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SCHRIFTEN DES VORARLBERGER LANDESMUSEUMS

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nen Werken der Literatur gefunden zu haben<br />

scheint. Für ihre eigenen Schriften dürften sie die<br />

kryptographen Schriftarten (Geheimschriften) verwendet<br />

haben, die ebenfalls in den Klöstern zur<br />

Abfassung besonderer Dokumente entwickelt worden<br />

waren. 30 Derartigen kryptographen Alphabeten<br />

entnahmen sie später ebenfalls Zeichen und verwendeten<br />

sie als Steinmetzzeichen. Diese stehen in den<br />

Kreuzfahrerstaaten und in Europa dann neben den<br />

klassischen, geometrischen Zeichen (Abb. 4, 21-26).<br />

Schließlich muss es auch eine dritte, organisierte<br />

Gruppe gegeben haben, die vermutlich keine<br />

Steinmetzzeichen verwendete. Dies dürften die<br />

Anhänger der paulikianischen Bewegung gewesen<br />

sein, die ihre religiöse Einstellung und damit die<br />

Zugehörigkeit zu dieser als haeretisch bezeichneten<br />

Bewegung meist verborgen hielten. 31<br />

Spätestens in der Zeit der Kreuzzüge müssen auch<br />

europäische Steinmetzen, die mit den Pilgern und<br />

Kreuzfahrern nach Palästina und Syrien gekommen<br />

waren, die Organisationsform der armenischen<br />

Bruderschaften kennengelernt haben und<br />

damit deren Gewohnheit, ihre Werkstücke mit<br />

besonderen Zeichen zu versehen. Es scheint, dass<br />

es ihnen verwehrt war, deren Zeichen zu übernehmen<br />

oder nachzuahmen. Dies wird daran deutlich,<br />

dass sie eigene Zeichen erfanden. Sie entnahmen<br />

die Motive dafür ihrer täglichen Umgebung, der<br />

Welt der Kreuzritter, ihres Handwerks und der<br />

Natur (Abb. 4, 1-16). 32 Die Vielfalt der Zeichen<br />

30 ABRAHAMJAN.<br />

31 Diese Bewegung scheint die ursprüngliche Form des armenischen<br />

Christentums im 3. Jh. gewesen zu sein. Im 4. und 5.<br />

Jh. wurde sie infolge hellenistisch orientierter Bestrebungen des<br />

Klerus in Konstantinopel, die zur Konsolidierung der Staatskirche<br />

führten, in die Haeresie abgedrängt (GARSOIAN, S.<br />

220 ff.). Ungeachtet dessen breitete sie sich, vor allem im 7.<br />

und 8. Jh., in Armenien und in großen Teilen des byzantinischen<br />

Reichs aus. Im 9. Jh. besaßen ihre Anhänger im Herzen<br />

Kleinasiens am oberen Euphrat ein zusammenhängendes Territorium<br />

mit einer eigenen Hauptstadt Tephrik - e, einem religiösen<br />

Führer, der in der den Paulikianern feindlichen Literatur<br />

»Häresiarchos« genannt wurde, gleichsam als Diffamierung<br />

seiner Funktion als Oberhaupt der religiösen Gemeinschaft,<br />

und einem militärischen Führer (»Archon«). Dort bauten sie<br />

auch Kirchen für sich selbst, was die Tätigkeit eigener Steinmetzen<br />

voraussetzt. Die Bewegung erfasste alle Schichten der<br />

Bevölkerung, zeitweilig bis in die obersten Kreise des Klerus<br />

und sogar des Kaiserhauses. Von der armenischen und der<br />

16<br />

griechischen Kirche wurden ihre Mitglieder meistens in abfälliger<br />

Weise als Paulikianer, später als Tondrakianer bezeichnet<br />

und vor allem immer wieder mit der Sekte der Manichäer<br />

gleichgesetzt, deren Anhänger mit dem Tode bestraft wurden.<br />

Die Paulikianer beriefen sich von Anfang an auf die Lehren<br />

und Grundsätze des frühen Christentums, wenn nicht sogar<br />

des Urchristentums. Alleinige Grundlage ihres Christentums<br />

war die Taufe, die aber auch nur an Gläubigen vollzogen werden<br />

durfte, die über 30 Jahre alt waren und deren Glaubenstreue<br />

erwiesen war. Erst durch die Taufe wurden diese zu Christen.<br />

Sie beriefen sich dabei auf den Wortlaut der Evangelien,<br />

wonach Jesus auch erst im Alter von 30 Jahren getauft und<br />

dadurch als Sohn Gottes angenommen worden war (Adoptianismus).<br />

In ihrer alleinigen Bezogenheit auf das Neue und<br />

teilweise auch auf das Alte Testament lehnten sie konsequenterweise<br />

die Marienverehrung, die Bilderverehrung und vor<br />

allem die Kirche selbst ab. Damit standen sie in schroffem und<br />

unüberwindlichen Gegensatz zu ihr, und zwar gleichermaßen<br />

zur Armenisch-Apostolischen, zur Griechisch-Orthodoxen<br />

und zur Römisch-Katholischen Kirche, sowie, außer in der<br />

Zeit des Bilderverbots, auch zu der jeweiligen Staatsmacht.<br />

Von dieser wurden sie daher in immer wieder neuen Wellen<br />

z.T. blutig verfolgt. Sie traten deshalb im 9. Jh. auch in einen<br />

offenen Widerstand gegen den byzantinischen Staat, wurden<br />

aber 872 in einem regelrechten Krieg, bei dem ihre Hauptstadt<br />

Tephrik - e zerstört wurde, besiegt und in andere Gebiete<br />

abgedrängt. Bereits 760 waren sie unter Konstantin V., dem<br />

Hauptvertreter des Bilderverbots, der sich ihrer auf Grund<br />

gleicher religiöser Einstellung in besonderem Maße bediente,<br />

in Konstantinopel und in den entvölkerten Gebieten Thraziens<br />

und Bulgariens zur Grenzsicherung angesiedelt worden.<br />

970 unter Johannes I. Tzimiskes wurden Paulikianer noch einmal<br />

dorthin verpflanzt. Hier wurden sie seit etwa dieser Zeit<br />

nach ihrem Führer Bogomilen genannt. Ihr Gedankengut war<br />

nunmehr tatsächlich durch dualistische, manichäische Vorstellungen,<br />

insbesondere von der Rolle des Satans als des Schöpfers<br />

der Welt, verändert worden. Aus Bulgarien gelangte dieses<br />

im 11. Jh. in den Westen, vor allem nach Italien und Südfrankreich,<br />

wo die neu entstandene Sekte bekanntlich von jetzt<br />

ab Katharer genannt wurde, weil sie sich selbst als »die Reinen«<br />

(griech. katharoi) bezeichneten.<br />

Die Literatur über diese Bewegungen ist meistens im Sinne<br />

von Ketzertheorien voreingenommen. Grundlegend zu Religion<br />

und Geschichte der Paulikianer und Tondrakianer und<br />

gleichzeitig rühmliche Ausnahmen von dieser Tendenz sind,<br />

wie bereits erwähnt, GARSOIAN, die auch die Quellen für die<br />

vorgenannte kurze Darstellung zitiert, und NERSESSIAN.<br />

Westliche Historiker gehen in ihren Arbeiten über die Katharer-Bewegung<br />

i.d. R. auf die Ursprünge und Entwicklung dieser<br />

langen und in sich auch teilweise differenzierten Bewegung<br />

nicht oder nur wenig ein, wahrscheinlich weil ihnen die griechischen<br />

und armenischen Quellen, die die beiden armenischen<br />

Forscher benutzt haben, nicht zugänglich waren, oder<br />

weil für sie der nationale Aspekt, vor allem für Frankreich, im<br />

Vordergrund stand. Diese Literatur kann hier nicht weiter<br />

besprochen werden.<br />

Nachzutragen ist, dass ein Merkmal der paulikianischen<br />

Bewegung, die Geheimhaltung der eigenen Identität, das Vorbild<br />

für die entsprechende Gewohnheit der Bau-Bruderschaften<br />

gewesen sein dürfte.<br />

32 Entnommen aus <strong>DES</strong>CHAMPS II, S. 240 ff., und analysiert<br />

in: HANISCH X, S. 204 ff. Art und Mischung dieser Zeichen<br />

finden sich an zahlreichen, anderen Burgen in den Kreuzfahrerstaaten.<br />

Sie sind für Zeit und Region typisch.

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