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SCHRIFTEN DES VORARLBERGER LANDESMUSEUMS

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1. Josef Strzygowski<br />

I.<br />

EINLEITUNG 1<br />

In seinem epochemachenden Werk »Die Baukunst<br />

der Armenier und Europa«, 1918 in Wien erschienen,<br />

hatte Josef Strzygowski 2 als erster Forscher den<br />

Westen mit der teils fremd, teils vertraut wirkenden<br />

Welt und dem Reichtum der kirchlichen Baukunst<br />

Armeniens bekannt gemacht. 3 Dabei bezeichnete<br />

er das in ihrer Baugestaltung ausgedrückte<br />

Kunstwollen als eigenständiges Wesensmerkmal der<br />

Träger dieser Baukunst, des armenischen Volkes. 4<br />

Das armenische Volk ordnete er der von ihm nicht<br />

als Sprachen-Familie, sondern als Stammesfamilie<br />

aufgefassten Gruppe der arisch-iranischen Völker<br />

zu. 5 Für das armenische Volk verwendete er dabei<br />

den Begriff Rasse, um es von anderen Völkern zu<br />

unterscheiden. 6<br />

In diesem Sinne stellte er die kirchliche, armenische<br />

Baukunst den bisher allein als kulturbildend angesehenen<br />

Ursprüngen der europäischen Baukunst, nämlich<br />

der mittelmeerisch-antiken und der nordischgermanischen<br />

Kunst als die dritte Kraft ge genüber, 7<br />

aus der in besonderem Maße die europäische, romanische<br />

Kunst erwachsen sei. 8 Damit führte er der<br />

europäischen Fachwelt die vielfältigen Beziehungen<br />

zwischen der armenischen und der romanischen<br />

Baukunst vor Augen, die heutzutage für jeden<br />

unvoreingenommenen Betrachter offenkundig sind.<br />

Bei seinen Untersuchungen stützte er sich zu -<br />

nächst auf bereits bekannte oder erst neu bekannt<br />

gewordene Inschriften, die er in vorsichtiger Weise<br />

teilweise neu interpretierte, besonders hinsichtlich<br />

der jeweils angesprochenen Daten. 9 Allerdings<br />

standen ihm zahlreiche, andere Inschriften und<br />

andere Deutungen einzelner In schriften nicht zur<br />

Verfügung, so dass dadurch Fehldeutungen oder<br />

vermutete Fehldeutungen entstanden. 10 Andererseits<br />

konnte er einen reichen Bestand von wahrscheinlich<br />

genauen und zuverlässigen Bauaufnahmen<br />

des armenischen Architekten Thoros Thoramanian<br />

verwenden, die ihm dieser 1913 zur Auswertung<br />

und zur Veröffentlichung überlassen<br />

hatte. 11 Mehrere Aufmaße davon hat Strzygowski,<br />

wie aus seinem Bericht über seine Untersuchungsreise<br />

hervorgeht, überprüft und als zutreffend befunden.<br />

12 Aber auch hier war er auf die Beispiele<br />

7<br />

1 Der folgende Aufsatz ist die stark erweiterte Fassung eines<br />

Vor trags des Verfassers am 14. Mai 2002 im Vorarlberger<br />

Landesmuseum, Bregenz. Der Verfasser dankt an dieser<br />

Stelle dem Direktor des VLM, Herrn Dr. Helmut Swozilek,<br />

zum einen dafür, dass er diesen Vortrag halten konnte, und<br />

zum anderen und vor allem, dass dieser Aufsatz in den<br />

»Schriften des Vorarlberger Landesmuseums« erscheinen<br />

kann.<br />

2 Josef Strzygowski, geb. am 7. März 1862 in Biala-Bielitz<br />

(Österreichisch Schlesien), 1892 Professor in Graz und seit<br />

1909 Professor für Kunstgeschichte und Direktor des Kunsthistorischen<br />

Instituts an der Universität Wien, gest. am 2.<br />

Januar 1946 in Wien; dazu J.-S.-Festschrift 1932; weitere<br />

Hauptschriften Strzygowskis: Orient oder Rom ? (1902), Kleinasien,<br />

ein Neuland der Kunstgeschichte (1903), Amida (1910)<br />

zusammen mit Max van Berchem (in: Beiträge zur Kunstgeschichte<br />

des Mittelalters von Nordmesopotamien, Hellas und<br />

dem Abendlande), Altai-Iran und Völkerwanderung (1917),<br />

Ursprung der christlichen Kirchenkunst (1920), ferner zahlreiche<br />

weitere Aufsätze, u.a.: Der Dom zu Aachen und seine Entstellung,<br />

s. dazu u.: Beispiel Nr. 10.: Die Pfalzkapelle Karls des Großen zu<br />

Aachen.<br />

3 Die folgende, sehr kurze Zusammenfassung folgt nicht der<br />

Gedankenführung Strzygowskis, die in einer schwer wiederzugebenden<br />

Struktur gegliedert ist.<br />

4 STRZYGOWSKI I, S. 572 f.<br />

5 STRZYGOWSKI I, S. 575; S. 614 ff.<br />

6 Die Hauptgruppen dieser Völker waren für Strzygowski die<br />

griechisch-semitische und die nordisch-germanische Gruppe,<br />

während er die Araber, die ja eine semitische Sprache sprechen,<br />

zu den Ariern rechnete. Der Begriff Rasse ist insofern falsch aufgefasst,<br />

aber auch keineswegs so verwendet worden, wie das<br />

später geschah.<br />

7 STRZYGOWSKI I, S. 575.<br />

8 STRZYGOWSKI I, S. 797 ff.<br />

9 STRZYGOWSKI I, S. 29 ff.<br />

10 Die Beispiele können und brauchen hier nicht behandelt werden,<br />

weil sie für das Thema dieses Aufsatzes nicht von Bedeutung<br />

sind.<br />

11 STRZYGOWSKI I, S. 6 ff; die Untersuchungen Thoramanians<br />

wurden leider erst 1942, nach seinem Tode, in armenischer<br />

Sprache veröffentlicht.<br />

12 STRZYGOWSKI I, S. 16; bereits 1908 waren zahlreiche Bauaufnahmen<br />

Thoramanians von der Kaiserlich-Russischen Archäologischen<br />

Kommision geprüft und ihre große Bedeutung hervorgehoben<br />

worden (STRZYGOWSKI I, S. 8 f.).

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