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SCHRIFTEN DES VORARLBERGER LANDESMUSEUMS

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wenig ertragreichen Armenien in den Westen<br />

wanderten, um dort als Händler, Handwerker,<br />

Kleriker und vielleicht auch als Bauern neue und<br />

bessere Erwerbsmöglichkeiten zu finden. Diese<br />

Zuwanderer dürften in den neuen Siedlungszellen<br />

nach und nach die eigentliche Infrastruktur gebildet<br />

haben, die dort in der Folgezeit zu Grundbesitz<br />

und zur Gründung von Klöstern und Pfarrkirchen<br />

geführt hat.<br />

*<br />

Ein anschauliches Beispiel für das Auftreten dieser<br />

Gruppen zusammen – außer der fünften – bildet<br />

im 11. und 12. Jh. die große armenische Kolonie<br />

im f - a.tmidischen Kairo. Sie bestand aus einer zu<br />

zehntausenden zählenden Abteilung des f - a.tmidischen<br />

Heeres und aus großen, wahrscheinlich eigenständigen<br />

Wohnquartieren mit Kirchen, Klöstern<br />

und Schulen. 190 Bekanntlich waren mehrere Wesire<br />

der Kalifen dieser Zeit gebürtige Armenier. 191<br />

Einen Eindruck vom Wohlstand der Kolonie vermitteln<br />

die rigorosen Konfiskationen .Sal - a .h ad-D - ıns<br />

nach seiner Machtergreifung und nach dem Aufstand<br />

der armenischen und sudanesischen Truppen<br />

1173 gegen ihn. 192 Die Bauhandwerker scheinen<br />

bei diesen Maßnahmen verschont geblieben zu<br />

sein. Sie wurden vielmehr, wie die für sie typische<br />

Bauweise zeigt, offenbar in großer Zahl beim<br />

Neubau der Zitadelle .Sal - a .h ad-D - ıns in Kairo eingesetzt.<br />

193<br />

Auf europäischem Boden haben die armenischen<br />

Kolonien vermutlich nicht den Umfang und die<br />

politische Bedeutung der ägyptischen Kolonie gehabt.<br />

Die Auswirkungen ihrer Wirksamkeit waren<br />

jedoch erheblich weiterreichend und nachhaltiger.<br />

Auch in Köln muss, wie oben beschrieben, seit der<br />

Mitte des 11. Jhs. eine große armenische Gemeinde<br />

bestanden haben, wodurch sich die Verbreitung<br />

armenischer, aber für die Region neuartiger Bauformen<br />

im Rheinland erklärt. Ihre Existenz wird<br />

in einem bekannten Dokument greifbar. In einem<br />

1143 oder 1146 verfassten Brief an Bernhard von<br />

Clairvaux berichtet Eberwein von Helfenstein, der<br />

Probst des im Aufbau befindlichen Prämonstratenserklosters<br />

Steinfeld in der Nordeifel, über die<br />

Aufdeckung einer großen Gemeinde von »Haeretikern«,<br />

die von einem Bischof geleitet wurde und<br />

zu der besondere Lehrer (wardapet) gehörten, und<br />

über einen Prozess gegen diesen Bischof, der mit<br />

100<br />

dessen Tod auf dem Scheiterhaufen endete. 194 In<br />

einem weiteren Abschnitt wird eine andere »haeretische«<br />

Bewegung erwähnt. 195 Beide Gruppen<br />

scheinen aber als einander verwandt angesehen<br />

worden zu sein.<br />

Die Angehörigen der Kölner Gemeinde werden in<br />

der westlichen Literatur gewöhnlich mit dem<br />

damals bereits üblichen Namen Katharer bezeichnet<br />

196 Diese Bezeichnung fehlt jedoch sowohl in<br />

Eberweins Brief als auch in der als Antwort aufzufassenden<br />

Predigt Bernhards von Clairvaux, 197<br />

sowohl in Bezug auf die erste als auch auf die zweite<br />

Gruppe, vermutlich weil Eberwein wusste, dass<br />

sie gar keine Katharer waren. Sie werden allerdings<br />

auch nicht als Paulikianer, Tondrakianer<br />

oder auch nur als Armenier bezeichnet.<br />

190 Das wichtigste Quartier hieß al- .Husayn - ıya, wahrscheinlich<br />

nach .Husayn, dem Sohn des 4. Kalifen ‘Al - ı benannt, der im<br />

ˇsi‘ - ıtischen Isl - am als Märtyrer eine heiligmäßige Verehrung genießt.<br />

191 Im 11. und 12. Jh. außer Badr al- ˇGam - al - ı (gest. 1094) auch<br />

sein Sohn al-Afd. al ˇ S - ah - anˇs - ah (erm. 1121), dessen Sohn al-Afd. al<br />

Kutaif - at (erm. 1131), dessen Nachfolger Y - anis (nur 1131), die<br />

jedoch alle Muslime geworden waren, sowie Vahram, der Christ<br />

blieb (1131, gest. 1140); s. CANARD I, S. 88 und CANARD<br />

II, S. 151.<br />

192 Ihre Erlöse und ihre bisherigen Einkünfte benötigte er zur<br />

Finanzierung der vielen neuen, sunnitischen Einrichtungen; s.<br />

dazu: FRENKEL, S. 1 ff.<br />

193 Beschreibung der Zitadelle bei CRESWELL, II, S. 1 ff., aber<br />

ohne Hinweis auf die besonderen Bauformen und die ausführenden<br />

Handwerker; außerdem Hanisch, Hanspeter: Maßarten<br />

und Bauweise der aiy - ubidischen Wehrbauten der Zitadelle von Kairo,<br />

Leuven (in Druckvorbereitung).<br />

194 MIGNE, S. 665 ff.<br />

Dies dürfte der erste Fall einer Verbrennung von »Ketzern« in<br />

Deutschland gewesen sein. In diesem Brief sind auch die Glaubensvorstellungen<br />

und Gebräuche dieser Gemeinde genau beschrieben.<br />

Besonders ihre enge Bindung an das Alte und das<br />

Neue Testament, und hier die alleinige Bedeutung der Taufe,<br />

werden als die Grundlagen ihres heiligmäßigen Lebenswandels<br />

hervorgehoben, andererseits aber auch ihre Ablehnung der Bilder<br />

und der kirchlichen Instanzen.<br />

195 Anders als die erste Gruppe lehnte diese auch das gemeinsame<br />

Gedächtnismahl ab.<br />

196 s. Anm. 182.<br />

197 MEHRERAU (Bernhard v. Clairvaux), Ansprache Nr. 65 u. 66.

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