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SCHRIFTEN DES VORARLBERGER LANDESMUSEUMS

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In Ravenna ist für fast das gesamte 7. Jh. die Stationierung<br />

von drei armenischen Regimentern<br />

bezeugt. 158 Da demnach hier mindestens ein Jahrhundert<br />

lang ständig Soldaten zur Auffüllung der<br />

Mannschaftsstärke aus Armenien nachrückten,<br />

darf man annehmen, dass die Veteranen größtenteils<br />

im Land blieben, sich verheirateten, einen Beruf<br />

aufnahmen und Besitz erwarben. Wenn sich<br />

dieser Prozess ständig wiederholte, dürften die so<br />

gebildeten, zivilen Siedlungen ebenfalls ständig<br />

angewachsen, sicherlich aber auch italienisiert<br />

worden sein.<br />

Diese Volksgruppe muss man sich notwendigerweise<br />

durch eigene Priester ergänzt denken, was<br />

die Einrichtung von Kirchen und Klöstern zur<br />

Folge gehabt haben dürfte. Wenn diese Klöster<br />

ähnlich organisiert waren wie in Armenien, dürften<br />

sie auch eigene Werkstätten besessen haben.<br />

Wahrscheinlich haben diese Kolonien auch eigene<br />

Basare und vielleicht sogar Schulen gehabt. Seit<br />

743 kann man außerdem einen anderen, aber<br />

ebenfalls nicht unerheblichen Zustrom von Armeniern<br />

aus dem byzantinischen Reich annehmen,<br />

die infolge des Bilderverbots dort ausgewandert<br />

oder geflohen waren. Später muss man auch einen<br />

Zustrom von Paulikianern annehmen, die nunmehr<br />

nach Aufhebung des Bilderverbots 788 von<br />

den Kirchen und dem Staat verfolgt wurden. 159<br />

Im langobardischen Oberitalien weist demnach in<br />

der Folgezeit auch das verhältnismäßig zahlreiche<br />

Vorkommen typisch armenischer Bauformen und<br />

Werkstücke, 160 unter anderem auch von Kreuzsteinen<br />

(Katschkaren, s. dazu Taf. 59 und 60 161 ), auf die<br />

Anwesenheit einer zahlreichen, armenischen<br />

Bevölkerung und damit auch armenischer Steinmetzen<br />

hin. Mehrere Kirchen, die vermutlich auf<br />

diese Zeit zurückgehen, sind Zentralbauten über<br />

einem kreuzförmigen Grundriss mit Vierungsturm<br />

und Strebenischen (s. o., I, 2.3 e, und Taf. 62). In<br />

einem Fall enthält eine Kirche sogar die für armenische<br />

Kirchen typischen Dreiecksnischen in den<br />

Außenwänden (s. o., I, 2.3 f, und Taf. 61 162 ).<br />

Ein besonderes Merkmal dieser Kirchen ist die<br />

sorgfältige Bearbeitung der Hausteine, aus denen<br />

das Mauerwerk von Wänden, Gewölben, Pfeilern<br />

und sogar von Säulen hergestellt wurde. Sie sind<br />

allseitig eben behauen und haben häufig fast Ziegelformat.<br />

Sie sind meist auch wie Ziegelsteine in<br />

gleichhohen Schichten gemauert. 163<br />

95<br />

Eine derartige Verbreitung armenischer Bauformen<br />

setzt, vermutlich bereits im 6. Jh., eine umfangreiche<br />

Migration dieser Bauhandwerker voraus.<br />

Diese wurden in offiziellen lateinischen Dokumenten<br />

der Langobarden comacini (auch commacini)<br />

164 genannt, so in einer bekannten Verordnung<br />

(»Merkbuch«) der Könige Grimwald und Liutprand<br />

über die Löhne der Baugewerksmeister. 165<br />

Comacini ist die latinisierte Form des armenischen<br />

158 STRZYGOWSKI I, S. 737: numerus felicum Persoarmeniorum,<br />

numerus Armeniorum und numerus equitum Armenorum; und S.<br />

738, Anm 1; ein numerus war seit Trajan eine Auxiliartruppe,<br />

die nach ihrem Heimatland benannt war. Sie bestand vermutlich<br />

aus etwa 900 bis 1000 Mann zuzüglich der Offiziere.<br />

159 s. Anm. 31. Auf der Synode von Frankfurt 794 hat die fränkische<br />

Reichskirche i. Ü. den Aufhebungsbeschluss des Konzils<br />

von Nicaea von 788 abgelehnt (Libri Carolini), d.h. weiter auf<br />

dem Bilderverbot bestanden, was eine Begünstigung der Paulikianer<br />

durch Karl den Großen eingeschlossen haben dürfte.<br />

160 SCHAFFRAN betrachtete in Unkenntnis der sozialpolitischen<br />

Verhältnisse dieser Zeit in Oberitalien zahlreiche armenische<br />

Formen als eigenständige Erfindung der Langobarden. Vor allem<br />

Form und Bautechnik der Steinbauten können aber nicht<br />

aus einer langobardischen Bautradition stammen. Die bisherigen<br />

Betrachtungsweisen und Zuweisungen an die Langobarden,<br />

die eigentlich Bauern und Krieger waren und nicht einmal eine<br />

Schrift besaßen und selbst in ihren Gesetzen nur ein mangelhaftes<br />

Latein schrieben (s.u., Anm. 165 und 167 – 177), bedürfen<br />

deshalb einer Berichtigung. Schaffrans Zusammenstellungen<br />

»langobardischer« Bauwerke und Werkstücke sind jedoch<br />

wertvoll, weil sie die Grundlage für eine derartige grundlegende<br />

Überprüfung ihrer Herkunft bilden könnten.<br />

161 Taf. 59 und 60 zeigen frühe Beispiele, bei denen das Katschkar-<br />

Motiv auf Altarseiten übertragen, die spätere, reiche Ornamentik<br />

aber noch nicht entwickelt ist.<br />

162 SCHAFFRAN, Taf. 16 c: Concordia Sagittaria, Baptisterium;<br />

außerdem STRZYGOWSKI I, S. 738, mit weiteren Beispielen.<br />

163 Diese Bauweise scheint eine Anpassung des armenischen Hausteinmauerwerks<br />

an die spätantike Bauweise in Rom und Norditalien<br />

zu sein, in der weitgehend Ziegelmauerwerk verwendet<br />

wurde. Sie ist typisch für das frühe Mittelalter in Oberitalien.<br />

164 Gesprochen: Komá’ssini.<br />

165 BEYERLE, S. 324 ff.; Anhang zu den Gesetzen König Grimwalds<br />

(636-652) und König Liutprands (712-744): »[Grimvaldi<br />

sive Liutprandi memoratorium de mercedibus magistri commacinorum.]<br />

Item memoratorio de mercedes comacinorum«. Die weiter<br />

unten folgenden elf Zitate stammen aus dieser Verordnung.<br />

Ihre Hauptsache, die Vergütungsordnung für die verschiedenen<br />

Bauleistungen, kann hier nicht besprochen werden.

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