt<br />

werden. Auch die Farben schwarz-weiß-rot (Kokarden <strong>der</strong> Südwesterhüte) fanden Zustimmung als<br />

Traditionsmerkmale. Alsbald rückten 13 Horste mit etwa 1200 Jungen und Mädchen zusammen.<br />

Erlaubtes Höchstalter: 17 Jahre. Der Spielmannszug rekrutierte sich aus Trommlern, Querpfeifern und<br />

Fanfarenbläsern mit einem Tambourmajor.<br />

Spielmannszug <strong>der</strong> Pfadfin<strong>der</strong> in Lü<strong>der</strong>itzbucht vor <strong>der</strong> deutschen Realschule<br />

Pfadfin<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Walfangstation Lü<strong>der</strong>itzbucht; wahrscheinlich 1932


Esel-Transporter für Campingbedarf und Proviant<br />

Sie blickten erstaunt und fröhlich in ihre Zukunft


Man leistete sich sogar einen kleinen Fuhrpark durch Unterstützung <strong>der</strong> Elternschaft: Da gab es einen<br />

nahezu schrottreifen Chevrolet-Eintonner ohne Kabine und Windschutzscheibe (Kleinlastwagen) namens<br />

„Annemarie“ sowie mehrere Eselkarren (zum Gepäcktransport bei Wochenendfahrten in den<br />

Busch mit Camping). Später sammelten die Jugendlichen genügend Geld für einen uralten größeren<br />

Lastkraftwagen.<br />

Was ist nach dem Zweiten Weltkrieg aus den Pfadfin<strong>der</strong>n Südwestafrikas geworden nach so vielen<br />

politischen Umwälzungen? 1990 ging eine Broschüre in Druck mit dem Titel „Deutscher Pfadfin<strong>der</strong>bund<br />

von Südwestafrika. – Zum 25. Jubiläum 1965 bis 1990.“ Darin kann man unter an<strong>der</strong>em<br />

nachlesen:<br />

„Der erste Anlauf zur Wie<strong>der</strong>belebung <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> Pfadfin<strong>der</strong> nach dem Zweiten Weltkrieg wurde<br />

von Walter Wojascheck im Jahr 1962 sowie von Wolfgang von Koenen und Achim Wilckens im Jahr<br />

1965 unternommen. Es ging vornehmlich um die Glie<strong>der</strong>ung des Horstes in Jungenschaft und Mädchenschaft<br />

bzw. in Kameradschaften und Rotten. Ein weiteres Ziel war, dass innerhalb des Pfadfin<strong>der</strong>bundes<br />

deutsche und Südwestergeschichte, deutsche Kultur und Tradition geför<strong>der</strong>t werden sollen.<br />

Regelmäßige Fahrten und Lager am Wochenende, Sing- und Vortragsabende in einem Raum <strong>der</strong><br />

<strong>Deutschen</strong> Höheren Privatschule Windhuk. Nach einem Jahr zählte <strong>der</strong> Horst 120 Mitglie<strong>der</strong>“.<br />

Mittlerweile sind rund 20 Jahre vergangen. Nach <strong>der</strong> Unabhängigkeitserklärung Namibias im Jahr<br />

1990 än<strong>der</strong>te sich das bisher wohlwollende Klima unter südafrikanisch-burischer Mandatsregierung<br />

insofern als die neue schwarze Obrigkeit <strong>der</strong> deutschen Kulturpraxis gleichgültig bis misstrauischablehnend<br />

begegnete, woran sich bis heute nichts geän<strong>der</strong>t hat. Die Pfadfin<strong>der</strong> begannen zu verzagen<br />

und verloren den Boden unter ihren Füßen.<br />

Allzeit bereit – wie lange noch?<br />

In jüngster Vergangenheit befasste sich die deutschsprachige ALLGEMEINE ZEITUNG (Windhuk) in<br />

einer Reportage mit <strong>der</strong> radikal verän<strong>der</strong>ten Situation in Namibia:<br />

Am Lagerfeuer Stockbrot backen und Fahrtenlie<strong>der</strong> singen. Ausflüge quer durchs Land – mit dem<br />

LKW o<strong>der</strong> per Boot unternehmen, Knoten lernen, Spuren lesen und bei gemeinsamen Märschen zu-


sammenwachsen. Die schönsten Erinnerungen haben Klaus Jacobi und seine Frau, wenn sie an all<br />

die Fahrten quer durch Südwestafrika und Südafrika denken, die sie manchmal sogar wochenlang mit<br />

bis zu 30 Pfadfin<strong>der</strong>n hinten auf <strong>der</strong> Ladefläche ihres Lastkraftwagens unternommen haben...<br />

Eine heute kleine Pfadfin<strong>der</strong>gruppe; Antje Diener (9), Cora (9) und Michelle Starke (7) mit ihrer Leiterin<br />

Annemarie Ludwig. Aber wie fast alle Traditionsvereine landesweit leidet <strong>der</strong> „Deutsche Pfadfin<strong>der</strong>bund<br />

in Namibia“ unter Mitglie<strong>der</strong>schwund. Waren es in den neunziger Jahren noch mehr als 30,<br />

so sind es jetzt nur noch ein Dutzend...<br />

Die älteren Pfadfin<strong>der</strong> wie Tochter Astrid (22) haben den Windhuker Horst nach dem Abitur Richtung<br />

Universität und Berufswelt verlassen, und neue kleine Pfadfin<strong>der</strong> findet man zur Zeit in Windhuk kaum<br />

noch. „In <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> jungen Pfadfin<strong>der</strong> haben wir gegenwärtig vier Mitglie<strong>der</strong>, bei den älteren sind<br />

es fünf, die regelmäßig unsere Treffen besuchen“, erzählt Horst-Führer Klaus Jacobi. In Swakopmund<br />

gibt es aber noch 35 Pfadfin<strong>der</strong>, in Grootfontein etwa 17. Alle drei Vereinigungen gehören dem<br />

Dachverband sowie <strong>der</strong> Pfadfin<strong>der</strong>-Landesführung Namibias an...<br />

Pfadfin<strong>der</strong> mit Fahne in SWA<br />

Die älteren Pfadfin<strong>der</strong> Nantwin (16) und Gundolf Kuhn (17) reinigen im Pfadfin<strong>der</strong>heim ihr Zelt nach<br />

dem letzten Wochenendausflug. Warum finden nur so wenige Interessenten zu den Pfadfin<strong>der</strong>n heutzutage?<br />

Klaus Jacobi zuckt mit den Schultern und reagiert ratlos. „Vielleicht schaffen es die Eltern mit<br />

ihrer Tageszeiteinteilung nicht mehr, ihre Kin<strong>der</strong> jeden Freitagabend zwischen 18 und 20 Uhr ins<br />

Pfadfin<strong>der</strong>heim an <strong>der</strong> Robert Mugabe Avenue zu kutschieren und dort wie<strong>der</strong> abzuholen. Vielleicht<br />

unternehmen viele Familien am verlängerten Weekend lieber eigene Ausfahrten mit ihren Jungen und<br />

Mädchen – wer weiß?“


Von den 32 Vereinen in Namibia, die dem <strong>Deutschen</strong> Kulturrat (DKR) angehören, sind nur die Pfadfin<strong>der</strong><br />

an Jugendarbeit interessiert. Klaus Jacobi ist Stellvertreten<strong>der</strong> Vorsitzen<strong>der</strong> des Kulturrats und<br />

hält jede politische Tendenz von seinen Pfadfin<strong>der</strong>n fern. Wer sich den Pfadfin<strong>der</strong>n anschließen<br />

möchte, sollte die deutsche Sprache beherrschen. Mehr wird nicht verlangt. Nach einem Jahr Zugehörigkeit<br />

erwartet die Jungen und Mädchen beim traditionellen Thing am Lagerfeuer die Vereidigung,<br />

gestützt auf die 10 Pfadfin<strong>der</strong>-Regeln wie „ treu – entschlossen – aufrecht – gerecht – ordentlich –<br />

fleißig – hilfsbereit – naturliebend – organisationsfähig – verantwortungsvoll“. Man lernt ein Lager<br />

aufschlagen, Karten- und Fährtenlesen (wil<strong>der</strong> Tiere Afrikas), Sternenkunde, zuverlässige Knoten<br />

knüpfen...<br />

In den neunziger Jahren unternahmen die Pfadfin<strong>der</strong> Namibias ab und zu wochenlange Ausflüge in<br />

den Süden des Landes, vorbei vorbei. Im Jahr 2003 untersagte Staatspräsident Sam Nujoma künftige<br />

Kranznie<strong>der</strong>legungen <strong>der</strong> Pfadfin<strong>der</strong> an den Gräbern <strong>der</strong> Schutztruppe am Waterberg (wegen <strong>der</strong><br />

angeblich politischen Provokation). Damals setzte sich Jacobi kompromissbereit für Än<strong>der</strong>ungen an<br />

den Uniformhüten ein. Bis zur Unabhängigkeit Namibias trugen die Südwester Pfadfin<strong>der</strong> beigefarbene<br />

Hüte mit Kokarde (schwarz-weiß-rot) und entschlossen sich bald darauf blaue Käppis ersatzweise<br />

einzuführen...<br />

1972 wurde das gegenwärtige Quartier <strong>der</strong> Pfadfin<strong>der</strong> an <strong>der</strong> Robert Mugabe Avenue gegenüber <strong>der</strong><br />

Centaurus Schule erbaut, und 1992 legte man den Grundstein zum inzwischen stadtbekannten Turm<br />

des Vereinsheims. Alljährlich finden dort drei Feste statt: Frühshoppen, Schlachtfest und Sundowner<br />

Meeting, alles durch Spenden und Mitglie<strong>der</strong>beiträge finanziert...<br />

Für bestandene Prüfungen verleiht <strong>der</strong> Deutsche Pfadfin<strong>der</strong>bund in Namibia Abzeichen, die an den<br />

Uniformen getragen werden. Man kennt sechs unterschiedliche „Proben“ sowie zahlreiche Abzeichen<br />

mit dem Roten, Gelben und Blauen Weißdorn-Symbol, dazu die Speer- und Buschmannsprobe neben<br />

dem Reiter von Südwest.<br />

Die drei Weißdorn-Symbole bilden die Wissensgrundlage des Pfadfin<strong>der</strong>s. Der Rote Dorn umfasst 10<br />

Fachgebiete, mit denen ein tüchtiger Junge vertraut sein sollte: Gemeinschaft im Horst, Erste Hilfe,<br />

Lagerleben, Pionierdienst, Karten-, Stern- und Wetterkunde, Botanik, Zoologie und Marschdisziplin.<br />

Der Gelbe und/o<strong>der</strong> Blaue Weißdorn erweitert die Qualifikation: Tagesmarsch ohne Gepäck als Eingangsstufe<br />

bis zum Zehnkilometermarsch mit Gepäck nach Kompass und Landkarte.<br />

Im Alter zwischen 14 und 16 Jahren erleben die Jungen dann ihre Speer- und Buschmannsprobe mit<br />

Überlebenstraining im Busch. Für erstklassige Leistungen gibt es das Abzeichen „Reiter von Südwest“<br />

nach an<strong>der</strong>thalb Jahren Übungszeit.<br />

Als Namibia 1990 unabhängig wurde, brach die Führungsstruktur <strong>der</strong> Südwester Pfadfin<strong>der</strong> rasch<br />

zusammen: ein letztes Gruppenbild aller Jugendleiter zur Erinnerung an unbeschwerte Zeiten unter<br />

Buren-Aufsicht...


BOY SCOUT und PFADINDER mit gemeinsamen Wurzeln<br />

Es ist nur wenigen Historikern bekannt, dass während des mehrjährigen Burenkriegs in Südafrika um<br />

das Jahr 1900 jugendliche britische Freiwillige aus <strong>der</strong> Farmerbevölkerung von General Robert<br />

Baden-Powell als Späher und Kundschafter zwischen den Fronten eingesetzt wurden, um die Bewegungen<br />

des Gegners besser verfolgen zu können: man nannte diese Knaben BOY SCOUTS.<br />

Im Jahr 1909 verfasste <strong>der</strong> mittlerweile ins Zivilleben heimgekehrte <strong>Kolonial</strong>offizier in London ein<br />

Handbuch SCOUTING FOR BOYS, sinngemäß übersetzt etwa „Geländespiele für Jungen“, weil <strong>der</strong><br />

zum Pazifismus bekehrte Krieger etwas zur sportlichen Ertüchtigung und sittlichen Reife <strong>der</strong><br />

englischen Kin<strong>der</strong> beitragen wollte. Das Druckwerk fand überall lebhafte Zustimmung und reißenden<br />

Absatz.<br />

In jenen Jahren taucht eine weiter „Schlüsselfigur“ in <strong>der</strong> Pfadfin<strong>der</strong>historie auf: Hauptmann (später<br />

Major) Maximilian Gustav Stephan Bayer (literarisches Pseudonym Jonk Steffen), 1904 zum<br />

Oberkommando <strong>der</strong> Schutztruppe als zweiter Generalstabsoffizier während des Herero Aufstands<br />

abkommandiert. In diesem Zusammenhang schloss er Freundschaft mit dem Stabsarzt Dr. Alexan<strong>der</strong><br />

Lion, verlor ihn Umstände halber aus den Augen und erlebte ein freudiges Wie<strong>der</strong>sehen während<br />

einer Berliner Tagung <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> <strong>Kolonial</strong>gesellschaft im Jahr 1909.<br />

Sowohl Bayer als auch Lion hatten ein Herz für fortschrittliche Jugendbetreuung. Der Mediziner<br />

erzählte tief beeindruckt von einem Besuch in London bei Robert Baden-Powell und seiner Idee, so<br />

bald wie möglich eine deutsche Ausgabe von SCOUTING FOR BOYS heraus zu bringen, unterstützt<br />

von Freund Bayer. Bereits im Mai 1909 konnte man das PFADFINDERBUCH in Berlin erwerben, und<br />

1911 erschien die zweite Auflage. Es war Hauptmann Bayers ausgereifte Überlegung, den englischen<br />

Begriff BOY SCOUTS für den deutschen Gebrauch in PFADFINDER zu verwandeln.<br />

Im Januar 1909 schlug in Berlin die Geburtsstunde des För<strong>der</strong>vereins für die Pfadfin<strong>der</strong>-Idee mit <strong>der</strong><br />

Bezeichnung JUGENDSPORT IN FELD UND WALD. Hauptmann Bayer stellte sich als Vorstandsmitglied<br />

zur Verfügung, und Generalkonsul Georg Baschwitz leistete großzügige finanzielle Unterstützung.<br />

Hauptmann Maximilian Bayer darf (auch)<br />

als Grün<strong>der</strong>vater <strong>der</strong> deutschen<br />

<strong>Kolonial</strong>-Pfadfin<strong>der</strong> angesehen werden,<br />

zumindest aber <strong>der</strong> Pfadfin<strong>der</strong>-Idee<br />

(allgemein) in Deutschland.<br />

Der Pionier fortschrittlicher Jugendarbeit<br />

hatte einen schweren Kampf auszufechten<br />

gegen Anti-Semitismus, Klerikalismus und<br />

stumpfsinnigen Nationalismus.<br />

Das Militär verachtete ihn als einen<br />

„vaterlandslosen Gesellen“, weil ihm<br />

die britischen Boy Scouts als Vorbild<br />

dienten...


Urplötzlich sammelten sich die aufgeschreckten Gegner in einer grotesken Allianz: Ultra-Nationalisten<br />

verdammten „diese überflüssige englische Importware“, klerikale Kreise unterstellten, dass die Pfadfin<strong>der</strong><br />

vom sonntäglichen Kirchgang ablenkten, Antisemiten verhöhnten den Juden Baschwitz als<br />

Jugendver<strong>der</strong>ber und sogar hohe Offiziere <strong>der</strong> Armee äußerten sich verächtlich.<br />

Hauptmann Bayer geriet in existentielle Bedrängnis, weil ihn seine Vorgesetzten als „vaterlandslosen<br />

Gesellen“ diskriminierten. Er ließ die Funktionen im Vereinsvorstand ruhen und den eigenen Namen<br />

auf <strong>der</strong> Titelseite des Pfadfin<strong>der</strong>-Handbuchs löschen, sodass <strong>der</strong> Mediziner Lion allein verantwortlich<br />

zeichnete. Bayer musste mehrere Monate Urlaub beanspruchen, um ein Herzleiden als Folge <strong>der</strong><br />

Aufregungen zu kurieren.<br />

Im Mai 1911 erschien zwar die zweite Auflage des Pfadfin<strong>der</strong>-Handbuchs, doch war es inhaltlich<br />

„vollkommen überarbeitet“, das heißt stramm deutsch-national umgeschrieben. Ausgerechnet Turnvater<br />

Jahn musste jetzt statt Baden-Powell als Leitfigur dienen! Bayer riskierte es wie<strong>der</strong> als Mitverfasser<br />

im Titel genannt zu werden, allerdings schweren Herzens. Nachdem 1911 in Berlin <strong>der</strong> Deutsche<br />

Pfadfin<strong>der</strong>bund zustande kam, rückte Hauptmann Bayer in die Position des Ersten Reichsfeldmeisters<br />

(bis zu seinem Tod an <strong>der</strong> Westfront im Ersten Weltkrieg).<br />

Im Oktober und November 1912 setzte nochmals unverhofft eine Hetzkampagne gegen Bayer und<br />

Lion ein, ausgelöst durch General von Jacobi. Die üblichen Anschuldigungen: Mangelhafte Vaterlandsliebe,<br />

zweifelhafte Kaisertreue, Verletzung religiöser Empfindungen usw. Von Jacobi verbreitete<br />

sogar (auf eigene Kosten) eine wi<strong>der</strong>wärtige Schmähschrift, durch und durch antisemitisch<br />

aufgezäumt (wegen Dr. Lions jüdischer Herkunft). Nicht zuletzt spottete von Jacobi mit dem Hinweis<br />

auf den Verein JUDENSPORT IN WALD UND FELD (statt Jugendsport). För<strong>der</strong>er Baschwitz war in<br />

den Augen des Generals „ein wichtigtuerisches jüdisches Subjekt“.<br />

Im Februar 1912 beteiligten sich Bayer, Dr. Lion und Herr von Seckendorff als Autoren an dem von<br />

Elise von Hopffgarten herausgegebenen „Pfadfin<strong>der</strong>buch für junge Mädchen“ (ohne nationalistische<br />

Parolen und klerikale Scheuklappen). Darin findet man zahlreiche Hinweise auf die damals entstehende<br />

Frauenbewegung. Es war Bayers Verdienst, unverdrossen auch den Bund Deutscher Pfadfin<strong>der</strong>innen<br />

zu unterstützen in dessen Aufbauphase.<br />

Dr. med. Lion diente zeitweise<br />

als Sanitätsoffizier in <strong>der</strong> Schutztruppe<br />

Südwestafrikas und lernte dort<br />

seinen späteren Freund Hauptmann<br />

Bayer kennen, mit dem er das erste<br />

deutsche Pfadfin<strong>der</strong>-Handbuch<br />

konzipierte nach englischem Vorbild<br />

bzw. nach den Vorstellung von<br />

Baden-Powell.


1913 wurde Bayer zum Major beför<strong>der</strong>t mit Dienstsitz in Halberstadt beim Stab des II. Bataillons im<br />

Infanterie-Regiment Nummer 27. Es blieb ihm genügend Freizeit, um sich seinen geliebten Pfadfin<strong>der</strong>n<br />

intensiv zu widmen. So veranstaltete er am 19. Oktober 1913 mit 2000 Pfadfin<strong>der</strong>n einen Festzug<br />

während des Jubiläumsjahrs „100 Jahre Völkerschlacht bei Leipzig“ in Berlin (mit großer Werbewirkung).<br />

1914 nahm Bayer am Feldmeistertag des BDP teil, wobei die Jugendlichen den Kronprinzen<br />

begrüßten sowie dessen Staatsgast König Carol II. von Hohenzollern-Sigmaringen (aus Rumänien).<br />

1600 Pfadfin<strong>der</strong> und 100 Feldmeister erschienen damals in Berlin versammelt.<br />

Major Bayer wirkte während des Ersten Weltkriegs vom August 1914 bis Januar 1915 als Stadtkommandant<br />

in Brüssel. Anschließend rief man ihn zurück nach Berlin, wo er ein Konzept ausarbeiten<br />

sollte zum Aufbau einer türkischen Pfadfin<strong>der</strong>-Organisation (weil die Türkei damals mit dem Kaiserreich<br />

verbündet war). Die Türken fanden das deutsche Vorbild großartig.<br />

Als während des Ersten Weltkriegs die Finnen ihre Unabhängigkeit vom russischen Zarenreich erkämpfen<br />

wollten und Freiwilligen-Einheiten aufstellten, sagte Deutschland Unterstützung zu und beauftragte<br />

Major Bayer mit <strong>der</strong> Ausbildung sogenannter Finnischer Jäger in Lokstedt bei Hamburg,<br />

anfangs getarnt als „Pfadfin<strong>der</strong>-Feldmeister-Lehrgang“. Es folgten Einsätze an <strong>der</strong> Ostfront in Kurland,<br />

wo Bayer mit dem Eisernen Kreuz Erster Klasse ausgezeichnet wurde.<br />

Am 22. Oktober 1917 fiel Major Bayer in Lothringen vor dem Feind und ruht seit Oktober 1926 in<br />

einem Familiengrab auf dem Hauptfriedhof zu Mannheim (nach mehreren Umbettungen). Seit 1977<br />

erinnert auf Burg Waldeck im Ehrenhain <strong>der</strong> deutschen Jugendbewegung ein Gedenkstein an den<br />

Mitbegrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> deutschen Pfadfin<strong>der</strong> Gemeinschaft. Dr. Lion überlebte glücklicherweise als Jude<br />

das Dritte Reich und verstarb nach Kriegsende.<br />


<br />


<br />

Quellen<br />

Wikipedia Lexikon<br />

Nöhre, J.: Das Selbstverständnis <strong>der</strong> Weimarer <strong>Kolonial</strong>bewegung<br />

(Münster 1997)<br />

Seidelmann, K.: Pfadfin<strong>der</strong> in <strong>der</strong> deutschen Jugendgeschichte<br />

(Hannover 1977)<br />

Deutscher Pfadfin<strong>der</strong>bund Namibia<br />

(Windhuk 2008)<br />

Verband Deutscher Altpfadfin<strong>der</strong>gilden / Geschichtswerkstatt<br />

(Nie<strong>der</strong>kassel 2008)<br />

Allgemeine Zeitung


(Windhuk 2010)<br />

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