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SCHRIFTEN DES VORARLBERGER LANDESMUSEUMS

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Untersuchung vorbehalten, die jedoch in den klassizistischen<br />

Bestand eingreifen würde.<br />

Im Inneren der Kapelle dürfte die dreipassförmige<br />

Ausgestaltung der Wandnischen mit den eingestellten<br />

Säulen (Taf. 49) auf ähnliche, zeitgleiche,<br />

armenische Vorbilder hinweisen (Taf. 50). 107 Die<br />

etwas unbeholfen wirkende Stellung der in die<br />

Raumdiagonale gerichteten Sockel der Diagonalrippen<br />

könnte dagegen damit erklärt werden, dass<br />

die Handwerker nicht mit der üblichen, orthogonalen<br />

Stellung der Sockel in einem Kreuzrippengewölbe<br />

vertraut waren, was man bei einheimischen<br />

Handwerkern voraussetzen müsste. 108<br />

Bauliche Merkmale werden deshalb zur Interpretation<br />

des Befundes nicht herangezogen.<br />

Im Zusammenhang mit den im Folgenden zu<br />

besprechenden Steinmetzzeichen belegt der Um -<br />

stand, dass die armenischen Maßarten nicht nur an<br />

einzelnen und isolierten Bauteilen, sondern durchgängig<br />

festzustellen sind, dass Abteikirche und<br />

Michaelskapelle von vornherein mit ihnen geplant<br />

wurden. Dies wiederum lässt den Schluss zu, dass<br />

der planende Architekt entweder selbst einer armenischen<br />

Steinmetz-Bruderschaft angehörte und<br />

vielleicht sogar einer ihrer Vorsteher war, oder dass<br />

er mindestens der Tradition einer Bruderschaft<br />

entstammte. In jedem Fall dürfte er dem durch die<br />

Bruderschaften geprägten Bauwesen so nahe gestanden<br />

haben, dass er deren Maßarten selbstverständlich<br />

anwendete, obwohl mehrere europäische<br />

Maßarten zur Verfügung standen. 109 Er tat dies<br />

vermutlich auch in der Erwartung, dass an dem<br />

Neubau, wie schon an vielen anderen Neubauten<br />

dieser Zeit in Deutschland, armenische Bauhandwerker,<br />

sei es als Gruppen einer Bruderschaft, sei<br />

es als nicht organisierte Handwerker, arbeiten<br />

würden, für die die armenische Maßart eine selbstverständliche<br />

Grundlage ihrer Arbeit gewesen sein<br />

dürfte. Diese Erwartung hat sich, wie die armenischen<br />

Steinmetzzeichen zeigen, auch bestätigt.<br />

Wolfgang Wiemer hatte 1957 auch etwa 3.600<br />

erhaltene Steinmetzzeichen aufgenommen, teilweise<br />

kartiert und für einige von ihnen die Häufigkeit<br />

angegeben. 110 Die nach Bauteilen zu sam -<br />

men ge stellten Steinmetzzeichen vermitteln zunächst<br />

erneut den Eindruck der großen Vielfalt<br />

unterschiedlichster Zeichen und sodann häufig das<br />

fast beliebige Nebeneinander dieser unterschiedlichen<br />

Zeichen (Abb. 17). 111<br />

69<br />

107 Hovannawank, Klosterkirche, 13. Jh.; Dreipässe wurden häufig<br />

auch in isl - amischen Bauten gebildet, die in armenischer<br />

Bautradition stehen (HANISCH I, Abb. 11, Taf. 63, Inschrifttafel<br />

Al-Malik al-‘ - Adils; HANISCH II, Taf. 147, Torbogen mit<br />

Inschrift Al-Malik al-‘ - Adils).<br />

108 Auch im Bamberger Dom sind die im Grundriss etwa quadratischen<br />

Sockel der Eckdienste im (westlichen) Querschiff unter<br />

45° schräg in die Raumecken gestellt. Zum Bamberger Dom<br />

s. folgende Anmerkung.<br />

Wie schon von anderen Kunsthistorikern angenommen<br />

(DEHIO I, S. 238), deutet die Anordnung des Ostteils der<br />

Michaelskapelle auf eine erhebliche Planänderung hin, bei der<br />

vielleicht sogar die Außenecke der im Bau befindlichen Nordostkapelle<br />

der Hauptkirche wieder abgebrochen wurde. Die<br />

Maßanalyse belegt darüber hinaus, dass auch andere Bauhandwerker<br />

eingesetzt wurden. Der Anlass dafür muss von großer<br />

Wichtigkeit gewesen sein. Leider können hier nur Vermutungen<br />

angestellt werden. Da eine Verbindungstreppe zwischen<br />

dem Schiff und dem Untergeschoss des Ostteils ursprünglich<br />

nicht vorhanden war, kann man einen besonderen kultischen<br />

Zweck, etwa die Verehrung einer neuen Reliquie, vermutlich<br />

ausschließen. Die wahrscheinlichste Annahme ist, wie auch<br />

von W. Wiemer vermutet, dass das Untergeschoss als Bestattungsort<br />

vorgesehen worden war, zumal dort ein undatierbares,<br />

verschüttetes Grab gefunden wurde. Vielleicht sollten die<br />

sterblichen Reste der Königin Gertrud, der Gemahlin Konrads<br />

III. (gest. 1147 in Hersfeld) und ihres Sohnes Friedrich<br />

von Rothenburg (gest. 1167 bei Pavia), die noch im Vorgängerbau<br />

der heutigen Kirche beigesetzt worden waren, während<br />

des Neubaus der heutigen Kirche hierhin umgebettet werden,<br />

vielleicht sogar als endgültige Ruhestätte. Sie wurden jedoch<br />

1269 von einer unbekannten Stelle in die Hauptkirche überführt<br />

(WIEMER, S. 9 f.; DEHIO I, S. 240). Klarheit über den<br />

Charakter des Untergeschosses des Ostteils kann jedoch vermutlich<br />

nur eine nochmalige Grabung bringen. 1965 wurde bei einer<br />

Grabung zwar das erwähnte, verschüttete Grab gefunden,<br />

sonst offenbar aber keine weiterführenden Befunde festgestellt<br />

(WIEMER I, S. 10 f.).<br />

109 Fußmaße nach den Feststellungen des Verfassers: 0,2715 m<br />

(Kloster Eberbach, Dom zu Bamberg), 0,2880 m (Dom zu<br />

Bamberg), 0,2962 m (Römischer Fuß, Pfalzkapelle Aachen,<br />

s.u., Beispiel 10), 0,3248 m (Französischer Königsfuß, Kloster<br />

Eberbach), 0,3332 m (drusianischer Fuß, Dom zu Bamberg,<br />

St. Georg, Köln, s.u. Abschnitt 8). Der Neubau des Bamberger<br />

Doms von ca. 1185/1200 scheint nach stichprobenhaften<br />

Messungen des Verfassers zunächst mit einem 0,2880 m langen<br />

Fuß (»Baumaß«) begonnen, dann aber einheitlich mit dem<br />

0,3206 m langen Fuß umgeplant und ausgeführt worden zu<br />

sein; einige Sonderbauteile sind auch mit dem 0,3332 m langen,<br />

drusianischen Fuß ausgeführt worden.<br />

110 WIEMER I, Taf. I – III.<br />

111 Die verbreitete Annahme, dass es sich bei Steinmetzzeichen<br />

um persönliche Zeichen der einzelnen Handwerker handele, ist<br />

strittig; somit müssen auch gleich aussehende Zeichen nicht<br />

zwangsläufig von ein und demselben Handwerker stammen,<br />

wie WIEMER I an anderer Stelle (S. 18 f.) ebenfalls bemerkt.

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